Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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16. Die Familie Kürbis.

Abends erst, während Martha und Christiane draußen alle Hände voll zu schaffen hatten, gewann Veit Gelegenheit, den Vater über das einläßlicher zu machen, was die Bewohner des Nachbarhauses betraf. Er fürchtete, die reiche und schöne Ida möge inzwischen Eroberung eines Andern geworden sein. Ihr Andenken war in seinem Herzen unvergänglich geblieben. Und vielleicht hatte dies Andenken nicht wenig dazu beigetragen, daß er unermüdet nach dem Vollendetsten rang, um sich zu einem Wohlstand aufzuschwingen, in welchem er einst der reichen Erbin seine Hand anbieten könnte; oder daß er lockenden Verführungen entwichen war, die einen Jüngling von äußerer Annehmlichkeit, und im ersten Aufblühen und Aufglühen der Kräfte und Gefühle, so leicht umgarnen. Vielleicht gibt es wirklich für einen jungen Menschen von guter Erziehung kaum einen mächtigern Schutzgeist der Gemüthsreinheit und Unschuld, nächst dem Gedanken an Vater und Mutter, als die erste Liebe zu einem weiblichen Wesen, in dessen Heiligkeit er sich selber heiligen möchte.

»Nun, was hast du doch immer nach den Kürbisleuten zu fragen?« sprach Vater Jonas: »Was die angelangt, geht's und geht's bei ihnen im Alten. Und daß Frau Rosine mit großer Pracht begraben worden ist, – hab' ich dir vor zwei Jahren nach London geschrieben. Man sagt, sie habe ihre Gesundheit mit Torten, Makronen, Bonbons und andern Leckereien verdorben. Zucker- und Pastetenbäcker mußten ihr alltäglich einen Korb voll Naschwerk schicken. Doch war sie auch schon alt; in ihren Sechszigern; zum mindesten zehn Jahre älter, als ihr Mann. Das ist verkehrte Welt! Altes und junges Fleisch taugen nicht in gleichen Kessel zusammen. Merk' dir das, Veit! Zehn Jahre jünger, als du, muß die Braut sein, die du mir zur Schwiegertochter geben willst.«

Veit lächelte, und machte im Stillen eine geschwinde Berechnung zwischen seinen fünfundzwanzig und Ida's zwanzig Jahren.

»Was nun den Gideon Kürbis betrifft,« fuhr der Berichterstatter fort: »thut er noch immer breitbeinig, wie der reiche Mann im Evangelium, trotz mancher Unfälle Ein Unfall ist freilich noch kein Unglück, sollte aber die Menschen witzigen. Es müssen ansehnliche Summen sein, um die er durch Ladendiener, Schreiber und Kommissionärs betrogen oder bestohlen ist, weil der gute Tropf Katzen zum Speck stellte, ihn zu hüten. Neben offenen Kisten kann auch der Frömmste zum Schalk werden. Doch hätte der Narr darum nicht seine Profession an den Nagel hängen und den Uhrenhandel aufgeben sollen. Ich hab' es ihm abgerathen. Was half's? Er hält sich für den Mann, der die Weisheit Salomonis im Sack hat. Meinethalben! Jedem Narren gefällt seine Kappe, und Jedem Fantasten riecht sein Schmutz besser, als eine Pomeranze.«

»Doch geht's ihm deshalb noch nicht übel?« fragte Veit zwischen ein.

»Ich weiß nicht,« lautete die Antwort: »Der Seiler macht seine Sache am besten, wenn's brav hinter sich geht; aber kein Goldschmied und kein Kapitalist. Auch will man wissen, der Herr Sohn, der Notar, verursache dem Papa nicht geringe Ausgaben und Kosten.«

»Wo lebt der Edwin?«

»Immer noch zu Oltenstadt, als Notarius, mit einem großen Geschäftsbüreau. Gegenwärtig ist er eben zum Besuch hier.«

»So werd' ich ihn morgen also sehen.«

»Und wirst nichts Besseres an ihm sehen, Veit, denn Jedermann und ich selber, als er uns neulich besuchte; einen der Alltagsburschen, wie sie heutigen Tags dutzendweis im Modefrack und Modebart auf den Gassen laufen; einen Laffen, der nichts weiß und will, als sich selbst; einen Kerl, der sonst für nichts Interesse hat, ohne Meinung; der mit allen Winden segelt; Kluges und Albernes durch einander schwatzt; gleichgültig gegen Recht und Unrecht, nirgends Wahrheit sieht, und wenn sie ihm hell und heiß in die Augen flammt; ein Mensch. gegen Gutes und Böses, gegen Ehre und Schande gleichgültig; der ein wächsernes Mäntlein trägt, und dann Alles darüber herunterlaufen läßt, was kömmt. Kurz, er ist nichts, als ein abgeschliffener Knopf, eine abgegriffene Kupfermünze, ohne Gepräge; eine Null, die, als Zahl figuriren will.«

»Sein Vater hat also wenig Freude an ihm?«

»Desto mehr der Sohn am Vater, dessen Kasse seine Goldgrube ist. Ich glaube, der Edwin ist nur hier erschienen, weil ihn die Gläubiger wieder ärger beißen, als die Flöhe den Hund.«

»Ist er verheiratet?«

»Das eben nicht. Er heirathet überall herum, wo kein Licht brennt. Ihm ist kein Weibsbild schlecht genug, und seiner Schwester Ida kein Mann gut genug.«

»Vielleicht« – dachte Veit bei sich: »vielleicht erwartet sie mich!« – Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und sagte: »Es wird ihr nicht an Anbetern fehlen.«

»Daran leidet sie nicht noth. Eine ehrliche, häusliche Erziehung hat das arme Ding nie empfangen. Man schickte sie in eine französische Anstalt für Töchter, damit sie parliren, trilleriren, kokettiren lerne. Das Haus nebenan ist seit Jahr und Tag umschwärmt, wie ein Bienenkorb. Sitzen wird sie nicht bleiben. Armer Bauern Kälber und reicher Herren Töchter werden nicht alt. Und am Ende aller Enden gelten Dublonen auch als Schönpflästerchen. Uebrigens ist Mamsell Ida ein hübsches Dämchen; Schade nur, daß sie es selber weiß. Sie zählt erst etwa zwanzig Jährchen. Schade nur, daß aus Jährchen endlich Jahre werden!«

Es war nicht das Angenehmste, was Veit hören mußte. Doch kannte er des Vaters Stimmung gegen die Nachbarn. Nur Eins tröstete ihn. Er vernahm auch, daß Ida sich im Vorbeigehen zuweilen nach ihm erkundigt habe. Vergessen war er also doch von ihr keineswegs. Er säumte nicht, sogleich andern Tags sich bei der Nachbarfamilie melden zu lassen und seinen Besuch abzustatten.

Er fand Herrn Kürbis, beim Eintritt in das geschmackvoll Zimmer desselben, geschäftig, eine Menge auf dem Tisch liegender Papiere zusammen zu wischen und in eine Schublade des Sekretärs von glänzendem Mahagoniholz eilfertig zu verbergen. Veit sah wohl, es waren Lottolisten und bunte Billets von Klassen-, Zahlen- und Güterlotterien. Der Notar Edwin ging mit sorgloser Miene pfeifend auf und ab; unterbrach sich aber schnell und empfing den Ankommenden mit ungemeiner Freundlichkeit und einem halben Dutzend Fragen, auf die er aber weiter keine Antwort zu erwarten schien.

»Ei, ei!« rief Herr Kürbis, indem er sich vom Tisch, schwunghaften Ganges, gegen Veit bewegte: »Willkommen, Herr Jordan! Von der Wanderschaft glücklich zurück! Ja, ja, so geht's in der Welt. Sie sind indessen groß, stark und mannhaft geworden, et cetera. Das läßt sich nicht läugnen; ja, ja! und Notabene! viel gesehen, viel erlebt seit vier, fünf und sechs Jahren.«

Ehe Veit zum Wort kommen konnte, fiel der Notar seinem Vater in die Rede, mit der Bemerkung: »Sie haben ganz verdammt schönes Kraushaar, lieber Jordan. Warum lassen Sie sich nicht Backen- und Kinnbart wachsen? Das stände zu dem Gesicht nicht übel.« – Dies gesprochen, machte er linksum, trat ans Fenster, eine Arie trällernd, und musterte, was über den Schloßplatz ging.

Die Unterhaltung, bei der sich der Sohn des Gürtlers unbehaglich fühlte, dauerte in diesem Ton geraume Zeit fort. Er benahm sich dabei jedoch mit geselliger Gewandtheit, obgleich ihm zu Muthe war, als sei er entweder zur unrechten Stunde gekommen, oder, als Handwerksgesell, in diesem vornehmen Hause ein wenig anstößig. Ida war, in Gesellschaft einiger Freundinnen und eines polnischen Grafen Zarinsky, verreist, um einige Wochen auf dem Landgute eines Mousselinfabrikanten zu verleben. Unerfreulicheres konnte es für den armen Veit nicht geben. In der Hoffnung, sich dem Vater und Bruder bedeutsamer zu machen, erzählte er ihnen von seiner gegenwärtigen Stellung in Frankreich an der Spitze eines der ersten Geschäftshäuser. Die beiden Zuhörer ließen es nicht an Verwunderung und Glückwünschen fehlen. Herr Kürbis machte mancherlei Notabene's dabei, und sein Sohn spielte zwischenhinein mit einer jungen Katze auf dem Sofa.

Veit verließ endlich, ziemlich übelgelaunt, beide Herren. Er suchte und fand aber seinen Frieden bald wieder in der Mitte der Seinigen. Hier ersetzte ihm die herzliche Liebe seines Vaters, die Zärtlichkeit der Mutter, die schwesterliche Anhänglichkeit Christianens Alles, – nur nicht Ida's Abwesenheit. Schon fürchtete er, sie während der kurzen Frist seines Aufenthalts nicht wiedersehen zu können; oder, was noch schlimmer war, sie auf immer verloren zu haben. Denn unter ihren Verehrern war auch der polnische Graf, der, wie er hörte, der am meisten Begünstigte, ein schöner Mann und Eigenthümer großer Güter im Herzogthum Warschau sein sollte.

Nach drei Wochen kehrte die sehnsuchtsvoll Erwarte zurück, und Veit, der höflicher Weise, wenn auch mit großer Ueberwindung, nie unterlassen hatte, dem gewesenen Goldschmied Aufwartung zu machen, ward, als alter Bekannter, zur Abendgesellschaft eingeladen. Er ging mit beklommenem Herzen. Er fand im reichgeschmückten Saale eine glänzende Versammlung ältere und jüngerer Herren und Frauenzimmer. Und aus der Mitte derselben trat ihm schöner, als er sie in seinen süßesten Träumen gesehen, Ida entgegen. Beide verneigten sich stumm gegen einander; beide sich mit Bewunderung anstaunend. Eine reizende Glut überflog Ida's Gesicht; ihre Augen blitzten ihn, wie geheimes Entzücken, wunderbar an. Doch ehe er sich gesammelt hatte, lachte sie, und sagte: »Mon Dieu, Herr Jordan, ich hätte Sie kaum erkannt. C'est admirable! Erlauben Sie, daß ich Sie der Gesellschaft vorstelle. Meine Herren und Damen, ein Nachbar, ein ehemaliger Spielkamerad; jetzt Vorsteher einer großen Glockengießerei bei Paris.«

Der gute Veit hatte bei diesen Worten die Empfindung, als sei er aus einem heißen Dampfbad jählings in eiskaltes Wasser gefallen. Er that sich Gewalt an; unterhielt sich mit dem und diesem, während Ida leichtfüßig umher flatterte, tändelte und scherzte; dabei auch zuweilen verstohlen nach dem hübschen Jugendkameraden herüberschielte, und dann und wann mit ihm, doch nie allein, flüchtiges Gespräch führte. Sie schien ihn zu suchen und zu meiden. Während die ältern Herren und Frauen Hazardspiele begannen, sammelten sich die jüngern um das Fortepiano, wo sie sang, vom Grafen Zarinsky mit der Flöte begleitet, einem Mann von einschmeichelnder Gestalt und feinem Weltton.

Der Abend verging dem jungen Jordan in schwerer Langeweile; aber wie dieser, auch noch mancher andre. Denn wie liebenswürdig sich Ida gab, er fand und sprach sie nie allein; und wie gegen ihn, benahm sie sich ohne Unterschied gegen jeden Andern. Anfänglich dünkte ihn das Betragen des Mädchens nur sonderbar, eine Art Verstellung. Bald jedoch machte es ihn niedergeschlagen; dann empörte es seinen Stolz; zuletzt trat an die Stelle des Unwillens fast ein Erkalten seiner Leidenschaft.

Und doch, als die Zeit herannahte, in der er Altenheim wieder verlassen sollte, äußerte er ihr auf einem Balle, da sie, vom Tanze ermüdet, zufällig allein saß, die Frage, ob er sie vor seiner Rückkehr nach Frankreich nicht mehr ohne Zeugen spreche dürfe? Sie schien ein wenig erschrocken, als sie von seiner baldigen Abreise hörte; flüsterte ihm aber sogleich gefällig zu: »Besuchen Sie mich morgen vor acht Uhr früh. Das Kammermädchen wird Sie zu mir führen.«

Er erschien zur bestimmten Stunde. Sie war allein und in ihrem leichten, weißen Morgengewande reizender, denn sie sich ihm je, im vollen Schmuck der Toilette, gezeigt hatte. Nun sprach er mit wieder erglühender Leidenschaft von den frühern, glücklichen Tagen ihrer Liebe; von ihren Gelübden; vom Schmerz jener Augenblicke ihrer Trennung im Garten. »Und darf ich,« fügte er hinzu, indem er ihre Hand ergriff: »darf ich's noch wagen, Sie, wie damals meine Ida zu nennen, mein Du?«

Sie blickte ihn mit einiger Verlegenheit erröthend an, und sagte lächelnd: »Unter vier Augen, mon cher, warum denn nicht? Ach, Veit, vor fremden Ohren schickt sich's nicht. Wir sind keine Kinder mehr! Aber Veit, du bist unterdessen ein bon garçon geworden. Wie steht's jetzt mit deinem Herzen da?«

»Wie sonst,« antwortete er und legte die Hand auf seine Brust: »Treu und rein, dein Eigentum, wie sonst!«

Sie lachte ungläubig und erwiederte: »Mon Dieu! Was für ehrliche Augen er dazu machen kann! Geh', geh', ich traue dir nicht, Schelm.«

Er betrachtete sie bang und zweifelnd, und lispelte: »Ida, sprich offen. Bin ich dir noch lieb, wie einst?«

»Voilà!« rief sie lachend und verschämt: »Das ist eine Gewissensfrage, und deutsch und rund herausgefragt. Aber der junge Herr weiß wohl, man kann ihm darum nicht böse werden.«

»Ida, liebe Ida!« fuhr er in gleichem Ton und ernster fort: »Sei offen. Dein Herz, ist's noch frei?«

»Si vous voulez, vogelfrei!« rief sie, hell auflachend, wie über einen witzigen Einfall: »Und, was weiter, mein kleine Adonis?«

»Aber, theure Ida, darf ich von deinem Vater, – darf ich deine Hand vor dem Altare . . .«

Sie fiel ihm plötzlich in die Rede und legte ihre Hand auf seinen Mund: »Still, still! Sei kein Kind. Graf Zarinsky hat ohnehin eifersüchtige Mucken. Du kennst mein Verhältniß. Unsre Verlobung, ich meine Zarinsky's mit mir, kann noch nicht öffentlich deklarirt werden. Er erwartet noch die Einwilligung seiner etwas stolzen Aeltern in Polen. Du siehst, zurück kann ich nicht, mein hübscher Junge.«

»Du also dem Grafen Zarinsky!« stammelte Veit mit zitternder Lippe: »Unser Gelübde also gebrochen! – Du hast ein Herz gebrochen, Mädchen.«

»Nein, nein!« flüsterte sie ihm ins Ohr: »Es kann beim Alten bleiben. Was schadet's denn, wenn ich dich dennoch lieb habe? Warum machst du dazu so jämmerliche Miene? Du begleitest uns, als Hausfreund, als Verwalter unserer Güter, nach Polen; und dann . . .« Sie lächelte schalkhaft; lehnte sich schmeichelnd an ihn und flüsterte: »Mein Liebling bist du und bleibst du; und dann, Veit, . . .«

Er drängte mit düsterm Gesicht sie von sich, und murmelte: »Ich versteh' dich! – nun sind wir geschieden! Laß mich nichts weiter hören.« Er ging wie gelähmt zu einem Marmortisch, seinen Hut zu nehmen.

Sie eilte ihm nach, hielt ihn bei der Hand, zog ihn gegen sich und fragte mit traulicher Miene: »Warum doch so böse? Es ist ja im Grunde von meiner Seite nur mit Zarinsky eine Art Convenienz-Mariage. Was ist's denn mehr? Warum darf ich dir, warum darfst du mir nicht gehören? Laß uns aber vorsichtig zu Werke gehen.«

»Abscheulich!« rief er zornblitzenden Auges und riß seine Hände aus den ihrigen, wie von Ekel ergriffen: »Mich betrügen, ihn betrügen! Verzeih's dir Gott. Ich verachte dich.« Er wandte den Rücken und ging davon, die Thür hinter sich zuschmetternd.


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