Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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8. Die Traurede.

Drei Wochen später war die Verlobung dreimal von öffentlicher Kanzel verkündet. In der vierten traten Jonas und Martha, begleitet von Herrn und Frau Wester vor den Altar, um den Ring ewiger Liebe und Treue zu wechseln. Niemand betrachtete das Brautpaar. Wer betrachtet denn auch Leute, die nichts sind und nichts haben? Doch wer im Vorbeigehen das einfach gekleidete Pärchen beisammen sah, gestand, es müsse ein glückliches sein, einander würdig und lieb; er ihr durch edle Mannhaftigkeit, sie ihm durch weibliche Anmuth.

Jonas hatte, zur Feier der Vermählung, ein kleines Festmahl in einem der lieblichsten Lustgärten vor den Thoren von Altenheim angeordnet. Dahin führte er aus der Kirche seine Braut und die beiden Gäste zu einer abgelegenen Laube, von blühenden Jelänger-Jelieber und Weinranken umsponnen. Da stand der Tisch gedeckt, mit Blumenvasen und einem Paar Weinflaschen geschmückt, neben gesunder Hausmannskost. Leckerbissen fehlten.

»So ist's eben recht!« rief Jonas, die Braut umarmend: »Nehmt vorlieb, Ihr lieben Gäste. Freudige Herzen, volle Schüsseln, da fehlt nichts mehr! Hochzeit, mit Prunk und Schmaus und Tanz, macht lachende Gäste und gähnende Brautleute. Mancher läßt mehr verkauen an solchem Tage, als sein Geldsack in einem Jahre verdauen kann; und Mancher erbt vom Tanzen hintennach dazu noch das Hinken.«

»Klug gesprochen, Meister Jordan!« stimmte Herr Wester wohlgemuth ein: »Das sollten unsere jungen Bürger auswendig lernen, wenn ihr Verstand oft nicht enger, als ihr Beutel wäre.

Man setzte sich zu Tisch, und ließ sich's wohl sein, bei lustigen Witzen und Scherzen. Der Krämer und Gürtlermeister schlossen innigere Freundschaft, und tranken Brüderschaft; Frau Wester und Martha umarmten sich, wie Schwestern. Nie hatte man den sonst so ernsthaften Jordan muthwilliger gesehen. Er war unerschöpflich in drolligen Einfällen. Sein ganzes Wesen lag in Wonne aufgelöst. Nur zuweilen, wenn die Andern im fröhlichen Kosen laut waren, verlor er sich in augenblickliches Schweigen und Sinnen. Es war ein Hinaussinnen und frohes Ahnen der Zukunft.

»Munter! Munter!« rief ihm Herr Wester zu, als er ihn wieder dasitzen sah, still und träumerisch: »Machst ein Gesicht, Brüderchen, der Wein könnte davon in Flaschen und Gläsern sauer werden. Ich wette, du denkst noch an des Pfarrers Ermahnungen. Sie waren kurz und schlecht; aufgewärmter, geistlicher Brei, von Amtswegen vor uns ausgeschüttet.«

»Mag wohl sein,« erwiederte der Bräutigam lachend: »Unser Pfarrer sieht erst das Geld an und darnach die Waare dafür. Kupferne Münze – kupferne Traureden! Wär' ich diesmal Pfarrer gewesen, meine Stimme hätte anders geklungen.«

»Nun, so laß sie doch erklingen, Meister Jordan,« entgegnete der Brautführer: »Siehe, hier ist eine größere, prächtigere Kirche unterm blauen Himmelsgewölbe, als unterm übergypsten Dache des kalten Doms.«

»Ja, Jonas, laß sie erklingen!« mahnte Martha: »Ja, dich möcht' ich auch einmal predigen hören! Wir wollen allzumal eine sehr andächtige Gemeinde sein.«

»Auf, auf, ihr Leutchen,« setzte Herr Wester hinzu: »Stoßt an. Läuten wir recht hell mit den Gläsern zur Kirche. Seht, der Herr Pastor räuspert sich schon!«

Man stieß unter Gelächter an. Meister Jordan am kräftigsten. Dann aber legte er Messer und Gabel beiseite; schob den Teller zurück; nahm feierliche Miene an, und sprach: »So gescheh' es. Weise Thorheit ist noch allezeit besser, denn thörichte Weisheit; auch macht der Chorrock nicht den Priester. Habet auf meine Worte Acht. Und was ich Dir, herzige Martha, sage, das sag' ich mir. Und ihr Andern da drüben, verzuckerter Ernst schmeckt nicht bitterer, als jeder gesellige Scherz.«

Er räusperte sich nach diesem Eingang noch einmal, und fuhr fort: »Andächtige Zuhörer, das Sprichwort sagt: Ehestand, Wehestand. Dies sei, zu euerer Erbauung, mein heutiger Text. Zwar heißt's auch: Ehen werden im Himmel geschlossen; aber, ach! selten; und dann nur in dem Himmel, welchen wir im eigenen frommen Herzen tragen. Die meisten Ehen aber werden beim Rechnungsbuch geschlossen. und nach dem Gewicht der Geldkiste abgeschätzt; andere nach Länge, Höhe und Breite des Stammbaums, des Ranges und Standes gemessen; andere im blinden Siegesrausch gestiftet, da sich die Trunkenen vergöttern, und nachher nüchtern, bereuen, den Teufel angebetet zu haben. Da wird der Ehestand Wehestand; und der erwartete ewige Frühling, ewiger Winter!«

»Wahrlich, ich sage Euch, mit Geld kann man Waaren erkaufen, auch Menschen, wie Waaren; aber kein Lebensglück. Geld ist so hartes, so kaltes Metall, daß es die wärmsten Herzen zu erkälten und die weichsten zu verhärten vermag. – Zusammengeleimte Stammbäume aber, und zusammengelöthete Vornehmheiten sind keineswegs vereinigte Seelen, nur Schattenbilder, die zwar in einander fließen, aber weder warm noch kalt machen. – Und Liebesrausch und Sinnentrunkenheit ist nicht des Menschen Vorzug. Er hat's mit allem Vieh in der Brunstzeit gemein.«

»Nun zur Nutzanwendung, oder wie in jedem Ungemach des Lebens, die Ehe nie zum Wehe, sondern zum Wohle, und in den schmerzlichsten Stunden, zum Trost diene?«

»Schönheit des Mannes, wie des Weibes, ist der natürliche Magnet, welcher beide zusammenzieht, den Mann und das Weib. Ein solcher Magnet kostet uns nichts; es ist nur geliehene Waare, die wir nach wenigen Jahren wieder zurückgeben müssen, an die Zeit, von der wir sie empfingen. Der Magnet zieht stärker zusammen, als er zusammen hält. Schon der Rost der Gewohnheit schwächt die Kraft. Schönheit ist ein geliehenes Ballkleid. Geht die Ballzeit zu Ende, gehört die Maske zum Plunder.«

»Aber es gibt eine gewisse Schönheit, durch die wir auf immer gefallen. Sie ist nichts Erborgtes, sondern Errungenes; ist Gewinn unseres Verdienstes, daher unser bleibendes Eigenthum. Ich will's versuchen, meiner Martha bis zum Tode zu gefallen und noch, mit Runzeln im Gesicht, ihr Herz gefesselt zu halten. Theure Braut, versuch' es auch Du gegen mich!«

»Dazu müssen wir jedoch nothwendig die Weihe ganz im Stillen vom lieben Gott selbst empfangen. Wir empfangen sie in öftern geheimen Unterredungen mit ihm, das heißt im Gebet; und durch Gottinnigkeit unserer Seele, das heißt durch göttliches Wandeln und Handeln. Hast du die heilige Weihe, dann wird's dir leicht, mir allezeit schön, ja mir lebenslängliche Braut zu sein.«

»Dann wirst du, als Frau, so züchtig und jungfräulich-schamhaft bleiben, wie du heut bist als Mädchen. Denn der höchste Reiz des Schönen wirkt aus dem Seltenen, Verborgenen, Geheimnißvollen hervor; Alltägliches löset den Zauber.«

»Dann wirst du, als Frau, so innig und eins mit mir in der Welt stehen wollen, wie heut, als Braut. Ja, Martha, wie ich mit Leib und Seele nur dir gehöre, so sei die Meinige; eine Seele in beiden Leibern; mein Gedanke, dein Gedanke; dein Geheimniß, mein Geheimniß; ich dir, du mir, in jeder Stunde, klar und offenbar, wie dem Allwissenden! Dann sind wir Eins, alle übrige Menschen, selbst die besten Freunde, sind für uns nur Nummer zwei. Mißtrauen im Herzen ist das Scheidewasser der Liebe.«

»Dann wirst du, als Frau, als Matrone, schön sein, wie du heut bist, als blühende Jungfrau. Das beste Erhaltungsmittel weiblicher Schönheit ist weder Seiden- noch Perlenschmuck, sondern Reinlichkeit und geschmackvolle Ordnung. Das Weib ist die Seele des Hauses; darum spiegelt uns auch immer das Haus, sammt Küche und Keller treu entgegen, was das Weib darin ist. Dann wirst du, als Frau, sprechen, was du mir als Mädchen gesagt hast: Alles sparen, nur nicht eigne Mühe! – Dein Sparen soll dann meiner Arbeit den Segen geben, und der liebe Gott wird uns den seinigen nicht entziehen. Amen!«

Der Redner schwieg und verbeugte sich mit komischer Höflichkeit ringsum gegen die Zuhörer. Doch Keiner lachte. Wester, wie verblüfft, blickte ihn stumm und ernst an, als hör' er noch immer Worte. Seine Frau und das Bräutchen saßen mit nassen Augen da.

»Lustig, lustig!« rief Jonas. Aber Martha sprang auf, und umschloß ihn weinend mit beiden Armen. »Du hast dich mir zum zweiten Mal angetraut, o du Lieber!« rief sie: »Hier ist meine Kirche, hier der Altar!«

Endlich öffnete auch der Krämer langsam den Mund und sprach: »Höre, Jordan, mein Lebtage hätt' ich das nicht hinter dir gesucht. Woher hast deine Gelahrtheit? Hast doch nicht studirt?«

»O nein,« versetzte Jonas in heiterer Laune: »In Büchern hab' ich noch nicht halb so viel gefunden, als überall auf den Straßen. Von Zeiten und Leuten lernt man mehr, denn von dem größten Professor.«

Eine tiefe Baßstimme klang von außen durch Zweige und Blätter der Laube herein: »Wahrgesprochen, braver Mann!«

Hochzeiter und Gäste sahen sich um. Aber der Eigenthümer der Stimme war nicht zu erkennen. Der große Garten wimmelte von Spaziergängern. Man gab sich also ungestört wieder einer herzlichen Fröhlichkeit hin, wie zuvor; doch blieb etwas Feierliches in der Luft zurück, wie man's auch trieb.

Da trat ein Fremder in die Laube; ein wohlgekleideter Herr; bat um Verzeihung, und fragte nach dem »Herrn Pfarrer«. Die beiden Frauenzimmer sahen sich einander wunderlich an und dann kichernd. Jonas machte dem Eindringling ungehaltene Miene. Wester hingegen zeigte lachend auf Jonas und sagte: »Wenn's einen Herrn Pfarrer unter uns gibt, so ist's der dort; obgleich sein Priesterrock so braun ist, wie sein Kupfer daheim.«

Der Fremde verbeugte sich höflich gegen den vermeinten Geistlichen; legte einen seidenen Geldbeutel vor ihm auf den Tisch und sagte: »Ich habe Befehl, Ihnen für eine gehaltene Traurede Zahlung zu bringen. Nehmen Sie. Ich empfehle mich Ihnen.« Damit verschwand er wieder aus der Laube. Jonas saß ein Weilchen verduzt da; sprang auf und dem Unbekannten nach. Der hatte sich aber im Gewühl der zahllosen Lustwandelnden verloren.

»Ist der Mensch ein Narr, oder will er mir die Schellenkappe auflegen?« murmelte Meister Jonas ärgerlich.

»Ei, seht doch!« rief Frau Wester erstaunt, indem sie neugierig den Beutel geöffnet hatte: »Ein Hochzeitgeschenk, wie vom Himmel gefallen! Euch regnet das Glück zum Dach herein. Goldstück an Goldstück! Das muß vom Fürsten selber kommen.«

Nun ging's ans Beschauen, Befragen und Rathen; doch Keiner lösete das Räthsel. Man trat wißbegierig vor die Laube. Man mischte sich in die Menge der Umherwandelnden. Man durchstrich alle Plätze und Gänge des weitläufigen Gartens und Fürstenparks. Vergeblich alle Mühe.


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