Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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22. Die Versuchung.

Veit vernahm aus frohlockenden Briefen seines Vaters, denen die Mutter nie unterließ, ein Postskript beizufügen, den guten Gang des guten Werks. Auch er steuerte reichlich bei, und gern. Aber er war, inmitten seiner großen und gewinnvollen Geschäfte, nicht lebensfroh, und war es seit langem nicht mehr. Es fehlte ihm nicht an Vergnügungen und Zerstreuungen. Die junge Wittwe Bellarme hatte das Möglichste gethan, ihm den Aufenthalt bei sich zu versüßen; sie hatte bald zu viel gethan.

Der zu männlicher Kraft und Anmuth aufgeblühte Jüngling war, schon als ihr Mann noch lebte, ihr Liebling gewesen; und als sie sich mit Trauerkleidern schmückte, schmückte sie sich für ihn am liebsten, und wünschte, er wäre noch etwas mehr, als Liebling. Seine ehrfurchtsvolle Zurückhaltung kränkte sie. Für ihn lebte sie auf dem Lande, und hatte sie, unter den schwarzen Rauchwolken der Schmelzhütten, die Herrlichkeit der Weltstadt Paris vergessen. Nach verflossener Trauerzeit hatten ihre Augen, statt der Wehklage um den früh entrissenen Gatten, eine andere Sprache gelernt. Veit verstand die zärtlich flammenden Blicke wohl, die heimlich sagten, fragten, baten, was die Lippen verschwiegen: aber antworten mochte er nicht.

Es fehlte der Frau Bellarme nicht an Verehrern, entzückten Besuchern und Versuchern. Sie galt als eine der reichsten Parthien. Doch Veit trug das Einmal-Eins im Kopf, nicht im Herzen. Sie war ein schönes Weib, reizend, von der mit rabenschwarzen Locken umflatterten, lichten Stirn herab, bis zu den kleinen Füßen. Sie war geistvoll, witzig, lebhaft, ein feuriges Kind des südlichen Frankreichs, mit einschmeichelndem Weltton; verführerisch in jeder ihrer Bewegungen. Aber sie wußte das; sie legte Werth darauf; erwartete dafür Bewunderung; und hatte daneben auch kleine, eigensinnige Launen, schnell gereizte Empfindlichkeit, zuweilen sogar ein wenig aufbrausendes Wesen.

Der junge Jordan hatte nur einmal geliebt, und nie wieder. Seit ihn Ida schmerzlich getäuscht hatte, blickte er selten ein Frauenzimmer, ohne stillen Argwohn, an. Nur seine Mutter, in ihrer anspruchlosen Holdseligkeit, in ihrem frommen Gleichmuth, in ihrem geräuschlosen, immer regen, und treuen Sorgen und Streben für häusliches Glück, war für ihn Urbild weiblicher Würde und Hoheit geblieben. Frau Bellarme. auch von den schönsten und geschmackvollsten ihrer Ballkleider umflossen, von den köstlichsten Perlen und Brillanten umglänzt. stand weit unter der Gürtlerfrau, im wohlfeilen und einfachen, doch saubern Hauskleide.

Diese scheinbare Gefühllosigkeit oder Schüchternheit des hübschen Krauskopfs steigerte die leidenschaftlichen Gefühle der Frau Bellarme für ihn nur höher. Jeder Blick ihrer schwarzen Augen, jeder Druck der Hand, jeder zurückgedrängte Seufzer, der aus ihrem Busen aufzitterte, sagte ihm: Ich liebe! Als er sie einst nach Paris begleiten mußte, zum Brautball und Namensfest einer ihrer Freundinnen, und sie unter sonnenhellen Kristallleuchtern des Ballsaales, im berauschenden Strom der Musik. durch die langen Reihen der Tänzer mit ihm dahin wirbelte; sie ihn, er sie umfassend; fühlte sie ihr ganzes Wesen erglühen. Nach beendigtem Walzer, mit ihm in ein Nebenzimmer tretend. um einen kühlenden Trunk Wassers zu nehmen, sank sie ihm an die Brust und ihre Lippen brannten an den seinigen. »O mein einziger Freund,« lispelte sie: »mein Jordan, mein Leben, was hast Du aus mir gemacht? Ich lebe und sterbe die Deine!«

Durch die schwärmerische, oder wilde Zärtlichkeit des Weibes mehr betroffen, als bezaubert, deutete er warnend auf die Saalthür. Diese öffnete sich den gleichen Augenblick. In stummer Verwirrung gingen beide zu den Tanzenden zurück; beide mit ungleichen Gefühlen. Sie in Scham und Furcht und liebender Hoffnung zitternd; er abgestoßen auf immer von ihr durch die Zudringlichkeit, welche allen Adel des weiblichen Wesens entweihte.

Sein kühles, besonnenes Betragen am ganzen Abend schien ihr die liebenswürdigste Blödigkeit eines unerfahrnen Jünglings. Seine Ruhe, sein Ernst in den folgenden Tagen aber, sein absichtliches Meiden jeder Berührung mit ihr, schien ihr bald empörender, stolzer Undank. Doch schwankte sie noch in Zweifeln, als es ihr endlich gelang, mit ihm unter vier Augen Erklärung gegen Erklärung zu wechseln. Als er ihr, neben schmeichelhaftesten Verbindlichkeiten, bloß von Hochachtung und ehrerbietiger Freundschaft sprach, als sie ihre längst für ihn gehegten Empfindungen, er hinwieder seine unwandelbaren Grundsätze äußerte: wandte sie ihm jählings den Rücken zu und verließ ihn, Glut im Gesicht und Thränen im Auge. Es war nicht Glut der Scham, sondern des inbrünstigen Hasses; es waren nicht Thränen des Schmerzes, sondern zornigen Stolzes.

Mit dieser entscheidenden Stunde endete zwischen Beiden jeder gesellige Umgang und Verkehr. Sie wohnten im gleichen Hause, und begegneten sich selten. So oft sie einander nicht ausweichen konnten, war jede Bewegung der unversöhnlichen Dame eine Beleidigung für den ehemaligen Günstling. Sie begab sich bald darauf nach Paris und wußte von da aus, durch ihre Agenten und Diener und Buchhalter, ihm der ewigen Plagereien und ärgerlichen Widersprüche in Geschäftsdingen so viele anzuzetteln, daß er einsehen mußte, seines Bleibens könne hier nicht länger sein. Auch legte man ihm selber nahe, es sei, des Friedens willen, eine Auseinandersetzung der gemeinsamen Angelegenheiten, mit dem Sachführer der Frau Bellarme, und Trennung am geratensten.

Ohne Zögern und Bedenken willigte er ein. Doch verfloß fast ein halbes Jahr mit Aufnahme der Waarenvorräthe, mit Untersuchungen des Rechnungswesens und Scheidung der gegenseitigen Ansprüche. Daneben kamen der verwickelten Fälle mehr denn einer zum Vorschein, deren Lösung nur in Prozessen gesucht werden konnte. Es blieb nicht verschwiegen. daß Frau Bellarme selbst die Geschäftigste war, mit schadenfroher Lust, wo sie konnte, die Fäden zu verwirren. Veit jedoch ließ sich lieber Nachtheil und Ungerechtigkeit gefallen, statt zweifelhaftes Recht vor Gerichten auszufechten.

Er berichtete den plötzlichen Wandel seines Schicksals, mit allen Umständen nach Hause. Zwar klagte er bitter über verschiedene Verluste und unbilliges Verfahren der Frau Bellarme, oder ihrer Sachführer. Aber er verhehlte auch nicht, daß er im Bewußtsein der Unschuld zufriedener sei, unverdiente Kränkungen zu dulden, als Andern zu verursachen. Fast mehr noch, als das eigne Gewissen, tröstete ihn der Beifall der Aeltern.

»Hast wohlgethan, mein braver Junge!« schrieb ihm Vater Jonas: »Komm heim, wir erwarten dich mit Ungeduld. Undank ist der Welt Lohn. Nun man dich gebraucht hat, stellt man dich hinter die Thür. Dacht' ich mir's doch gleich anfangs, daß es zwischen dir und der Wittwe kein gutes Ende nehmen werde. Es ist gewißlich wahr: junger Wittwen ledige Haut schreit nach Hochzeit überlaut. Wie fromm und züchtig sie immerhin nach ihres Mannes Tod gethan, du hast's erfahren, wie eine aus Noth frischgebackne Tugend unverdauliche Waare bleibt. Sobald Keuschheit einmal zum Tanz gehen will, tanzt sie auf gläsernen Schuhen. Freilich hättest du mit der Dame ein vornehmer Herr werden können; aber besser, du bist ein freier Herr geblieben. Wer bei wenigem Gut eine reiche Braut nimmt, ist nachher doch nur erster Kammerdiener seiner Frau.«

»Unsre neue Handwerksschule steht im Blüthenglanz. Sie wird dich freuen. Aber es ist noch viel zu thun übrig. Drum komm' zurück und hadre nicht mit Advokaten; sie sind die schlimmsten Taschenspieler. Ein magerer Vergleich macht satter, als ein fetter Prozeß.«


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