Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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5. Meister Jordan.

Es vergingen manche Wochen, ehe Jonas, so ämsig er auch war, die schwere Arbeit vollendet hatte, durch welche er sich den Meisterstand erschwingen sollte. Wie anderer Orten, geschah es, leider, damit auch zu Altenheim. Er mußte nämlich, das war seine Aufgabe, aus freier Hand, auf großer kupferner Platte, und nach gegebener Zeichnung, das fürstliche Familienwappen verfertigen und zierlich vergoldet aufstellen. Es gelang ihm über Erwartung. Er ärntete Lob und ward in die Zunft der Meister aufgenommen. Die Aufnahme wurde mit vielem Gepränge, wunderlichen Ceremonien und nachfolgender Schmauserei, auf gut spießbürgerliche Weise, vollzogen. Das kostete Geld. Gerade, wenn der unbemittelte Handwerksmann sein Weniges zu den ersten Einrichtungen vonnöthen hat, muß er's für eitle Dinge vergeuden. Und was sollte Jonas mit dem theuern Fürstenwappen thun, das Niemand kaufte? Er selbst hatte seiner Zunft Vorstellungen, gegen diesen für den Anfänger nachtheiligen Handwerksbrauch gemacht. Doch vergebens. Man hielt es seinerseits für Ausdruck geheimer Furcht, die Aufgabe nicht lösen zu können; anderseits solchen Aufwand für geeignet, um Meister-Annahme in der Zunft zu erschweren, damit die schon vorhandenen Gürtler, in ihrem Gewerb, weniger Nebenbuhler dulden müßten.

Inzwischen hatte Jonas die blecherne Büchse seines Vaters Thaddäus, mit unverletztem Siegel, aus der Hand des ehrlichen Krämers zurück empfangen und, vom Schatz darin, Gebrauch gemacht. Ja, für ihn war es ein Schatz. Man denke sich, daß das Kapital in der Ersparnißkasse, seit zehn Jahren, durch Zinsen und Zinseszinsen zu mehr denn 1600 Gulden angeschwollen war. Er jubelte im Stillen. Aber der Jubel ward nach und nach leiser, als er seinen Reichthum. trotz strenger Sparsamkeit, arg zusammengeschmolzen sehen mußte.

Ungerechnet beträchtliche Ausgaben für seine Meisterschaft, für Kleider, Wäsche, Mobilien in der gemietheten Wohnung und Werkstätte, war keine geringe Geldsumme für Anschaffung von Werkzeugen aller Art, Schmelztiegel, Ambos und Drehbank, Stahlplatten, Grabstichel, stählerne Stifte, Hämmer, Meißel, Zangen, Scheeren u. s. w. nöthig; desgleichen für Ankauf von Messing- und Tombakblechen, Kupfer, Silber, Blei, Quecksilber, Firnissen, Schwefel, Borar, Weinstein u. d. andern Bedürfnissen zur Arbeit. Auch einen Lehrburschen, blutarmer Leute Kind, hatte er sich zur Aushülfe unentgeltlich angenommen. Gern hätt' er den Rest seines väterlichen Erbes noch einmal zinstragend gemacht; allein er mußte doch auch für des Leibes Nahrung und Notdurft ein Jahr voraus sorgen. Denn er besaß vor der Hand weder Kunden und Käufer, noch fertige Waare. Dazu kam, daß ihm noch etwas ganz Anderes im Sinn lag, was er lange hin und her erwog, und bei ihm zuletzt schwerer wog, als alles Uebrige.

Während er mit seinem Lehrling, von früher Morgenstunde bis spät Nachts, Metallknöpfe und Schnallen, Hafte und Haken, Messerhefte, Löffel und Beschläge aller Gattung verfertigte, gedachte er seines Jugendgefährten, des reichen Gideon Kürbis, den er schon längst hätte besuchen sollen. Er konnte sich ihm vielleicht und seine Waare empfehlen; bei ihm auch etwa die köstliche Wappenplatte an Mann bringen.

Eines Sonntags also begab er sich, nach der Morgenpredigt, in das schöne Gebäude am Schloßplatz. Er fühlte sich gleich beim Eintritt unbehaglich und eingeschüchtert Das Großartige, oder Geschmackvolle der Gänge, Pfeiler und breiten Treppen war's nicht, was ihn verlegen machte. Sein gesunder, tüchtiger Verstand sah darin nur baumeisterliches Kunstwerk, Maurer- und Gypser-Arbeit. Aber es scholl ihm ein unsonntägliches Rufen, Zanken, Schimpfen männlicher und weiblicher Stimmen entgegen. Von einem Ladendiener, der ihn zum Zimmer des Herrn Kürbis führte, vernahm er, und der Ladendiener lachte dazu spöttisch: Madame wisse einmal wieder nicht, wo sie den Schrankschlüssel gelassen habe: das Schlüsselsuchen sei nichts Ungewöhnliches im Hause; und nun müßte Alles auf die Beine und suchen helfen. »Saubre Ordnung! Saubre Heiligung des Sonntags!« dachte Jonas, während er vor der Thür des Wohnzimmers warten mußte, bis er vom Diener gemeldet worden. Gern wär' er wieder umgekehrt; denn auch im Zimmer hörte er gellende und barsche Töne des Gezänks zwischen Mann und Frau.

»Ah, sieh' da, Meister Jonas!« rief Herr Kürbis ihm mit gezwungener Freundlichkeit beim Eintritt entgegen: »Beste Rosa, es ist der Gürtler Jonas Jordan, übrigens ein recht braver Mann,« fügte er bei, zu seiner Gemahlin gewandt, indem er ihre Hand mit einer gewissen Zärtlichkeit ergriff, als wäre zwischen beiden Liebesleuten nichts vorgefallen. Dann richtete er das Wort wieder an den Eingetretenen: »Und, Notabene! was bringt Euch zu uns, Meister?«

Jonas sah mit einigem Verwundern die plötzliche Verwandlung der Gesichter; denn auch Frau Kürbis brachte ihre mütterliche Miene geschwind, zwar nicht ohne Mühe, in breite Falten.

»Ei nun, Herr Kürbis,« sprach Jonas: »Ich hätte wohl billig früher kommen können und einen alten Kameraden begrüßen können. Allein . . .«

»Kameraden?« unterbrach ihn Kürbis mit einer Geberdung, als sei er durch das Wort unangenehm berührt: »Ja, ja, ich erinnere mich. Aber, Notabene, die Kameradschaft, . . . die Zeiten haben sich unterdessen doch geändert.«

Jonas machte einen Bückling und versetzte mit Lächeln: »Allerdings, und die Menschen mehr, als die Zeiten. Ich verstehe. Das Glück ist Ihnen mittlerweile zum Dach hereingeregnet. Gratulire von Herzen. Mich ließ es im Trocknen sitzen. Macht nichts; bin ein junger Anfänger, der reiche Herren, wie Sie sind, zur Kundschaft haben und sich mit seiner Arbeit empfehlen möchte.«

»Aber,« fiel Frau Kürbis ein: »es kommen der Leute so viele, die sich bei uns empfehlen wollen.! Man weiß wahrhaftig nicht, wo anfangen und aufhören mit den Leuten? – Doch ich besinne mich. Kommt nur nächste Woche wieder, Meister. Wir brauchen nothwendig für unsre Equipage ein schöneres Pferdgeschirr mit versilberten Platten und Ringen, wenn Ihr dergleichen Arbeit gehörig versteht.«

»Laß gut sein, meine Rosa!« redete Herr Kürbis zwischen ein, eh' sie vollenden konnte; streckte dabei seine stattliche Figur vornehm in die Höhe, und richtete mit wohlwollender Gönnermiene und Herablassung vielerlei Fragen an den bescheiden dastehenden ehemaligen Kameraden, über das, was er in der Fremde gelernt, gesehen? Wo er in Arbeit gestanden? Ob er auch in Genf, Lyon, Paris, Berlin gewesen sei? Dabei gab er zu verstehen, er habe in allen diesen Städten gelebt und viel Achtung genossen. Er wäre nicht der Arbeit wegen dahin gereiset, sondern um sich in Handels-Verbindung mit den geschicktesten Juwelieren zu setzen, von denen er nun Waaren bezöge; und um seinen Geschmack zu veredeln, denn so etwas sei in Altenheim reine Unmöglichkeit. Er erzählte von den Theatern, Schauspielerinnen, englischen Kunstreitern in Paris und Berlin. Alles mit behaglicher Selbstzufriedenheit.

Der junge Gürtlermeister, der von dem Geschwätz das Wenigste verstand, fühlte bald Langeweile und dachte schon an höflichen Rückzug, als ein Mädchen gemeldet wurde, welches bei Madame Kürbis in Dienst zu treten wünschte.

»Ist das Mensch anständig gekleidet?« fragte die Hausherrin. Nach Bejahung der Frage wurde die Angemeldete vorgelassen, und von der Dame mit prüfendem Blick gemustert, indem sie den demüthigen Gruß der schüchternen Bittstellerin mit leichtem Kopfnicken, und deren halblaut gestammelten Wunsch mit Schweigen erwiederte. Es war ein siebenzehnjähriges Mädchen, zwar keine Schönheit und klein von Gestalt, aber von ungemein gefälligem Aeußern und seelenvollem Gesicht.

»Wo dienst du gegenwärtig?« war die erste Frage der Frau Kürbis, die ihre strenge Musterung fortsetzt.

»Bei Strumpfwirker Kneller zu Reckendorf, zwei Stunden von hier,« antwortete die blöde Kleine.

»Das ist ziemlich gemeines Pack. Ich kenne die Leute. Verstehst du auch etwas von dem, was in einer guten Haushaltung nöthig ist? Ich zweifle fast,« äußerte sich die Goldschmieds-Dame weiter.

»Ich kann kochen, backen, wischen, waschen, sticken, stricken . . .« erwiderte die Magd.

»Das brauch' ich nicht. Eine geschickte Kammerjungfer will ich; und du siehst mir eben nicht danach aus. Was verstehst du vom Nähen?« fiel ihr die Frau hastig in die Rede.

»Ich habe auch nähen gelernt, säumen und fälteln, Plattstich, Kettenstich, Kreuzstich, Vor- und Hinterstich,« gab das Mädchen zur Antwort.

»Das läßt sich hören, wenn's wahr ist!« versetzte Madame Kürbis. »Ich will mich nach dir erkundigen. Ich bin schon oft von solchen Weibsbildern betrogen, die sich einbildeten, alles Mögliche zu verstehen, und doch hintennach die dümmsten Gänse waren. Wie heißest du? Woher bist du?«

»Ich heiße Martha Fenchel, und bin eine Bürgerstochter von hier.«

Jonas fuhr beim Hören dieses Namens zusammen. Er drehte dem Goldschmied den Rücken zu und betrachtete mit großen Augen das Mädchen, welches von der Dame noch immer verhört ward. »Ja, bei meinem Leben, sie ist es!« rief er hoch erfreut: »Unverhofft kömmt oft! Nichts für ungut, Frau Kürbis, ich möchte auch ein Wort mitsprechen. Martha, liebe Martha, wo in aller Welt bist du gesteckt? Ich habe dich seit einem halben Jahr gesucht; aller Ecken und Enden nach dir gefragt. Kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin ja der Jonas!«

Mit dieser Anrede ergriff er die Hand des erschrockenen Mädchens, und zog es an sich. Martha errötete, schaute dem freudigen Mann ins Gesicht und verstummte.

»So rede doch, Närrchen. Hast du den Jonas vergessen? Ja, ich merk' es, die Weiber tragen lange Röcke und kurzes Gedächtniß. Aus den Augen, aus dem Sinn!«

»Ach, Jonas!« lispelte sie, ihn betrachtend und sich und Alles umher vergessend: »Wie bist Du doch . . . wie sind Sie doch, in der langen Zeit, so groß geworden!«

»Was?« rief er und that böse: »Ich bin kein Sie, sondern noch immer dein alter Du. Mach' du mich nicht hoch, denn meine Stubenthür ist niedrig; und vor dem Hoffartsteufel schlag' ich ein gebührliches Kreuz. Komm', wir haben einander jetzt viel zu sagen. Nichts für ungut, Herr und Madame Kürbis. Dies Mädchen soll hier nicht in Dienst treten, und müßt' ich betteln gehen. Leben Sie wohl. Komm', Martha!«

Sie sträubte sich einen Augenblick verlegen.

»Meister Jonas!« rief mit ernster Miene der Goldschmied, und warf sich dabei in die Brust, indem er den rechten Fuß vorsetzte: »Meister Jonas, ja, ja! Euer Betragen ist gegen allen Anstand, und grob, damit Ihr's wißt!«

Man sah es dem friedfertigen Gürtler an, daß er theils durch den stolzen Empfang, der ihm geworden, theils durch Martha's überraschende Erscheinung ungemein aufgeregt sein mochte. Mit trotziger Stimme erwiederte er: »Meister Gideon, ich pfleg's so zu haben: Wie man mir vorfährt, so fahr' ich nach. Ihr könnt den Pariser Tanzmeistern auch noch nicht ins Handwerk der Höflichkeit pfuschern. Versteht Ihr deutsch?«

»Wie? was?« rief Herr Kürbis: »Wißt Ihr, wo Ihr Euch befindet? Vor wem Ihr steht? Glaubt Ihr bei Euers Gleichen in einer Herberge zu sein?«

»Wenn nicht in der Herberge,« ward ihm die Antwort, »doch bei meines Gleichen. Goldschmied oder Grobschmied, ich kehre dafür nicht die Hand um. Ihr, Meister Gideon, habet mehr Geld als ich; das weiß ich. Vor dem Geld bückt man sich; aber Ihr selber seid kein Geld, nur der Kasten, der's hat.«

Hier stämmte Madame Kürbis ergrimmt beide Arme in die Seite und schrie: »Kann man einen unverschämtern Menschen sehen, als den da?«

»O ja, Frau Kürbis,« unterbrach sie Jonas: »Sehet doch nur in den Spiegel!«

Jetzt gerieth die Dame in Wuth. Ein Fluß von Schimpfreden brauste aus ihrem Munde. Meister Jordan sah sich nach der Thüre um, suchte mit komischer Eilfertigkeit seinen Hut und rief: »Bewahr' uns Gott, das gibt einen Wolkenbruch! Da hilft kein Regenschirm. Rette sich, wer kann, ins Trockne. Adieu!« – Und damit faßte er Marthas Hand, zog sie mit sich fort und zum Haus hinaus.


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