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11. Kapitel.
Miss Mary Prendergast

Die Zimmer unseres Appartements waren miteinander verbunden, so daß man von einem ins andere gehen konnte, ohne über den Korridor zu müssen. Schmalz war auf diese Weise durchs Bad in sein Zimmer gelangt. In der Erregung des Augenblicks vergaß ich das ganz, sonst hätte ich gewiß nicht die Unvorsichtigkeit begangen, den Riegel zwischen meinem Zimmer und dem Bad offen zu lassen.

Als ich in den Korridor hinaustrat, der dumpfe Krach des fallenden Körpers klang mir immer noch in den Ohren, meinte ich, im Badezimmer leichte Schritte zu vernehmen. Im nächsten Moment hörte ich eine Tür gehen und dann einen entsetzten Aufschrei.

Der Korridor war trübe beleuchtet und menschenleer, als wohnte hier kein Mensch. Nirgends standen Stiefel vor den Türen, und die offenen Türen überall deuteten darauf hin, daß die Zimmer dahinter leer standen.

Ich hatte keine Zeit nachzudenken und Pläne zu schmieden. Sobald ich jenen langgezogenen Schrei hörte, rannte ich blindlings den Korridor entlang, bog rechts um die Ecke und stürzte dann, drei Stufen auf einmal nehmend, eine kleine Treppe hinauf. Kaum war ich oben, als ich aus dem Stockwerk unter mir lautes Geschrei vernahm. Eine Tür wurde zugeknallt, ich hörte das Geräusch eiliger Schritte. Dann war alles still.

Der Korridor, auf dem ich mich jetzt befand, entsprach genau dem unteren. Auch hier war es beinahe dunkel und vollkommen menschenleer. Auch hier war jedes einzelne Zimmer still und unbewohnt. So aufgeregt ich war, der Gegensatz zu dem strahlenden, lärmenden Vestibül unten konnte mir nicht entgehen. Sogar die Hotels machten anscheinend den großen deutschen Reklamebluff mit, der mir beim Lesen der deutschen Zeitungen in Rotterdam aufgefallen war.

Ich hatte keinen festen Plan, nur den brennenden Wunsch, soviel Raum wie möglich zwischen mir und dem Menschen da unten zu schaffen. Nachdem ich also einen Augenblick stillgestanden hatte, um Atem zu schöpfen und zu lauschen, rannte ich wieder los. Plötzlich ging, keine zehn Schritt weit von mir entfernt, eine Tür auf dem Korridor auf, und eine Dame trat heraus. Ich hielt jäh inne in meinem rasenden Lauf, aber es war schon zu spät. Ich stand ihr gegenüber. Sie war jung und sehr schön. Dichtes, braunes Haar schmiegte sich um eine schneeweiße, hohe Stirn. Sie war in Abendtoilette, ganz in Weiß, mit einem Hermelincape.

Kaum hatte ich einen Blick auf sie geworfen, als ich sie wiedererkannte und sie mich.

»Monika«, flüsterte ich.

»Desmond!« sagte sie.

Von unten her drang verworrener Lärm: Stimmengemurmel, Türenschlagen, das Geräusch eiliger Schritte.

Die Frau sprach zu mir, sagte mit ihrer tiefen, angenehmen Stimme etwas von ihrer Überraschung und Freude, mich wiederzusehen, aber ich hörte nicht zu. Ich lauschte gespannt auf jenes Tohuwabohu, das von unten her zu uns drang.

»Monika!«, unterbrach ich sie ungestüm. »Kannst du mich irgendwo verstecken? Der Ort hier ist gefährlich für mich ... Ich muß schleunigst fort. Wenn du mich nicht retten kannst, dann bleibe nicht hier stehen, sondern verschwinde so schnell wie möglich. Man ist hinter mir her, und wenn man mich mit dir zusammen steht, geht es dir schlecht!«

Ohne ein Wort zu sagen, wandte sich die junge Frau zu dem Zimmer zurück, das sie eben verlassen hatte. Sie winkte mir, klopfte und ging hinein. Es war ein großes, elegant eingerichtetes Schlafzimmer mit weichem Teppich, seidenen Vorhängen und Blumen in Hülle und Fülle. Im Bett saß eine üppige, gutmütig aussehende Frau in rosaseidenem Kimono, deren Haare kokett in zwei kurzen Zöpfchen rechts und links von ihrem Gesicht herunterhingen.

Monika machte die Tür leise hinter sich zu.

»Aber, Monika!«, rief die Frau entsetzt aus, und ihr Akzent klang unverkennbar amerikanisch – »was fällt dir denn um's Himmels willen ...?«

»Still, Mary, ich erkläre dir gleich ...«

»Ja, was denkst du dir denn nur, Monika ...«

»Mary, ich bitte dich inständig ...«

»Aber was fällt dir denn ein, Kind, ein Mann ... in meinem Schlafzimmer, mitten in der Nacht ...«

»Ach Unsinn, Mary! Laß mich mal endlich reden.«

Die Verzweiflung der Frau im Bett war so komisch, daß ich mir kaum das Lachen verbeißen konnte. Sie hatte die Bettdecke bis über ihre Nasenspitze gezogen, so daß nur noch ihre Augen zum Vorschein kamen. Ihre Rattenschwänzchen flatterten vor Aufregung hin und her.

»Also hör zu, Mary, du bist doch meine Freundin. Das hier ist Desmond Okewood, auch ein sehr alter, lieber Freund von mir. Na, du weißt doch, Mary, daß dieses Land jetzt für einen englischen Offizier kein sehr angenehmer Aufenthalt ist. Desmond ist nämlich englischer Offizier. Ich hatte keine Ahnung, daß er sich in Deutschland aufhält. Ich weiß überhaupt nichts von ihm, außer was er mir eben erzählt hat, nämlich, daß er in Gefahr ist und meine Hilfe braucht. Ich habe ihn eben draußen getroffen und ihn hier hereingebracht. Das ist doch gewiß in deinem Sinne, nicht wahr?«

Die Dame steckte ihre Nase aus der Bettdecke heraus.

»Stell mir den Herrn vor, wie es sich gehört, Monika«, sagte sie streng.

»Hauptmann Okewood ... Miß Mary Prendergast«, sagte Monika.

Jetzt tauchte der ganze Kopf der Dame mit Rattenschwänzchen und allem Drum und Dran auf. Sie schien sich etwas beruhigt zu haben.

»Ich bin zwar mit deinem Benehmen durchaus nicht einverstanden, Monika«, bemerkte sie, jedoch weniger streng als vorhin, »und ich begreife nicht, was ein englischer Offizier zehn Minuten vor zwei Uhr nachts in meinem Schlafzimmer soll, aber wenn diese Deutschen hinter ihm her sind, dann versteh ich's schon eher!«

Dabei lächelte sie die schöne Frau neben mir zärtlich an.

»Ach, Mary, du bist doch 'n netter Kerl«, erwiderte Monika. »Ich wußte ja, daß du uns helfen würdest. Denk doch, ein englischer Offizier in Deutschland ... Ist das nicht schrecklich spannend?«

Sie wandte sich an mich.

»Was soll ich denn nun eigentlich für dich tun, Des?«, fragte sie.

Ich wußte, ich durfte Monika vertrauen und beschloß, auch ihrer Freundin Vertrauen zu schenken. Sie machte einen ganz zuverlässigen Eindruck. Und wenn sie mit Monika befreundet war, so hatte sie gewiß das Herz auf dem rechten Fleck. Francis und ich kannten Monika von frühester Jugend an. Ihr Vater hatte jahrelang – bis zu seinem Tode – als europäischer Vertreter eines großen amerikanischen Finanzhauses in London gelebt. Wir waren dort Nachbarn gewesen und kannten Monika nicht nur, als sie noch kurze Röckchen trug, sondern auch später, als die amerikanische Botschafterin sie im Buckingham Palace vorgestellt hatte. Francis und ich waren abwechselnd in sie verliebt gewesen. Aber mein Offiziersberuf hatte mich oft ins Ausland geführt, so daß Francis öfter mit ihr zusammengewesen war und wohl den Vogel bei ihr abgeschossen hatte.

Dann starb der Vater, und Monika reiste als große Dame in der Welt umher, wie es einer jungen Erbin geziemt, mit einer höchst achtbaren amerikanischen Duenna und einem Gefolge von Dienerschaft. Ich habe nie genau gewußt, wie die Dinge zwischen ihr und Francis eigentlich standen, aber auf einer der deutschen Gesandtschaften – ich glaube in Wien – lernte sie den jungen Grafen Rachwitz kennen, das Haupt eines der großen schlesischen Adelshäuser, und heiratete ihn.

Diese deutsch-amerikanische Ehe zerschellte nicht an dem üblichen Felsen – Geld – denn der Graf war selber sehr vermögend. Als ich ein paar Jahre später erfuhr, daß sie ihren Gatten verlassen hatte und wieder nach Amerika übersiedelt war, vermutete ich, daß das Benehmen des Deutschen Frauen gegenüber Monikas selbständigem Geist nicht behagt hatte. Ich hatte sie seit ihrer Abreise aus London nicht mehr gesehen, und obgleich wir ab und zu korrespondierten, hatte ich seit Kriegsbeginn nichts mehr von ihr gehört und ahnte nicht, daß sie nach Deutschland zurückgekehrt war. Monika Rachwitz war tatsächlich der letzte Mensch, den ich jemals in Berlin während des Krieges anzutreffen erwartet hätte.

Während ich intensiv auf alle Laute von draußen her lauschte, erzählte ich also den beiden Frauen so schnell wie möglich die Geschichte von Francis' Verschwinden und von meiner Reise nach Deutschland. Als ich den Namen meines Bruders erwähnte, bemerkte ich, wie die junge Frau zusammenzuckte, und als ich von meiner Besorgnis um seine Sicherheit sprach, schienen sich ihre Augen zu verschleiern. Ich berichtete ihnen von meinem Abenteuer in dem Hotel in Rotterdam, von meinem Empfang im Hause des Generals v. Boden, von meiner Begegnung mit dem Kaiser im Schloß und schließlich auch von der Falle, die mir hier im Hotel gestellt worden war und von meiner Begegnung mit dem Klumpfuß im Zimmer unter uns. Nur zweierlei behielt ich für mich: Die Botschaft von Francis und die Sache mit dem Dokument. Ich meinte, je weniger Leute in das Geheimnis eingeweiht wären, um so sicherer würde es behütet werden. Ich fürchte daher, daß meine Erzählung von der Unterredung mit dem Kaiser ein bißchen verworren geklungen haben muß, denn ich redete ihnen ein, ich hätte nicht gewußt, warum ich zu ihm zitiert worden sei, und unsere Unterhaltung sei unterbrochen worden, ehe ich den Zweck hätte entdecken können.

Die beiden Frauen hörten mir ernst zu. Nur einmal unterbrach mich Monika, und zwar, als ich General v. Boden erwähnte.

»Ich kenne das Biest«, sagte sie. »Aber oh, Des, du scheinst ja mitten unter die obersten Zehntausend dieses Landes geraten zu sein! Mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Ich fürchte, du bist in schrecklicher Gefahr.«

»Ich glaube dir, Monika«, erwiderte ich kläglich. »Und gerade darum mache ich mir ja solche Vorwürfe, daß ich mich dir so an den Hals werfe. Aber ich war wirklich am Rande der Verzweiflung, als ich dir eben in die Arme lief, und wußte nicht mehr aus noch ein. Doch ich verspreche dir, dich nicht mehr zu behelligen, sobald ich erst aus diesem Hause hier heraus bin. Ich bin auf eigene Verantwortung in dieses Land gekommen und werde mir auch allein weiterhelfen. Ich habe nicht vor, einen Anderen mit in mein Schicksal zu verwickeln. Aber wie soll ich nur aus diesem Hotel hinauskommen? Ich gestehe, daß ich es für unmöglich halte. Man wird ja inzwischen sämtliche Eingänge besetzt haben, außerdem ...«

Ich hielt jäh inne. Ich hatte draußen ein Geräusch vernommen. Schritte näherten sich auf dem Korridor. Ich hörte Türen auf und zu gehen. Man suchte Stock für Stock, Zimmer für Zimmer nach mir ab.

»Machen Sie den Schrank da auf«, sagte eine Stimme vom Bett her: eine feste, unsentimentale Stimme, deren Klang mir gut tat. »Machen Sie auf und gehen Sie hinein, junger Mann, aber zerdrücken Sie mir meine Kleider nicht zu sehr! Und du, Monika, rasch! Knips das Licht oben aus und laß nur die Nachttischlampe brennen. Gut so! Jetzt geh an die Tür und frage sie, was denn dieser Lärm mitten in der Nacht bedeuten soll, wo ich dazu krank bin und so weiter!«

Ich verschwand im Schrank, und Monika schloß außen ab. Die Schlafzimmertür sprang auf, und ich vernahm Stimmen. Ich wartete fünf Minuten lang geduldig. Dann wurde die Schranktür wieder geöffnet.

»Komm heraus, Des«, sagte Monika, »und danke Mary Prendergast für ihre Gescheitheit.«

»Was haben sie denn gesagt?«, fragte ich.

»Der Empfangschef war da; hat sich tausendmal entschuldigt – sie kennen mich nämlich hier, mußt du wissen –, er hat mir erzählt, wie ein Herr in der Etage unter uns von einem Kerl überfallen worden ist. Sie meinten, der Bursche müsse sich irgendwo im Hotel versteckt halten. Ich sagte ihm, ich hätte hier schon eine Stunde lang gesessen und mit Miß Prendergast geplaudert, und wir hätten nicht das geringste gehört. Da sind sie wieder gegangen!«

»Mit diesen Deutschen wird doch eine Mary Prendergast noch fertig werden«, sagte die joviale Dame im Bett. »Aber was geschieht nun, Kinder?«

Monika sprach, und ihre Stimme klang ganz kühl. Sie war immer vollkommen beherrscht.

»Mein Bruder wohnt bei mir in unserer Wohnung in der Bendlerstraße«, sagte sie. »Du erinnerst dich doch noch an Gerry, Des – er ist mit dem Flugzeug verunglückt und ist ein richtiger Krüppel, aber in letzter Zeit ging es ihm hier so viel besser, daß ich versucht habe, einen Wärter für ihn aufzutreiben, der ihn anzieht und so weiter. Aber wir haben nichts Passendes gefunden. Männer sind ja heutzutage so rar! Du könntest zu mir nach Hause kommen, Des, und diese Stellung ein, zwei Tage lang einnehmen. Ich fürchte, länger wird's nicht gehen, denn du müßtest bei der Polizei gemeldet werden und hast doch vermutlich im Augenblick keine brauchbaren Papiere.«

»Furchtbar nett von dir, Monika«, erwiderte ich, »aber es ist zu gefährlich für dich, und ich kann dein Angebot nicht annehmen.«

»Auf ein, zwei Tage kann ich's schon riskieren«, sagte sie, »ich bin in Deutschland eine bekannte Persönlichkeit, da doch mein Mann Adjutant von Mackensen ist; und da kann ich immer sagen, daß ich vergessen habe, dich zu melden; wenn sie mich nachher deswegen zur Rede stellen, kann ich ja erzählen, daß ich dich gerade melden wollte, dich aber plötzlich ... wegen Trunksucht entlassen mußte!«

»Wie komm ich denn aber nur von hier fort?«, warf ich ein.

»Das wird sich auch schon machen lassen«, erwiderte sie. »Mein Wagen holt mich um zwei Uhr ab – es muß ja gleich soweit sein – ich war unten auf einem Ball – eine der Radolin-Mädchen heiratet morgen – es war so schauderhaft langweilig, daß ich hier herauf gekommen bin und Mary Prendergast geweckt habe, um mit ihr zu plaudern. Du wirst mein Chauffeur sein! Ich weiß doch, daß du fahren kannst, du wirst dich mit meinem Mercedes schon zurechtfinden.«

»Ich kenne mich mit jedem Wagen aus«, sagte ich, »aber wie soll ich um's Himmels willen ...«

»Bleib hier und warte«, rief diese wundervolle Frau und lief aus dem Zimmer.

Zwanzig Minuten lang stand ich da und machte mit Miß Prendergast Konversation. Es waren die längsten zwanzig Minuten, die ich je in meinem Leben verbracht habe. Ich war sterbensmüde, aber meine verzweifelte Lage nahm meine Gedanken so in Anspruch, daß ich fürchte, ich war trotz aller meiner Bemühungen höflich zu sein, recht wenig unterhaltend.

»Sie armer Junge«, sagte Miß Mary Prendergast plötzlich, ohne auf die tiefe Bemerkung einzugehen, die ich eben über Wilsons Politik gemacht hatte. »Hören Sie doch auf zu reden! Setzen Sie sich da auf den Stuhl und schlafen Sie ein bißchen. Sie sehen ja vollkommen zerschlagen aus!«

Ich setzte mich hin und nickte bald im Sessel ein. Plötzlich wachte ich auf. Vor mir stand Monika. Sie zog unter ihrem Cape eine Livree und eine Mütze hervor.

»Zieh das an«, sagte sie, »und hör gut zu. Wenn du hier hinauskommst, gehst du rechts herum und dann die kleine Treppe herunter, die du da finden wirst. Unten gehst du durch eine Glastür, dann durch das Zimmer dahinter und dann zu einer Tür in der Ecke, die zur Ballsaalgarderobe führt. Dort werde ich auf dich warten. Ich werde dir mein Hermelincape zu tragen geben. Du wirst mir den Mantel umlegen und mich zum Wagen bringen. Hast du verstanden?«

»Vollkommen.«

»Jetzt paß noch einmal auf, denn wir können uns ja nicht mehr sprechen. Ich muß dir noch sagen, wie du nach der Bendlerstraße kommst.«

Sie tat es und fügte hinzu:

»Fahre aber ja vorsichtig. Wenn wir einen Zusammenstoß haben und die Polizei dazwischen kommt, kann es dir schlecht ergehen.«

»Aber dein Chauffeur«, sagte ich, »was wird denn der machen?«

»Ach, Carter«, erwiderte sie obenhin, »der fühlt sich sehr geschmeichelt. Er ist nämlich Amerikaner, weißt du ... Der hat mich eben in den Tiergarten hinausgefahren, hat da seine Livree ausgezogen, hat mich zurückgefahren und ist zu Fuß nach Hause.«

»Kannst du dich aber auch bestimmt auf ihn verlassen?«, fragte ich besorgt.

»Unbedingt«, sagte sie. »Übrigens: Carter ist in Belgien gewesen. Er hat den Grafen Rachwitz, meinen Mann, hingefahren, als er dort Dienst tat, und Carter hat nicht vergessen, was er in Belgien sah!«

Sie gab mir den Schlüssel zur Garage und noch weitere Instruktionen betreffs des Wagens. Carter sollte mir in der Garage ein Bett zurecht machen und mich am nächsten Morgen ins Haus führen, als bewürbe ich mich um die Stelle eines Wärters bei Gerry.

»Ich werde zuerst hinuntergehen«, sagte Monika, »damit du nicht zu warten brauchst. Die sind übrigens unten ganz aus dem Häuschen. Olga v. Radolins Hochzeitsgäste haben alle von der Geschichte gehört, und das ganze Haus steckt voller Polizei. Aber wenn du direkt auf mich zugehst und das Gesicht so sehr wie möglich von den Leuten abkehrst, wirst du schon durchkommen.«

Sie gab Miß Prendergast einen Kuß und schlüpfte hinaus. Was für ein paar herrliche Frauen waren das: so wunderbar kühl und erfinderisch. Sie hatten an alles gedacht.

»Gute Nacht, Miß Prendergast«, sagte ich, »Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, ich werde es Ihnen niemals vergessen!« Ich küßte ihr die Hand – da ich ihr auf keine andere Weise meine Dankbarkeit bezeugen konnte.

Sie wurde rot wie ein Backfisch.

»Es ist schon lange her, daß jemand mir dummen alten Frau die Hand geküßt hat«, sagte sie. »Waren Sie es übrigens oder war es Ihr Bruder«, fragte sie dann unvermittelt, »der meiner armen Kleinen beinahe das Herz gebrochen hat?«

»Ich möchte das nicht entscheiden«, erwiderte ich, »aber ich glaube kaum, daß Monika sich je soviel aus mir gemacht hat, daß ich mich schuldig bekennen müßte.«

Sie kniff die Augen zusammen.

»Auf den Kopf gefallen sind Sie jedenfalls nicht«, sagte sie.

Damit war ich entlassen.

Ich kam zur Ballsaal-Garderobe, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Der Raum war überfüllt: Offiziere in Uniform mit blitzenden Orden, Damen in Abendtoilette, Kutscher, Diener, Chauffeure, Kellner, alle redeten durcheinander, und die Gruppen waren so dicht, daß ich Monika zuerst gar nicht sah. An der Drehtür zur Straße standen zwei Polizisten, und daneben ein Zivilist, der aussah wie ein Detektiv.

Endlich erblickte ich Monika ganz nah bei dem Detektiv. Sie unterhielt sich mit zwei sehr elegant aussehenden Offizieren. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, kehrte dem Detektiv den Rücken und blieb regungslos neben ihr stehen.

»Ach, da sind Sie ja, Carter«, sagte sie. »Gute Nacht, lieber Baron! Auf Wiedersehen, Durchlaucht!«

Die beiden Offiziere küßten ihr die Hand, und ich legte ihr den Mantel um die Schultern. Dann ging ich ihr voran durch die Drehtür, ohne nach rechts oder links zu blicken, am Detektiv und an den beiden Polizisten vorbei. Vielleicht hat mich der Detektiv angesehen, aber wenn, so habe ich es jedenfalls nicht bemerkt. Ich war fest entschlossen, ihn zu übersehen.

Draußen ließ ich Monika den Vortritt. Sie führte mich zu einer schokoladenfarbenen Limousine. Zu meinem Entsetzen bemerkte ich, daß der Motor abgestellt war. Das bedeutete Aufenthalt, bis ich angekurbelt hatte. Aber ein freundlicher Chauffeur, der in der Nähe stand, setzte den Motor in Bewegung, während ich Monika ins Auto half, und im nächsten Augenblick glitten wir unter den blinkenden Bogenlampen über den Asphalt hin.

Die Bendlerstraße liegt im Tiergarten, ganz nah beim Esplanade, und ich fand den Weg ohne weiteres. Ich schmeichle mir, daß Monika und ich unsere Rollen ausgezeichnet spielten, und sicher konnte kein Chauffeur von Beruf ihr gewandter beim Aussteigen helfen als ich. Es war ein Miethaus, und sie hatte den Schlüssel zur Haustür. Sobald sie aufgeschlossen hatte und im Haus verschwunden war, kehrte ich zum Wagen zurück und fuhr ihn hinten herum zur Garage.

Als ich die Doppeltüren der Garage öffnete, kam ein Mann eine Treppe hinunter, die zu einem oben gelegenen Zimmer führte.

»Hat alles geklappt, Sir?«, fragte er.

»Sind Sie Carter?«, fragte ich.

»Jawohl, ich bin's«, war die fröhliche Antwort. »Lassen Sie mich jetzt nur den Wagen besorgen. Dann werde ich Ihnen zeigen, wo Sie schlafen sollen!«

Wir stellten den Wagen unter, und er führte mich hinauf in sein Zimmer, einen hellen, freundlichen Raum mit elektrischem Licht, einem Tisch mit roter Decke, einem lustigen Kaminfeuer und zwei Betten. Die Wände waren mit Bildern aus amerikanischen Zeitschriften geschmückt. Meistens Frauen- und Pferdestudien.

»Es ist ein bißchen primitiv«, sagte Carter, »aber besser hab ich's nicht herrichten können. Aber Donnerwetter, sehen Sie müde aus! Ich glaube, Sie könnten heute überall schlafen!«

Es war ein netter Kerl trotz seiner Häßlichkeit. Er hatte eine dicke Knopfnase, aber ehrliche Augen.

»Wissen Sie, mir macht das Spaß, daß wir den Deutschen da ein Schnippchen geschlagen haben«, kicherte er, und während er mir die Stiefel auszog und mir beim Auskleiden half, kicherte er noch immer.

»Das da ist Ihr Bett«, sagte er und zeigte es mir; »früher hat da der Lakai geschlafen, aber der ist jetzt eingezogen worden. Hier ist eins von Mister Gerrys Pyjamas, und neben dem Feuer steht eine Tasse Kakao. Alles ein bißchen primitiv, aber es geht leider nicht anders. Ich werde jetzt hinuntergehen. Das Bett ist sauber ... Auch frisch bezogen ...«

»Aber ich will Sie doch nicht aus Ihrem Zimmer hinauswerfen«, sagte ich, »es sind ja zwei Betten da, Sie müssen in Ihrem schlafen.«

»Zerbrechen Sie sich nur meinetwegen nicht den Kopf«, erwiderte er, »ich mach's mir unten in der Garage schon bequem. Ich sehe hier in diesem gottverdammten Lande nicht oft einen Gentleman, und wenn, dann weiß ich, wie ich ihn zu behandeln habe.«

Er wollte sich nicht überreden lassen, sondern rannte die Treppen hinunter. Unterwegs hörte ich ihn noch vor sich hinbrabbeln: »Fein, daß wir diese Deutschen ein bißchen gefoppt haben!«

Ich trank den Kakao des Prachtburschen, wärmte mich am Feuer, kroch dankbaren Herzens ins Bett und sank in tiefen, traumlosen Schlaf.


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