Emile Zola
Fruchtbarkeit
Emile Zola

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xxxMathieu vollendete das Studium seines großen Planes, Chantebled urbar zu machen, dieses mächtigen Werkes, das aus der endlich erweckten Erde eine überquellende Fruchtbarkeit hervorsprießen lassen sollte. Und er entschied sich, er faßte den Entschluß, den Versuch zu wagen, faßte ihn gegen alle Bedenken der Klugheit, mit schönem kühnem Mut, voll Zuversicht und Hoffnung.

Eines Morgens kündigte er Beauchêne an, daß er am Ende des Monats die Fabrik verlassen werde. Am Tage vorher hatte er mit Séguin eine lange Unterredung gehabt und sich vergewissert, daß dieser ihm gerne den ehemaligen Jagdpavillon und etwa zwanzig Hektar der Umgebung zu sehr bequemen Bedingungen überlassen würde. Wie er zu wissen glaubte, befand sich Séguin in ziemlich ungeordneten Vermögensverhältnissen; er hatte, wie man sagte, bedeutende Summen im Spiel verloren, hielt sich kostspielige Maitressen und führte in jedem Betracht ein Leben der Selbstzerrüttung, seitdem seine Ehe eine unglückliche geworden war; und er beklagte sich immer mehr über den zweifelhaften Ertrag, den ihm der riesige unkultivierte Besitz Chantebled brachte, der lediglich an Jagdgesellschaften verpachtet werden konnte. Er dachte fortwährend daran, ihn zu verkaufen; aber an wen, wo einen Käufer finden für dieses Sumpfland, diese Heiden, diese Buschflächen? Er war daher hocherfreut über den Vorschlag Mathieus, der ihm die Aussicht bot, daß er sich des ganzen Besitzes würde entledigen können, wenn das Experiment gelang. Sie besprachen die Sache in wiederholten Zusammenkünften, und er willigte gerne in den Verkauf ohne Barzahlung, in Annuitäten, deren erste sogar nicht vor zwei Jahren erlegt werden sollte. Sie vereinbarten endlich eine abschließende Besprechung, um die letzten Einzelheiten vor Abfassung des Vertrages festzustellen. Und eines Montags gegen zehn Uhr begab sich Mathieu in das Palais in der Avenue d'Antin, um die Sache zum Abschluß zu bringen.

An diesem selben Morgen empfing Céleste gegen acht Uhr in der Wäschekammer, wo sie sich gewöhnlich aufhielt, den Besuch der Madame Menoux, der kleinen Krämerin der Nachbarschaft, deren Entbindung Madame Séguin, die damals schwanger und furchterfüllt gewesen, so stark interessiert hatte. Die Krämerin konnte ihren kleinen Laden nur zu sehr früher Stunde so auf einige Augenblicke verlassen, indem sie ihn der Obhut des Töchterchens ihrer Hausmeisterleute ließ. Sie wartete, bis ihr Mann, ein ausgedienter Soldat, ein schöner Mann, den sie vergötterte, sich nach dem Museum auf den Weg gemacht hatte, wo er als Wächter angestellt war; dann beeilte sie sich, ihre kleinen Wege zu besorgen, und ging rasch wieder heim, um in dem finsteren, kleinen Laden, wo das Ehepaar kaum Platz hatte, sich zu bewegen, die wenigen Sous zu verdienen, die zum Gehalte des Mannes hinzugefügt, sie beinahe reich machten. Ihre nachbarlichen Beziehungen zu Céleste waren noch enger geworden, seitdem die Couteau ihr Kind, den kleinen Pierre, nach Rougemont mitgenommen hatte, um ihn dort, zu den billigsten Bedingungen, die man sich denken konnte, für dreißig Franken monatlich, in Pflege zu geben. Die Couteau hatte sich gefälligerweise sogar erboten, jeden Monat gelegentlich einer ihrer Reisen vorzusprechen, um das Geld in Empfang zu nehmen, wodurch die Krämerin der lästigen Aufgabe enthoben war, es durch die Post zu senden, und obendrein Gelegenheit bekam, neueste Nachrichten über ihren Kleinen zu hören. Wenn daher die Zeit da war, und die Couteau sich auch nur um einen Tag verspätete, wurde Madame Menoux von Schrecken erfaßt, und lief eiligst zu Céleste, im übrigen stets erfreut, eine Gelegenheit zu haben, ein wenig mit diesem Mädchen zu plaudern, die aus der Gegend stammte, wo ihr Pierre sich befand.

»Sie entschuldigen mich, nicht wahr, daß ich Sie so früh störe? Sie sagten mir, daß Ihre Herrin Sie nie vor neun Uhr braucht. Wissen Sie, ich komme, weil ich keine Nachrichten von dort habe. So dachte ich, daß Ihnen vielleicht jemand von Hause geschrieben hat.«

Madame Menoux, die Tochter eines armen Angestellten, war klein, mager und blond, mit einem schmalen, blassen Gesichte von melancholischem Reize. Daher stammte wohl ihre leidenschaftliche Liebe zu ihrem Mann, der sie zwischen zwei Fingern hätte zerquetschen können. Mit unvergleichlicher Zähigkeit und unerschütterlichem Mut rieb sie sich beinahe vor Arbeit auf, damit er seinen Kaffee und seinen Kognak nach jeder Mahlzeit habe.

»Ach, es kommt mir doch hart an, daß unser kleiner Pierre so weit fort ist. Ich sehe schon meinen Mann den ganzen Tag nicht, und jetzt habe ich ein Kind, das ich gar nicht sehe! Aber leider muß man leben. Wie hätte ich ihn behalten können in diesem Loch von einem Laden, wo ich obendrein vom Morgen bis zum Abend keine Minute für mich habe? Trotzdem weine ich noch immer darüber, daß ich ihn nicht selbst habe stillen können, und wenn mein Mann nach Hause kommt, so reden wir von nichts als von ihm, wie die rechten Narren. – Sie sagen also, daß Rougemont in einer sehr gesunden Gegend liegt, und daß es da nie bösartige Krankheiten gibt?«

Aber sie wurde durch den Eintritt einer andern Besucherin unterbrochen, bei deren Anblick sie einen Freudenruf ausstieß.

»Ah, Madame Couteau, wie froh bin ich, Sie zu sehen, und wie gut, daß ich den Einfall gehabt habe, hierher zu kommen!«

Inmitten dieser und ähnlicher Ausrufe freudiger Ueberraschung erklärte die Couteau, daß sie mit dem Nachtzuge mit einer ganzen Schar Ammen gekommen sei, und daß sie sich, sobald sie diese im Bureau in der Rue Roquépine, abgeliefert hatte, sogleich zu ihren Besorgungen auf den Weg gemacht habe.

»Nachdem ich Céleste rasch im Vorübergehen guten Morgen gewünscht, wollte ich zu Ihnen kommen, Madame. Aber da ich Sie hier treffe, so können wir unsre Monatsverrechnung gleich hier erledigen, wenn Sie wollen.«

Madame Menoux sah sie ängstlich forschend an. »Und wie geht es meinem kleinen Pierre?«

»Nicht schlecht, nicht schlecht. Wissen Sie, er ist nicht gerade sehr stark, man kann nicht sagen, daß es ein kräftiges Kind ist. Aber er ist so lieb, so reizend mit seinem etwas blassen Gesichtchen. Gewiß, es gibt stärkere Kinder, aber es gibt auch schwächere.«

Sie sprach langsam und suchte nach Worten, um die Mutter zu beunruhigen, ohne sie gleichwohl in Verzweiflung zu stürzen. Es war das ihre gewöhnliche Taktik, um die Frauen, mit denen sie es zu tun hatte, zu betrüben, und dann der mütterlichen Angst so viel Geld zu erpressen, wie sie konnte. Dieses Mal sah sie offenbar, daß sie so weit gehen konnte, eine leichte Krankheit des Kindes zu erfinden.

»Freilich muß ich Ihnen sagen, denn, wissen Sie, ich kann nicht lügen, und schließlich ist es ja auch meine Pflicht – nun ja, er war ein bißchen krank, der liebe Schatz, und ist noch immer nicht ganz wohl.«

Ganz blaß geworden, legte Madame Menoux ihre kleinen, zarten Hände aneinander.

»Mein Gott, er wird sterben!«

»Aber nein, aber nein, ich sage Ihnen ja, daß es ihm besser geht. Ah, an Pflege fehlt es ihm nicht, man muß nur sehen, wie die Loiseau ihn hätschelt! Wenn die Kinder hübsch sind, so gewinnen sie alle Herzen mit Leichtigkeit! Und das ganze Haus richtet sich nach ihm, man scheut keine Auslagen. Der Arzt ist zweimal gekommen, man hat sogar Arzneien machen lassen müssen. Aber das kostet Geld.«

Das Wort fiel wie ein Keulenschlag. Dann fuhr sie fort, ohne der erschrockenen, zitternden Mutter Zeit zu lassen, sich zu erholen: »Wollen wir abrechnen, Madame Menoux?«

Die Krämerin, die die Absicht gehabt hatte, vor ihrer Rückkehr noch eine Zahlung zu leisten, war ganz glücklich, daß sie Geld bei sich hatte. Man suchte ein Stück Papier, um die Rechnung darauf zu machen. Vorerst also das Kostgeld für einen Monat, dreißig Franken; dann die zwei Besuche des Arztes, sechs Franken; und mit den Arzneien machte es gerade zehn Franken.

»Ja, ich wollte Ihnen noch sagen, er hat so viel Wäsche schmutzig gemacht, wie er krank war, daß Sie wohl noch drei Franken für Seife hinzufügen könnten. Das wäre nur billig, abgesehen davon, daß noch andre kleine Ausgaben notwendig waren. Eier, Zucker, und andres, so daß ich an Ihrer Stelle, um eine gute Mutter zu sein, fünf Franken sagen würde. Fünfundvierzig Franken im ganzen, ist es so recht?«

Trotz ihrer geängstigten Seele fühlte die Krämerin, daß man sie betrüge, daß man auf ihre Qual spekuliere. Sie war mit erstaunter und empörter Gebärde aufgefahren, als sie hörte, daß sie so viel Geld hergeben sollte, dieses Geld, das zu gewinnen sie sich so schwer plagen mußte. Wie viel Nadeln und Zwirn mußte sie verkaufen, bis sie eine solche Summe verdiente! Und der ratlose Widerstreit in ihr zwischen ihrer ängstlichen Sparsamkeit und ihrer mütterlichen Furcht hätte das härteste Herz gerührt.

»Aber das macht ja gleich einen halben Monat mehr!«

Sogleich wurde die Couteau kalt.

»Was wollen Sie, ich kann ja nichts dafür. Man kann es doch nicht sterben lassen, Ihr Kind. Das werden Sie doch hoffentlich nicht haben wollen. Also muß man wohl die nötigen Ausgaben machen. Und wenn Sie vielleicht kein Vertrauen mehr zu mir haben, sagen Sie es nur: Sie können Ihr Geld ja direkt hinschicken und sich überzeugen; für mich wäre es eine große Erleichterung, denn mit all diesen Sachen verliere ich nur meine Zeit und meine Mühe, weil ich immer die Dummheit begehe, zu gut zu sein.«

Madame Menoux gab eingeschüchtert und besiegt nach, als eine neue Schwierigkeit sich herausstellte. Sie hatte nur Gold bei sich, zwei Stücke zu zwanzig Franken und eines zu zehn. Die drei Goldmünzen glänzten auf dem Tische. Die Couteau betrachtete sie mit gierigem, unverwandtem Blicke.

»Ich kann Ihnen die fünf Franken nicht zurückgeben, ich habe keinen Sou Silber bei mir. Hast du vielleicht fünf Franken, die du mir leihen könntest, Céleste?«

Sie hatte sich bewogen gefühlt, die Frage zu stellen, aber in einem Ton, und mit einem Blicke, daß die andre begriff.

»Ich habe keinen Sou bei mir.«

Ein langes Schweigen folgte. Dann fügte sich Madame Menoux mit schwerem Herzen und mit verzweifelter Resignation ins Unvermeidliche. »Behalten Sie die fünf Franken für sich, Madame Couteau, da Sie sich so viel Mühe geben. Und wollte Gott, daß mir all dieses Geld wenigstens Glück bringt, und daß mein Pierre ein großer und schöner Mann wird wie sein Vater.«

»Ah, was das betrifft, dafür stehe ich Ihnen gut!« rief die Couteau begeistert. »Diese kleinen Krankheiten schaden nichts, im Gegenteil! Ich bekomme ja genug kleine Kinder unter die Augen, und erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen vorhergesagt habe: der Ihrige wird was ganz Besonderes. Ich habe noch kein vielversprechenderes Kind gesehen.«

Als die Krämerin sich verabschiedete, hatte die Couteau sie mit solchen Schmeicheleien, mit solchen Versprechungen überhäuft, daß sie ganz leicht und freudig fortging, ihr Geld nicht mehr bedauerte und von dem Tage träumte, da ihr Pierre mit vollen Wangen und stark wie eine Eiche wiederkehren würde.

Sowie sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, lachte Céleste laut auf: »Der hast du aber Geschichten erzählt! Ich möchte wetten, daß ihr Pierre nicht einmal einen Schnupfen gehabt hat.«

Die Couteau nahm zuerst eine würdevolle Miene an. »Sage gleich, daß ich eine Lügnerin bin! Das Kind ist nicht wohl, sage ich dir.«

Die Heiterkeit der Zofe verdoppelte sich. »Nein, wie du komisch bist, daß du dir vor mir ein solches Ansehen gibst! Als ob ich dich nicht genau kennte, als ob ich dir nicht von der Nasenspitze lesen würde, was du dir denkst!«

»Das Kind ist sehr schwächlich,« sagte die Couteau viel weniger zuversichtlich.

»O ja, das glaube ich. Trotzdem möchte ich die Rezepte des Arztes sehen, und die Seife, und den Zucker! Mir für meinen Teil ist das ja ganz gleich. Diese kleine Madame Menoux, guten Morgen, guten Abend, und damit fertig. Sie hat ihre Geschäfte, ich habe meine. Es ist so wie mit dir, du hast deine Geschäfte, und um so besser, wenn du aus ihnen so viel herausschlägst als du kannst.«

Die Couteau änderte das Gespräch, indem sie sie fragte, ob sie nicht etwas zu trinken habe, denn diese Nachtreisen brächten ihr den Magen ganz in Unordnung. Lachend zog Céleste aus der unteren Lade eines Schlankes eine angebrochene Flasche Malaga und eine Schachtel mit Biskuit hervor. Das war ihr Versteck, wo sie ihre gestohlenen Vorräte aufbewahrte. Als ihre Freundin ihrer Furcht Ausdruck gab, daß ihre Herrin sie vielleicht überraschen könnte, zuckte sie geringschätzig die Achseln. Ah freilich, die! Die hatte noch die Nase in ihren Fläschchen und Töpfchen, die Gnädige! Er war keine Gefahr, daß sie sie rufe, ehe sie nicht eine Menge widerlicher Prozeduren vorgenommen habe, um schön zu bleiben.

»Es ist niemand zu fürchten, als die Kinder, ihr Gaston und ihre Lucie: die Fratzen hat man stets auf dem Genick, weil die Eltern sie sich selbst überlassen, weshalb sie von morgens bis abends hierher oder in die Küche kommen, um zu spielen. Dabei getraue ich mir nicht, die Tür zu schließen, aus Furcht, daß sie dann mit Händen und Füßen daran trommeln.«

Nachdem sie vorsichtig einen Blick in den Flur geworfen hatten, setzten sich beide zu Tisch, und, bald warm geworden, fingen sie an, frei von der Leber weg zu reden und mit ruhiger Unverschämtheit die gemeine Wahrheit auszukramen. Céleste fragte, während sie ihren Malaga in kleinen Schlücken trank, was es zu Hause Neues gebe, und die Couteau log nicht länger und erzählte zwischen zwei Biskuits die brutalen Tatsachen. Vierzehn Tage nach seiner Ankunft in Rougemont war bei den Vimeux das letzte Kind der Zofe gestorben, das, aus welchem die zu spät zu Rate gezogene Rouche keinen Totgeborenen hatte machen können; und die Vimeux, die ein wenig verwandt mit ihr waren, sandten ihr ihre Grüße und ließen ihr zugleich auch mitteilen, daß sie demnächst ihre Tochter verheirateten. Bei der Gavette war der Alte, der die Kinder wartete, während die Familie auf dem Felde arbeitete, mit einem Kinde auf dem Arm ins Feuer gefallen; aber man hatte sie noch rechtzeitig herausgezogen, und es war nur das Kleine ein bißchen verbrannt. Die Cauchois fürchtete Unannehmlichkeiten zu haben, weil sie, was ihr sonst nicht so unwillkommen war, infolge eines in der Nacht aus Versehen offen gelassenen Fensters gleich vier auf einmal verloren hatte: alle vier kleine Pariser, zwei aus dem Findelhaus und zwei von Madame Bourdieu. Seit dem Anfang dieses Jahres sei es ein eignes Verhängnis; soviel Ankömmlinge, soviel Begrabene beinahe. So daß der Bürgermeister schon gesagt habe, wenn das so fortgehe, werde die Gemeinde in schlechten Ruf kommen. Sie sei überzeugt, daß die Couillard früher oder später den Besuch der Gendarmen bekommen werde, wenn sie nicht klug genug sei, wenigstens eines von Zeit zu Zeit am Leben zu lassen.

»Ach, diese Couillard! Denke dir nur, ich habe ihr neulich eines gebracht, ein wahrer Engel, das Kleine eines Fräuleins, die ihr Papa, glaube ich, ein bißchen zu sehr liebkost hat. Vierhundert Franken für das Aufziehen bis zur ersten Kommunion. Es hat fünf Tage gelebt. Das ist doch wahrlich etwas zu wenig. Ich habe wirklich einen Zorn gekriegt, und habe die Couillard gefragt, ob sie mich um meine Ehre bringen will! – Was mich noch ins Unglück stürzen wird, das ist mein gutes Herz. Ich kann nicht widerstehen, wenn man einen Dienst von mir verlangt. Und Gott weiß, wie ich die Kinder liebhabe; ich habe mich ja Zeit meines Lebens nur mit ihnen befaßt. Daher, wenn du zum Beispiel noch eins hättest –«

»Ah nein, ich danke!« rief Celeste auffahrend. »Ich habe mich zweimal drankriegen lassen, jetzt treffe ich meine Vorsichtsmaßregeln zu gut, als daß es mir noch einmal passieren sollte!«

»Ich nehme es ja nur zum Beispiel. Wenn du also noch eines, hättest, würde ich dir sagen: Liebe Freundin, geben wir es nicht zu der Couillard, man soll den lieben Gott nicht versuchen. Wir find doch schließlich anständige Frauen, nicht wahr, und ich wasche meine Hände, denn ich führe sie wohl zu, die kleinen Engel, aber ich verpflege sie nicht. Wenn man ein reines Gewissen hat, kann man ruhig schlafen.«

»Natürlich,« bestätigte Celeste mit tiefer Ueberzeugung.

Und während sie, ihren Malaga schlürfend, so bieder sprachen, erhob sich das rote Gespenst des entsetzlichen Rougemont mit seinem von Pariser Kindern bedeckten Friedhofe, das schmutzige und bluttriefende Dorf, die tückische Mördergrube, deren Kirchturm friedlich gegen den Horizont der weiten Ebene aufragte.

Aus dem Korridor ertönte jetzt das Geräusch laufender Kinderfüße, und die Zofe eilte an die Tür, um Gaston und Lucie, die herbeikamen, fortzufchicken.

»Packt euch fort, ich brauche euch hier nicht, eure Mama hat euch verboten, hierherzukommen!«

Wütend kam sie wieder herein. »Es ist ja wahr! Ich kann nichts tun oder sagen, ohne daß ich sie an mir hängen hätte. Sie sollen ein wenig bei der Amme bleiben!«

»Apropos,« sagte die Couteau, »hast du gehört, daß das Kind der Marie Lebleu auch gestorben ist? Man hat es ihr wohl geschrieben. Ein so schönes Kind! Es scheint das so jetzt in der Luft zu liegen! Und dann, Ammenkind, Opferkind.«

»Ja, sie hat mir gesagt, daß man es ihr geschrieben hat. Aber sie hat mich gebeten, es der Gnädigen nicht zu erzählen, weil das immer einen schlechten Eindruck macht. Sie selbst macht sich natürlich nichts daraus, da sie nun einmal ihre Milch hat. Die Strafe dabei ist, daß, wenn ihr Kind gestorben ist, es dem Kinde der Gnädigen nicht am besten geht.«

Die Zuführerin horchte auf.

»Ah! Es geht also nicht am besten?«

»Freilich nicht. Es liegt nicht an der Milch, denn sie hat sie im Ueberfluß, und noch dazu sehr gute. Aber noch nie hat es eine so bösartige Person gegeben; sie ist immer in Wut, ist frech und brutal, schlägt die Türen zu, droht alles zu zerschlagen, wenn man sie nur im geringsten reizt. Und dann trinkt sie wirklich auf eine abscheuliche Weise, wie eine Frau nicht trinken sollte.« Die blassen Augen der Couteau erhellten sich allmählich vor Freude, und sie nickte lebhaft mit dem Kopfe, um zu sagen, daß sie das längst wußte, daß sie das alles vorhergesehen habe. In diesem Winkel der Normandie, in Rougemont, tranken alle Frauen mehr oder weniger, die Mädchen nahmen auf dem Grunde ihres Eßkörbchens ein Fläschchen Branntwein mit in die Schule. Aber Marie Lebleu gehörte zu denen, die man unterm Tische auflesen mußte, und man konnte sagen, daß sie während ihrer letzten Schwangerschaft nicht nüchtern geworden war. Dies war freilich nicht die Art, wie man kräftige Mütter oder gesunde Kinder erhält.

»Meine Liebe, die kenne ich, die ist geradezu unmöglich. Aber der Arzt, der sie ausgewählt hat, der hat mich nicht einmal um meine Meinung gefragt, nicht wahr? Und übrigens geht mich das nichts an, ich führe sie zu, ich nehme das Kind wieder mit, und damit Gott befohlen, die Stadtleute sollen dann sehen, wie sie fertig werden.«

Celeste brach in lautes Lachen aus. »Nein, du hast keine Idee von dem Höllentanz, den sie hier aufführt. Sie schlägt sich mit aller Welt herum, dem Kutscher hat sie eine Wasserflasche an den Kopf geworfen, im Zimmer der Gnädigen hat sie eine Vase zerbrochen, und alle zittern vor ihr und sind in beständiger Furcht vor irgendeiner Bosheit. Und wenn du sehen würdest, was sie alles anstellt, um zu trinken, denn man hat bemerkt, daß sie trinkt, und hat alle Getränke verschlossen. Weißt du nun, was sie tut? Letzte Woche hat sie eine ganze Flasche Melissenwasser ausgetrunken und ist schrecklich krank darauf geworden. Ein andres Mal hat man sie dabei ertappt, wie sie das Kölner Wasser aus einer der Flaschen des Toilettentisches getrunken hat. Jetzt tut sie sich, wie ich glaube, an dem Weingeist gütlich, den man ihr für die Spirituslampe gegeben hat. Es ist zum Totlachen. Ich unterhalte mich köstlich dabei, wie ich das alles so still mit ansehe!«

Sie schlug in die Hände, sie lachte bis zu Tränen über diese Unannehmlichkeiten, die ihrer Herrschaft das Leben verbitterten; und auch die Couteau empfand beim Anhören dieser Geschichten einen unwiderstehlichen Kitzel und erging sich in einem Ausbruch unmäßiger Heiterkeit. Plötzlich war sie wieder ruhig.

»Hör einmal, man wird sie also fortjagen?« »Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern. Wenn sie es gewagt hätten, hätten sie es schon getan.«

Eine Klingel ertönte. Celeste stieß einen Fluch aus. »Na also, das ist die Gnädige, die mich ruft, das ich sie frottiere. Man kann doch nicht eine Minute Ruhe haben!«

Aber die Couteau hatte sich bereits erhoben, und bereitete sich zum Gehen, ernsthaft, wieder ganz Geschäftsfrau.

»Nein, nein. Kleine, tu du nur deinen Dienst. Ich habe eine Idee. Ich eile und hole eine der Ammen, die ich heute mitgebracht habe, ein Mädchen, für die ich einstehe, wie für mich selber. In einer Stunde bin ich mit ihr wieder da, und du bekommst ein Geschenk, wenn du mir hilfst, sie hier unterzubringen.«

Sie verschwand, während die Zofe, ehe sie einem zweiten Ruf der Klingel folgte, ohne sich zu beeilen, den Malaga und die Biskuits wieder in die untere Schublade des Schrankes versorgte.

Gegen zehn Uhr wollte Seguin heute seine Frau und ihren gemeinschaftlichen Freund Santerre nach Mantes führen, um dort ein elektrisches Automobil zu versuchen, das er zu einem hohen Preise bestellt hatte. Er hatte eine Leidenschaft für diesen allerneuesten Sport der großen Schnelligkeiten gefaßt, weniger aus Geschmack an der Sache selbst, als von dem Wunsche getrieben, stets in der ersten Reihe derer zu sein, die sich über Hals und Kopf in eine neue Mode stürzen. Eine Viertelstunde vor der bestimmten Zeit befand er sich auch bereits in dem weiten, mit Kostbarkeiten, angefüllten Raume, der sein Arbeitszimmer hieß, gekleidet in ein nach seinen Angaben verfertigtes entsprechendes Kostüm, bestehend aus Joppe und Beinkleid aus grünlichem, gerippten Samt, gelben Schuhen und einer Ledermütze. Und er neckte Santerre, als dieser in Promenadekleidung erschien, einem hellgrauen Anzüge von zartester Färbung.

Unmittelbar nach der Genesung Valentinens war Santerre wieder der Genosse und Intimus des Hauses geworden. Nichts stand hier mehr dem Vergnügen im Wege, er wurde nicht mehr abgestoßen von dem Anblick einer durch die Schwangerschaft entstellten Frau, und er konnte daher den unterbrochenen angenehmen Roman wieder aufnehmen, diesmal seines Sieges sicher. Valentine ihrerseits, von ihrer entsetzlichen Todesfurcht befreit, einer Mutterschaft ledig, die ihr die grausamste aller Katastrophen geschienen hatte, fühlte sich nun unsagbar erleichtert, hatte nur den einen Wunsch, die verlorene Zeit wieder hereinzubringen, indem sie sich wie toll in Lustbarkeiten aller Art, in den wilden Trubel des eleganten Lebens stürzte. Wieder zierlich und hübsch, wieder im Besitz ihrer etwas mageren knabenhaften Jugendlichkeit, empfand sie mehr als je das Bedürfnis nach fortwährender Betäubung und wurde von der Konsequenz der Tatsachen immer mehr dazu getrieben, die Kinder der Fürsorge der Dienstboten anheimzugeben, ihr Haus immer häufiger allein zu lassen, um den Einfällen ihrer wechselnden Launen nachzujagen; besonders da ihr Mann es ihr gleichtat, der von Zeit zu Zeit von plötzlichen tobenden Eifersuchtsanfällen ergriffen wurde, deren Wut ohne Ursache, ohne Anzeichen, in widersinnigster Weise hervorbrach. Das Haus war nun vollständig verwüstet, die Familie zerstört, von der letzten Katastrophe bedroht, und Santerre hatte sich behaglich eingenistet, half den Untergang beschleunigen und fuhr fort, mit dem Manne Debatten über pessimistische Philosophie und Literatur auszufechten, während er darauf lauerte, daß ihm die Frau in die Arme falle.

Er stieß einen Ruf des Entzückens aus, als Valentine endlich in einer reizenden Fahrtoilette erschien, ein sportmäßiges Barett auf dem Kopfe. Sie bat nach der Begrüßung die Herren, sie einen Augenblick zu entschuldigen, sie werde sogleich wieder da sein, sie wolle nur nach ihrer kleinen Andrée sehen und der Amme noch die letzten Anordnungen geben, worauf ihr Gatte ihr zurief:

»Beeile dich doch! Du bist unausstehlich, daß du nie fertig wirst!«

In diesem Augenblicke ließ Mathieu sich anmelden, und Séguin empfing ihn gleichwohl, um ihm sein Bedauern auszudrücken, daß er heute nicht in der Lage sei, eine eingehende Unterredung mit ihm zu pflegen. Er nahm jedoch, ehe er eine nächste Zusammenkunft bestimmte, Kenntnis von einer neuen Bedingung, die Mathieu in den Kaufsvertrag aufgenommen haben wollte, nämlich die, daß ihm das ausschließliche Recht gewahrt bleibe, später unter gewissen Bedingungen und zu bestimmten Terminen stückweise den ganzen Besitz zu erwerben. Er versprach ihm, diesen Vorschlag in sorgfältige Erwägung zu ziehen, als ein plötzlich ausbrechender Tumult ihn unterbrach. Schreie tönten herüber, wüstes Poltern, das Geräusch heftig zuschlagender Türen. »Was ist denn das?« murmelte er, sich gegen die erbebenden Wände kehrend.

Die Tür wurde aufgestoßen, und herein eilte Valentine, außer sich, ganz rot vor Furcht und Zorn, in den Armen ihre kleine Andrée, die laut schrie und sich sträubte.

«Ja, ja, mein Herzchen, weine nicht, sie tut dir nichts mehr. Da, da, sei still, es geschieht dir nichts!«

Sie legte das Kind in einen großen Fauteuil, wo es sogleich still wurde. Es war ein entzückendes Kind, aber so schwächlich bei seinen nun bald vier Monaten, daß sein blasses Gesichtchen fast nur aus den großen, schönen Augen bestand.

»Na, was gibt es denn?« fragte Séguin erstaunt.

»Es gibt, mein Lieber, daß ich Marie betrunken wie ein Lastträger quer über der Wiege liegend gefunden habe, und zwar so unglücklich, daß sie dem Kind die Luft benahm. Einige Minuten später, und alles wäre vorüber gewesen. Betrunken um zehn Uhr morgens, begreift man das? Ich habe wohl bemerkt, daß sie trank, und habe daher alle geistigen Getränke verschlossen, in der Hoffnung, sie doch zu behalten, denn ihre Milch ist vortrefflich. Wissen Sie, was sie getrunken hat? Den Spiritus zum Kochen; die leere Flasche lag neben ihr.«

»Was sagte sie denn?«

»Sie hat mich ganz einfach schlagen wollen. Als ich sie aufrüttelte, warf sie sich tolltrunken aus mich und beschimpfte mich. Ich hatte gerade noch Zeit, mich mit dem Kinde zu retten, worauf sie sich in dem Zimmer verbarrikadierte, wo sie nun alle Möbel demoliert. Horch einmal!«

In der Tat drang durch die Mauern der entfernte Lärm gewaltsamer Zerstörung herüber. Alle sahen einander an, und es entstand eine lange Stille der Furcht und der Verlegenheit.

»Also?« fragte Séguin endlich schneidend.

»Also, mein Lieber, was willst du, daß ich dir sage? Dieses Weib ist ein wildes Tier, und ich kann ihr nun unmöglich mehr Andrée überlassen, da sie sie uns umbringen würde. Ich habe das Kind mitgenommen und werde es ihr natürlich nicht mehr in die Hand geben. Ich gestehe dir, daß ich selbst mich nicht in ihr Zimmer wagen würde. Du wirst sie fortjagen müssen, nachdem du sie abgelohnt hast.«

»Ich, ich!« rief er aus. Er fing an, heftig auf und ab zu gehen, eine sich steigernde Wut arbeitete in ihm, und er brach los: »Jetzt habe ich aber alle diese alberne Geschichten endlich satt! Mit deiner Schwangerschaft, deiner Niederkunft, und jetzt mit deinen Ammen ist das Haus unerträglich geworden, man hat ja bald von morgens bis abends nichts andres zu tun als sich herumzuschlagen! Zuerst hat man behauptet, daß die erste, die, welche ich mir die Mühe genommen habe, auszuwählen, keine gute Milch habe. Jetzt ist eine zweite da, die angeblich gute Milch hat, die sich aber betrinkt und das Kind erstickt. Nun wird eine dritte daran kommen, irgendeine andre Nichtsnutzige, die uns vollends zu Tode ärgern und aufessen wird. Nein, das ist zu viel, ich habe es satt!«

Valentine war ruhig geworden und bot ihm die Stirn.

»Was? Was hast du satt? Das hat ja keinen Sinn. Wir haben ein Kind, so müssen wir wohl eine Amme haben. Du selbst hättest es als einen Unsinn bezeichnet, wenn ich sie hätte selber stillen wollen. Wenn du mich den ganzen Tag mit dem Kinde auf dem Arm sähest, so würdest du das Haus wirklich unbewohnbar finden. Und dann will ich nicht selber stillen, und ich kann nicht. Wie du sagst, wir werden eine dritte Amme nehmen, das ist ganz einfach, und zwar sofort, aufs Geratewohl.«

Er war plötzlich vor Andrée stehengeblieben, die, in Furcht versetzt durch diesen großen Schatten, zu schreien anfing. Vielleicht sah er sie nicht, in der Blutwelle, womit die Wut seine Augen verdunkelte, ebensowenig wie er Gaston und Lucie sah, die infolge des Lärms herbeigelaufen waren und nun von Furcht und Neugierde an der Tür festgebannt wurden; und da niemand daran dachte, sie fortzuschicken, blieben sie da und sahen und hörten alles mit an.

»Der Wagen wartet unten,« sagte Séguin in einem Tone, den er sich bemühte, ruhig erscheinen zu lassen. »Beeile dich, gehen wir.«

Valentine sah ihn verständnislos an.

»Sei doch vernünftig. Wie kann ich denn das Kind verlassen, da ich niemand habe, dem ich es anvertrauen kann?«

»Der Wagen wartet unten,« wiederholte er, vor unterdrückter Wut zitternd, »gehen wir.«

Und da seine Frau sich diesmal darauf beschränkte, die Achseln zu zucken, wurde er toll, brach einer jener Anfälle von plötzlicher Raserei bei ihm aus, in denen er sich in den niedrigsten Beschimpfungen erging, auch selbst wenn Leute da waren, und wobei er dann die vergiftete Wunde bloßlegte, an der er litt, jene sinnlose Eifersucht, die aus der ehelichen Unterschlagung entstanden war, der ersten Ursache alles seines Unglücks. Dieses weinende Kind, er hätte es zermalmen mögen, dieses arme, gebrechliche Geschöpf, das an allem schuld war, das nun auch heute seine geplante Spazierfahrt zu vereiteln drohte, deren Verwirklichung ihm nun von alles überragendem Interesse schien. Und um so besser, wenn sein Freund und noch ein andrer zugegen waren und alles mitanhörten.

»Ah, du willst also nicht kommen? Was kümmert mich denn deine Tochter? Ist sie denn von mir? Du kannst dir wohl denken, daß, wenn ich mir sie gefallen lasse, dies nur um des Friedens willen geschieht. Aber was ich weiß, das weiß ich, nicht wahr? Und du weißt es auch, da niemand außer uns es wissen kann. Ja, darüber komme ich nicht hinweg, ich erinnere mich an alle Einzelheiten, und gelange immer wieder zu der Überzeugung, daß sie nicht von mir ist. Du bist eine Dirne, und das Kind ist ein Bastard; und ich wäre wirklich zu albern, wenn ich mir um eines Kindes willen Zwang auferlegen würde, das was weiß ich in welchem Hotel garni gezeugt wurde. Ihr beiden werdet nicht eher zufrieden sein, als bis ihr mich ganz aus dem Hause gejagt habt! Du willst nicht kommen, wie? Guten Morgen, ich fahre also allein!«

Und Séguin stürmte hinaus, ohne ein Wort an Santerre, der stumm geblieben war, ohne selbst Mathieus zu gedenken, der noch auf Antwort wartete. Dieser letztere hatte, bestürzt durch alles das, was man ihn wider Willen anhören ließ, nicht gewagt, sich zurückzuziehen, aus Furcht, daß das so aussehen könnte, als wollte er ein Urteil über die Szene abgeben. Er wendete den Kopf ab, betrachtete die kleine Andrée, die noch immer weinte, sah auf die beiden andern, Gaston und Lucie, die stumm vor Entsetzen sich hinter dem Fauteuil zusammendrängten, auf welchem ihre kleine Schwester wimmerte.

Valentine war in einen Sessel gesunken, an allen Gliedern zitternd, von Schluchzen erstickt.

»Ah, wie er mich mißhandelt, der Elende! Und ich wäre beinahe gestorben; ich habe so viel gelitten, ich leide noch so viel durch dieses unglückliche Kind, das von ihm ist, ich schwöre es vor Gott! Nein, nein, es ist für immer vorbei, nie mehr soll er mich berühren, auch nicht mit einer Fingerspitze! Lieber will ich mich töten, ja, töten, als mich wieder der Gefahr einer solchen Herabwürdigung aussetzen!«

Es war der unter Tränen hervorgestammelte Aufschrei einer von ihrem Gatten brutal mißhandelten Frau, die unter den Qualen einer verwünschten Mutterschaft verzweifelt, und entschlossen ist, fortan die Freude zu nehmen, wo sie sie findet, da ihr häusliches Leben für immer zerstört ist.

Santerre hatte sich bisher seitwärts gehalten, als ob er wartete. Er näherte sich ihr jetzt langsam, nahm ihre Hand mit einer Gebärde zärtlichen Mitgefühls und sagte leise!

»Beruhigen Sie sich, liebe Freundin, beruhigen Sie sich doch! Sie wissen wohl, daß Sie nicht allein sind, daß nicht alles Sie verläßt. Es gibt Dinge, die Sie nicht berühren können. Beruhigen Sie sich, weinen Sie nicht mehr, ich bitte Sie inständig. Sie zerreißen mir das Herz!«

Er zeigte sich um so sanfter und liebevoller, je roher der Gatte gewesen war, denn er wußte, welch köstlicher Balsam für das Herz einer mißhandelten Frau die Zärtlichkeit ist. Seine erobernde Hand war bis zu dem zarten Handgelenk hinaufgeglitten, das ihm überlassen blieb, und seine Schnurrbartspitzen streiften die kurzen, gekräuselten Haare ihrer Schläfen. Er neigte sich weiter vor, dämpfte die Stimme noch mehr, umhüllte sie, besänftigte sie mit leise geflüsterten Worten, von denen nur einige hörbar waren.

»Sie haben unrecht, sich so zu kränken ... Vergessen Sie doch all diese Torheiten ... Ich sagte Ihnen ja schon, er ist nichts als ein ungeschickter Mensch ...«

Zweimal wiederholte er das »ungeschickter Mensch« mit einer Art mitleidigen Spottes; sie schien zu verstehen, denn sie lächelte schwach unter ihren sich vermindernden Tränen, und sagte ihrerseits leise:

»Ja, ja, ich weiß. Sie sind sehr gut, danke. Und Sie haben recht, es wäre fortan zu dumm von mir. Ah, alles, was man will, wenn ich nur ein wenig glücklich sein kann!«

Mathieu sah deutlich, wie sie langsam ihr Handgelenk losmachte, nachdem sie ihrerseits Santerres Hand gedrückt hatte. Sie hatte seinen Trost angenommen, das bis jetzt verzögerte Rendezvous war nun für einen nahen Tag zugesagt. Das war nur die natürliche Folge des Unheils, das über sie hereingebrochen war, der Ehebruch war das unvermeidliche Schicksal der Gattin, die dem Manne nur als Gegenstand der Lust dient, der Mutter, die sich ihrer Pflicht als Ernährerin ihres Kindes entzieht. Ein Schrei Andrées ließ sie jedoch zitternd auffahren, rief sie zu der Wirklichkeit des Augenblicks zurück. Wenn das arme Geschöpf so schwächlich war, weil es der Milch seiner Mutter nicht teilhaftig geworden, so war diese ihrerseits nur darum in Gefahr zu fallen, weil sie sich weigerte, es zu nähren, es an ihrer Brust zu tragen wie einen undurchdringlichen Schild der Verteidigung. Sie waren, Mutter und Kind, Leben und Gesundheit füreinander, ihre Trennung bedeutete für beide den Untergang. Offenbar sah sie in diesem Augenblicke die ganze Gefahr vor Augen, denn eine innere Auflehnung trieb sie von Santerre weg; sie lief zu dem Kinde hin, trachtete es zu beruhigen, bedeckte es mit Küssen, barg sich dahinter wie hinter einem Wall vor der äußersten Tollheit, die zu begehen sie sich im Begriffe fühlte. Und wie zog sich ihr das Herz zusammen vor Kummer und Scham, als sie sah, daß ihre beiden Kinder da waren und alles sahen und hörten! Dann bemerkte sie, daß auch Mathieu noch immer wartete, und sie brach neuerdings in Tränen aus; sie versuchte, das Vorgefallene zu erklären, sie ging so weit, ihren Mann zu verteidigen.

»Entschuldigen Sie ihn, er hat Augenblicke, wo er den Kopf verliert... Mein Gott, was fange ich nur mit dem Kinde an? Ich kann sie ja jetzt nicht mehr stillen, damit ist es vorbei. Es ist zu schrecklich, wenn man sich gar nicht mehr zu helfen weiß! Was soll nun werden, lieber Gott!«

Unbehaglich, wohl fühlend, daß sie ihm entschlüpfe, seitdem sie ihr Kind auf dem Arme hatte, trachtete Santerre sie wieder durch schmeichelnde Worte zu besänftigen und zu sich herüberzuziehen. Aber sie hörte nicht auf ihn, und er hatte schon bei sich beschlossen, die Belagerung auf eine günstigere Gelegenheit zu verschieben, als ein unerwarteter Zwischenfall ihm zum Siege verhalf.

Céleste war geräuschlos eingetreten und wartete, daß Madame ihr zu sprechen erlaube.

»Meine Freundin ist zu mir auf Besuch gekommen, Sie wissen, Madame, meine Landsmännin, Sophie Couteau, und da sie gerade eine Amme mit sich hat –«

»Eine Amme ist da?«

»Ja, ja, Madame, eine sehr schöne, eine sehr gute.«

Und als sie das sprachlose Entzücken ihrer Herrin sah, ihre unendliche Freude, so unerwartet von allen Widrigkeiten befreit zu werden, entwickelte sie eine außerordentliche Dienstfertigkeit.

»Wollen sich Madame doch nicht mit dem Kinde abschleppen! Madame sind daran nicht gewöhnt. Wenn Madame gestatten, so werde ich die Amme hereinführen.«

Valentine hatte sich das Kind abnehmen lassen, indem sie einen glücklichen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Der Himmel verließ sie also doch nicht! Aber sie war dagegen, daß die Amme heraufgeführt werde, denn sie fürchtete, daß die Betrunkene, wenn sie zufällig aus ihrem Zimmer herauskäme und die neue sähe, imstande wäre, sie alle zu schlagen und aufs neue anzufangen, alles zu zerstören. Sie wollte selbst hinuntergehen und bestand darauf, daß Santerre und Mathieu mitgingen, besonders dieser letztere, der sich darauf verstehen müsse, wie sie sagte, ob er sich auch dagegen verwahrte. Es blieben nur noch Gaston und Lucie, denen sie streng verbot, zu folgen.

»Ihr habt nichts dabei zu tun, bleibt hier und spielt. Und wir andern, gehen wir alle miteinander hinunter, aber leise und auf den Fußspitzen, damit das Weib nichts merkt.«

In der Wäschekammer angelangt, ließ Valentine sorgfältig die Türen schließen. Die Couteau stand da mit einem kräftigen Mädchen von etwa fünfundzwanzig Jahren, welche ein prächtiges Kind auf dem Arme trug. Sie hatte eine niedrige Stirn, braune Haare, ein breites Gesicht, war sehr nett gekleidet, und begrüßte die Dame beim Eintritt mit einem anständigen Knicks, als Amme, die schon in reichen Häusern gedient hat und sich zu benehmen weiß. Valentine befand sich jedoch in äußerster Verlegenheit; sie betrachtete die Amme, sie betrachtete das Kind mit verständnislosen Blicken wie eine Frau, deren zwei erste Kinder in einem Zimmer neben dem ihrigen aufgezogen worden waren, ohne daß sie sich je um irgend etwas gekümmert hätte. Santerre hielt sich abseits; verzweifelt appellierte sie an das Urteil Mathieus, der abermals seine Laienhaftigkeit beteuerte. Erst dann gestattete sich die Couteau, nachdem sie einen schiefen Blick auf diesen Herrn geworfen hatte, den sie überall ihrem Geschäfte im Wege fand, das Wort zu ergreifen.

»Wollen Madame nur Vertrauen zu mir haben. Madame wird sich erinnern, daß ich mir erlaubt habe, ihr damals meine Dienste anzubieten, und wenn Madame sie angenommen hätte, so hätte sie sich sehr viel Unannehmlichkeiten erspart. Diese Marie Lebleu ist unverwendbar, das hätte ich Madame sagen können, als ich ihr Kind abholte. Aber natürlich, da der Herr Doktor sie ausgewählt hatte, so konnte ich selbstverständlich nichts sagen. Gute Milch, o ja, die hat sie; nur hat sie auch eine gute Zunge, die immer trocken ist. Wenn also Madame jetzt Vertrauen zu mir haben will...«

Und sie erging sich in endlosen Lobpreisungen ihrer eignen Anständigkeit und der Ware, die sie anzubieten hatte.

»Ich stehe dafür gut, Madame, daß Sie die Catiche mit geschlossenen Augen nehmen können. Sie ist gerade das, was Sie brauchen, es gibt keine bessere Amme in ganz Paris. Sehen Sie nur, wie sie gebaut ist, welche Gesundheit, welche Kraft! Und ihr Kind, sehen Sie es nur an, es strotzt von Leben! Sie ist freilich verheiratet, sie hat sogar ein Mädchen von vier Jahren mit ihrem Mann zu Hause; aber es ist doch wohl kein Verbrechen, eine anständige Frau zu sein. Und ich kenne sie genau, Madame, ich stehe mit meinem Kopfe für sie gut. Wenn Sie nicht mit ihr zufrieden sind, so werde ich, die Couteau, Ihnen Ihr Geld zurückgeben.«

Valentine gab mit einer Gebärde der Hilflosigkeit nach, denn es drängte sie zu sehr, aus dieser Situation herauszukommen. Sie willigte sogar ein, der Catiche hundert Franken monatlich zu geben, da sie verheiratet war. Im übrigen erklärte die Zuführerin ihr, daß sie die Gebühren des Bureaus diesmal nicht zu bezahlen habe; das seien fünfundvierzig Franken erspart, wenn Madame nicht etwa sie für die Mühe entschädigen wolle, die sie gehabt habe. Dann wären auch noch die dreißig Franken für die Zurückbeförderung des Kindes zu vergüten. Valentine verdoppelte freigebig die Summe. Alles war geordnet, und sie fing an, sich erleichtert zu fühlen, als ihr die andre wieder einfiel, die sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert hatte. Wie es anstellen, sie ruhig fortzubringen, um die Catiche an ihre Stelle zu setzen?

»Wie?« rief die Couteau, »Marie Lebleu macht Ihnen Angst? Nun, die soll es mit mir nicht verderben, wenn sie will, daß ich sie noch einmal unterbringe. Ich werde selbst mit ihr reden!«

Céleste legte Andrée auf eine Bettdecke neben das Kind der Amme, das diese hatte ablegen müssen, um ihre Brust zu zeigen, und erklärte sich bereit, die Couteau in das Zimmer der Marie zu führen. Dort herrschte jetzt vollständiges Schweigen, und die Couteau trat ein, nachdem sie ihren Namen genannt hatte. Einige Minuten hindurch hörte man nur den Ton ihrer scharfen Stimme; dann kam sie heraus und beruhigte Valentine, die zitternd gehorcht hatte.

»Ich stehe Ihnen dafür gut, daß ich sie ernüchtert habe! Zahlen Sie ihr ihren Monat. Sie packt ihren Koffer und geht.«

Man kehrte in die Wäschekammer zurück, und Valentine bezahlte die Zuführerin, indem sie fünf Franken für diesen neuen Dienst hinzufügte. Eine letzte Schwierigkeit entstand, als die Couteau sagte, daß sie das Kind der Catiche nicht vor Abend holen könne; was sollte sie während des ganzen Tages damit tun?

»Bah!« sagte sie endlich. »Ich nehme es doch mit und werde es im Bureau in Aufbewahrung geben, ehe ich meine Wege mache. Man wird ihm dort das Saugfläschchen geben, es muß sich ja doch daran gewöhnen, nicht wahr?«

»Natürlich,« sagte die Mutter ruhig.

Als die Couteau nach vielen Danksagungen und Komplimenten sich zum Gehen anschickte und das Kind nehmen wollte, stand sie mit zögernder Gebärde einen Augenblick vor den beiden Kindern, die nebeneinander auf der Bettdecke lagen.

»Oho,« sagte sie vor sich hin, »ich darf sie nicht verwechseln!«

Das klang drollig, und alle lachten. Céleste lachte laut auf, während die Catiche lächelnd ihre schönen Zähne zeigte. Und die Couteau nahm den Säugling mit ihren langen, knöchernen Händen und trug ihn fort. Wieder ein Opfer zur Schlachtbank geführt, wieder ein kleines Leben den unablässig tätigen Würgern überliefert!

Nur Mathieu hatte nicht gelacht. Ihn hatte die plötzliche Erinnerung überkommen an seine Unterredung mit Boutan, an das, was dieser von der demoralisierenden Wirkung des Ammengewerbes gesagt hatte, von dem schändlichen Handel, der da abgeschlossen wurde, von dem gemeinsamen Verbrechen der beiden Mütter, die beide das Leben ihrer Kinder wagen, die reiche Mutter, die die Milch einer andern kauft, und die feile, die die ihrige verkauft. Ihm wurde eisig ums Herz, als er das arme kleine Wesen sah, das man noch so blühend in Gesundheit forttrug, als er dieses andre sah, das dablieb, und das schon so schwächlich war. Und was wird das Ende von allem sein, welchem Geschick treibt eine Gesellschaft zu, die in diesem Maße verderbt ist, die eines oder das andre dieser Geschöpfe opfert, alle beide vielleicht? Menschen und Dinge nahmen ihm eine düstere Gestalt an, flößten ihm Entsetzen ein.

Aber Valentine führte nunmehr die beiden Männer in den weiten, prächtigen Salon zurück. Sie war so entzückt, so vollkommen befreit, daß sie ihre ganze burschikose Leichtherzigkeit, ihr Verlangen nach Lärm und Vergnügen wiedergefunden hatte. Und als Mathieu nun endlich Abschied nahm, hörte er, wie Santerre, ihre Hand in der seinigen haltend, triumphierend sagte:

»Also auf morgen?«

»Ja, ja, auf morgen!« rief sie, sich nun widerstandslos ergebend. Sie hatte keinen Schutz mehr.

Acht Tage später war die Catiche die unbestrittene Königin des Hauses. Andrée hatte etwas Farbe gewonnen, sie wog alle Tage mehr; und vor diesem Resultat neigte sich alles, die Macht der Amme wurde unbeschränkt. Man schreckte dermaßen davor zurück, einen abermaligen Wechsel eintreten zu lassen, daß man von vornherein die Augen gegen alle möglichen Fehler schloß. Sie war die dritte, eine vierte Amme hätte das Kind getötet, und das machte aus ihr die Einzige, die Unentbehrliche, die, welche man um jeden Preis behalten mußte. Im übrigen schien sie keinen Fehler zu haben, sie blieb die ruhige und schlaue Bäuerin, die die Herrschaft zu behandeln und alles aus ihnen zu ziehen weiß, was aus ihnen zu ziehen ist. Sie führte ihren Beutezug bei den Séguin mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Energie durch. Anfangs schien die Sache krumm gehen zu wollen, da sie auf Célestes gleichartige Tätigkeit stieß, der sich diese ebenfalls in großartigem Maßstabe widmete. Allein sie waren beide zu kluge Frauen, um sich nicht bald zu verständigen. Da ihre Wirkungsgebiete nicht dieselben waren, so einigten sie sich darüber, daß sie sehr gut nebeneinander plündern konnten. Von da ab unterstützten sie einander sogar, sie teilten sich in das Reich und sogen das Haus zu zweien aus.

Die Catiche saß auf dem Throne, die andern Domestiken bedienten sie, die Herrschaft lag ihr zu Füßen. Man beseitigte für sie die besten Stücke, sie hatte ihren Wein, ihr Weißbrot, alles, was man nur Delikates, Nahrhaftes finden konnte. Gefräßig, träge und hochmütig, gebärdete sie sich als Despotin und ordnete die Leute und Dinge ihren Launen unter. Man gab ihr in allem nach, damit sie nicht in Zorn gerate, wodurch ihre Milch hätte gerinnen können. Wenn sie den kleinsten Kolikanfall hatte, geriet das Haus in Aufruhr. Eines Nachts litt sie an einer Indigestion, und man schellte alle Aerzte des Viertels aus dem Bette. Ihr einziger Fehler war, daß sie ein wenig diebisch war, es passierte ihr manchmal, daß sie sich herumliegende Wäsche aneignete; aber die Hausfrau wollte es nicht wissen. Obendrein überhäufte man sie mit Geschenken, um sie nur immer bei guter Laune zu erhalten. Außer dem herkömmlichen Geschenk beim ersten Zahn des Kindes benutzte man jede sich bietende Gelegenheit, um ihr etwas zu geben, einen Ring, eine Busennadel, ein Paar Ohrringe. Natürlich war sie die geputzteste Amme der Champs-Elysées, trug prächtige Mäntel und kostbare Hauben, deren lange Bänder in der Sonne leuchteten. Noch nie hatte eine Dame den Müßiggang mit mehr Prunk umgeben. Dann gab es auch Geschenke für ihren Mann und ihr Kind daheim im Dorfe. Jede Woche gingen Postpakete dahin ab. An dem Tage, da man erfuhr, daß das Kind, welches die Couteau mit nach Hause genommen hatte, an einer Erkältung gestorben war, gab man ihr fünfzig Franken, wie um es ihr abzukaufen. Dann gab es noch einen letzten Alarm, als ihr Mann sie besuchte; denn die Furcht, daß sie sich etwa in einem Winkel mit ihm vergesse, war so groß, daß man sie nicht einen Augenblick allein ließ und ihn so rasch als möglich mit vollen Taschen wegschickte. Nach einer bleichsüchtigen und einer betrunkenen nun eine schwangere Amme zu haben, das wäre die schrecklichste aller Katastrophen gewesen, um so mehr, als ähnliche Fälle in der Umgebung nicht selten waren, und zum Beispiel bei der Gräfin d'Espeuille, einer Nachbarin, die Amme zur allgemeinen Bestürzung schwanger geworden war, das heimliche Werk des Kutschers der Gräfin. Die Catiche war darüber entrüstet, Und da die kleine Andrée immer besser gedieh, so erreichte sie den Gipfel ihrer Macht und beugte das ganze Haus unter ihre tyrannische Herrschaft.

An dem Tage, da Mathieu kam, um den Vertrag zu unterzeichnen, der ihm den ehemaligen Jagdpavillon samt zwanzig Hektar Grund überließ und ihm das Recht einräumte, weitere Teile des Besitzes zu gewissen Bedingungen zu erwerben, fand er Séguin im Begriffe, nach Havre abzureisen, wo ihn ein Freund, ein reicher Engländer, mit seiner Jacht erwartete, um einen Monat lang an den spanischen Küsten zu kreuzen. Man sagte, daß die Herren sich Dämchen mitnahmen.

»Ja,« sagte er nervös, nachdem er große Spielverluste erwähnt hatte, »ich verlasse Paris, ich habe hier jetzt kein Glück ... Und Ihnen, lieber Freund, wünsche ich fröhlichen Mut und guten Erfolg! Sie wissen, wie sehr ich mich für Ihren Versuch interessiere.«

Mathieu nahm den Weg durch die Champs-Elysées, ungeduldig, zu Marianne nach Chantebled heimzukehren, tiefbewegt von dem entscheidenden Schritte, den er eben vollzogen hatte, aber auch durchzittert von Hoffnung und Zuversicht – als er in einer einsamen Allee etwas Seltsames sah. Ein Wagen wartete, in welchem er das gleißnerische Profil Santerres erblickte. Und da eine verschleierte Frau eilig und heimlich den Wagen bestieg, drehte er sich um: war das nicht Valentine? Er war dessen sicher, während der Wagen mit herabgelassenen Vorhängen davonrollte.

In der großen Allee hatte er dann noch eine zweifache Begegnung: zuerst Gaston und Lucie, die, rasch ermattet vom Spielen, mit ihren blassen Gesichtern unter der zerstreuten Aufsicht Célestes einhergingen, welche sich eifrig und lachend mit einem Ladengehilfen aus der Nachbarschaft unterhielt; und etwas später die Catiche, prächtig und gebietend, die, glänzend geschmückt gleich einem stolzen Idol der käuflichen Ammenschaft, ihre langen purpurnen Haubenbänder in der Sonne fließen ließ.


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