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7. Kapitel.
An der Grenze

Ich habe oft im Leben die Beobachtung gemacht, daß es Tage gibt, an denen irgendein gütiger Geist über einem zu schweben und alle Schritte zu lenken scheint. An solchen Tagen kann man tun, was man will, und alles wird glücken. Als der Berliner Zug donnernd über die Kanalbrücken zwischen den hohen, grauen Rotterdamer Häusern dahinrasselte und dann ungestüm in die mit Windmühlen übersäten Ebenen brauste, stellte ich fest, daß ich heute meinen guten Tag haben müßte, so freundlich hatte eine wohlmeinende Fee meine Schritte behütet, seit ich das Café verlassen hatte.

Ich war von meinem großartigen Unternehmen so erfüllt, daß ich den ganzen Morgen über beinahe mechanisch gehandelt hatte. Und wie wunderbar war trotzdem alles geglückt! Ich hatte mir mein Billett im voraus gekauft; ich hatte meinen Mantel und meinen Koffer einem Gepäckträger übergeben, der, wie sich jetzt herausstellte, mein verkleideter Retter war; ich hatte den Bahnhof verlassen und ihm auf diese Weise eine Gelegenheit gegeben, sich unbemerkt mit mir zu unterhalten. Die Anzeichen waren günstig: ich durfte heute meinem Glück vertrauen, und tief befriedigt fing ich an mich umzusehen.

Ich saß allein in einem Coupé erster Klasse. Am Fenster klebte ein Zettel, der in deutsch und holländisch verkündete, daß das Coupé reserviert sei. Plötzlich fiel mir meine Tasche und mein Mantel ein. Sie waren nirgends zu sehen. Nach kurzem Suchen fand ich sie unter der Bank. In der Manteltasche steckte eine schwarze Krawatte.

Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. Wenn irgendeiner, der diese Geschichte liest, eines Tages einen Eisenbahnbeamten auf der Strecke zwischen Rotterdam und Dordrecht die berühmten Farben eines berühmten englischen Regiments um den Hals tragen sieht, wird er wissen, wie der dazu gekommen ist. Dann fiel ich erschöpft von den Aufregungen der schlaflosen Nacht, eingehüllt in meinen grünlichen Regenmantel und mit Semlins Überzieher auf den Knien, in tiefen Schlummer.

Der Situation gemäß träumte ich von einer rasenden Flucht vor einer von Karl, dem Kellner, geführten Horde von Fremdenführern, die mir dicht auf den Fersen saß, als das Knirschen der Bremsen mich aufweckte. Der Zug fuhr merklich langsamer. Draußen schien die Herbstsonne über weite Strecken braunen Marschlands, auf dem Heidekraut leuchtete. Im nächsten Augenblick und noch ehe ich vollständig wach war, hielten wir auf einem blitzsauber aussehenden Bahnhof, und der vertraute Ruf: »Alles aussteigen!« klang mir in die Ohren.

Wir waren in Deutschland.

Die Erkenntnis traf mich wie ein Donnerschlag. Ich war in Feindesland, segelte unter falscher Flagge, wußte so gut wie gar nichts von dem Mann, dessen Stelle ich einnahm und hatte keinerlei plausible Geschichte vorbereitet, um die strenge Prüfung der Grenzpolizei zu bestehen.

Wie hieß doch meine Firma? The Halewright Manufacturing Company. Was fabrizierte sie eigentlich? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Warum war ich nach Deutschland gekommen? Wieder wußte ich keine Antwort.

Sporengeklirr auf dem Korridor, und ein Offizier gefolgt von zwei Gemeinen, die das weiße Kreuz der Landwehr auf den Helmen trugen, stand an der Tür.

»Ihre Papiere, bitte«, sagte er kurz aber höflich.

Ich reichte ihm meinen amerikanischen Paß.

»Da fehlt ja das Visum«, sagte der Offizier.

Zu meinem Entsetzen merkte ich, daß ich wieder etwas verkehrt gemacht hatte. Der Paß hätte natürlich auf dem deutschen Konsulat in Rotterdam gestempelt werden müssen.

»Ich hatte keine Zeit«, sagte ich kühn. »Ich reise in höchst dringenden Geschäften nach Berlin ... Ich bin erst gestern Nacht, als das Konsulat bereits geschlossen war, in Rotterdam angekommen.«

Der Leutnant wandte sich an einen seinen Begleiter.

»Führen Sie diesen Herrn aufs Zollamt«, sagte er und ging weiter zum nächsten Coupé.

Der Soldat nahm meinen Mantel und meinen Koffer und winkte mir, ihm zu folgen. Draußen wurden alle Leute in einen schmalen Gang gewiesen, der mit eisernen Gittern abgeteilt war und zu einer verschlossenen Tür mit der Aufschrift: »Zollrevision« führte. Ich wollte mich gerade hinten anstellen, als der Soldat mich mit dem Ellbogen anstieß. Er führte mich zu einer Seitentür, die in die nüchterne, kahle Zollhalle mit den langen Tischen zur Untersuchung des Reisegepäcks mündete. In einem Winkel hinter einem Schreibtisch befand sich eine Gruppe von Offizieren und Unterbeamten, sämtlich in der feldgrauen Uniform, die ich aus dem Leben im Schützengraben so gut kannte. Der Oberste war offenbar ein riesiger, außergewöhnlich dicker und kräftiger Mann mit blaurotem Gesicht und großer, goldener Brille. Er brüllte mit lauter, ärgerlicher Stimme:

»Er ist nicht gekommen! Da haben wir's. Wieder der ganze Klamauk umsonst!«

Er machte einen außerordentlich schlecht gelaunten Eindruck, und ich betete inbrünstig, daß man mich nicht zu ihm brächte.

Die Türen wurden aufgerissen. Ein bunt zusammengewürfelter Menschenschwarm strömte, von Soldaten vorwärtsgetrieben, herein. Eine Stunde lang etwa ging es zu wie beim Turmbau zu Babel. Die Beamten schimpften mit dem Publikum; der ganze Raum hallte wieder von ärgerlichem Gezänk. Nach einer heftigen Auseinandersetzung wurde ein lebhaft gestikulierender Jüngling von zwei Soldaten abgeführt.

Noch nie im Leben habe ich eine so gründliche Untersuchung mit angesehen. Die Koffer der Leute wurden buchstäblich von oben nach unten gekehrt, und jeder einzelne Gegenstand wurde genau beguckt und beschnüffelt. Nach der Zollrevision mußten die Reisenden zur Leibesvisitation gehen. Die Männer rechts, die Frauen links. Ich sah einen Augenblick lang eine weibliche Beamtin an der Tür lehnen ... Ein fürchterliches, weibliches Ungeheuer, das mich an jene grauenhaften Badeweiber erinnerte, die wir in unserer frühesten Kindheit am Meer gesehen hatten.

Der dicke Offizier war in ein Büro neben der Zollhalle verschwunden. Er war offenbar die letzte Instanz, denn einige Reisende, unter anderem eine vornehm angezogene, alte Dame wurden in dieses Büro geschoben und nicht mehr gesehen.

Während dieser ganzen Verwirrung hatte mich kein Mensch beachtet. Mein Wächter blickte immer gerade vor sich hin und redete kein einziges Wort. Als die Halle so gut wie leer war, kam ein Mann an die Bürotür und machte meinem Aufseher ein Zeichen.

An einem Tisch im Büro, das trotz des Sonnenscheins draußen wie ein Treibhaus geheizt war, fand ich den dicken Offizier. Er war offenbar über irgend etwas wütend, denn seine Stirn war ärgerlich gefurcht, und die Backen in seinem Bulldoggengesicht zitterten vor Erregung. Als ich eintrat, streckte er mir die Hand entgegen. »Ihre Papiere!«, grunzte er.

Ich reichte ihm meinen Paß.

Sobald er ihn angesehen hatte, stieg ihm das Blut in Wangen und Stirn, und er schlug mit der Faust krachend auf den Tisch. Der Soldat neben mir zuckte sichtlich zusammen.

»Da fehlt ja das Visum«, schrie mich der dicke Mann mit vor Wut schriller Stimme an. »Das nützt mir überhaupt nichts ...«

»Verzeihen Sie«, sagte ich auf deutsch.

»Ich verzeihe Ihnen nicht«, brüllte er. »Wer sind Sie denn? Was wollen Sie in Deutschland? Sie waren in London, wie ich aus diesem Paß ersehe.«

»Ich hatte keine Zeit, meinen Paß auf dem Konsulat in Rotterdam visieren zu lassen«, sagte ich, »ich bin zu spät abends dort angekommen und warten konnte ich nicht. Ich fahre in höchst dringender Angelegenheit nach Berlin.«

»Das hat gar nichts damit zu tun«, kreischte der Mann; er hatte sich in eine prachtvolle Wut hineingesteigert. »Ihr Paß ist nicht in Ordnung. Sie sind kein Deutscher. Sie sind Amerikaner. Wir Deutsche wissen, was wir von unseren amerikanischen Freunden zu halten haben, besonders von denen, die aus London kommen.«

Draußen schrie eine Stimme: »Nach Berlin, alles einsteigen.« Ich sagte trotz wachsenden Unbehagens so höflich ich konnte:

»Ich möchte meinen Zug nicht gern versäumen. Meine Reise nach Berlin ist von äußerster Wichtigkeit. Ich hoffe, der Zug kann warten, bis ich Sie von meiner Lauterkeit überzeugt habe. Ich habe hier eine Karte von Herrn v. Steinhardt.«

Ich hielt inne, um den Namen wirken zu lassen. Ich war überzeugt, daß er irgendein hohes Tier bei der deutschen Spionage sein müsse.

»Herr v. Steinhardt oder Herr von Soundso kann mir den Buckel lang rutschen«, rief der Deutsche aus. Dann sagte er zu einem verschüchterten Sekretär neben ihm:

»Ist er durchsucht worden?«

Der Sekretär warf einen verängstigten Blick auf meinen Wächter.

»Nein, Herr Major«, sagte der Sekretär.

»Na, dann führen Sie ihn ab, entkleiden Sie ihn und bringen Sie mir alles, was Sie finden!«

Der Wachsoldat machte wie ein Automat kehrt.

Jetzt war der Augenblick gekommen, meine letzte Karte auszuspielen. Ich konnte es nicht wagen, an der Grenze aufgehalten zu werden, sonst holten mich der Dr. Grundt und seine Helfer womöglich noch ein. Zu meiner Überraschung hatte er anscheinend nicht telegraphiert, um mich anhalten zu lassen.

»Einen Augenblick, Herr Major«, sagte ich.

»Fortführen!« Der Dicke schob mich beiseite.

»Ich wiederhole, daß ich in dringender Angelegenheit reise. Ich kann Ihnen auch den Beweis liefern. Nur ...« und ich blickte mich im Büro um, »müssen die andern alle rausgehen.«

Zu meiner größten Überraschung war der Zorn des Dicken plötzlich wie verweht. Er starrte mich fest an, nahm dann seine Brille ab und polierte sie mit einem Taschentuch. Hierauf sagte er leichthin: »Alle bis auf diesen Herrn hier rausgehen!« Der Wachsoldat, der wieder kehrtgemacht hatte, schien etwas sagen zu wollen, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken. Er salutierte, machte zum dritten Male kehrt und folgte den anderen zum Zimmer hinaus.

Als wir allein waren, zog ich meinen linken Hosenträger aus dem Ärmelloch meiner Weste und zeigte die Kupfermünze.

Der Dicke sprang auf. »Herr Doktor müssen mich entschuldigen! Ich bin ganz außer mir, ich hatte ja keine Ahnung, daß Herr Doktor nicht einer von diesen lästigen amerikanischen Spionen sind, die Deutschland überlaufen. Herr Doktor werden verstehen ... Wenn Herr Doktor doch nur gesagt hätten ...«

»Herr Major«, sagte ich mit möglichst unverschämt klingender Stimme, den Ton versteht jeder Deutsche, »ich habe nicht die Angewohnheit, mich jedem Idioten, der mir begegnet, zu erkennen zu geben. Jetzt muß ich aber zu meinem Zug zurück.«

»Der Berliner Zug ist fort, Herr Doktor, aber ...«

»Der Berliner Zug ist fort?«, sagte ich, »aber ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich sage Ihnen, daß ich unbedingt heute abend in Berlin sein muß!«

»Es kommt natürlich nicht in Frage, daß Sie mit dem gewöhnlichen Zug fahren, Herr Doktor«, erwiderte der Dicke devot. »Aber unglücklicherweise ist der Sonderzug, den ich für Sie bereit hatte, wieder abbestellt worden. Ich dachte, Sie kämen nicht mehr!«

Ein Sonderzug, Donnerwetter! Ich war offenbar eine hochstehende Persönlichkeit. Aber was sollte ich mit einem Sonderzug machen, wo zum Teufel würde mich der hinführen?

»Der Berliner Zug sollte zurückgehalten werden, bis Ihr Sonderwagen durch war«, fuhr der Major fort; »jetzt müssen wir ihn in Wesel aufhalten, bis Sie vorüber sind. Ich werde sofort dafür sorgen!«

Er gab telephonisch einen Befehl und wandte sich dann nach kurzer Unterhaltung wieder strahlend zu mir.

»Also der Zug wird in Wesel angehalten, und Ihr Sonderwagen steht in fünfundzwanzig Minuten bereit. Aber es hat ja keine Eile, Sie haben doch mindestens eine Stunde Zeit. Darf ich Herrn Doktor vielleicht ein Glas Bier und ein Butterbrot in unserem Kasino anbieten?«

Na, da saß ich mal wieder fest. Ein Sonderzug, der mich in unbekanntem Auftrag wer weiß wohin führte! Vielleicht würde ich etwas aus meinem dicken Freund herausbekommen, wenn ich mit ihm ging. Ich nahm also seine Einladung mit der gehörigen Herablassung an.

Der Major entschuldigte sich für einen Augenblick und kehrte mit meinem Koffer und meinem Überzieher zurück.

»So!«, rief er aus. »Das können wir beides hierlassen, bis wir zurückkommen!« Hinter ihm sah ich durch die geöffnete Tür eine Gruppe von Beamten neugierig ins Zimmer blicken. Als wir zwischen ihnen hindurchgingen, machten sie diensteifrig Platz. Mir war ihr betont ehrerbietiges Benehmen schrecklich peinlich.

Ein von einer Ordonnanz geführter Wagen stand vor dem Bahnhof und einer der Zollbeamten salutierte am Wagenschlag. Wir fuhren rasch durch die blitzsauberen Straßen zu einem kleinen Platz, wo eine Schildwache vor einem Eisengitter das Offizierskasino anzeigte. Im Vorzimmer saßen vier oder fünf Offiziere in feldgrauer Uniform herum. Als wir eintraten, sprangen sie auf und blieben stramm stehen, während der Major sie vorstellte: Hauptmann Pfahl, Oberleutnant Meyer ... eine Reihe von Namen. Einer der Offiziere hatte einen Arm verloren, ein zweiter hinkte, die übrigen waren offenbar Urlauber von der Front.

»Ein Amerikaner, ein guter Freund von uns«, stellte mich der Major der Gesellschaft vor. Wieder wunderte ich mich über die außergewöhnlichen Ehrenbezeugungen, mit denen man mich empfing. Die Deutschen lieben doch die Amerikaner nicht, besonders seit sie den Alliierten Granaten verkauften. Ich fing an zu meinen, daß diese Offiziere viel mehr von mir und meinem Auftrag wußten als ich selber. Eine blöde aussehende Ordonnanz mit weißen Handschuhen brachte Bier und ein paar wenig vertrauenerweckende Sardinenschnitten, die, wie sich herausstellte, aus »Kriegsbrot« bestanden.

Während das Bier eingegossen wurde, blickte ich mich in dem kahlen, sehr einfach möblierten Zimmer um. An den Wänden hingen Drucke vom Kaiser und vom Kronprinzen über einer Glasglocke mit Kriegstrophäen. Schweren Herzens erkannte ich unter anderen Stücken einen britischen Stahlhelm mit einem großen, klaffenden Loch obenauf. Da fiel mir ein, daß ich im Bereich des VII. Armeekorps war, aus dem unsere erbittertsten Gegner an der Westfront stammten.

Die Unterhaltung war höflich und oberflächlich.

»Bei solchen Gelegenheiten wie dieser hier«, sagte der lahme Offizier, »erkennt man, wie unsere Brüder jenseits des Ozeans die deutsche Sache unterstützen.«

»Ihre Arbeit muß doch außerordentlich interessant sein«, bemerkte einer der Urlauber.

»Jetzt haben Sie ja das schlimmste hinter sich«, sagte der Major, der ungefähr die Rolle des Chors in einer griechischen Tragödie spielte. »Heute abend sind Sie in Berlin, wo man Sie zweifellos für alle Ihre Mühen belohnen wird. Deutschfreundliche Amerikaner sind wohl in London nicht gerade beliebt, was?«

»Kaum«, murmelte ich.

»Sie müssen unendlich viel Taktgefühl besitzen, daß Sie keinen Verdacht erweckt haben«, meinte der Major.

»Das kommt drauf an«, sagte ich.

»Verzeihung«, sagte der Major, der sich allmählich als hemmungslose Plaudertasche entpuppte. »Ich weiß allerhand von Ihrem wichtigen Auftrag. Wir reden doch hier unter uns, nicht wahr, meine Herren? Es sind vom Generalkommando in Münster spezielle Orders Ihretwegen eingetroffen. Ihr Sonderzug hat hier vier Tage lang auf Sie gewartet. Der Herr, der Ihnen entgegengereist ist, hat vor Aufregung gefiebert. Er hatte heute morgen den Bahnhof bereits verlassen, als ... als Sie zu mir kamen. Ich habe sofort zu ihm hingeschickt, damit er Sie hier abholt.«

Die Schlinge zog sich immer mehr zusammen. Ich war ohne Zweifel eine hervorragende Persönlichkeit.

»Aus welchem Teil Amerikas kommen Sie denn, Mister Semlin?« fragte aus der Ecke eine Stimme in tadellosem Englisch. Der einarmige Offizier hatte gesprochen.

»Aus Brooklyn«, sagte ich prompt, obgleich mein Herz zu Eis erstarrte, als ich meine Muttersprache vernahm.

»Sie sprechen vollkommen akzentlos«, erwiderte der andere liebenswürdig.

»Es gibt Amerikaner, die das als Kompliment auffassen würden«, entgegnete ich aphoristisch; »nicht alle Amerikaner sprechen durch die Nase, wie wir ja auch nicht alle öffentlich spucken oder kauen.«

»Ich weiß«, sagte der junge Mann, »ich bin drüben erzogen worden.«

Alle um uns herum lächelten. Dieser Offizier, der englisch sprechen konnte, wurde offenbar von seinen Kameraden als eine Art Witzbold angesehen. Ich benutzte die Gelegenheit, ihnen in lustigem Ton meine große Einfalt zu beweisen, einem in den Vereinigten Staaten aufgewachsenen Manne erklären zu wollen, daß nicht alle Amerikaner solche Karikaturen waren, wie sie die europäischen Witzblätter darzustellen beliebten.

Im Zimmer erhob sich schallendes Gelächter.

»Ach, dieser Schmalz!« brüllte der Major und klopfte sich begeistert auf die Schenkel, »Kolossal!«, echote einer der Urlauber. Der Lahme lächelte leise und sagte, es sei »unglaublich, wie ulkig Schmalz sein könne«.

Ich hatte gehofft, daß die Unterhaltung jetzt wieder in deutscher Sprache geführt werden würde, aber nichts dergleichen. Die Herren lehnten sich alle in ihren Stühlen zurück, als erwarteten sie, daß der Spaß weiterginge.

Das war auch der Fall.

»Sie lassen Ihre Anzüge in London arbeiten«, fragte der junge Offizier.

Er war ein gut gebauter, junger Mann, noch blaß von der kürzlich überstandenen Verwundung, mit flachsblondem Haar und kühnen, strahlenden, blauen Augen – den Augen eines Kämpfers. Sein linker Ärmel war leer und an seinem Waffenrock befestigt; in einem Knopfloch trug er das schwarz-weiße Band des Eisernen Kreuzes.

»Gewöhnlich, wenn ich nach London komme«, erwiderte ich kurz. »Anzüge sind in London billiger.«

»Sie scheinen für Sprachen außerordentlich begabt zu sein«, fuhr Schmalz fort; »Sie sprechen deutsch wie ein Deutscher und englisch ...« er machte eine merkliche Pause, »... wie ein Engländer.«

Mir war grauenvoll unwohl in meiner Haut zumute. Dieser junge Mann ließ kein Auge von mir. Er starrte mich an, seit ich das Zimmer betreten hatte. Sein Benehmen war vollkommen ruhig und liebenswürdig. Ich hielt mich aber weiter ganz tapfer, glaube ich.

»Das schadet gewiß auch nichts«, sagte ich lächelnd, »wenn man in Kriegszeiten nach London muß.«

Schmalz lächelte mit vollendeter Höflichkeit zurück. Aber er fuhr fort, mich unentwegt anzustarren. Ich bekam es mit der Angst zu tun.

»Was quasselt Schmalz denn jetzt?« fragte einer der Urlauber. Ich übersetzte es ihm. Mein Bericht gab dem Mann die Gelegenheit, eine endlose Anekdote von einem Ulster zu erzählen, den er einmal während einer Urlaubsreise in Brighton gekauft hatte. Die Geschichte war noch nicht zu Ende, als die weißbehandschuhte Ordonnanz kam und verkündete, daß »ein Herr« da sei, der Herrn Major zu sprechen wünsche.

»Das wird für Sie sein«, rief der Major aufspringend aus. Mir fiel auf, daß er keinerlei Anstalten machte, den fremden hereinkommen zu lassen. »Kommen Sie, wir wollen zu ihm gehen!«

Ich stand auf und verabschiedete mich. Schmalz begleitete uns bis zur Tür des Vorzimmers.

»Sie fahren nach Berlin?«, fragte er.

»Ja«, erwiderte ich.

»Wo werden Sie denn wohnen?«, fragte er wieder.

»Oh, höchstwahrscheinlich im Adlon.«

»Ich werde nächste Woche auch zur ärztlichen Untersuchung in Berlin sein. Vielleicht sehen wir uns da einmal wieder. Ich würde mich gern mit Ihnen ausführlicher über Amerika und London unterhalten. Wir haben sicher gemeinsame Bekannte.«

Ich stammelte, daß es mich außerordentlich freuen würde oder so etwas, beschloß aber gleichzeitig im stillen, Berlin so schnell als irgend möglich wieder zu verlassen.


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