Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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3. Der Lehrbursch.

Jonas weinte seinem Vater im Stillen lange nach. Er war nun ein Waisenknabe; ohne Rath und Liebe eines Verwandten; Lehrling und Mündel des Gürtlers. Im Hause desselben lebte für ihn anfangs wenig Freude. Eine alte, böse Magd, die mit aller Welt keifte und zankte, und wenn sie friedlich sein wollte, nur brummte und murrte, regierte und handthierte nach eignem Wohlgefallen. Jonas mußte ihr Holz und Wasser tragen, Schuhe und Teller putzen; bald Fleisch vom Scharren, bald Gemüse vom Markt, oder ein Loth Schnupftabak vom Krämer Wester für ihre Nase holen. Zwei Gürtlergesellen, die beim Meister in Arbeit standen, brauchten ihn ebenfalls zu ihrem Dienst; neckten ihn schadenfroh, wenn sie bei guter Laune waren, oder versetzten ihm Stoße und Püffe, wenn sie eine Grille im Kopfe hatten. Er beklagte sich wohl einmal darüber bei dem Meister. Der aber tröstete ihn mit den Worten: »Das ist Handwerksbrauch, dummer Junge. Ein Lehrknabe muß sich Alles gefallen lassen. Bist du einmal Gesell, machst du es eben so.«

Fenchel behandelte ihn unter Allen im Hause am mildesten, und wollte ihm wohl; aber er war ein Mann ohne Erziehung und Unterricht, und im höchsten Grade leichtsinnig. Die Ermahnung des sterbenden Thaddäus hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. Er trank wirklich in den ersten Tagen keinen Tropfen Branntewein mehr. Aber nachdem jener zur Erde bestattet worden, nahm er doch wieder ein Schnäppschen; den Tag nachher einen guten Schnapps, und so ging's wieder in die alte Ordnung oder Unordnung hinein.

Jonas fügte sich in sein Schicksal. Was konnte er thun? Er gedachte desto öfter der frommen Lehren, die er vom Vater empfangen hatte. Seine einzige Lust und Freude im Hause war Fenchels Kind, die kleine fünfjährige Martha. Wenn er mit ihr spielen konnte, vergaß er wieder alles Herzeleid; und das Kind, um welches sich der Vater fast zu wenig bekümmerte, hatte keine bessere Zuflucht, als zu Jonas.

Der Bursch war, als er in die Lehre trat, schon fünfzehn Jahre alt. Er konnte aber noch nicht recht lesen und noch weniger schreiben. Etwas Kopfrechnen hatte er im Hausirerleben gelernt. Er schämte sich, wenn er sah, wie kleinere Buben das besser verstanden. Gern wäre er auch in die Schule gegangen. Er versprach dem Meister, recht fleißig zu sein. Allein die alte Magd konnte ihn in ihrer Wirtschaft nicht missen, und der Meister sagte: »Du sollst ein Gürtler und kein Gelehrter werden«. So blieb's. Kein Wunder, wenn's bei vielen Handwerksleuten rückwärts geht. Ohne Kenntnisse, oft ohne die notdürftigsten, und zu früh aus der Schule weggenommen, werden sie zur Profession gethan; helfen und lernen da maschinenmäßig nachmachen, was Meister und Gesell maschinenmäßig verfertigen, und vermögen es später dann nicht höher damit zu bringen, weil ihnen, zum Bessern, Verstand und Wissen fehlen.

So lernte Jonas, was die Uebrigen kannten und konnten; Schnallen und Knöpfe gestalten, vergolden und versilbern; auch Messerhefte, Löffel und Haken, sogar Bleche für Patrontaschen und Mützen der Soldaten bereiten. Das war Alles. »Und das ist genug. um als Ehrenmann dein Brod zu verdienen,« sagte der Meister. Viel Anderes erlernte also der Knabe nicht; allenfalls noch Fluchen und Schwören von den Gesellen, wenn er nicht der Vaterslehren gedacht hätte; und abergläubiges Zeug, Traumdeutungen, Hexen-, Gespenster- und Kobolds-Geschichten, von der alten Magd, wenn nicht der Vater oft darüber gespottet hätte.

Als er einmal am Sonntag Abend von einem Spaziergang zurückkehrte und in die Stube trat, sah er sämmtliche Hausgenossen in tiefster Stille um ein häßliches Weib stehen. Es saß am Tisch bei einer dunkel brennenden Lampe, und schlug den Andern die Karten. Es war die bekannte Wahrsagerin zu Altenheim, die graue Natchen. Jonas erschrak vor dem ungewohnten Anblick und wollte sich furchtsam flüchten. Allein man hielt ihn zurück. Auch ihm sollte gewahrsagt werden.

Die Alte sah dem Burschen eine Weile starr ins ängstliche Gesicht; legte die Karten aus einander und sprach mit quäkender Stimme: »Vater- und mutterloses Ding, du bist im guten Zeichen geboren; wirst weit umherkommen; großes Ungemach erfahren; doch wird dich dein Stern begleiten. Zwei Freunde begleiten dich. Der Eine weiset dir den rechten Weg; der Andere ist sehr reich. Nach langer Noth wirst du Haus und Hof bekommen; aber auch Feinde. Die zwei Freunde können dir dann nichts nützen. Doch wird dein kleines Haus das große des Andern verschlingen.«

Die Prophezeiung fiel dem Knaben um so schwerer aufs Herz, je weniger Sinn darin lag. Die Gesellen hänselten und foppten ihn damit lange Zeit, weil er das Geschwätz der Kartenschlägerin zu glauben schien, und er glaubte wirklich um so steifer und fester daran, weil er sich einbildete, die zwei Freunde schon zu besitzen, deren die weise Frau gedachte.

Der Eine derselben war des reichen Goldschmieds Kürbis Sohn; ein Knabe, zwei Jahre älter, als er, dessen Bekanntschaft und Freundschaft er einst bei einer Prügelei gewonnen hatte. Weil Gideon Kürbis, so hieß der Bursch, angesehener Aeltern einziges Kind war, die ihn verhätschelt hatten, trug er die Nase hoch; wollte Alles besser verstehen; war grob, aber auch feige dazu. Weil er jedoch in Wirtshäusern und allerlei Lustparthien immer Geld genug zu verthun hatte, fehlte es ihm nicht an Kameraden, die sich Vieles von ihm gefallen ließen. Wenn es aber sein Maul zu arg trieb, bezahlten sie ihn mit Ohrfeigen und Schlägen.

Zufällig war Jonas eines Tages zu solcher Rauferei gekommen, da ihrer drei den jämmerlich schreienden Gideon fuchtelten. Jonas, seiner eignen Stärke und Geschmeidigkeit bewußt, eilte zur Rettung des Uebermannten; sprang, wie eine Katze, dem Stärksten der Schläger in den Rücken; riß ihn rücklings zu Boden, und trieb mit dessen Stecken die andern in die Flucht. Seitdem mußte er sonntäglich den feigen Gideon, vielleicht als Schutzwacht, auf allen Lustwegen begleiten. Das hochmüthige Muttersöhnchen gebrauchte ihn dabei, wie einen Bedienten; schulmeisterte ihn fleißig; that ihm aber mit Pasteten, Kuchen und Braten und dergleichen gütlich. Jonas ließ sich das behagen; so etwas gab's für ihn in Fenchels Hause nicht.

Der zweite von den besagten Freunden war der Krämer Wester, bei welchem Jonas bald Schnupftabak für die alte Magd, bald Käse für die Gesellen holen mußte. Es war ein freundlicher, treuherziger Mann, der den alten Thaddäus wohl gekannt hatte, welcher ihm ehemals beim Hausiren oft nützlich geworden war. Darum nahm er sich des verwaiseten Knaben, soviel er konnte, an; ließ ihn in jeder freiem Stunde zu sich kommen, und unterrichtete ihn sogar im Lesen, Schreiben und Rechnen. Da dachte Jonas: »Halt! das ist der, welcher dir den rechten Weg zeigt.« – Er hatte nicht ganz Unrecht. Der Krämer und seine Frau behandelten ihn fast, als wenn er ihr eigenes Kind wäre.

So verstrichen fünf Jahre. Dann erhielt er den Lehrbrief; ward in den Gesellenstand aufgenommen, und empfing damit zunftmäßig Recht und Pflicht, die Wanderschaft anzutreten. Dahin ging längst sein Sehnen. Schon ein paar Jahre vor ihm war auch Gideon Kürbis in die Fremde gegangen, oder vielmehr gefahren mit der Post.

Nun säumte er nicht, den Habersack zu packen, und aufzubrechen. Die blecherne Büchse des Vater Thaddäus aber nahm er wegen möglicher Reisegefahren nicht mit sich, sondern vertraute sie dem ehrlichen Krämer Wester an beim Abschiednehmen. Er hätte wohl auch zu seinem Meister Fenchel dasselbe Vertrauen gehabt. Allein der Mann hatte sich schon zu sehr dem Trunk ergeben; sein Gewerb und Hauswesen vernachlässigt und konnte kaum noch einen Gesellen mit Arbeit beschäftigen.

Das Scheiden von ihm war leicht; desto schwerer von seinem zehnjährigen Kinde, der kleinen Martha. Sie warf sich mit herzzerreißendem Jammer um den Hals des weinenden Jonas, und wollte und konnte ihn nicht loslassen. Sie verlor an ihm ihren Gespielen, ihren einzigen Freund im Hause.

»Ade! Ade!« rief Jonas: »Weine nicht, denn Gott ist unser! Leb' wohl, wir sehen uns in wenigen Jahren wieder.«


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