Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19. Die Gewerbsfreiheit.

In Furcht und Zweifel verließen die ehrsamen Vorsteher der Zünfte das finstre Rathhaus. Als sie aber vor demselben eine Menge neugieriger Lehrlinge, Gesellen und Meister zusammengelaufen sahen, ward ihr Schritt feierlicher. Jeder Einzelne ward sich seiner Wichtigkeit bewußter, wegen Staatsangelegenheiten, vom Fürsten berufen und beraten zu sein. So bildeten sie einen stattlichen Zug, in ihren Sonntagskleidern mit dazu gehörenden Sonntagsmienen, durch die Haufen der Frager; links und rechts grüßend, vom Geheimniß der Verhandlungen keine Sylbe andeutend.

Desto williger hingegen ließ man zu Hause die Zunge frei über das, was Graf Salm gesprochen; was man ihm hätte antworten sollen; was Zunft um Zunft antworten müsse. Noch lauter ging's Abends bei den Herbergevätern, im Rathskeller, in Wirthshäusern und Schenkstuben zu, wo sich die redseligen Meister, in altüblicher Weise, nach des Tages Last bei Wein und Bier zu erquicken pflegten. Die Wirthe hatten von ihren Gästen diesmal stärkere Einnahmen als gewöhnlich.

»Was?« schrie hier der Eine: »Was will man uns noch den letzten, hungrigen Bissen vor dem Munde wegnehmen, und jeden Lumpen in unsern mühsam erlernten Beruf hereinpfuschern und uns die wenigen Kunden wegstehlen lassen?«

»Was?« schrie der Andre: »Wir Stadtbürger, wir sollen mit dem Bauervolk über gleichen Kamm geschoren werden? Will man die Welt umkehren, aus Dörfern Städte und aus unsern Städten Dörfer machen? Ist auch noch Gerechtigkeit im Lande?«

»Was?« schrie ein Dritter: »Nein, unsre alten Rechtsame, unser Erbgut von den Vätern, darf Niemand rauben, wenn man nicht alle Ordnung im Lande über den Haufen werfen will. Was Ordnung ist, sind Standesunterschiede; Lehrstand, Wehrstand, Nährstand. Jeder hat sein Recht und Vorrecht. Warum will man uns Bürgern und Handwerkern das den Städten von jeher gebührende Recht und Ansehen entreißen? Warum fängt man nicht bei geistlichen Herren an? Warum schafft man nicht die Vorzüge des Adels, die Vorrechte der Geburt ab?«

In allen Häusern gab es nun Gerede und Gelärme, Streit und Zank. In kurzer Zeit nahm Vornehm und Gering an der Frage über Gewerbsfreiheit Antheil. Es war fast, als sei ein Aufstand, oder kleiner Bürgerkrieg vor der Thür. Die Handwerker mußten auch daneben viel Mißbeliebiges hören. Man warf ihnen bald ihre willkürlichen, theuern Warenpreise vor; bald, das Plumpe, Geschmacklose, oft nicht einmal Haltbare ihrer Arbeit; bald, ihr Grollen und grobes Trotzen, wenn man sich von einem weg, an einen andern Meister wende; bald, daß sie ihre Kunden oft über Gebühr lange warten ließen. ehe sie das Bestellte lieferten; bald, daß sie ihnen übergebne Lehrknaben, statt im Handwerk, lieber im Knechts- und Magdsdienst brauchten und Pfuscher bildeten. Wie in allen Zungengefechten zu geschehen pflegt, glaubte jeder für seine Person und Meinung den Sieg davon tragen zu müssen.

Inzwischen wurden die Meister nach wenigen Wochen wieder auf ihre Zünfte zusammenberufen, um die Anfragen der Landesregierung zu beantworten. Da gab es viele Worte und lange Reden, von Morgen bis Abend, weil keiner erschienen sein wollte, ohne gesprochen zu haben. Im Grunde sehr unnöthige Mühe, weil die große Mehrheit schon vorher einverstanden war, was man thun wolle. Und so ward von gesammten Zünften der einmüthige Beschluß gefaßt, in allerunterthänigster Bittschrift dem Landesherrn die Gefahren jeglicher Neuerung im gegenwärtigen Verhältniß des Handwerksstandes vorzustellen; Höchstdesselben Aufmerksamkeit auf die Verarmung der Mittelklassen des Volks in solchen Ländern, wo Gewerbfreiheit eingeführt sei, hinzulenken; und Se. Durchlaucht allerdemüthigst anzuflehen, die bisherigen Einrichtungen und Rechtsame des Zunftwesens, nach dem Beispiel seiner glorreichen in Gott ruhenden Vorfahren, zu erhalten und zu beschirmen, wie sie eben noch seien.

Meister Jonas war freilich etwas abweichenden Sinnes gewesen, und hatte, als Vorsteher, seine Zunftgenossen daran erinnert: man solle die Sache nicht kurzweg übers Knie abbrechen, sondern mit der Regierung markten, die gewiß nicht ohne Ursache anfrage; man solle Mißbräuche abthun, um den Brauch zu behalten, und den alten Rock ausbürsten, um ihn mit Ehren noch länger tragen zu dürfen. Aber er sah wohl, Niemand hatte Ohren dafür. So schwieg er, und dachte: Es ist mit Narren kein Kind zu taufen; sie verschütten es lieber mit dem Bade.

Die Bittschrift der Zünfte ward dem Fürsten überreicht.


 << zurück weiter >>