Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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7. Der Freier.

Aber, als er in sein Zimmer trat, war es darin ganz und gar nicht mehr so schön, wie am Mittag. Martha hatte es wohnlich genannt; allein es lag um ihn leer und todtenstill. Er ließ sich auf den Stuhl nieder, auf welchem sie gesessen hatte, und erwog in seinen Gedanken Mancherlei, was er schon oft erwogen hatte. Zwar mußte er eingestehen, die Bibel habe das sonnenklarste Recht, wenn sie sagt: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei!« Ein Hagestolz bleibt lebenslang ein halber Mensch. Wo aber die andre Hälfte, und zwar die passende, finden? – Das war der Knoten, der so leicht nicht zu lösen war.

Im Hause des Krämers Wester hatte man diese Sache mit ihm schon längst und auf alle Weise verhandelt; Frau Wester besonders sich dabei thätig und rathlich erwiesen; denn sie wußte genau, was im Innersten der Haushaltungen von der halben Stadt war und vorging, als wenn sie mit den Augen durch die Mauern sehen könnte. Auch Meister Jordan selber war im Suchen nicht träge gewesen, wie man gewiß einem jungen Mann seines Alters zutrauen darf. Er hatte, so tief er konnte, in die blauen, schwarzen und braunen Augen von mehr, denn einer anmuthigen Bürgerstochter, hineingeschaut und von mehr, denn einer, hatte ihm etwas, wie ein Willkommen, entgegengelächelt.

»Ich stehe da unter den Töchtern des Landes, wie in einem Baumgarten,« pflegte er der Frau Wester zu sagen: »Sie blühen insgesammt; die Blüthen gefallen mir wohl, aber ich kenne die Frucht nicht, die daraus wird; die Obstsorte nicht, welche der Baum trägt. Das Spiel des Freiers ist Würfelspiel ums Leben. Ich möcht' es wagen, hätten unsre Handwerker im Allgemeinen nur vernünftigere Erziehung genossen. Was Mann und Frau nicht haben, können sie den Kindern nicht wieder geben. Eine mannbare Tochter, denken sie, ist reifes Obst, das nicht lange liegen kann. Man staffirt die Jungfer, wie eine Stadtdame, aus, immer nach neuester Mode, und schickt sie auf den Tanzboden oder in die Kirche, auf Promenaden, oder in die Komödie, als sei da öffentlicher Mädchenmarkt und Waarenschau. Statt Hosen und Kochlöffel nimmt Mamsell Stickereien zur Hand; statt des Gebetbuchs, den Spiegel; statt in Stall und Keller nachzuschauen, schaut sie durchs Fenster nach Herren; oder klimpert auf dem Klavier und singt dazu, damit auf der Gasse ihre süße Stimme vernommen werde.«

»Das ist das Elend von unsern meisten Handwerkertöchtern; sie wollen über ihren Stand hinausfliegen; wollen vornehm sein, oder es werden, um zu faullenzen; verbergen mit Mousselin und Seide ein grobes Hemd; und mit ihren glatten Rosenwangen rauhe Herzensdisteln. – Und was ist das Ende vom Liede?«

»Bleiben sie, als alte Jungfern, zurück, lästern und schimpfen sie, wie Rohrsperlinge; werden Kaffeeschwestern voller Gefall- und Gallsucht; endlich alte Betschwestern. die mit dem Himmel liebäugeln, weil auf Erden Niemand mit ihnen liebäugeln mag. Oder gelingt's und fangen sie endlich einen Mann von Vermögen: so schaut der Hochmuth selbst zum Ofenloch heraus, und spannt Hoffart alle Pferde vor. Denn Dreck, wenn er Mist wird, will gefahren sein. – Erangeln sie sich im Männer-Teich, statt eines fetten Karpfen, nur einen magern Gründling: dann, o Ehe! o Wehe! Da gehen sie murrend und schnurrend zu Tisch und Bett; draußen geschniegelt und gebiegelt, im Hause saloppisch und schlappig; der Mann mit Löchern im Strumpf; der Knabe mit zerrissenen Hosen. Arbeiten haben sie in der Singstunde nicht gelernt und Sparen nicht auf dem Tanzboden. Da trägt denn das Weib in der Schürze mehr aus dem Hause, als der Mann mit dem Heuwagen einführen kann.«

Trotz solcher Bedenklichkeiten ward ihm Martha doch von Sonntag zu Sonntag lieber. Er dachte stets an sie, und wie artig sie sich, als Hausfrau, ausnehmen würde. Er verhehlte sogar der Frau Wester die wachsende Neigung nicht, und sagte zu ihr: »Wenn irgend wo, passen hier Hut und Kopf gehörig zusammen. Dies oder kein Mädchen hat die beste Erziehung genossen; denn Gott selbst hat sie in der Hochschule des Unglücks erzogen.«

Rief dann Frau Wester: »So führt sie lieber heut, als morgen zum Altar!« schüttele er den Kopf und meinte: »Eile mit Weile! Die Gerechtigkeit hat nur den grauen Staar, aber die Liebe den schwarzen. Ich muß das Mädchen genauer kennen, und auch, ob nicht schon ein anderer Vogel in ihrem Herzchen sein Nest hat. Zwar ist Argwohn ein Schelm; aber Vorsicht bewahrt vor Stolpern.«

Frau Wester erfuhr leicht, wo in der Stadt Martha sonst im Dienst gestanden; zog überall Erkundigungen über das Betragen der jungen Person ein und theilte mit, was sie erfuhr. Meister Jordan selbst ließ es am Nachforschen nicht fehlen. Sogar mit der Frau des Strumpfwirkers Kneller besprach er sich, unter scheinbarem Vorwand und ohne Martha's Wissen. »Das Weibsstück macht mir Todesverdruß!« klagte Frau Kneller: »Was es anrührt, geht ins Verderben. Einmal fährt in ihren Händen ein irdener Hafen in Stücken; ein anderes Mal zerreißt ihr in der Wäsche ein Bettleinen, das doch schon seit der Hochzeit von meines Mannes Großmutter dauerhaft ausgehalten hatte. Ich glaube, Gott verzeih' mir die schwere Sünde! das häßliche Thier ist verliebt. Einmal hat sie zu viel, ein anderes Mal zu wenig Salz in der Suppe. Einmal die gerösteten Kartoffeln angebrannt; ein anderes Mal den Heringssalat mit Zwiebeln verpestet, die ich nicht essen mag. Dabei bildet sich die dumme Ente ein, sie versteh' es besser, als ich. Einmal, da ich einen Tag fort war, fegt und scheuert sie das Haus von oben bis unten, statt mit Setzlingen und Saubohnen aufs Feld zu gehen. Ein anderes Mal flickt sie, ohne meinen Befehl, den Kindern die Kleider bis spät in die Nacht, und verbrennt mir unnützer Weise das Oel. Kein Tag ohne Aerger! Kein Tag ohne Verdruß! Das Mensch muß mir aus dem Hause, je eher, je lieber!«

Jonas hatte genug gehört. Er dachte: »Was der Teufel, ohne es zu wollen, selber loben muß, davor soll ein ehrlicher Mann kein Kreuz schlagen. Martha wird die Meine oder Keine!«

Er dachte es nur, sagte es Niemandem; selbst der Hauptperson nicht, von welcher allein die Entscheidung über das Werden von »Meine« und »Keine« abhing. Er führte sie blos bei seinen Freunden Westers ein, die das arme Mädchen für einige Zeit ins Haus aufnahmen, bis ein besserer Platz ausfindig gemacht sein würde. Hier erst lernte er ganz Sinn und Sittigkeit, Fähigkeiten, Fertigkeiten und alle Eigenschaften der braven Dirne kennen, die sie bisher, mit jungfräulicher Schüchternheit, verdeckt gehalten hatte. Keinen Abend in der Woche fehlte er im Plauderstübchen des Krämerladens. Frau Wester hatte Marthen bald zu ihrer Gehülfin nicht nur, sondern zu ihrer Freundin gemacht, und sagte zu Jonas: »Martha ist mir in wenigen Wochen unentbehrlich geworden; frömmer, stillthätiger, zu Allem anschicklicher, als ich. Wenn Ihr sie nicht heirathet, möcht' ich sie fast selber heirathen, und nie wieder von meiner Seite lassen.«

Eines Morgens aber sandte Meister Jordan seinen Ladenburschen: »Jungfer Fenchel möge sogleich zu ihm eilen; er habe einen guten Platz für sie gefunden.« – Martha eilte freudig hin.

»Du hast mir einen Platz gefunden, lieber Jonas?« fragte sie und reichte ihm dankbar die Hand: »Gottlob! Ich fürchte, unsern Freunden, den lieben Leuten, endlich doch lästig zu werden. Nun sprich doch!«

Er sah ihr mit Aengstlichkeit in die frohen, hellen Augen; dann verlegen auf die Erde, und wieder aufwärts gegen die Zimmerdecke, und ringsum nach allen vier Wänden, als suche er Verlornes.

»So sprich doch!« wiederholte sie: »Warum schweigst du?«

Er sammelte sich, und stammelte blöde: »Es ist . . . aber Martha . . . du mußt mir darum nicht böse werden.«

Sie lächelte verwundert: »Jonas, dir? Und ob ich's auch etwa wollte und sollte, vermöcht' ich's?«

»Höre, Martha, ich will dir anzeigen . . . ich muß dir sagen . . . ich weiß dir einen Mann, der um deine Hand und dein Herz wirbt, – der sogar . . . der . . .«

»O Jonas, schilt mich lieber, aber verspotte mich armes Mädchen nicht!« rief sie erschrocken oder gekränkt, indem sich ihr Gesicht entfärbte und sie sich von ihm abwandte.

»Martha, sieh mich an. Er ist gewiß kein schlechter Mensch. Ich führ' ihn dir zu. Ich selbst will ihn dir geben.«

»Nein, Jonas, nein! von dir am wenigsten nehm' ich einen Freier an.«

»Am wenigsten?« fragte er mit sichtbarer Bestürzung: »Von mir am wenigsten? Und wenn . . . ich weiß nicht . . . wenn ich mich selber dir geben möchte? Martha, sieh mich doch an. Sage mir . . .«

Hier entstand eine Stille. Sie stand mit niedergeschlagenen Augen und glühenden Wangen vor ihm, und spielte mit dem Schürzenband. Dann, als sie wieder, wie zweifelnd, aufschaute, die Augen in Thränen, sprach sie mit zitternder Lippe: »Was soll ich denn sagen?«

Jonas faßte Muth und flüsterte ihr halblaut zu: »Hast du mich lieb und von Herzen?«

Halblaut flüsterte Martha zurück: »Dein Herz weiß es.«

»Nimmst du allenfalls auch vorlieb mit trocknem Brod und Salz?«

»Lieber Salz von dir, als Thränen von mir.«

»Martha, ich will für dich arbeiten; willst du für mich sparen?«

»Alles sparen, nur nicht eigene Mühe!«

»Wohlan, liebe Seele, hier die Hand; schlag' ein! Willst du die Meine werden?«

»War ich's nicht schon vor acht Jahren und mehr? Schon als Kind? Aber . . , nein doch! Es darf nicht sein, Jonas.«

Mit erschrockenem Blick schaute er ihr ins Gesicht und fragte: »Nicht sein? Warum nicht?«

»Bedenk' es wohl, Jonas. Thu' dir nicht selber weh. Ich bin ohne Aussteuer und Mitgift, ein armes Geschöpf. Jede andere Bürgerstochter in der Stadt reichte dir mit Freuden Hand und Herz und eine gute Morgengabe dazu. Du könntest glücklicher leben.«

»O still davon!« rief Jonas, und streckte bittend beide Hände aus: »Still! Ich lebe erst, wenn du mit mir leben willst.«

»So lebe!« sagte sie in schamhafter Verwirrung und reicht ihm die Hand.

Er ergriff die Hand und zog dabei die Braut an sein Herz, das von ungewohntem Entzücken bebte. Sie weinte an seiner Brust in stiller Seligkeit.


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