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18. Kapitel.
Desmond erzählt weiter

Ich befand mich im Billardzimmer des Schlosses, einem staubigen, offenbar wenig benutzten Raum, denn es roch muffig darin. Aber im Kamin brannte Feuer, und auf einem Tisch in der Ecke lagen allerhand Papiere und eine Schreibmappe.

Dr. Grundt hatte einen Smoking an, und wenn er lachte, hob und senkte sich die weiße Wölbung seines Hemdes in rhythmischen Abständen. Im ersten Augenblick aber kümmerte ich mich wenig um ihn und den häßlichen Browning, den er in der Hand hielt. Meine Ohren lauschten gespannt, ob sie nicht irgendeinen Laut vernähmen, der Francis' Anwesenheit im Garten verriete. Alles blieb jedoch totenstill.

Der Klumpfuß lachte laut und kam auf mich zu. Ich glaubte, er würde mich jetzt erschießen, so schnell und grimmig kam er an. Aber er wollte nur die Tür hinter mir zumachen und mich dann weiter ins Zimmer hineindrängen.

Die Tür, durch die er eingetreten war, stand offen. Ohne die Augen von mir abzuwenden und die Waffe zu senken, rief er: »Schmalz!«

Leichte Schritte erschallten, und der einarmige Leutnant betrat das Zimmer. Als er mich erblickte, blieb er wie vom Donner gerührt stehen, dann fing er an, mich mit leisen, trippelnden Schritten zu umkreisen und murmelte vor sich hin: »Soso! Soso!«

»Guten Abend, Dr. Semlin«, sagte er dann auf englisch. »Hocherfreut, Sie zu sehen! Na, Okewood, mein guter Junge, da sind wir ja wieder. Was? Herr Julius Zimmermann ...« Und auf deutsch fügte er hinzu: »Es freut mich wirklich riesig!«

Ich hätte ihn am liebsten umgebracht. Allein schon seines fließenden Englischs wegen.

»Durchsuchen Sie ihn, Schmalz«, befahl Dr. Grundt kurz.

Schmalz fuhr mit den Fingern seiner einen Hand in meine Taschen, riß meine Brieftasche heraus, warf sie auf den Billardtisch und ließ alles übrige folgen: die Pistole, Uhr, Zigarettenetui und so weiter. Bei dieser Untersuchung streifte er mich immer mit seinem Armstumpf ... wie grauenhaft war das! Der Klumpfuß hatte die Brieftasche an sich gerissen und sie hastig durchsucht. Er schüttete den Inhalt auf dem Billardtisch aus und prüfte ihn sorgfältig.

»Nicht da!«, sagte er. »Führen Sie ihn nach oben. Er muß ausgezogen werden«, befahl er. »Und daß unser gescheiter junger Freund ja nicht vergißt, daß ich mit meinem Spielzeug hier immer hinter ihm her bin.«

Schmalz packte mich beim Kragen, bohrte mir seine Knöchel in den Hals und bugsierte mich aus dem Zimmer hinaus ... Monika beinahe in die Arme.

Sie schrie laut auf, drehte sich um und floh den Korridor entlang. Dr. Grundt lachte geräuschvoll. Ich aber dachte trübselig, daß mich wohl nicht einmal meine eigene Mutter in meinem augenblicklichen, kläglichen Zustand erkannt hätte, unrasiert und ungewaschen wie ich war, in dreckigen Kleidern und vorwärts gepufft wie ein gemeiner Taschendieb.

In dem Schlafzimmer, in das sie mich schleppten, spielte sich eine beschämende Szene ab. Die beiden Männer zogen mich nackt aus und betasteten jedes einzelne meiner Kleidungsstücke gründlichst. Physisch und geistig verkroch ich mich in meiner Nacktheit vor den garstigen Blicken dieser beiden boshaften Krüppel. Von all meinen schrecklichen Erlebnissen in Deutschland war dies wohl die allerschlimmste Prüfung.

Sie fanden natürlich nichts, so sehr sie auch suchten, und schließlich warfen sie mir meine Sachen wieder zu und befahlen mir, mich wieder anzuziehen.

»Sie und ich, junger Mann, haben noch ein paar Worte miteinander zu reden«, sagte Dr. Grundt mit seinem widerlichen Lächeln.

Als ich wieder angezogen war, schickte der Klumpfuß Schmalz hinaus. »Schicken Sie den Unteroffizier rauf, wenn ich läute«, befahl er. »Er soll sich um unseren englischen Gast kümmern, während wir mit unserer reizenden Wirtin zu Abend essen.«

Schmalz ging hinaus und ließ uns allein. Der Klumpfuß zündete sich eine Zigarre an. Ein paar Minuten lang rauchte er schweigend. Ich sagte nichts, denn ich hatte ihm auch wirklich nichts zu sagen. Er hatte das kostbare Dokument nicht gefunden und würde es wohl auch nun nicht mehr bekommen. Ich hatte große Angst, daß Francis, anständig wie er war, versuchen würde, mich zu retten, aber ich hoffte, daß er auf jeden Fall in erster Linie daran denken würde, das Dokument in Sicherheit zu bringen. Ich war mehr oder weniger bereit, mich in mein Schicksal zu fügen. Jetzt war ich ja buchstäblich in seiner Gewalt, und ob er nun das Dokument bekam oder nicht, mein Los war besiegelt.

»Ich will Ihnen das Kompliment machen, mein lieber Herr Hauptmann Okewood«, bemerkte Dr. Grundt mit einer Höflichkeit, die mir immer kalte Schauer über den Rücken jagte, »daß ich noch nie in meiner ganzen Laufbahn so viel Zeit an einen einzelnen Menschen verschwendet habe, wie an Sie. Als Persönlichkeit sind Sie ja ein erbärmlicher Wicht, aber Ihr bemerkenswerter Dusel interessiert mich als Philosophen ... Ich versichere Sie, daß ich ernsthaft betrübt bin, das Instrument sein zu müssen, das Ihre wirklich außerordentliche Glückssträhne durchschneidet. Mann zu Mann kann ich Ihnen ja gestehen, daß ich allerdings noch nicht genau weiß, was ich nun, da ich Sie habe, mit Ihnen anfangen werde!«

Ich zuckte die Achseln. »Mich haben Sie, ganz recht«, erwiderte ich, »aber Sie würden es gewiß vorziehen, das zu haben, was Sie nicht bei mir gefunden haben.«

»Wir wollen doch auch für kleine Gaben dankbar sein«, erwiderte der Andere und lächelte, daß seine goldenen Zähne blitzten ..., »das ist einer meiner Grundsätze. Wie Sie allerdings richtig bemerken, würde ich das ... das Juwel dem unendlich viel weniger wertvollen und interessanten Etui vorziehen. Aber, was ich habe, das halte ich auch. Und Sie habe ich, Sie und Ihre Komplizin.«

»Ich habe keine Komplizin«, erwiderte ich schroff.

»Sie vergessen gewiß unsere reizende Wirtin, unsere höchst scharmante Gräfin? Ist das Interesse, das sie für Ihre Sicherheit zu haben geruhte, denn nicht der Grund meines Hierseins? Ohne diesen Umstand hätte ich kaum gewagt, sie in ihrer Witwentrauer zu stören ...«

»In ihrer Witwentrauer?«, rief ich aus.

Dr. Grundt lächelte wieder.

»Sie haben wohl in Ihrer ... Zurückgezogenheit die Zeitungen nicht verfolgt, lieber Hauptmann Okewood, sonst hätten Sie gewiß die betrübliche Nachricht gelesen, daß Graf Rachwitz, Adjutant des Feldmarschalls v. Mückensen, von einer Granate getötet wurde, die ins Brigadehauptquartier einschlug, als er in Przemysl gerade bei Tisch saß. O ja«, seufzte er, »unsere schöne Gräfin ist jetzt Witwe, allein ...«, er hielt inne und fügte dann hinzu: »... und schutzlos!«

Ich verstand seine Andeutung, und mir wurde kalt vor Angst. Monika war also genau so verwickelt in die Geschichte wie ich. Aber er würde doch gewiß nicht wagen, sie anzurühren ...

Der Klumpfuß beugte sich vor und klopfte mir aufs Knie. »Sie werden doch vernünftig sein, Okewood«, sagte er im Biedermannston. »Sie haben verloren, sich selbst können Sie nicht mehr retten. Im Augenblick, da Sie die Schwelle der Privatgemächer Seiner Majestät des Kaisers überschritten hatten, war Ihr Leben verwirkt. Aber sie ist noch zu retten.«

Ich stieß seine Hand von meinem Schenkel fort.

»Ich lasse mich nicht von Ihnen bluffen«, erwiderte ich. »Sie werden sich nicht unterstehen, die Gräfin Rachwitz anzurühren, eine amerikanische Dame, die Nichte eines amerikanischen Botschafters, die mit einem Mitglied der ersten Familien Ihres Landes verheiratet war ... nein, Herr Doktor, da müssen Sie schon andere Saiten aufziehen.«

»Wissen Sie vielleicht, warum Schmalz hier ist?«, fragte er geduldig, »und die Soldaten? ... Sie mußten ja an dem Kordon vorbeikommen, um hier einzudringen. Ihre kleine Freundin befindet sich in Schutzhaft. Sie müßte eigentlich im Gefängnis sitzen, aber Seine Majestät wollte der Familie Rachwitz in ihrem großen Schmerz nicht diesen Schimpf antun.«

»Die Gräfin Rachwitz hat nicht das geringste mit mir zu tun« ... eine ziemlich sinnlose Lüge, dachte ich im stillen, aber zu spät.

Doch Dr. Grundt blieb ganz unberührt.

»Ich werde Sie ins Vertrauen ziehen, mein lieber Herr«, sagte er, »um Ihnen zu beweisen, daß ich die Wahrheit kenne. Die Gräfin steckt, um eine gewöhnliche Redensart zu gebrauchen, bis zum Halse im Dreck. Dank der erstaunlichen Dämlichkeit der Berliner Polizei wurde mir von Ihrem kurzen Aufenthalt in der Bendlerstraße kein Bericht erstattet, nicht einmal, als der kranke amerikanische Herr sich nach Ihrer Flucht ans Revier gewandt hatte. Aber wir gehen systematisch vor, wir Deutschen. Wir sind gründlich, und ich habe alle Stätten durchsucht, die Sie möglicherweise beherbergen konnten.

»Im Laufe meiner Nachforschungen stieß ich auf unseren gemeinsamen Freund, Herrn Kore. Die Durchsicht seiner ausgezeichnet geführten Geschäftsbücher erwies, daß er am Tage nach Ihrem Verschwinden vom Esplanade 36oo Mark bekommen hatte, und zwar von einem gewissen E. 2. Alle Namen in seinen Büchern waren chiffriert. Unter dem Eindruck meiner gewinnenden Persönlichkeit erzählte mir Herr Kore alles, was er wußte. Ich setzte meine Nachforschungen fort und entdeckte dann, was die idiotische Polizei mir nicht mitgeteilt hatte, daß nämlich an dem fraglichen Tage ein angeblicher Amerikaner aus der Wohnung der Gräfin Rachwitz in der Bendlerstraße entflohen war. Ein famoser Kerl ... Max oder Otto oder so ähnlich hieß er, das ist ja auch einerlei, er war Kammerdiener von Madames leidendem Bruder, konnte sämtliche Lücken ausfüllen, und auf diese Weise war ich imstande, gegen Ihre wohlmeinende, aber seltsam schlecht beratene Wirtin ziemlich belastendes Material vorzubringen. Inzwischen hatte die Dame Berlin verlassen und war in dieses entzückende, altväterische Schloß gereist. Da traf ich sofort Vorkehrungen, um sie in Schutzhaft nehmen zu lassen, während ich Sie verfolgte.

»Sie waren mir wieder entwischt. Nun, selbst ein Gott kann mal etwas vergessen, mein lieber Herr Hauptmann Okewood, und ich gebe offen zu, daß ich nicht mehr an das kupferne Abzeichen gedacht habe, das sich in Ihrem Besitze befand. Ich muß Sie auch zu dem Geschick beglückwünschen, mit dem Sie uns auf diese falsche Spur nach München gelockt haben. Ich bin so darauf hereingefallen, daß ich einen Beamten in diese entzückende Stadt geschickt habe, um Sie zu verhaften. Aber, da ich in diesen Dingen ein gewisses »flair« habe, so nahm ich an, daß Sie früher oder später einmal nach Schloß Bellevue kommen würden. Sie werden zugeben, daß ich allerhand Umsicht bewiesen habe.«

»Sie vergeuden nur Ihre Zeit mit all diesem Gerede«, sagte ich mürrisch. Dr. Grundt machte eine geringschätzige Gebärde mit der Hand.

»Ich bin stolz auf meine Arbeit«, bemerkte er, als wollte er sich entschuldigen. Dann fügte er hinzu:

»Sie dürfen nicht vergessen, daß Ihre hübsche Gräfin nicht mehr Amerikanerin ist. Sie ist deutsche Staatsbürgerin. Außerdem ist sie Witwe. Sie kennen vielleicht die Beziehungen zwischen ihr und ihrem verstorbenen Gatten nicht, aber ich kann Ihnen versichern: sie waren nicht so warm, daß die Familie Rachwitz ihren Verlust allzusehr betrauern würde. Glauben Sie, wir scheren uns einen Deut um all die amerikanischen Botschafter, die jemals die Vereinigten Staaten verlassen haben? Ich merke, mein lieber Herr, daß Sie noch trostlos wenig Ahnung haben von der Umwälzung, die der Krieg in den internationalen Beziehungen im Gefolge hat. Im Kriege, wo es um nationale Belange geht, gilt das Individuum nichts. Wenn Einer oder Eine beiseite geräumt werden muß – nun – so löscht man den Störenfried eben aus. Später kann man ja immer zahlen oder um Entschuldigung bitten, oder tun, was sonst verlangt wird.«

Ich hörte schweigend zu. Ich hatte dieser tödlichen Logik, der Logik des Stärkeren gegenüber, nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen.

Dr. Grundt zog ein Blatt Papier aus der Tasche.

»Lesen Sie das!«, sagte er und warf es mir hin. »Es ist die Ladung der Gräfin Rachwitz vor das Kriegsgericht. Das Datum ist nicht ausgefüllt, wie Sie sehen. Sie brauchen es nicht zu zerreißen, ich habe noch mehrere Blankoformulare, übrigens auch eins für Sie!«

Ich fühlte, wie mein Mut sank und mein Blut zu Eis erstarrte. Ich reichte ihm den Bogen Papier schweigend zurück. Plötzlich ertönte der Schall eines Gongs durch die Stille des Zimmers. Der Klumpfuß stand auf und klingelte.

»Ich mache Ihnen folgendes Angebot, Okewood«, sagte er. »Wenn Sie mir den Brief unversehrt zurückgeben, wird die Gräfin Rachwitz frei ausgehen, vorausgesetzt, daß sie dieses Land verläßt und nicht zurückkommt. Das ist mein letztes Wort! Überschlafen Sie sichs! Ich hole mir morgen früh Antwort.«

Ein Unteroffizier in Feldgrau mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett stand auf der Schwelle.

»Sie tragen die Verantwortung für diesen Mann, Unteroffizier«, sagte Dr. Grundt, »bis ich in ein, zwei Stunden zurückkomme. Esten wird ihm heraufgeschickt werden, und Sie werden sich persönlich vergewissern, daß ihm auf keinerlei Weise eine Nachricht zugesteckt wird.«

Ich hatte mich gewaschen, hatte mir die Sachen abgebürstet, hatte gegessen und saß schweigend in tiefbedrückter Stimmung am Tisch. Die Enttäuschung dieses Abends hatte mich vollständig zerschmettert, daß ich überhaupt kaum an mein eigenes Schicksal dachte. Meine Gedanken kreisten andauernd um Monika. Mein Leben gehörte mir, und ich hatte auch einen Anspruch auf das meines Bruders, wenn unser Auftrag dadurch zu Ende geführt werden konnte. Aber besaß ich ein Recht, Monika zu opfern?!

Da geschah nun das Unerwartete. Die Tür ging auf, und sie kam, von Schmalz gefolgt, herein. Er schickte den Unteroffizier zu den Wachen hinunter, ging dann selber hinaus und ließ Monika und mich allein.

Die junge Frau wehrte dem Strom von Selbstvorwürfen, der meinem Munde entquellen wollte, mit einer schönen Gebärde ab. Sie war bleich, aber sie trug den Kopf so hoch wie nur je.

»Schmalz hat mir fünf Minuten mit dir allein gegeben, Des«, sagte sie. »Ich soll dich um mein Leben anflehen, damit du dein Geheimnis verrätst. Nein, sage nichts, unsere Zeit darf nicht mit Worten vergeudet werden. Ich bringe dir eine Botschaft von Francis. Jawohl, ich habe ihn hier gesehen, heute abend. Er sagt, du mußt Grundt um jeden Preis davon abhalten, morgen um zehn auf die Jagd zu gehen. Du sollst ihn von zehn bis zwölf hier aufhalten. Weiter weiß ich nichts. Aber Francis hat etwas im Sinn, und wir müssen ihm beide vertrauen. Jetzt höre zu: ich werde dem Klumpfuß sagen, daß ich mit dir gesprochen habe und daß du anscheinend gesonnen bist, nachzugeben. Sage heute abend noch nichts. Vertröste ihn, wenn er morgen früh sich Bescheid holen will und rufe ihn dann um dreiviertel zehn, wenn er das Haus mit den Anderen verlassen will. Alles übrige liegt bei dir. Gute Nacht, Des, und sei guten Muts!« ...

»Aber Monika«, rief ich aus, »was wird denn aus dir?«

Sie errötete lieblich unter ihrer Blässe.

»Des«, erwiderte sie glücklich, »jetzt sind wir Verbündete, wir drei. Wenn alles gut geht, gehe ich mit dir und Francis mit!«

Damit war sie fort. Ein paar Minuten später holten mich ein paar Soldaten unter Schmalzens Führung ab und brachten mich in einen dunkeln Keller hinunter, wo ich die Nacht über eingesperrt wurde.

Ich träumte von der Front. Wieder roch ich die alten vertrauten Gerüche, den Duft der umgewühlten Erde, den Gestank von Leichen; wieder hörte ich außerhalb des Schützengrabens das leise Gerassel von Werkzeugen, das Geflüster unserer Telegraphisten. Wieder sah ich die Raketen himmelwärts sausen und die Einöde des Schlachtfeldes einen Augenblick aufhellen. Da schüttelte mich jemand an den Schultern. Es war wohl mein Bursche, der gekommen war, mich zu wecken. Ging es schon wieder ins Gefecht? Ich setzte mich auf, rieb mir die Augen und erwachte zur Qual eines neuen Tags.

Der Unteroffizier stand, von strahlendem Morgenlicht umgeben, in der Kellertür. »Sie sollen heraufkommen«, sagte er.

Er brachte mich ins Billardzimmer, wo Dr. Grundt frisch rasiert und gewaschen am Schreibtisch in der Sonne saß, Briefe öffnete und Kaffee schlürfte. Eine Uhr auf einer Konsole hinter ihm zeigte acht.

»Sie wünschen mich vermutlich zu sprechen«, sagte er leichthin und überflog dabei einen Brief, den er in der Hand hielt.

»Sie müssen so gut sein, mir noch ein wenig Zeit zu lassen, Herr Doktor«, sagte ich. »Ich war gestern abend zu erschöpft und sah die Dinge nicht im rechten Lichte. Wenn Sie mir noch ein paar Stunden gewähren wollten ...«

Ich gab meiner Stimme einen flehenden Klang, der seine Wirkung nicht verfehlte.

»Ich bin ja kein Unmensch, lieber Hauptmann Okewood«, erwiderte er, »aber Sie werden begreifen, daß ich nicht mit mir spielen lassen möchte. Ich gebe Ihnen also Zeit bis ...«

»Jetzt ist es acht«, unterbrach ich ihn, »ich werde Ihnen was sagen, geben Sie mir Zeit bis zehn. Ist Ihnen das recht?«

Er nickte.

»Führen Sie diesen Mann in mein Schlafzimmer hinauf«, befahl er dem Unteroffizier, »bleiben Sie bei ihm, während er frühstückt und bringen Sie ihn um zehn Uhr hierher zurück. Und sagen Sie Schmidt, er soll meinen Wagen ruhig vor der Tür stehen lassen. Er braucht nicht zu warten, ich fahre dann selber zur Jagd.«

Was dann geschah, habe ich vollkommen vergessen. Ich würgte mein Frühstück herunter, aber ich hatte keine Ahnung, was ich aß, und der Unteroffizier, ein Musterbeispiel preußischer Disziplin, weigerte sich mit säuerlicher Miene, sich auf eine Unterhaltung mit mir einzulassen. Ich war tief deprimiert. Wenn ich an jenen Morgen zurückdenke, so glaube ich, ich war nahe daran zusammenzubrechen.

Während ich da saß und wartete, hörte ich überall im Hause Lärm und Tumult: Stimmen schrieen durcheinander, schwere Schritte stapften durch die Halle; draußen auf dem Hof wieherten Pferde und ratterten Räder. Die Jagd ging an. Dann verebbte der Lärm, und alles war wieder still. Kurze Zeit darauf, als die Uhr zehn zeigte, führte mich der Unteroffizier die Treppe hinunter ins Billardzimmer.

Grundt saß noch immer da. Eine heiße Zorneswelle trieb mir das Blut in die Wangen, als ich ihn so dick, wabbelig und siegessicher erblickte. Dieses Bild aber gab mir den Antrieb, den ich brauchte. Mein Mut war arg ins Wanken geraten, aber ich war entschlossen, durchzuhalten und diese letzte Probe zu bestehen. Danach, wenn nichts geschah ...

Grundt schickte den Unteroffizier hinaus.

»Ich kann mich jetzt selbst um ihn kümmern«, sagte er mit munterer Stimme, als sei er seines Erfolges ganz sicher. Der Sergeant salutierte und verließ das Zimmer. Draußen hallten seine Fußtritte in den Gängen wider wie die bleiernen Schritte des Schicksals, das unerbittlich, unbarmherzig vorwärtsschreitet.


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