Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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15. Der Geburtstag.

Aber Meister Jonas hatte sie auch. Obgleich sich sein Wohlstand sichtbar mehrte; obgleich er für die Stadt und anderwärts, für den Hof und die fürstlichen Truppen Arbeit vollauf hatte, und, Jahr aus, Jahr ein, fünf Gesellen hielt; obgleich seine Gewerkschaft ihn sogar mit der Würde eines Zunftmeisters beehrte: änderte er doch nichts in der hergebrachten, fast ärmlichen Hausordnung und Lebensweise. Sehr einfache, gesunde, wohlbereitete Kost; anständige, keineswegs köstliche, oder zum Putz dienende Kleidung; hohe Sauberkeit aller Zimmer und Gerätschaften hätten glauben lassen können, er sei mit den Seinigen ein streng frommer Herrnhuter. Viele minder bemittelte, und dennoch mehr für den Haushalt verwendende Bürger, selbst manche seiner Gesellen, beschuldigten ihn fortwährend des Geizes. Sie thaten ihm Unrecht. In notleidenden Häusern war seine Helfershand nicht unbekannt; und, wurden zu gemeinnützigen Anstalten und löblichen Stiftungen im Lande freiwillige Steuern gesammelt, sah man den Hofgürtler freigebiger, als viele der reichen, vornehmen Herren, die in Kutschen fuhren.

Nur einmal im Jahre pflegte er von seiner Spärlichkeit Ausnahme zu machen. Das war an seinem, oder Martha's, an Veits, oder Christianens Geburtstag. Da mußte alle Arbeit eingestellt werden; da durften Wein und Braten nicht auf dem Tisch fehlen, da erfreute jeden von den Hausgenossen ein Geschenk, und bis zum Abend wechselten Vergnügungen jeder Art mit einander ab.

Sein zweiundfünfzigstes Geburtsfest fiel gerade auf einen Sonntag, aber begann für ihn mit einem großen Schrecken. Er war vor dem Frühstück noch in eine Werkstätte gegangen, um noch da und hier aufzuräumen. Er sang für sich, wie er jeden Tag that, mit lauter Stimme ein Morgenlied:

»Wach' auf, mein Herz, und singe
Dem Schöpfer aller Dinge,
Dem Geber alles Guten . . .«

Da unterbrach ihn plötzlich ein durchdringender Schrei aus der Wohnstube. Es war die Stimme seiner Martha. Er fuhr zusammen, in allen Gliedern zitternd; ihm ahnete Unglück. Er schleuderte hastig fort, was er in der Hand trug, und wollte hinaus, Beistand zu bringen, als die vierzehnjährige Christiane mit bleichem Gesicht zur Thür hereinstürzte.

»Was gibt's?« schrie er: »Was ist begegnet . . .?«

»Komm, komm!« rief die erschrockene Christiane: »Es ist ein fremder Mann ins Haus gedrungen und hat in der Wohnstube die Mutter . . .«

Er wollte nichts hören. Er sprang davon, dem Wohnzimmer zu und blieb starr und stumm vor Erstaunen in der geöffneten Thür stehen. Denn ein schlanker, junger Herr, im Überrock, aber vollkommen nach der Mode gekleidet, hielt, mit der Inbrunst des feurigsten Liebhabers, die weinende Martha in seinen Armen fest und bedeckte sie mit Küssen.

»Was? Was?« schrie und lärmte Jonas: »Du Erzschelm, du Donnersschelm! wie hast du mich erschrecken mögen!« und dabei fiel er dem Fremden um den Hals, den auch Martha fest umschlungen hielt. Christiane, die in einem Winkel stand, Alle weinen sah, und nicht begriff, was da vorging, weinte und schluchzte lauter, denn Alle.

»Schäme dich, Mädchen! warum weinen? Kennst du ihn denn nicht?« rief Vater Jordan mit freudeleuchtendem Antlitz, indem er sich die Augen wischte und das furchtsame Mädchen beim Arm ergriff: »Es ist ja Veit! Es ist ja dein Bruder! Her mit dir, Närrchen! Her, und küss' ihn!«

Der Taumel der ersten Ueberraschung und Entzückung, in welchem Alle durch einander sprachen, ohne sich zu hören, Antworten mit Fragen und Fragen mit Umarmungen unterbrachen, war nicht sobald zu Ende. Nur nachdem man sich endlich um den Tannentisch zum Frühmahl gesetzt hatte, und man sich gegenseitig näher ins Auge faßte, entstand augenblickliche Stille angenehmer Verwunderung oder Bewunderung. Veit bemerkte mit Vergnügen, fünf Jahre hätten nichts von der Kraft und Frische des Vaters geraubt, ihm noch kein Haar gebleicht; hätten der Mutter, wiewohl sie in die Vierziger getreten, die anmuthige Fülle, Farbe und Rührigkeit eines jungen dreißigjährigen Weibchens gelassen; nur Christiane sei mit ihren vierzehn Jährchen, ihrem Blondköpfchen und blauen Augen fast zu hübsch und groß geworden. Hingegen staunten die Uebrigen Veits männliche Schönheit und Stärke, den üppigen Gliederbau desselben, das Edle an, was aus all' seinen Geberdungen und Bewegungen, das Sinnige, Geistvolle, was aus seinen Augen leuchtete.

»Höre, Bursch!« äußerte sich Jonas, der ihn mit väterlichem Wohlgefallen beobachtete: »Du scheinst mir für einen Veit Jordan fast zu gelehrt, zu fein und schmuck. Welcher Drechsler hat aus so grobem Holz ein so nettes Möbel schnitzeln können?«

Nun mußte Veit erzählen, aber den ganzen Tag erzählen; jede Einzelnheit von seinen Reisen, Bekanntschaften, Arbeiten und Meistern; was er Gutes und Böses erfahren; was er gelernt und Merkwürdiges in fremden Landen gesehen. Nur mit einer seiner Nachrichten konnten sie sich insgesammt nicht versöhnen, und sie warf einen traurigen Schatten über alle andern, nämlich, daß viele und wichtige Geschäfte ihm nicht erlaubten, länger, denn nur wenige Wochen, im Hause der Aeltern zu verweilen. Herr und Frau Bellarme hätten ihn nur ungern und mit Furcht entlassen. Die schwächliche Gesundheit des Erstern fange an so bedenklich zu werden, daß sich derselbe durchaus nicht viel mit der Masse seiner Angelegenheiten befassen dürfe. Beide hegten seit Jahresfrist so unbedingtes Vertrauen zu seiner Geschäftskunde und Ehrlichkeit, daß sie ihn nun zum Teilnehmer und Handelsgefährten im Waarenverkehr und Gewerbe der Gießerei angenommen hätten. Herr Bellarme gebe dazu fortan nur seine Kapitalien; Veit seine Kenntnisse, Sorgen und Anstrengungen.

»Nun, Bursch,« rief der Vater Jordan fröhlich aus, und schüttelte dem Erzähler tüchtig die Hand: »das könnte mich fast trösten. Von dir kann man also nicht sagen: Mehr Glück als Verstand! Komm, ich muß dich noch einmal küssen. Du hast mir einen Geburtstag gegeben, wie ich mein Lebelang keinen wohligern gefeiert habe.«

Auch Veit vernahm nun von den Seinigen jedes Begebniß, großes und kleines, welches im Hause, in der Stadt, am Hofe während seiner Abwesenheit vorgefallen sein mochte. Aber wovon er am liebsten gehört hätte, das wagte er kaum zu fragen; und wenn er fragte, ward es nur gar zu oberflächlich abgethan. Oft trat er den Tag über ans Fenster; oft sah er hinaus. Er war so nah' bei Ida. Nicht hundert Wegstunden, nur eine Scheidemauer der Gebäude, trennte ihn von ihr. Er sah die geliebte Gestalt nirgends.


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