Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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2. Der Abschied.

Die über Erwarten glückliche Erfahrung, welche der alte Thaddäus Jordan mit seinem Sohne machte, führte ihn bald auf den kühnen Gedanken, sein Gewerb noch weiter auszudehnen. Zwar blieb er Kesselflicker und Krämer. Allein er hatte in diesem und jenem Dorfe bettelarme Leute, bedürftige Taglöhner-Familien kennen gelernt, die viel Mühe hatten, ihren Lebensunterhalt zu erschwingen. Diese ermunterte er, sich einen Nebenverdienst zu verschaffen, und er wolle Hand dazu bieten. So ließ er die Einen Federn, Borsten, Lumpen, Knochen und dergleichen einsammeln, die Andern heilsame Kräuter suchen und Wurzeln graben, welche er sie kennen lehrte. Dann kaufte er ihnen die kleinen Vorräthe ab; häufte sie da und hier zusammen und trieb solchergestalt einträglichen Handel mit angesessenen Kaufleuten, Knopfmachern, Messerschmieden, Papiermüllern, Apothekern, Färbern u. s. w.

Wer nicht blind war, sah wohl, der Mann strich Geld ein, doch Niemand wußte und erfuhr, wo er es ließ? Er ging wohl sauber, aber grob gekleidet; eben so Jonas. Er, wie dieser, begnügten sich mit geringster Kost; zufrieden, wenn sie satt waren. Bier kam selten über ihre Lippen; Wein niemals; und ein Gläschen Schnapps ward verschmäht, wenn man's auch unentgeltich anbieten wollte.

»Der Kerl ist ein Geizhals, ein Filz!« sagten Manche von seinen lumpigten Bekannten: »Er scharrt zusammen, was er vermag, und vergräbt irgendwo den Mammon. Da wäre für unserer Einen ein Schatz zu heben. Wüßte man nur, wo er läge!« – Andere riefen: »Der schlaue Fuchs! Wär' er kein Bruder Lüderlich, würd' er bei der Profession geblieben und nicht Landstreicher geworden sein. Wer weiß denn, in welchem Gaunerwinkel er mit andern Vagabunden in Saus und Braus verbrauset, was er hier zusammenschachert!«

Thaddäus ließ die Leute lästern nach Herzenslust, und ging ruhig seinen Weg. Er kannte den Pöbel genugsam. Wer von sich selbst nicht viel Gutes weiß, hält seinen Nächsten für weit schlechter. Thaddäus wußte am besten, was er that, und warum? So oft er in die Stadt kam, legte er seine Baarschaft in die Altenheimer Ersparnißkasse an Zins. Die Gutscheine aber dafür ließ er auf seines Sohnes Namen ausstellen, und bewahrte sie mit väterlicher Sorgfalt.

Auch dem Meister Fenchel ward dabei geholfen. Der hatte, durch des Hausirers Fleiß und Redlichkeit, abermals Arbeit in Fülle gewonnen. Er wäre wieder auf einen grünen Zweig gelangt, hätte er nur den Zweig mit Wasser, und nicht mit verzehrendem Branntewein, begossen.

So währte es einige Jahre; doch konnt' es nicht ewig so währen. Vater Thaddäus dachte endlich daran, seinen Knaben auch ein Handwerk erlernen zu lassen, um ihn nicht an die herumziehende Lebensart zu gewöhnen. Was in Nothfällen nützt, das nützt nicht jederzeit, so wenig, als Arznei in gesunden Tagen. Er besprach sich mit Freund Fenchel, der sich ganz willig zeigte, den Knaben in die Lehre zu nehmen, und mit dankbarer Gesinnung sogar ausschlug, ein billiges Lehrgeld dafür zu empfangen. Doch daraus ward nichts. Thaddäus zahlte, und machte, Lebens und Sterbens halber, die Sache schriftlich ab. Er war ein Mann, der, wenn er konnte, nichts halb that, und das Sichere und Gewisse lieber, als das Mögliche, in der Hand hatte. Dies abgethan, mußte ihn sein Sohn das letztemal auf einen Hausirerzug begleiten.

Ja wohl zum letzten Mal! Denn Thaddäus ward unterwegs sterbenskrank, und ihm mußte es erquickend sein, von kindlichen Händen gepflegt zu werden. Da er sich nicht weiter fortschleppen konnte, ward er auf einem Bauernkarren nach Altenheim gebracht, und ins Spital der Stadt geführt, wo er manchen Tag still und gottergeben auf dem Schmerzensbett lag.

Als er am Ende selber fühlte, der Todesengel nähere sich mit leisen Schritten seinem Bette, ließ er den kleinen Jonas aus Fenchels Haus zu sich rufen. Er gab ihm, mit dem Lebewohl, seinen väterlichen Segen. Dabei überreichte er ihm eine kleine versiegelte Büchse und sprach:

»Nimm, Jonas, nimm und siehe! Das ist in Sommerglut und Winterfrost sauererworbenes, ehrliches Gut. Das ist dein Erbtheil. Nur zusammengerolltes, leichtes Papier liegt in der Büchse; aber, ich sage dir, schöne tausend Gulden schwer. Darum hüte dich, von dieser Büchse zu reden; zeige sie Niemandem; verbirg sie am heimlichsten Ort. Solchen Bissen dir wegzuschnappen, könnte die unschuldigste Taube zum diebischen Raben werden. Nur nach vollendeten Lehrjahren, früher nicht, darfst du das Siegel erbrechen; und auch dann nicht, wenn du dir anders zu helfen weißt!«

Jonas nahm die leichte, blecherne Büchse; küßte bitterlich schluchzend die väterliche Hand, und gelobte in allen Stücken das Geheißene zu erfüllen.

»Ich sterbe zufrieden,« fuhr jener fort: »wie ich zufrieden gelebt habe. Leb' und stirb du auch so, mein Kind. Ich will dir dazu das beste Mittel an die Hand geben; es ist probat: Bete und arbeite! – Beten und Arbeiten verschafft in dieser und jener Welt guten Platz.«

Doch merke dir: mit aller Arbeit ist's nur halbes Werk. Die andere und schwerste, aber beste Hälfte der Arbeit, heißt Sparen. Was hilft's den Leuten, die vom Morgen bis Abend ein durchlöchertes Faß füllen, das unten ausläuft?«

Zuerst spare dir einen Nothpfennig; denn die Noth kehrt früh, oder spät, in Jedermanns Haus ein. Darum entbehre standhaft alles und jedes Entbehrliche. Ob Wein und Braten, oder Wasser und Brod, – es sieht uns Niemand in den Magen – und man wird doch satt. Hast du also den Nothpfennig gewonnen und geborgen, dann arbeite noch fleißiger; das heißt, spare einen Hülfspfennig für Andere zusammen! Gott hat dich nicht deinetwillen in die Welt gesetzt, sondern für Andere. Wärst du für dich allein erschaffen, hätt' er die Uebrigen nicht gerufen. Hast du den Hülfspfennig errungen und erschwungen, und wendest ihn weise an: dann, Jonas, dann verwandelt sich dein Pfennig für Noth und Hülfe von selbst zum Ehrenpfennig; dann bist du nicht abhängig von fremder Gnadengunst; bist eigner Herr; Freiherr, mehr denn ein Baron; hast genug geleistet für das Zeitliche.«

»Also, mein gutes Kind, bete und arbeite! Beten heißt mit dem lieben Gott innig und eins sein. Man ist aber mit dem Vater im Himmel nicht innig einig, wenn man mit seinen Kindern uneinig ist; sie haßt, sie beneidet, verlästert, betrügt und zum Bösen verführt. Seine Kinder sind die übrigen Menschen. Sei gerecht gegen Alle, und gütig gegen so viele du kannst. Gebet auf der Zunge und Bosheit im Herzen ist kein Bund mit Gott, sondern mit dem Teufel! Gott läßt sich nicht mit glatten Worten, Krokodilsthränen und Versprechungen hintergehen. Was du Löbliches auf Erden verrichtest, das wird dein Nothpfennig im Himmel werden.«

»Nun geh! Gottes Segen über dich sei deines Vaters Segen für dich!«

Also sprach der alte Thaddäus.

Auch von seinem Freund Fenchel nahm er nachher rührende Abschied, und empfahl ihm dringend den armen Jonas.

»Es ist nicht nöthig,« erwiederte der Gürtler mit thräenvollen Augen: »Es ist nicht nöthig; denn ich weiß, was ich Eurer Mühwaltung zu verdanken habe. Euerm Kinde soll's vergolten werden.«

Thaddäus reichte ihm die matte Hand, und sagte: »Mir ist es wohl bewußt, Ihr seid ein redlicher Mann gegen alle Welt, nur leider gegen Euch selbst nicht. Nehmt mir's nicht übel, daß mir deshalb gar bang um meinen Jonas ist. Ihr und der böse Geist seid schon zu gute Freunde.«

Meister Fenchel fuhr erschrocken auf und meinte, der Kranke rede irre. »Was denket Ihr von mir?« rief er: »Der böse Geist? Wer?«

»Der Weingeist!« war die Antwort: »Er ist der böseste von allen Geistern. Denn wo er eingeht, geht der Verstand aus. Wein bringt Euch trunkne Freud', und nüchternes Leid; jagt den kleinsten Kummer zum Fenster hinaus, und führt den größten zur Thür herein; macht den Kopf schwer und den Beutel leer. Das richtet unsere Handwerker zu Grunde, daß sie Abends in Kneipen und Schenken lieber dem Wirthe, als Weib und Kind daheim, gefallen wollen. Will's der Wein nicht mehr thun, muß Branntewein heran. Er hat Feuer genug, daß endlich Magen, Herz und Hirn darin verbrennen. Branntewein ist Scheidewasser, das Sehnen und Nerven allmälig durchätzt und zerfrißt, und zuletzt von Ehre und Frieden, Gesundheit und Wohlstand scheidet. Erst heißt's: täglich nur ein Gläschen voll schadet nicht! Nachher heißt's: eine Flasche voll thut mir wohl! Freund Fenchel, hütet Euch. Gebt Ihr dem Teufel ein Haar in die Krallen, er zieht Euch damit recht sanft in den Rachen. Schnapps, sagtet Ihr oft, sei nur langsames Gift, man könne auch alt dabei werden. Und doch ist er Gift und wirkt darum giftig; macht graue Köpfe zu Narrenköpfen, dumpf und stumpf, und kindisch vor der Zeit

Meister Fenchel sah, schuldbewußt, finster und düster, bei dieser Rede zu Boden. Thaddäus wollte ihn nicht kränken; reichte ihm wieder die Hand und sprach: »Nichts für ungut, lieber Freund; ich meint' es gut. Sterbende aber können nicht lügen.«

Drei Tage nach diesem war der gute Alte im Herrn entschlafen und im Ewigen erwacht.


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