Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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20. Die geheime Berathung im Fürstenschloß.

Eines Abends, schon ziemlich spät, wurde der Hofgürtler ins Schloß berufen. Man führte ihn in ein blendend erleuchtetes Prachtzimmer, wo er den Fürsten selbst an einem Tischchen, im Lehnstuhl sitzend, erblickte; den Kabinetsrath an seiner Seite stehend; und, ohnfern von Beiden, einen Schreiber, die Feder in der Hand, vor einem mit Akten beladenen Tische.

»Ei, ei, Herr Zunftmeister,« redete ihn beim Eintritt der Fürst an, und that, wie wenn er ungehalten wäre: »das hätt' ich von Eurer Weisheit nicht erwartet. Also auch Ihr habt jene famose Bittschrift unterzeichnet?«

Mit tiefster Verbeugung erwiederte, ohne Verlegenheit, der Hofgürtler, der wohl sah, sein Landesherr meine es nicht so böse: »Ich unterschrieb nicht in meinem Namen, sondern pflichtgemäß Namens meiner Zunft.«

»Nun, das lass' ich gelten. Ihr seid ein gescheiter Mann, das weiß ich. Drum ließ ich Euch rufen. Ich möchte über unsre Angelegenheit das Gutachten eines braven, sachkundigen Professionisten hören, der am besten wissen kann, was Noth thut und gethan werden darf. Doch, merkt wohl, ich will hier nicht mit dem Herrn Zunftmeister sprechen, sondern mit dem mir wohlbekannten, ehrlichen Meister Jordan, meinem Hofgürtler. Ich zweifle nicht, Ihr habt für Euch in der Stille die Sache genugsam überlegt.«

»Wie es unser Einer vermag, Ihre Durchlaucht. Wenn Feuer geblasen wird, denkt man auch daran, wie am besten löschen?«

»Wohlan denn, Meister, der Brand ist da, wo wollt Ihr die Spritzen anlegen? Bei dem jetzigen Stand der Dinge klagt das Publikum über Zwang, den es von den Handwerkern dulden muß; über Verarmung vieler Menschen, die etwas erwerben wollen, denen man keine Mittel und Wege dazu offen läßt. Man verlangt unbedingte Gewerbsfreiheit. Von der andern Seite jammern und lärmen die Professionisten, daß sie brodlos werden, wenn man ohne Unterschied Jedermann Handwerkern läßt; daß sie, bei Einführung von Gewerbsfreiheit, insgesamt an den Bettelstab kommen müssen, und daß das Publikum selber den größten Schaden davon tragen werde, wenn es von Stümpern betrogen wird. Drum verlangen Eure Zünfte unbedingte Aufrechthaltung ihrer Rechtsame. Welchen Weg hier nun einschlagen? Links, oder rechts?«

»Mitten durch, gnädigster Herr! Zunftwesen und Gewerbsfreiheit müssen neben einander bestehen. Mittelstraß ist die beste Straß! Wär' ein einziges unbedingtes Etwas unterm Himmel, ich glaube, es würde die ganze Welt in sich verschlucken. Drum gibt es in keinem Land ein unbedingtes Recht und keine unbedingte Freiheit.«

»Weise gesprochen, Meister! Ich mach' Euch am End aller Dinge noch zu meinem Hofphilosophen, wenn dergleichen Leute einmal Mode werden, etwa wie Hofsänger und Hoftänzer. Nun sagt mir nur, wie Gewerbsfreiheit und Zunftzwang mit einander verbinden? Das ist ja sonnenklarer Widerspruch!«

»Man muß sie nur beide zähmen und zusammen gewöhnen, Ihre Durchlaucht, wie zwei böse Gäule, die nicht gewohnt sind, mit einander den gleichen Karren zu ziehen. Aber, gnädigster Herr, wenn ich's sagen darf, mit großer Vorsicht, langsam! Allzugeschwind fahren bricht das Rad; allgemach kömmt man auch weit.«

»So spannet die bösen Gäule einmal zusammen, Meister, und sagt, wie sie dressiren, daß sie nicht etwa gar den Karren umwerfen,« sagte der alte Fürst herzlich lachend: »Thut, als säßet Ihr auf meinem Stuhl, oder Thron, und hättet das Land zu regieren.«

»Ach, Ihre Durchlaucht geruhen gnädigen Scherz zu treiben. Leichter könnt' ich unsere Hauptkirche, sammt Thurm, durchs Stadtthor tragen. Indessen, weil Höchst Sie befehlen, will ich meine Gedanken sagen, ob sie gleich einfältig sein mögen. Aber, wie das Garn, so natürlich auch das Tuch.«

»Also zur Sache, Meister Jordan.«

»Meinerseits würd' ich den Zunftzwang abschaffen, aber nicht das Zunftwesen; und würde Gewerbsfreiheit gestatten, doch keine Gewerbs-Zügellosigkeit. Ich würde in Dörfern, wie Städten, Niederlassung von Handwerkern gestatten, ansäßigen Fremden, wie Landeskindern. Die könnten schaffen und Hausirer umherschicken, wie sie Lust hätten. Nur sollte Niemand Profession treiben, ohne von der Regierung ein Patent dafür zu haben; und Niemand sollte hausiren dürfen, als wer von einem patentirten Handwerker dazu für dessen selbstverfertigte Waare angestellt ist. Das wäre Eins!«

»Keiner aber sollte dann von der Regierung ein Patent empfangen, der nicht vorher von einer inländischen Zunft Zeugniß vorlegen könnte, er verstehe sein Handwerk aus dem Fundament und sei ein tüchtiger Gesell, mit genügendem Lehrbrief versehen. Um als Gesell ausgeschrieben zu werden, muß er ein Probestück machen, das verkaufbar und nicht überköstlich ist. Wird der Lehrling auf diese Weise Gesell: so zahlt er nur Einschreibgebühr; aber keine Schmausereien, keine Schnurrpfeifereien, wie heutzutage beim Meisterstückmachen geschieht. Sodann steht ihm frei, ob er noch auf Wanderschaft gehen, oder sich auf seine Faust hin irgendwo ansäßig machen und ein Patent fordern will. Hat er das Patent, so ist er dadurch Meister. Sein Gesellenstück war sein Meisterstück. Es muß künftig schwerer sein, Gesell, als heutiges Tages Meister, zu werden. Das wäre Nummer zwei!«

»Nun aber gelang' ich zur Hauptsache, zum Grundübel, an welchem der Handwerksstand erkrankt, daß er in immer größere Armuth und Verachtung übergeht. Taugt die Saat nichts, wie soll daraus Frucht werden? Da nimmt man bei uns den Jungem aus der Schule, eh' er was Rechts gelernt hat; thut ihn zu früh in die Lehre, wo er dann vergißt, was er aus der Schule mitgebracht hat; spricht ihn nachher frei, macht ihn zum Gesellen, fragt nicht, wie viel er versteht? sondern wie viel Jahre er in der Lehre gestanden? So ist der Gesell gewöhnlich nur ein erwachsener Lehrbursch, der nicht mehr die Stuben wischen muß, und nach Jahren ein paar Handgriffe erlernt und eingeübt hat. Dann zieht er zu andern Meistern, in andern Städten umher; schnappt ein paar Handgriffe mehr auf, wird Meister, und bleibt Stümper in der Profession sein Lebenlang.«

Hier regte sich der Kabinetsrath beifällig und äußerte gegen den Fürsten: »der Mann hat, glaub' ich, den Nagel diesmal auf den Kopf getroffen.«

Auch der Fürst war ernster geworden, und mahnte den Meister fortzufahren.

»Wenn ich Herr wäre,« sagte dieser: »es sollte mir kein Knabe vor seinem zwanzigsten Jahre aus der Schule genommen und ins Handwerk gethan werden, bis er auch, je nach Bedarf seines künftigen Berufs, das Nöthigste in der Zeichnungskunst, desgleichen das zu Handwerkszwecken Nützliche und Unentbehrliche aus der Mathematik, aus der Mechanik, Schmelzkunst und Anderm inne hat. Er soll in keine Werkstatt zugelassen werden, ohne vorherige Prüfung und vorgelegtes Zeugniß. Je mehr er aus der Schule zum Handwerk herüber trägt, um so mehr trägt ihm nachher die Aernte vom Handwerk ein.«

»Ihr treibt es zu weit, Meister Jordan!« fiel ihm der Fürst in die Rede: »Wo sollen Eure Lehrburschen all' die Gelehrsamkeit nehmen?«

»Wo sie die Fabrikanten nehmen, Ihre Durchlaucht. Ja, die wahren Handwerker unserer Zeit sind die Fabrikanten. Wir übrigen sind nur des Handwerkes Handlanger, weil heutiges Tages Handwerk auch Kopfwerk geworden ist. Fabrikanten, Chemiker, Mechaniker u. s. w. haben Gewerbschulen; Kaufleute ihre Handlungsschulen; Offiziere ihre Militärschulen; reiche Landwirthe ihre Ackerbauschulen; Schulmeister ihre Lehrerseminarien; Maurer und Zimmerleute Bauschulen. Für Alle trägt der Staat Sorge; für die Handwerker aber zu wenig. oder gar keine. Dann wundert man sich über unsre Verarmung. Drum thut bessere Handwerksordnung Noth und verständigere Aufstellung des Zunftwesens.«

»Hört, guter Freund,« sagte der Fürst: »nach all' den schönen Dingen, die ich gehört habe, dünkt mich das Zunftwesen ganz überflüssig zu werden.«

»Ew. Durchlaucht halte mir zu Gnaden, Ordnung erhält die Welt. Es gibt kein Regiment Soldaten ohne Tambour und Obersten. Man könnte sich freilich auch einander, ohne diese, todtschlagen.«

Der alte Herr im Lehnstuhl lächelte. »Nun, wie denn würdet Ihr das Handwerker-Regiment aufstellen? Zunftwirthschaft neben wenn auch bedingter Gewerbsfreiheit! Da liegt der Knoten, den man lösen soll.«

»Erstens, gnädigster Herr, sollte man freie und zünftige Handwerker scheiden. Gewerbe, die jeder ohne große Kunst treiben kann, der zwei Hände und zwei Augen hat, gebe man Jedem frei, weil sie schon frei in den meisten Häusern getrieben werden. Dahin zähl' ich Barbierer und Frisierer, Seifensieder, Lichtzieher, Gärtner, Bäcker, Köche u. s. w. Die machen also die Freiparthie aus. Zweitens, die übrigen Handwerker, nämlich die vom rechten Schrot und Korn, in Städten und Dörfern einer Provinz oder eines Bezirks, bilden zusammen eine Großzunft, also ein Bataillon, mit dem Obermeister an der Spitze. Diese Großzunft zerfällt in Gilden oder Zünfte, das heißt Kompagnien, mit einem Zunftmeister. In jeder dieser Zünfte sind diejenigen Gewerbe zusammen gethan, die einander mehr oder weniger verwandt stehen; zum Beispiel: Roth-, Gelbgießer und Gürtler in der einen; Maurer, Gypser, Steinmetze, Stukaturarbeiter in der zweiten u. s. w.«

»Ich verstehe!« unterbrach ihn der Fürst: »Allein, ich frage, wozu denn noch dies Zunftwesen?«

»Ich meine, gnädigster Herr, um im Guten Maß und Ziel zu halten und um in die Gewerbsfreiheit Ordnung zu bringen. Maß ist in allen Dingen gut. Warum soll nicht Professionisten, die zwar verschiedene, aber doch einander nahe stehende, Handwerk treiben, erlaubt sein, mehrere solcher Gewerbe zugleich zu treiben? Warum nicht der Schreiner auch Glaser, der Glaser auch Schreiner, oder der Glockengießer auch Gürtler und der Gürtler Glockengießer sein dürfen? – Gut! Allein er werde in seiner Zunft nur für diejenige Gattung des Gewerbes eingeschrieben, und von der Regierung patentirt, in welcher er sich durch Kenntniß, Geschicklichkeit und Probestück aus der Lehrlings-Werkstätte, tüchtig erwiesen hat. Darüber sollen die Zünfte richten. Die Zünfte sollen auch über unerlaubtes Hausiren mit Waaren ihrer Gewerbsarten wachen; sollen, als Sachkundige, Klagen wegen schlechter Arbeit, oder Waarenverfälschung begutachten, und dergleichen mehr. – Hinwieder die versammelte Großzunft einer Provinz, oder eines Bezirks, hat nur die allgemeinen Gewerbsangelegenheiten, Vorschläge und Wünsche, die der Regierung vorzulegen sind, Streitigkeiten über Gewerbssachen in einzelnen Zünften, und dergleichen zu untersuchen, und, wie sich's trifft, zu entscheiden. So kann Jeder zu Stadt und Land Handwerke treiben; und das ist Gewerbsfreiheit. So ist das Publikum vor Pfuscherarbeit und Betrug gesichert; und das nenn' ich Ordnung! So allein wird der Handwerksstand wieder ein Ehrenstand, der nicht bloß durch die Hand, sondern durch Kenntniß, Kunst und Scharfsinn seinen goldenen Boden gründet und mit den Fabriken in Wettkampf treten kann.«

Weil Jonas hier schwieg, rief der Fürst: »Weiter, weiter!« und legte ihm neue Fragen vor. Jener gab seine Antworten; aber von nun an mit vieler Behutsamkeit; denn er nahm wahr, daß der Sekretär ihm Wort um Wort nachschrieb. Das Gespräch dauerte bis in die Nacht.


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