Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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11. Der Sohn des Handwerkers.

Indessen war auch der eigne Sohn des Hauses herangewachsen, ein hübscher, kernhafter Bursch, schlank und schmiegsam, mit dunkelbraunem Krauskopf, blauen Schalksaugen, und einem Gesicht, gegen welches wohl manches Mädchen das ihrige gern vertauscht haben würde. Es schien fast, als habe die Natur für ihn, von Vater und Mutter nur das Schönste ausgewählt! Dabei war er einfach, in strenger Zucht erzogen; der Hausordnung pünktlich unterthan; ein Spreuersack des Nachts sein Bett; am Tage leichtes Gewand, Winters und Sommers, sein Kleid; gegen Wind und Wetter abgehärtet; oft, als zarter Knabe schon, ohne Schonung, nur mit einem Stück Brod im Sack, über Feld geschickt, Bestellungen auszurichten. Unwahrheit ward ihm als das schwerste Verbrechen, Entbehren können, als die größte Ehre angerechnet. Er glich in seinem Aeußern vollkommen einem Gassenbuben, und doch sah man ihn nie sich mit Buben auf den Gassen umhertreiben. Er hatte keine Altersgenossen zu Gespielen, als welche der Vater ihm gestattete.

Die Leute in Altenheim nannten das Rohheit, Tirannei. Jeder Handwerker, bemittelt oder unbemittelt, glaubte seine Kinder besser zu erziehen, und sparte dafür kein sauererworbenes Geld; selbst nicht Schulden. In erster Kindheit müssen die lieben Kleinen stets aufgeputzt erscheinen; nicht ganz hinter der Mode zurückbleiben, um andern Kindern nicht an Schönheit nachzustehen. Waren sie alt genug, die Schule zu besuche, ließ mau ihnen schon mehr Freiheit. Die kleinen Mädchen hatten sogar Kinderbälle und Soireen; Musik- und Tanzmeister. Waren sie vierzehnjährig, konnten sie sich schon, wie Salondamen, geberden; feine Spitzenarbeiten und Stickereien verfertigen; über die Toilette anderer Frauenzimmer kunstrichtern; über gewisse Herzensgeheimnisse unter einander kichern; auch recht artig liebäugeln und sogar Romänchen spielen, so niedliche, wie sie dergleichen je gelesen haben mochten.

Anders und derber verfuhr man mit den Knaben. Freilich, so lange sie in die Schule gehen mußten, wollte man ihnen nicht wehren, auf den Straßen umherzujagen, und dumme Streiche zu machen. Jeder Vater gedachte dabei seiner eigenen Jugend. Und wenn das Bürschchen etwa dazu noch schwören und fluchen lernte, wie ein Soldat; oder eine Pfeife oder Cigarre ganz ehrbar schmauchen und einen Schnapps Branntewein herzhaft wegtrinken konnte, lachte man sich über den kleinen Affen todkrank. Aber im fünfzehnten Jahre oder im sechzehnten ward er aus der Schule genommen, mochte er gehörig lesen, schreiben und rechnen können, oder nicht. Da ward er zum Handwerk gethan; lernte es treiben, so gut oder schlecht, wie es der Meister verstand; nebenbei auch von den Gesellen zuweilen Zotenreißerei und Schelmenstückchen aller Art. Ward er endlich selber Gesell, ging's in die Fremde. In der Regel kam er aus derselben ohngefähr so klug und geschickt zurück, als er hineingewandert war.

Es wird dies nur beiläufig hier angeführt, um zu erklären, warum in Altenheim die Handwerksleute, ungeachtet ihres Aufwandes und Großthuns, zu Hause gewöhnlich übel standen und viele derselben zu Grunde gingen; nach Amerika auswanderten, oder kleine Bedienungen und Anstellungen suchten; oder zuletzt auch im Armenhause vorlieb nahmen.

Mochte man spötteln und tadeln, wie man wollte, Meister Jonas ließ sich von seiner Art und Weise nicht abwendig machen. Er dachte oft an Vater Thaddäus. Er wollte nicht schlechter sein, denn derselbe. Darum erzog er seinen Veit ebenfalls, wie er erzogen war. Und der Knabe gedieh, bei dieser Zucht, an Leib und Seele; fleißig in der Schule, fleißig in der Werkstatt; anstellig in jederlei Verrichtung; mit allen Menschen wohl an.

Nachdem Veit sein sechzehntes Jahr vollendet hatte, wurde er zum Lehrling des Gürtlerhandwerks aufgenommen. Er saß damals schon in einer der obern Klassen des Altenheimer Gymnasiums, und nicht ohne Auszeichnung unter seinen Mitschülern durch Fähigkeit und Lernbegierde. Jonas, der zu seiner Zeit wenig Weisheit aus der Schule heimgebracht hatte, und kaum die Namen Mathematik, Algebra, Physik, Chemie u. dgl. kannte, war aber darum kein Mann vom gewöhnlichen Schlage jener Handwerker, die ihre Söhne so zeitig, als möglich, den öffentlichen Unterricht entziehen, und sich in ihrer Dummheit gar klug dünken, wenn sie sagen: »Mein Bursch soll nicht überstudieren, sondern werden, wie ich. Ich bin auch kein Gelehrter. Man kann nicht zweierlei Dinge mit einander treiben. Ein gelehrter Professionist taugt am Ende weder zu einer Profession, noch zu einem Professor.«

Veit mußte während seiner vier Lehrjahre immerfort, nach wie vor, die Schule besuchen, und dabei in den Freistunden tapfer in der Werkstatt bei seinem Vater schaffen. Er konnte das, ohne darum Pfuscher und Stümper in seinem eigentlichen Beruf zu werden. Denn schon, als er zum Lehrburschen gemacht ward, verstand er durch früheres bloßes Zuschauen von der Arbeit so viel, als ohngefähr ein gemeiner Gesell.

Es war gar kein Wunder. Seit zwölftem Jahre schon hatte er, außer der Schulzeit, dem Vater in der Werkstatt helfen müssen, und dadurch Handfertigkeit und Kenntniß in den Geschäften bekommen; während Andre seines Alters und Standes, sobald sie der Schulmeister Abends entlassen hatte, in der Stadt umherliefen, mit einander rauften, die Fremden neckten, oder andre Possen trieben. Ja was noch mehr war, Veit, weil er gut zeichnen konnte, entwarf in seinen Lehrjahren schon für seinen Vater neue Muster zu Waaren mit erhabnen Figuren, zu durchbrochenen Knöpfen, und anderm Schmuckwerk. Weil er gründlichere Kenntniß von Metallen und ihren chemischen Verwandtschaften, von Erdarten, Säuren, Salzen und Wirksamkeiten der Naturkräfte besaß, konnte der Lehrjunge nicht selten sogar die Gesellen zurechtweisen, sobald sie sich ungeschickt benahmen. Wenn sie irgend eine schwierige Form nicht in erforderlichem Ebenmaß herauszubringen verstanden, hin und her probierten, maßen, in Papier ausschnitzelten, hatte er's auf der Stelle, vermittelst einer einfachen mathematischen Formel, berechnet, und fertig.

Diese Geschicklichkeit des Sohnes kam dem Vater in einem sehr unerwarteten Falle wohl zu statten.


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