Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Das neue Ehepaar.

»Jetzt schicke dich an, Kindchen, mit mir, nach Art vornehmer Leute, die Hochzeitreise zu machen!« sagte des andern Morgens der junge Ehemann: »Sie soll aber weder lange dauern, noch das kostbare Geschenk des unbekannten Gebers verzehren.«

Darauf nahm er seine Martha in den Arm und führte sie in den eignen kleinen Kaufladen; erklärte ihr Namen, Zweck und Preise der zum Verkauf fertigen Arbeiten, und legte ihr das Buch vor, die Verkäufe einzuzeichnen. Von da begab er sich mit ihr in die Werkstätte, und in sein winziges Magazin von Metallen aller Gattung; in den Holzstall, auf den Estrich, in den Keller, und zuletzt in die Küche. Hier glänzten ihr, zierlich in Reih' und Glied, auf Gestellen, irdene, kupferne, zinnerne Teller, Schüsseln, Kochgeschirr für den Bedarf des kleinen Haushalts entgegen. Auf dem saubern Herde loderte schon helles Feuer, vom muntern Lehrknaben angezündet. Martha ließ sich's aber nicht nehmen, mit eigner Hand das erste Frühstück zu bereiten. Auch gestand Jonas, in seinem Leben hab' er keine Morgensuppe mit größerer Lust genossen, als diese.

»Heut thu' ich in der Werkstatt keinen Streich!« sagte er: »sondern ich feiere nach Weise lüderlicher Gesellen blauen Montag. Denn es ist unsre Nachhochzeit. Komm, Liebchen. wir haben noch vielerlei zu berathen und zu schwatzen. Du bist nun Königin des Hauses; ich will dich in dein Reich einführen.«

Er übergab ihr die Schlüssel zu Schränken, Weißzeug, Kleidern u. s. w. Sie ordnete und wies jedem den schicklichern Platz an. Er zahlte ihr das nach seiner Berechnung erforderliche Geld zur Bestreitung der Wirthschaftsbedürfnisse auf ein Vierteljahr voraus, und versprach es immer so zu halten. Aber dazu legte er ein Heft von zwölf Bogen Papier, um das Jahr hindurch täglich jederlei Ausgabe, auch die kleinste, einschreiben zu können. Das, meinte er, sei unentbehrlich, um immer zu wissen. wie es mit ihren Finanzen stehe, und je nach zwölf Monaten zu erkennen, wie viel jeder Haushaltungsartikel, Brod, Fleisch, Gemüse, Holz, Beleuchtung. Wäsche, Kleidung, Geräth und dergleichen gekostet habe. Ein ähnliches Buch führte er selber über Einnahmen und Ausgaben, die sein Handwerk betrafen.

Nach diesen und andern Einleitungen begann folgenden Morgens die bestimmte Tagesordnung der Geschäfte. Früh auf um fünf Uhr, Winters wie Sommers; Betten gemacht; Stuben gereinigt; alle Arbeit zurecht gelegt; um sechs Uhr, nach gemeinschaftlichem Morgengebet, das Frühstück genommen; dann jeder an sein Tagwerk; um zehn Uhr jedem ein Stück Brod, als Zwischennahrung; um zwölf Uhr, nach kurzem Tischgebet, das Mittagsmahl; dann wieder an die Arbeit, bis um sechs Uhr ein leichtes Abendessen, und ein paar Stunden Arbeit, das Tagwerk beschloß. Die neunte Stunde rief zur Schlafkammer. Nur der Sonntag blieb Feiertag; einzig der Andacht und Erholung geweiht.

Dies einförmige, thätige, eingezogene Stillleben behagte Allen gar wohl. Martha ging, Westers ausgenommen, zu keinen Besuchen, oder Gesellschaften, und entschlüpfte damit unvermeidlichen Klatschereien und Weiberhändeln. Jonas ahmte andern Meistern nicht nach, außer dem Hause bei Abendtrunk und Kartenspiel Geld zu verstreuen. Statt dessen ließ er von Zeit zu Zeit sich einen kleinen Aufwand nicht verdrießen, seiner jungen Frau und dem gutartigen Lehrling irgend unverhoffte Freude zu machen.

Obschon der fleißige Meister mit Hammer und Meißel, Zargen und Stempel, bei Amboß und Schmiedeherd so umzugehen wußte, wie irgend Einer von der Profession, war sein Verdienst und Gewinn doch gering. Das aber schlug ihm den Muth nicht nieder. »Man muß leben,« sprach er: »wie man kann, nicht wie man will. Wer nicht auf den Berg kann, der bleibe im Thal. Drum, Martha, kehren Guldenstücke zu selten bei uns ein, laß uns Kreuzer herbeirufen. Sechszig machen auch einen Gulden.«

Wirklich hatte er bald etwas mehr Einnahme, als er nebenbei auch anfing mit kurzer Waare, wie sie der Nadler verkauft, Handel zu treiben; so wie mit selbstverfertigten Riemenschnallen, Sprungfedern, Pfeifendeckeln, niedlichen Drahtketten, Vogelkäfigen, Siebwerk mannigfaltiger Gattung und anderm Kram. Bald bezog er selber, bald die junge Hausfrau, damit die Jahrmärkte in und außerhalb dem Fürstenthum Altenheim, und sie, wie er, kamen nie gänzlich ohne einen gefüllten Beutel von dem Ausfluge zurück.

Meister Jordan verstand sich auf die Sache, seit den Tagen des Vater Thaddäus, des Kesselflickens und Hausirens sehr wohl. Die andern Meister sahen freilich verächtlich, oder mitleidig, auf den armseligen Marktfahrer herab und schämten sich beinahe desselben. Er jedoch ließ sie gewähren und dachte in seiner Art: »Besser demüthig gegangen, als hochmüthig gefahren. Ihr Nasenrümpfen macht mich nicht länger, nicht kürzer, als ich bin. Wer eine Leiter hinauf will, muß bei der untersten Sprosse anfangen.«

Und er hatte Recht, der Himmel segnete sein unverdrossenes Bemühen. Der Himmel segnete auch die vielgeschäftige Martha. Denn nach Jahresfrist erschien mit großem Geschrei ein fremder und lieber Gast in der Wirtschaft; ein Söhnchen, so hübsch man sich's wünschen konnte. Jonas war darüber in den ersten Tagen voll ausgelassener Freude. Er tanzte; er weinte; er lachte; er betete; er sang. Der kleine Heide mußte ein Christ werden; mußte Veit heißen zu Ehren des Herrn Wester; der und seine Frau die Taufzeugen wurden.

Frischern Muthes ging's dann wieder ans Schaffen. Wohl hatten sich um etwas die Einnahmen gemehrt; zum Theil selbst die Kunden in der Stadt; doch auch die Ausgaben um etwas. Denn nun mußte eine treue Magd zur Hülfe genommen werden, die Hauswesen und Kind besorgte, wenn die junge Frau Meisterin, bald in diesem, bald in jenem Städtchen oder Marktflecken, in gefüllter Bude die Kunstwerke ihres Jonas mit geläufiger Zunge feil bot. Gewöhnlich übernahm die junge Frau diesen Zweig des Gewerbes; denn Erfahrung lehrte, daß sie mit ihrer freundlichen Miene mehr Kauflustige zur Bude heranlockte, als der ernste Mann; obgleich ihre Waare eine und dieselbe war; und daß sie jedesmal mit weit reicherer Aernte zurückkehrte, als er.

So mehrte sich von Jahr zu Jahr ihr bescheidener Wohlstand; aber darum nicht der Aufwand. Die alte Häuslichkeit währte nach sieben vollen Jahren fort, wie zur Zeit des ersten Notstandes.

»Mütterchen, lieb Mütterchen!« rief er eines Tags. als er im Sonntagsrock zur Thür hereintrat, denn er hatte einen Ausgang gethan. Sie hielt eben den kleinen sechsjährigen Veit im Arm und küßte ihn, weil er ihm vorgesagte Verse über Erwarten schnell auswendig wußte: »Mütterchen, kennst du am Schloßplatz das alte Eckhaus neben dem Hause des Gideon Kürbis? Es gehört dir und dem kleinen Buben da, der dir doch gar nicht lieb ist. Das Haus zwar ist schmal; unten nur Eingang, Wohnstube und bisheriger Tuchladen; doch übrigens geräumig für uns und bequem. Zwar gefällt mir die vornehme Kürbis-Nachbarschaft nicht; aber am volkreichen Schloßplatz ist für unsere Waare ein vorteilhafterer Stand, denn hier in der leeren Nebengasse. Zwar unser an Zins gelegtes schönes Geld fliegt davon; und wir sind aus Gläubigern Schuldner geworden. Nur die Hälfte erst des Kaufpreises hab' ich bezahlt. Aber der Preis war wohlfeil; am Zins sollen Miethsleute mitzahlen. Und Schuldensporne stacheln schärfer zum Sparen an, als goldne. Da hast du Schatten und Licht neben einander. Was meinst du?«

Martha fühlte freudiges Schrecken. Wiewohl sie die Angst vor den Schulden nicht verheimlichte, schmeichelte es sie doch nicht wenig, Herrin eines eignen Hauses zu werden. Mit feuchten Augenwimpern lag sie an seiner Brust und sagte: »Was Du thust, das ist wohlgethan; dein Wille war immer der meine. Möge denn Gottessegen auch über der neuen Wohnung walten!«

Für eine rührige Hausfrau, wie Martha, ward die Umgestaltung der häuslichen Dinge, der veränderte Platz der Haus- und Küchen- und Kellergeräthe, die neue Stätte jedes Stuhls, jedes Tisches, eine Umgestaltung des Lebens, und jeder Tag dabei ward, wie müde sie auch von den ungewohnten Anstrengungen Abends hinsank, ein Festtag. Er ebenfalls räumte geschäftig aus; sie räumte ein. Fast mehr, denn die Erwerbung der bleibenden Heimath, freute ihn die Lust der Glücklichen an dieser Verwandlung der Umgebungen. Und sein Wohlgefallen hinwieder an den Schöpfungen ihrer geschmackvoll ordnenden Hand, erhöht ihr Glück.

Das letzte Stück bei der Umsiedelung trug er selbst zur neuen Behausung fort. Es war der hölzerne Kasten, worin das große fürstliche Wappen im breiten Goldrahmen verwahrt lag; sein Meisterstück. Er hatte es seit drei Jahren nicht wieder angesehen.

»Nun denn!« lachte er spottend, als er das kostbare Machwerk vom hohen Gesims aus dem Winkel hervorzog: »du kömmst mir hintennach, wie die alte Fastnacht. Das gebührt dir. Ein prächtiger Quark, ich gesteh' es; leider Geld und Arbeit umsonst daran verschwendet! Was hilft doch ein goldner Galgen. wenn man daran zappelt!«

Indem er über den Schloßplatz ging, sein Kunstwerk unterm Arm, und indem ihn im Strahl der Abendsonne die Fenster des fürstlichen Palastes blendend anblitzten, murmelte er: »Richtig, Glanz zu Glanz! dahin gehört der Plunder. Vielleicht macht er der alten Durchlaucht Vergnügen als Geschenk; denn kaufen wird Niemand den Tand.«

Der flüchtige Einfall, je länger er ihn mit seiner Martha erwog, fand immer größern Beifall. »Wer weiß,« sagte sie: »wo wir noch einmal der Gnade des Hofes bedürfen!« – »Richtig, eine Hand wäscht dann die andre!« stimmte Jonas ein.

Die erste Sonntagsarbeit in der neuen Wohnung ward nun ein ehrfurchtsvoller Brief an den Landesherrn. Er entwarf ihn; Martha schrieb ihn zierlich ab, was sie besser gelernt hatte, als er. Es war der Brief eines guten Bürgers an einen guten Fürsten, kunstlos und treuherzig. Jonas gestand darin sogar ehrlich, daß ihm das Prachtstück im Wege stehe, und zu nichts Besserm tauge, denn wenigstens ein geringer Beweis von Liebe und Ergebenheit eines redlichen Unterthans zu seinem gnädigen Landesherrn zu werden. – So schickte er das Geschenk ab.


 << zurück weiter >>