Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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12. Die große Lieferung.

Eines Morgens trat ein fürstlicher Kanzleidiener zu Jonas ins Zimmer, und trug ihm auf, sogleich vor dem geheimen Kabinetsrath Herrn Grafen von Salm zu erscheinen. Jonas warf sich unverzüglich in die Sonntagskleider; und nachdem ihn Martha vorher, mit weiblicher Sorgfalt von Kopf zu Fuß gemustert hatte, ob sich ihr Männchen auch wohl mit Ehren vor einem so hochgestellten Herrn zeigen dürfe, begab er sich etwas scheu und etwas neugierig ins Schloß.

Der Kabinetsrath, nachdem er die ein wenig linkischen, wiederholten Verbeugungen des Eintretenden mit leichtem Kopfnicken erwiedert hatte, schritt ohne Zaudern zur Sache, mit der Anzeige: Dieweil er, Meister Jordan, Hof-Gürtlermeister sei, wär' er, auf Befehl Sr. Durchlaucht zuerst einberufen, in einer sein Fach beschlagenden Angelegenheit Auskunft zu ertheilen. Der bisherige Vertrag mit der Fabrik zu Florburg wegen Lieferung von Blechen für Tschakos, Patrontaschen, Uniformknöpfe, Pferdegeschirre, Beschläge der Pistolen, Gewehre, Säbel, Degen u. s. w. der fürstlichen Truppen sei schon seit einigen Jahren abgelaufen, und aller Vorrath erschöpft. Es müsse ein neuer Vertrag abgeschlossen werden, und daher entstehe die Frage . . .

Hier brach der Kabinetsrath plötzlich ab und sah dem Meister Jordan scharf ins Gesicht.

Dieser, dem vorher das Herz aus Angst klopfte, fühlte es jetzt noch heftiger in Hoffnung und Freude pochen. Aber er verwunderte sich nicht wenig, als der Herr Graf ihn fragte: »Seid Ihr nicht derselbe, – wie ist mir denn? – dem ich, es sind viele Jahre seitdem, in einem Garten einmal zu seiner Hochzeit eine Geldbörse gegeben habe?«

»Weiß nicht, ob's eben Ihre Exzellenz war, oder wer anders?« antwortete Jonas: »Aber ja, ich empfing den Beutel mit Goldstücken beim Essen in der Laube; und suchte nachher den gütigen Geber vergeblich in allen Winkeln des großen Gartens stundenlang. Es mögen wohl zwanzig Jahre her sein, oder . . . nein, nein! Mein Sohn Veit hat erst achtzehn. Ihre Exzellenz, ich muß es sagen, hat ein gutes Gedächtniß.«

»Die Kreuznarbe da, an Eurer rechten Stirnseite, brachte mich auf die erste Spur!« sagte der Kabinetsrath lachend, und verließ das Zimmer, als Jonas eben im Begriff war, zu berichten, wie er als Kind beim Hausirerleben zu der Kreuznarbe gekommen sei.

Nach einer Weile kehrte der Graf zurück, begleitet von einem betagten, wohlbeleibten Herrn, dessen heiteres, volles Gesicht die wohlwollendste Gutmüthigkeit aussprach. Jonas erkannte ihn sogleich und verbeugte sich fast bis zur Erde. Es war der regierende Fürst, der vortrat. Der geheime Kabinetsrath blieb ehrfurchtsvoll seitwärts einen Schritt hinter ihm.

»Aha! treff' ich Euch endlich, Herr Pfarrer!« lachte der Fürst: »Ich habe Eure ganze Traurede von Anfang bis zu Ende hinter dem Busch oder Hag gehört, und noch lange meine Lust daran gehabt. Hättet Ihr Theologie studiert, ich hätt' Euch damals zu meinem Hofprediger gemacht, statt zum Hofgürtler. Nun, ich glaube, Ihr seid ein ganz gescheider und geschickter Mann. Denn das hübsche Wappenschild, das . . . irr' ich nicht, so bin ich wohl gar noch Euer Schuldner. Nun, laßt's gut sein. Vielleicht werden wir wegen der Lieferung, von der Ihr gehört habt, Handels einig; dann soll's Euer Schade nicht sein. Doch müßt Ihr auch nicht den meinigen verlangen. Beantwortet meine Fragen bestimmt und aufrichtig, wie es einem ehrlichen Manne geziemt.«

Jonas wiederholte seine stummen Verbeugungen. »Ich könnte,« fuhr der Fürst fort: »Ich könnte auch die Waaren im Ausland verfertigen lassen. Das leidet keine Schwierigkeit. Was denkt Ihr dazu?«

»Ei nun,« antwortete Meister Jordan: »ich denke, Ihre Durchlaucht beliebt ein wenig zu scherzen. Ein so weiser Regent, wie Sie sind, gnädigster Herr, nimmt nicht das Geld der Unterthanen und schickt es in andere Länder für Dinge, die er eben so gut im eigenen Staat erhalten kann. Ein so gütiger Landesvater, wie Ew. Durchlaucht, ich sage das ohne Schmeichelei, wird seinen armen Kindern nimmermehr Verdienst und Brod entziehen, um es Fremden zuzuwerfen.«

Der Fürst lachte herzlich bei dieser Rede und sagten »Da haben wir's! Er predigt meisterlich. Allein, Herr Pfarrer, es kömmt darauf an, ob die Handwerker im Fürstentum so gute Waare zu liefern vermögen, wie anderwärts.«

»Gnädigster Herr, das hängt von einer Probe ab.«

»Allerdings. Ich weiß, unsere Leute hier verfertigen solide, dauerhafte Arbeit; aber gewöhnlich plump, geschmacklos, oft recht unverständig. Wie geht's zu, daß die Fabriken ihre Waare netter und wohlfeiler geben, und überhaupt Vieles besser zu leisten verstehen, als unsere meisten Handwerksleute?«

»Weil in den Fabriken,« erwiederte Jonas achselzuckend: »Leute angestellt sind, die an höhern Schulen mehr gelernt haben, als unser Einer zu lernen Gelegenheit hat.«

»Zum Henker!« rief der Fürst: »Warum lernt Ihr nichts?«

»Ihre Durchlaucht, aus einfachem Grund: Geld, oder Gelegenheit fehlen, und die hiesigen Schulen dazu sind schlecht. Ja, gnädigster Herr, rund heraus gesagt, schlecht. Da müssen unsre Söhne lateinisch und hebräisch, griechisch und chaldäisch lernen, wie man vor tausend Jahren sprach; aber nichts von dem, was jetziger Lebens- und Weltverkehr nöthig macht, kein englisch, oder italienisch, oder französisch. Da sind unsere Knaben mit Einrichtungen, Geschichten, Thürmen und Mauern vom alten Aegypter- und Römerland, Babylon und Mesopotamien bekannter, denn mit ihrem eigenen Vaterlande; gerade, als lebten wir noch vor etlichen hundert Jahren, und nicht heut in dieser Welt. Mag's gut sein für Gelehrte, die nichts Besseres zu thun haben; für Advokaten und Pfarrer, Doktoren und Professoren. Aber deren sind eine kleine Zahl; dagegen der Handwerks- und Gewerbsleute und Landwirthe desto mehr. Die sollten zu ihrem und des Landes Nutzen, statt der Schulfuchsereien, mehr vom Rechnen und Messen, von Kräften und Arten der Elemente, der Metalle und Kräuter wissen. Ja, gnädigster Herr, ich hab' auch einen Sohn. Hätte der nicht zu Hause für sich aus Büchern mehr gelernt, als in der lateinischen Stadtschule, er wäre ein armer Tropf.«

Der Fürst ließ ihn willig reden; nickte zuweilen dazu, oder warf seitwärts dem Kabinetsrath einen bedeutsamen Blick zu.

»Die Sache läßt sich in Ueberlegung ziehen!« sprach er. »Aber, was meint Ihr, wenn ich Euch die ganze Lieferung übergebe? Ich habe Vertrauen zu Euch.«

»Ich danke Ihrer Durchlaucht dafür, doch den Vorzug verdien' ich nicht. Viele meiner Mitmeister verstehen sich auf die Profession gewiß nicht schlechter, denn ich. Man würde das nur Herrengunst nennen und mich anfeinden. Lieber nichts, als Haß. Ein freundlich Gesicht ist allzeit das beste Gericht, pflegt man zu sagen.«

Der Fürst klopfte ihm auf die Schulter und sprach: »Bieder und brav, Meister Jordan! Aber was wäre Euer Vorschlag?«

Jonas schwieg sinnend ein paar Augenblicke und antwortete darauf: »Wenn Ihre Durchlaucht es gnädig aufnimmt, möcht' ich mir erlauben, den möglichst billigsten Preis aller begehrten Artikel einzugeben, wenn man mir nur vorher bekannt macht, von welcher Gattung, Güte, Form und Menge von jeder Sorte verlangt wird. Hernach könnte die ganze Lieferung öffentlich ausgeschrieben und den Mindestbietenden zugeschlagen werden, mit Vorbehalt der Waarenprüfung durch Sachkundige.«

»Verständig gesprochen!« rief der alte Fürst und entließ endlich, nach mancherlei andern Reden, den Meister, dem, sobald er das Schloßthor hinter sich sah, zu Muthe ward, als wär' er selber Fürst geworden. Er hatte seiner Hausfrau und dem Veit viel zu erzählen.

Wirklich empfing er nach einigen Wochen das Verzeichniß vom Umfang der gesammten Lieferung, welche, nachdem er die genaue Angabe der Preise eingereicht hatte, für die, welche die Lieferung übernehmen wollten, in den öffentlichen Blättern kund gemacht wurde. Auswärtigen Bewerben blieb einstweilen der Zutritt untersagt. Die inländischen gerieten nun unter sich in eifersüchtige Bewegung. Einige versammelten sich, um das Geschäft gemeinsam zu behandeln. Andere horchen umher, wie wohlfeil dieser oder jener die Waare zu geben gedächte. Zuletzt wurden sie allesamt uneinig. Jeder handelte für sich, und übersandte in bestimmter Zeitfrist, seine Eingabe an die fürstliche Rechnungskammer.

Martha und Jonas zitterten ängstlich dem großen Tag der Entscheidung entgegen; aber sie fielen einander lautlos um den Hals, als der Kammerbote ein fürstliches Reskript überbracht hatte, kraft dessen dem Hofgürtler die Lieferung anvertraut wurde. Martha wankte hinüber in ihre Kammer; Jonas folgte ihr. Sie lag auf den Knien, im Dankgebet zu Gott, leise betend, still weinend. Er knieete neben ihr, und sein Auge fand endlich Thränen, sein Herz die gewohnte Ruhe wieder.

Denn nun war ihnen geholfen und Aussicht geworden, die alte Schuldenlast des Hauskaufs abwälzen und freiere Tage erleben zu können. Wohl hatte sich der Verdienst vom Gewerbe bisher sehr verbessert; doch bei weitem nicht zur Genüge. Neben Bedarf für Wirtschaft und Werkstatt, rafften die Zinszahlungen das Beste hinweg, nicht weniger auch Anschaffung kostbarer Bücher für den fleißigen Veit und, neben dem Schullohn, für ihn auch der Unterricht, welchen er bei zwei Privatlehrern genoß. Darin sah man den Meister Jordan nie knausern. »Ein Schatz in Kopf und Herzen bewahrt,« sagte er oft: »ist sicherer, als Geld in eisernen Kisten gespart.«

Eilfertig macht' er sich ans große Unternehmen. Er empfing, nach Abschließung des Vertrages, Vorschüsse durch die Regierung zum Ankauf beträchtlicher Vorräthe von Metallen, Materialien und Werkzeugen. Er stellte Gesellen in hinlänglicher Zahl, und verdienstlose Meister in der Stadt, zur Mitarbeit, an. Veit half dabei tüchtig; unterrichtete; zeichnete vor. Martha gab Messen und Märkte auf; führte Rechnungswesen und Briefwechsel. Jonas leitete das Gesammte, mit scharfem Blick auf das Ganze und Einzelne, im Thun und Lassen aller. Das fruchtete.

In weniger, als anderthalb Jahren, war die volle Lieferung beendigt und zur Zufriedenheit der hohen Landesbehörden gereichend; Meister Jordan schuldenfrei, ein nun wohlhabender, geachteter und beneideter Bürger. Er hielt mehrere Gesellen. Seine Kundschaft hatte sich von allen Seiten gemehrt, und sein Waarenladen den besten Ruf gewonnen. Demungeachtet blieb er der schlichte, einfache Mann, wie er bisher gewesen; sehr eingeschränkt und eingezogen; vom Morgen bis Abend an der Arbeit, als wär' er noch Anfänger. Andre Bürger thaten neben ihm, wie große Herren. Er hingegen meinte: »Wer auf ebner Erde bleibt, fällt nicht tief.«


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