Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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17. Der Glückswechsel.

Er lief den ganzen Morgen im Fürstenpark und außer den Thoren umher, um sich wieder zu beruhigen. Eine solche Verwandlung des vormals so reinen, unschuldigen, wenn auch eiteln und schwärmerischen Geschöpfs hatte er für Unmöglichkeit gehalten. Dieselbe schöne Ida, schöner noch denn sonst, die er, seit fünf Jahren, wie eine Heilige verehrt und geliebt hatte, war ihm, als gefallener Engel, wieder erschienen; leichtsinnig, gewissenlos, stolz und kokett, selbst der Niederträchtigkeit fähig. Nun ward ihm der Aufenthalt in der Vaterstadt unerträglich. Es war ihm, wie Tröstung in seinem Seelenschmerz, daß er nur noch wenige Tage zu verweilen hatte, wie weh ihm auch die abermalig Trennung vom Vaterhaus that.

Er weigerte sich, der Familie Kürbis einen Abschiedsbesuch zu geben, als ihn Mutter Martha an die Pflichten der Höflichkeit erinnerte. »Nein,« sagte er: »wollest mich dieser Pflicht entlassen, Herzensmütterchen. Ich habe bei jenen Leuten des Schlechten und Schändlichen zu viel erfahren und erlebt. Mag Herr Kürbis, ein hochmüthiger Thor, sein Vermögen in Glanz und müßigem Wohlleben verzehren; das ist nicht das kleinste der Uebel, welches er vielleicht dereinst zu bereuen hat. Seine Kinder sind, glaub' ich, schlimmer und verdorbener, als er je gewesen sein kann. Sie sind,« fuhr er mit ausbrechender Heftigkeit fort: »sie sind grundverdorbene Menschen. In tiefster sittlicher Verwesung stinken sie mich an.«

Martha suchte, mit der ihr eignen Gutherzigkeit, seinen Ungestüm zu sänftigen und sein hartes Urtheil zu mildern. »Uebrigens, lieber Veit,« fügte sie zum Schluß ihrer Ermahnung bei: »sind die meisten Handwerker in Altenheim um kein Haar besser. Haben sie auch nicht ein Vermögen, wie unser Nachbar, treiben sie doch mit der größten Unbesonnenheit eine Wirthschaft, die ihren Kräften nicht angemessen ist. Wenige legen, um die Zukunft sorgsam, etwas Geld von ihrem Verdienst zurück. Sie haben es für Komödien, Konzerte, Wirthshäuser und Gastereien erarbeitet. Die Söhne, schon als kleine Buben verhudelt und versudelt, läßt man verwahrlost verwildern und bekümmert sich kaum um ihre losen Streiche und Liederlichkeiten. Daraus gibt's zuletzt arbeitsscheue Tagdiebe, Soldaten, armselige Schreiber, Auswanderer, Landstreicher, wohl gar Züchtlinge. Ach, nicht diese Unglücklichen, sondern deren Aeltern verdienen bestraft zu werden. Und was soll ich von Ida und vielen unsrer Bürgerstöchter sagen? Sieh' sie doch nur Sonntags an, wie sie nach der neuesten Mode geputzt herum spazieren; sich ins Theater, oder zum Tanzboden führen lassen, und ohne mütterliche Aufsicht da bis nach Mitternacht schwärmen und walzen. Die Mutter und Magd müssen arbeiten im Hause; die Jungfer Tochter aber darf sich die zarten Hände nicht verderben, sitzt nähend oder strickend im Zimmer und schaut über das Strickzeug hinaus in ein Buch, das sie sich aus Leihbibliotheken geholt hat. Wie kann's denn da anders geschehen, als daß unsre bürgerlichen Haushaltungen nach und nach verderben, während Fremde, die sich bei uns mit ihrem Handwerk niederlassen, und häuslicher und verständiger sind, in die Höhe kommen?«

»Das ist's!« stimme hier Vater Jonas ein: »das ist's, was ich eben vom Goldschmied Gideon sagen wollte. Da heißt's wohl, wie der Vater, so der Sohn; wie die Mutter, so die Tochter. Art läßt nicht von Art, und ein Apfel fällt nich weit vom Stamm. Ja, Veit, hast Recht; der Nachbar wird es früh oder spät bereuen. Wer schlechte Kinder zieht, bindet sich selbst eine eiserne Ruthe. Jetzt sind ihm Edwin und Ida über den Kopf gewachsen, und sie führen ihn am Gängelband, weil er sie nicht daran geführt hat. Man muß den Baum biegen, so lange er noch jung ist. Ich hab' es von zuverlässiger Hand, daß der Herr Notar Edwin in bösen Schuhen geht, und Gefahr läuft, wenn er gewisse Gelder nicht zurückzahlen kann, die man ihm anvertraut hatte, im Zuchthause freie Kost und Wohnung zu finden. Jetzt hat Mamsell Ida, zum Glück jedoch, den polnischen Grafen an ihrer Angelruthe aufgefischt; der muß nun natürlich aus aller Noth helfen. Ich gönn' es den Leuten von Herzen, wenn es ihnen wohlgeht. Aber der arme Tropf, der Gideon, hätte das Sprüchlein selber lernen sollen: Gute Zucht, gute Frucht! Vermutlich fand die selige Frau Kürbis das nicht in ihren Rittergeschichten und Liebeshistorien aufgezeichnet.«

Veit ließ sich nicht mehr bereden, die ehemalige Geliebt wieder zu sehen. Sie glich ihm einem in Engelsgestalt verlarvten Teufel. Ihre Treulosigkeit, ihre Heuchelei, mit der sie Alles um sich her täuschte und buhlerisch verführte, hätte ihm das ganze weibliche Geschlecht verächtlich machen können, würde ihn nicht die unwandelbare Gemüthsreinheit seiner vortrefflichen Mutter und der kindlich fromme Geist Christianens, die ganz Ebenbild Martha's ward, erinnert haben, daß es Ausnahmen gebe, und ein reines Saatfeld nicht, wegen einigen Unkrauts zwischen den Halmen, einer Wüste gleich stehe.

Er schied nach wenigen Tagen aus den Armen seiner Lieben und verhieß wenigstens alljährlich einmal wieder bei ihnen im Vaterhause zu erscheinen. Aber, wie in der Welt Vieles, was wir, unsers festen Willens, nur nicht unserer Zukunft gewiß, beschließen, blieb auch hier Verheißung und Vorsatz unerfüllt.

Herr Bellarme hatte, da Veit die Reise nach Altenheim unternahm, an Gesundheit scheinbar so weit wiedergewonnen, daß man völlige Genesung kaum bezweifeln mochte. Auch war Veit, während er im Schoos seiner Familie lebte, keine Woche ohne briefliche Nachrichten durch Frau Bellarme gelassen. Sie beruhigte ihn, und äußerte keine andere Klage, als über seine Abwesenheit, welche ihr und ihrem Gemahl, in der ländlichen Einsamkeit, jeden Tag empfindlicher sei.

Bei seiner Rückkunft aber fand er das schöne Landhaus in der Nähe der Gießereien leer. Herr Bellarme hatte sich mit seiner jungen Gattin, den Tag vorher, nach Paris begeben, um dortigen berühmten Aerzten näher zu sein. Hier aber verschlimmerten sich die Umstände des Kranken wieder. Nur durch Kunst der Aerzte wurde sein Leben noch vierzehn Monate lang kärglich erhalten. Dann starb er.

Veits Thätigkeit. bisher schon im Uebermaß durch ausschließliche Führung der Arbeiten in Gießereien, Pariser Waarenlagern und Handelskorrespondenzen in Anspruch genommen, ward durch Herrn Bellarme's Tod aufs Höchste gesteigert. Denn es erschienen nun noch Verwandte und gerichtliche Beistände der jungen Wittwe. Kassen, Rechnungsbücher, Briefschaften, Vorräthe der Materialien und fertige Waaren wurden genau untersucht. Und wiewohl Alles zuletzt in vollkommener Richtigkeit befunden ward, so daß Veit ein wohlverdientes Lob und Vertrauen ärntete, ward doch seine eigene Gesundheit dabei etwas leidend.

Nach all diesen Unruhen und Beschwerlichkeiten würde er sich gern, durch eine Erholungsreise zu den Aeltern, erquickt haben. Allein, ungerechnet die Wahrnehmung seines eignen Interesses in der weitläufigen Geschäftsverwaltung, und umgerechnet die auf ihm ruhende Verantwortlichkeit in Bezug auf den Handlungsantheil der Wittwe, fand er sich bald noch durch Pflichten der Dankbarkeit gebunden, sich selbst und seine Wünsche zu vergessen. Denn Herr Bellarme hatte ihm, in seinem letzten Willen, ein Legat von 5000 Francs vermacht, mit der Bitte und Bedingung, daß er der hinterlassen en Wittwe nicht nur treuen Beistand leisten, sondern sich auch von ihr und dem ganzen Geschäftsverkehr nicht trennen solle, ohne ausdrückliche und freie Zustimmung derselben. Veit glaubte schwerlich eine vorteilhaftere Lage für die Zukunft finden zu können, als ihm hier zu Theil geworden war. Er gab mündliche und schriftliche Einwilligung in das Verlangen des Verstorbenen und übersandte, wie er schon mit frühern Ersparnissen gethan, auch jene beträchtliche Summe des Vermächtnisses seinen Aeltern.

Bald nach diesem empfing er vom Vater Jonas einen Brief, dessen unerwarteter Inhalt ihn hart erschütterte.

»Was ich mit bangem Herzen längst besorgte, es werde kommen,« hob das Schreiben an: »es ist gekommen. Es ist vorbei mit dem armen Gideon. Alles liegt zusammengestürzt. Die ganze Stadt ist voll von der Unheilsgeschichte. Ich selbst und die Mutter können uns, nach acht Tagen noch nicht, vom ersten Schrecken erholen. Ich will's dir aber der Reihe nach erzählen. Ein Unglück, lieber Veit, kömmt selten allein. Viele brave Haushaltungen sind mit ins Verderben gerissen. Wenn ein stolzer Thurm umfällt, zerschlägt er manches demüthige Dach. Mir ist ebenfalls ein Stein davon aufs Bein gefallen.«

»Zuerst, es mögen vier Wochen sein, erhielt man aus Oltenstadt Kunde, der Notar Edwin habe sich bei Nacht und Nebel aus dem Staube gemacht. Ich hatte also errathen, daß er, als du ihn voriges Jahr in Altenheim sahst, bloß gekommen war, Hülfe bei seinem Vater zu suchen. Wie lustig der Vogel auch sonst pfeift, man sieht's ihm an, wenn er mausert. Der alte Kürbis ließ sich noch einmal breit schlagen durch schöne Worte und Versprechungen des Herrn Sohns und streckte ansehnliche Summen vor, um ihn bei Ehren zu behalten. Das dauerte ein Jahr, da war Alles verputzt und fremdes Geld dazu. Gideon konnte nichts mehr geben. Edwin hatte viele Leute betrogen. Er nahm Reißaus. Niemand weiß, wohin er gegangen ist; man sagt, nach Amerika.«

»Obwohl der alte Kürbis überreif zur Fäulniß war, wollt' er's doch nicht gelten lassen. Er setzte seine Großthuerei und Blaudunstmacherei bis auf die letzte Stunde fort, um bei Kredit zu bleiben. Vermutlich hoffte er noch auf das große Loos der Lotterie, wie mancher Narr, der sein letztes Hemd ins Leihhaus trägt, um sich damit eine Million zu gewinnen. Es regnete ihm von allen Seiten eine Menge Nieten und nur einzelne kleine Gewinnste daneben. Es spielen sich eher zehn arm, als einer reich. Er aber gab das Spiel nicht auf. Das beschleunigte seinen Untergang. Man soll das Glück wohl suchen, nur nicht versuchen.«

»Die Entweichung des Notars, der mit Steckbriefen verfolgt ward, erregte gegen den Vermögensstand des Vaters Argwohn. Die Gläubiger drängten sich zu, wurden aber von großen Worten nicht satt, wenn ihm schon dabei das Maul ging, wie der Bachstelze der Schwanz. Auch ich lief endlich zu ihm, und fragte: »Wo ist mein Löffel? Folgenden Tages erklärte er sich bankerot.«

»An dem gleichen Tage war der adelige Herr, der Graf Zarinsky, mit Mamsell Ida verschwunden, man wußte nicht warum und wohin? Vermutlich hatten sie Unrath verspürt und keine Neigung gehabt, den schiffbrüchigen Gideon auf Unkosten ihres Vermögens zu retten. Genug, sie sind fort; ohne Zweifel nach Polen, und leben dort gute Tage, während des Vaters Fluch und Verzweiflung ihnen auf den Fersen folgt. Nimmermehr hätt' ich diese Ida solcher Verruchtheit fähig gehalten.«

»Um unsre achttausend Gulden, die auf Gideons Hause stehen, laß dir nicht bange sein. Sie haben auf jeden Fall den Vorzug der ersten Hypothek. Und doch ärgert's mich, daß ich unsrer Beiden sauer erworbenes Geld da angelegt habe, und mich durch Zins von fünf Prozent blenden ließ. Noch ist Alles versiegelt. Künftige Woche soll die Versteigerung sämmtlicher fahrenden und liegenden Habe des Falliten beginnen. Man spricht davon, es werde für ihn wahrscheinlich noch etwas übrig bleiben, um nicht verhungern, oder den Bettelstab nehmen zu müssen.«


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