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12. Kapitel.
In der Bendlerstraße

Ich saß mit Monika in ihrem Boudoir, das im Gegensatz zu sonstigen Zimmern in Deutschland einen offenen Kamin hatte, in dem ein lustiges Feuer brannte. Monika hockte in einem entzückenden Kimono auf dem Ledersessel vor dem Kamin und hielt eines ihrer Füßchen im Atlaspantoffel vor die Glut. Sie sah in diesem hübschen Zimmer so reizend aus, daß ich einen Augenblick lang die mannigfaltigen Gefahren vergaß, die mich bedrängten.

Der tüchtige Carter hatte seine Sache gut gemacht. Als ich erwachte und mich wunderbar erfrischt fühlte, hatte er das Feuer im Kamin frisch angeschürt, und auf dem Tisch erwartete mich ein köstliches Frühstück, bestehend aus Tee, Spiegeleiern und Weißbrot.

»Sie sollen dieses schreckliche Zeug von Kriegsbrot nicht vorgesetzt bekommen«, meinte er. »Miß Monika läßt mich auch immer Weißbrot essen, genau dasselbe, das sie ißt. Ich nenne sie immer Miß Monika«, erklärte er, »wie man drüben im Hause ihres Onkels in Long Island zu ihr sagte, wo ich in Stellung war.«

Nach dem Frühstück brachte er heißes Wasser an, einen Rasierapparat und andere Toilettenrequisiten, ferner ein reines Hemd und einen Kragen, einen Mantel und einen Stetson Hut –, alles aus Gerrys Garderobe, wie ich annahm. Meine Stiefel waren ebenfalls wunderbar geputzt, kurz, ich war von Kopf bis Fuß auf Neu zurechtgemacht. So klingelte ich gegen zehn Uhr morgens an der Wohnungstür und fragte nach der »Frau Gräfin«. Auf Carters Rat hin hatte ich mir meinen Schnurrbart abgenommen, und mein glatt rasiertes Gesicht gab mir in Verbindung mit meinem schwarzen Filzhut und dem dunklen Überzieher jenes Aussehen steifer Würde, wie man es von einem männlichen Hausangestellten erwartet.

Jetzt saßen Monika und ich beieinander und überdachten gemeinsam die Situation.

»Deutsche Dienstboten tun ja im allgemeinen nichts anderes als in den Angelegenheiten ihrer Herren herumzuschnüffeln«, sagte sie; »aber wir werden hier schon nicht gestört werden. Diese Tür da führt in Gerrys Zimmer: er schlief gerade, als ich eben drin war. Ich werde dich bald nachher zu ihm führen. Jetzt erzähl mir aber erst mal alles von dir ... und Francis!«

Ich erzählte ihr wieder, diesmal aber ausführlicher, was ich von Francis wußte, von seiner Reise nach Deutschland und seinem langen Stillschweigen.

»Ich habe ganz impulsiv gehandelt«, sagte ich, »aber glaube mir, es war gut so. Nur scheint sich jetzt alles gegen mich verschworen zu haben. Es sieht so aus, als wäre ich mitten in die schlimmsten Verwicklungen hineingetragen, die bis zum Thron hinaufführen.«

»Laß nur, Des«, sagte sie, beugte sich vor und legte eine kleine Hand auf meinen Arm, »es war ja für Francis; du und ich würden doch alles tun, um ihm zu helfen, nicht wahr? ... Wenn er noch am Leben ist. Manchmal ist impulsives Handeln das einzig Wahre. Wäre ich meinem Impuls gefolgt, wäre der arme Francis jetzt vielleicht nicht in der Klemme, in der er sich befindet ...«

Und sie seufzte.

»Es sieht ja schlimm genug aus, Des«, fuhr sie fort, »vielleicht werden wir zwei keine Gelegenheit mehr haben, so miteinander zu plaudern, und deswegen möchte ich dir etwas sagen, was ich bisher noch keiner Menschenseele erzählt habe. Ich sage es dir auch nur, damit du weißt, daß du in mir immer eine Bundesgenossin finden wirst, was auch geschehen mag ... Obgleich ich dir, gebunden wie ich bin, wohl kaum viel werde helfen können.

»Dein Bruder wollte mich heiraten. Ich hatte ihn lieber als alle Menschen, die ich kannte ... oder kenne ... Papa war tot, ich war vollkommen frei, konnte tun und lassen, was ich wollte, so daß uns also nichts im Wege stand. Aber Dein Bruder war stolz ... Sein Stolz war größer als seine Liebe zu mir, so sagte ich ihm beim Abschied ... und er wollte nichts von Ehe wissen, ehe er sich nicht selbständig gemacht hatte. Dabei hatte ich doch genug für uns alle beide. Er wollte, daß ich noch ein, zwei Jahre warte, bis sein Geschäft erst im Gange war, aber sein Stolz ärgerte mich und ich wollte nicht.

»Wir zankten uns also und ich fuhr mit Frau Rushwood nach Amerika. Francis schrieb mir kein einziges Mal. Ich hörte von ihm nur durch dich. Und du hast ja nie sehr ausführlich berichtet. Frau Rushwood war verrückt nach Titeln und führte mich von einem Hof zum anderen, um, wie sie sich ausdrückte, eine passende ›Partie‹ für mich zu finden. In Wien lernten wir Rachwitz kennen ... Er sah sehr gut aus, hatte ein vorzügliches Benehmen und schien mich wirklich gern zu haben.

»Na, ich gab also Francis noch einmal eine Chance. Ich schrieb ihm einen freundschaftlichen Brief, erzählte ihm, daß Rachwitz um mich angehalten hatte und bat ihn um seinen Rat. Er schrieb mir einen boshaften, einen ganz abscheulichen Brief zurück, Des. ›Jedes Mädel, das dumm genug ist, sich für einen Titel zu verkaufen, verdient einen Deutschen zum Manne‹, schrieb er. Was sagst du dazu?«

»Armer, alter Francis«, sagte ich, »er hatte dich schrecklich lieb, Monika.«

»Na, dieser Brief gab mir den Rest. Ich heiratete Rachwitz ... und war seitdem kreuzunglücklich. Ich will dich nicht mit der Erzählung meiner ehelichen Misere langweilen, nein! Ich werde auch nicht weinen! Ich weine nicht! Karl ist kein schlechter Mensch, er ist auch ein Gentleman, aber seine Liebesgeschichten und seine Trinkgelage und sein ganzes Verhalten mir gegenüber ... das war alles so ganz anders wie das, was ich gewohnt war. Da hab ich ihn denn verlassen, wie du weißt ...«

»Aber, Monika«, rief ich aus, »was machst du denn hier?«

Sie seufzte.

»Ich bin doch durch meine Ehe Deutsche, Des«, sagte sie, »das läßt sich nicht ändern. Das Vaterland meines Mannes ... mein Vaterland ... führt Krieg, und die Frauen müssen ihr Teil tun, wo immer ihr Herz auch sein mag. Karl hat nie verlangt, daß ich zu ihm zurückkehre. Das fand ich sehr anständig. Ich bin aus eigenem Antrieb gekommen, weil ich das Gefühl hatte, mein Platz sei hier. So mache ich denn alle Handarbeitskränzchen und Rote-Kreuz-Veranstaltungen mit und versuche höflich zu sein zu den deutschen Damen und brav zuzuhören, wie sie mit ihrer Armee prahlen, wie sie heuchlerisch von Belgien reden und die besten Freunde, die Papa und ich jemals hatten, euch Engländer, beschimpfen! Doch an der Seite meines Gatten meine Pflicht zu erfüllen, verbietet mir nicht, meinen Freunden zu helfen, wenn sie in Gefahr sind. Darum kannst du auf mich zählen, Des.«

Und sie reichte mir die Hand.

»Auch ich will offen mit dir sprechen«, sagte ich, »damit du dich nicht betrogen fühlst, falls mir etwas geschehen sollte. Viel kann ich dir nicht sagen, weil mein Geheimnis besser bei mir allein aufgehoben ist. Wenn man eine Beziehung zwischen dir und mir herausfindet, und man mich faßt, wird es besser für dich sein, nichts Kompromittierendes zu wissen. Aber eins möchte ich dir sagen: es steht etwas auf dem Spiel, was wichtiger ist, als meine eigene Sicherheit, wichtiger sogar als die von Francis. Ich fürchte mich nicht vor dem Tode: wenn ich hier herauskomme, werde ich wahrscheinlich früher oder später an der Front fallen. Aber dieses Etwas wegen möchte ich mit dem Leben davonkommen und nach England zurückkehren.«

Monika lächelte glücklich.

»Warum haltet ihr Männer uns Frauen immer für dumm?«, sagte sie. »Ich weiß, daß es gefährlich ist, dich in der Nähe zu haben, Des, aber ich zerbreche mir nicht den Kopf über deine Geheimnisse. Du bist eben mein Freund und Francis' Bruder, und ich werde dir helfen.

»Jetzt höre mal zu: der alte v. Boden war gestern auch auf dem Fest: er kam erst spät. Er erzählte mir, daß Rudi v. Boden Depeschen nach Rumänien in Mackensens Hauptquartier bringen soll. Ich hab also den alten Mann heute früh angerufen und gefragt, ob Rudi ein Paket für Karl mitnehmen würde. Er sagte ja und kommt heute mittag zum Lunch her, um es abzuholen.

»v. Boden ist ein alter Gauner und läuft jeder Schürze nach. Er macht mir mächtig den Hof, jawohl, mein Herr! Ich glaube, ich kann aus ihm herausbekommen, wie die Sache mit dir steht. In den Zeitungen steht heute morgen nichts über die Geschichte im Esplanade. Aber solche Sachen werden ja immer vertuscht.«

»Er wird schwerlich etwas verraten«, warf ich ein, »wo doch der Kaiser mit darin verwickelt ist ...«

»Mein lieber Des, in diesem Lande hält man in militärischen Kreisen so wenig von weiblicher Intelligenz, daß die Offiziersfrauen am Hofe oft viel besser informiert sind als der Generalstab. v. Boden wird mir alles sagen, was ich wissen möchte.«

Was für eine Prachtfrau sie doch war!

»Dein Freund mit dem Klumpfuß da macht mir ja Sorge«, fuhr sie fort. »Er muß eine ziemlich angesehene Persönlichkeit sein, um mit einem Sonderzug abgeholt und direkt in die Privatgemächer des Kaisers geführt zu werden, wo wirklich nur ganz wenige hingelangen, versichere ich dir. Aber ich habe noch nie von ihm gehört. Er ist bestimmt kein Hofbeamter, und Chef der politischen Polizei ist er auch nicht, das ist Henninger, ein Freund von Karl. Aber es gibt ja in diesem Lande hochwichtige Persönlichkeiten, die im Dunkeln arbeiten, und zu denen muß der Dr. Grundt gehören.

»Jetzt muß ich dich wohl zu Gerry hineinbringen, möchte dir aber vorher noch etwas von ihm erzählen, Des. Ich trau mich nicht, ihm zu sagen, wer du bist. Gerry ist nicht mehr er selber. Er ist seit seinem Unfall nur noch ein Nervenbündel, und ich kann mich nicht auf ihn verlassen. Er ist schrecklich konventionell, und es würde sich niemals mit seinen Prinzipien vertragen, daß ich einen ... einen ...«

»Spion?« warf ich ein.

»Nein, einen Freund beherberge«, verbesserte sie. »Du wirst also die Rolle des Krankenwärters spielen. Am besten du gibst dich als Deutsch-Amerikaner aus, denn du wirst Gerry die deutschen Zeitungen übersetzen müssen – er versteht nämlich kein Wort deutsch. Was für einen Namen wollen wir dir denn nun geben ...?«

»Frederick Meyer«, schlug ich prompt vor, »aus Pittsburg. Es muß schon Pittsburg sein, da war nämlich Francis eine Zeitlang und hat mir viel von der Stadt erzählt. Das ist die einzige amerikanische Stadt, von der ich irgend etwas weiß.«

»Also schön, Meyer aus Pittsburg«, lächelte Monika, »aber du hast einen scheußlichen, englischen Dialekt, Des, wir werden wohl Gerry erzählen müssen, daß du vor dem Krieg ein paar Jahre lang in London in Stellung warst.«

Sie zögerte einen Augenblick und fügte dann hinzu:

»Ich fürchte, Gerry wird dir sehr auf die Nerven fallen, Des, er ist schrecklich reizbar und ... tückisch. Du mußt dich also zusammennehmen und Geduld mit ihm haben.«

Ich war dem Bruder nur einmal begegnet und hatte ihn als gut aussehenden, ziemlich verwöhnten Jüngling in Erinnerung. Er war ganz und gar in den Vereinigten Staaten erzogen worden, bei jenem Onkel in Long Island, dessen großes Vermögen er geerbt hatte.

»Hier oben bist du fürs Erste gut untergebracht«, fuhr Monika fort, »du wirst im Zimmer neben Gerry schlafen und ich werde dir auch deine Mahlzeiten da servieren lassen. Wenn ich erst von dem General weiß, wie die Dinge stehen, werden wir beschließen, was weiter zu geschehen hat.«

»Ich werde mit Herrn Gerry sehr behutsam umgehen«, sagte ich, »aber Monika, mich hat er ja zwar nur einmal gesehen, aber Francis kennt er doch recht gut und wir sehen uns ziemlich ähnlich. Er wird mich doch nicht etwa erkennen?«

»Ach, Des, das ist doch Jahre her, seit er dich sah, und jetzt, wo du glatt rasiert bist, siehst du Francis gar nicht so ähnlich. Wenn du vorsichtig bist, wird schon alles klappen. Es ist ja auch nicht für lange. Komm, jetzt gehen wir hinein.«

Als wir ins Zimmer traten, rief eine nörgelnde Stimme:

»Bist du's, bist du's, Monika? Ich soll wohl den ganzen Morgen über allein bleiben.«

»Gerry«, erwiderte Monika sehr sanft, »ich habe jemanden engagiert, der sich ein bißchen um dich kümmern soll. Kommen Sie her, Meyer! Das ist Frederick Meyer, Gerry!«

Nie hätte ich in dem blassen Mann mit den verzerrten Zügen, der mich mit gerunzelter Stirn vom Bett aus anschaute, den hübschen, ziemlich indolenten Jungen wiedererkannt, dem ich einmal in London begegnet war.

»Wer ist denn das? Wo hast du ihn denn her? Kann er deutsch?« Er bombardierte Monika mit diesen Fragen. Sie aber antwortete ihm geduldig und zart.

Er war offenbar zufrieden, denn als Monika aufstand, um uns allein zu lassen, warf er mir einen Stoß deutscher Zeitungen zu und befahl mir, sie ihm vorzulesen.

Ich hatte keine zehn Minuten bei dem Mann gesessen, da wußte ich auch schon, was für ein unmöglicher Kerl er war. Nichts konnte ich ihm recht tun. Mal wollte er nichts mehr vom Kriegsschauplatz hören, dann fand er den Bericht von der Reichstagssitzung langweilig, bald las ich nicht laut genug, bald ärgerte ihn meine Stimme. Zuletzt riß er mir die Zeitung aus der Hand.

»Ich verstehe immer nur die Hälfte von dem, was Sie sagen«, rief er mit schriller, ärgerlicher Stimme aus. »Sie brabbeln und murmeln wie ein Engländer. Sie sagen, Sie sind Amerikaner?«

»Jawohl, Sir«, erwiderte ich bescheiden, »aber ich habe viele Jahre lang in England gelebt.«

»Na, ein Glück, daß Sie jetzt nicht da sind. Diese Engländer haben ja 'n Vogel. Nie werden sie Deutschland kleinkriegen. Und wenn sie's auch hundert Jahre lang probieren. Dieses Land hier ist doch fabelhaft. Nichts kann dagegen aufkommen! Das liegt eben an der Organisation! Die Deutschen sind eben überall die Ersten. Denken Sie doch zum Beispiel an ihre Ärzte! Ich war in Amerika bei sämtlichen Spezialisten und habe ihnen Tausende von Dollars gezahlt, und was haben sie mir genützt? Nicht das Mindeste! In Deutschland dagegen verlangen sie den vierten Teil vom Honorar und ich fühle mich schon wie verwandelt. Ehe sich die Engländer an die Deutschen heranmachen, sollten sie lieber ...«

So ging das unentwegt. Ich kannte die Sorte, den Amerikaner, der von deutscher Tüchtigkeit und Gründlichkeit so völlig hypnotisiert ist, daß er die Kehrseite der Medaille gar nicht sieht.

Endlich hatte er sich müde gesprochen und befahl mir, ihm wieder vorzulesen.

»Lesen Sie mal von der Geschichte im Hotel Esplanade, gestern abend«, kommandierte er.

Ich hatte die Blätter schon nach einer Notiz über diesen Fall durchgesehen, aber wie Monika gesagt hatte, es stand nirgends etwas davon drin. Ich wunderte mich darüber, daß Gerry etwas davon wußte. Monika hatte ihm doch gewiß nichts erzählt.

»Was für eine Geschichte meinen Sie denn?«, sagte ich, »es steht nichts davon in der Zeitung.«

»Natürlich steht was drin, Sie Trottel, wozu engagiere ich Sie denn zum Vorleser, wenn Sie die Neuigkeit nicht finden, von der die ganze Stadt spricht? Es hat keinen Sinn, daß Sie mir die Zeitung zeigen, Sie wissen doch, daß ich sie nicht lesen kann! Hier, Josef wird Bescheid wissen!«

Ein Diener war mit ein paar Kleidungsstücken geräuschlos ins Zimmer gekommen.

Gerry wandte sich ihm zu.

»Josef, wo haben Sie denn die Geschichte gelesen, von der Sie mir erzählt haben? Die Sache mit dem englischen Spion, der einen Mann gestern abend im Esplanade überfallen hat?«

»Das steht nicht in der Zeitung, Sir. Ich hab's vom Chauffeur von Biedermanns nebenan gehört. Der war mit seinen Herrschaften auch gestern abend bei dem Ball. So was setzen se nich in die Zeitung, Sir.«

Der Mann kicherte.

Mir war bei dieser Unterhaltung nicht recht wohl zumute. Und ich war froh, als mir befohlen wurde, in drei Teufels Namen weiterzulesen.

Ich las dem jungen Amerikaner den ganzen Morgen über vor. Er benahm sich wie ein schrecklich verzogenes Kind. Er nörgelte und quängelte und ich hatte manchmal Mühe, nicht die Geduld zu verlieren. Immerzu hatte er an meinem englischen Akzent etwas auszusetzen und spottete so beleidigend und so betont über das, was er »Ihre englischen Freunde« nannte, daß ich schon anfing zu glauben, er verfolge einen bestimmten Zweck damit. Aber das gehörte alles nur zu seiner Krankheit, denn als Josef, der Diener, mit dem Frühstückstablett erschien, entschuldigte sich der Amerikaner für sein Benehmen.

»Ich fürchte, es ist manchmal nicht ganz leicht mit mir, Meyer«, sagte er freundlich lächelnd. »Aber Sie scheinen ja ein anständiger Kerl zu sein. Gehen Sie jetzt nur essen, Sie brauchen erst um vier Uhr wiederzukommen: ich schlafe immer etwas nach Tisch, da, nehmen Sie sich 'ne Zigarre!«

Ich nahm die Zigarre mit aller Demut, die sich für meine Rolle geziemte und folgte dem Diener ins Nebenzimmer, wo der Tisch für mich gedeckt war. Ich bin für äußere Einflüsse überaus empfindlich und fühlte instinktiv, daß ich diesem Josef da nicht vertrauen durfte. Vermutlich nahm er es mir übel, daß ich in den Kreis eingedrungen war, in dem er bisher allein geherrscht hatte und aus dem er bestimmt allerhand hübsche Nebeneinkünfte bezog.

Er führte mich an den Frühstückstisch und ließ mich dann allein. Nach einem ausgezeichneten Essen mit vorzüglichem Bier zündete ich mir eine Zigarre an und schlug ein Buch auf, als Josef wieder auftauchte.

»Die Frau Gräfin erwartet Sie unten!« sagte er.

Monika empfing mich in einem kleinen Salon, die Wohnung ging durch zwei Stockwerke. Sie war sehr aufgeregt und hatte ihre gewohnte Ruhe ganz verloren.

»Des«, sagte sie, »Boden war hier!«

»Na und«, erwiderte ich begierig.

»Ich hab nicht viel herausbekommen«, fuhr sie fort. »Ich bin ganz verzweifelt, Des. Noch nie habe ich den alten General so gesehen, wie heute. Er ist ein abscheulicher Tyrann, aber auch sein schlimmster Feind könnte ihm keine Feigheit vorwerfen. Heute aber war der Mann vollständig eingeschüchtert. Er hatte richtige Angst um sein Leben und ich hatte furchtbare Mühe, ihn überhaupt zum Sprechen zu bringen. Ich machte eine scherzhafte Bemerkung über die Aufregung gestern abend im Hotel und da sagte er:

›Der gestrige Tag kann nicht nur das Ende meiner Karriere, sondern auch der meines Sohnes bedeuten. Gestern habe ich mir einen Mann zum Feinde gemacht, gnädige Frau, den man nicht beleidigen darf, ohne Verderben, vielleicht sogar Tod zu gewärtigen.‹

›Sie meinen den Kaiser?‹, fragte ich.

›Den Kaiser!‹ sagte er. ›Oh, gewiß, der ist wütend. Aber nein, ich sprach nicht vom Kaiser!‹

Dann wechselte er das Thema, und ich mußte furchtbar geschickt vorgehen, um ihn wieder darauf zurückzubringen. Ich fragte ihn, ob sie denn den Mann bekommen hätten, der den anderen im Esplanade überfallen hatte. Er sagte, nein, aber das sei nur eine Frage der Zeit: der Bursche könne nicht entkommen. Ich sagte, sie würden wohl eine Belohnung aussetzen und den Angreifer steckbrieflich verfolgen. Er aber erklärte, daß nichts dergleichen geschehen würde.

›Das Publikum wird nichts von der Geschichte zu hören bekommen‹, sagte er, ›und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Gräfin, vergessen Sie auch alles, was Sie davon wissen. Die Prinzessin Radolin schreibt ebenfalls allen ihren Gästen und bittet sie dringend, nichts von dem Vorfall verlauten zu lassen. Auch die Hotelangestellten werden schweigen. Die Interessen, die auf dem Spiel stehen, gestatten es nicht, daß etwas von dem Vorfall in die Öffentlichkeit kommt.‹

Mehr konnte ich nicht aus ihm herausbekommen. Aber ich muß dir noch etwas sagen. Der General ist gleich nach Tisch fortgegangen. Kaum war er weg, als ich ans Telephon gerufen wurde. Dr. Henninger war am Apparat, du weißt doch, der Chef der politischen Polizei. Der hat mir denselben Rat gegeben, wie der General, nämlich alles zu vergessen, was gestern abend im Esplanade passiert ist, und dann klingelte mich die Prinzessin Radolin an, um mir das auch noch mal ans Herz zu legen. Sie schien große Angst zu haben, sie hatte direkt Tränen in der Stimme. Jemand muß ihr einen großen Schrecken eingejagt haben.«

»Es ist ganz klar, daß ich nicht hierbleiben kann, Monika, wer weiß, was dir passieren kann, wenn ich in deiner Wohnung entdeckt werde.«

»Wenn Gefahr besteht«, erwiderte sie, »so bin ich bereit, sie auf mich zu nehmen. Du kannst in Berlin nirgends anders hin, und wenn man dich draußen findet, kommen sie vielleicht auch dahinter, wo du dich versteckt gehalten hast, und dann sind wir genau so schlimm dran, wie jetzt. Nein, du bleibst jetzt hier und vielleicht kann ich dich in ein, zwei Tagen fortschaffen. Ich habe mir nämlich was ausgedacht. Karl hat in der Nähe der holländischen Grenze, dicht bei Cleve, ein Haus, Schloß Bellevue heißt es, ein alter Familiensitz. Karl benutzt es aber nur als Jagdschloß. Wir haben da vor dem Krieg jeden Herbst Jagden veranstaltet. Jetzt waren wir zwei Jahre lang nicht mehr dort und es ist schrecklich viel Wild da. Die Regierung hat einen Appell an alle gerichtet, die einen Jagdschein besitzen, und sie aufgefordert, ihr Wild zu schießen und es auf den Markt zu bringen. Daher hatte ich vor, in diesem Monat nach Schloß Bellevue zu fahren und mit dem Verwalter zu reden. Wenn ich nun Gerry überreden könnte, mich zu begleiten, könntest du doch vielleicht mitkommen und von dort aus über die holländische Grenze gelangen. Die Grenze ist nämlich nur etwa fünfzehn Meilen vom Schloß entfernt. Wenn sich Gerry überreden läßt, könnten wir ja schon in ein, zwei Tagen abreisen. Inzwischen bist du hier ganz gut aufgehoben.«

Ich sagte, ich wolle mir die Geschichte einmal überlegen, ich glaubte, sie setze dabei zu viel aufs Spiel. Aber im Grunde stand mein Entschluß bereits fest. Ich konnte diese treue Freundin nicht ins Verderben stürzen.

Dann ging ich wieder zu Gerry hinauf, der genau so schlechter Laune war, wie am Vormittag. Das Essen hatte ihm nicht geschmeckt, er hatte nicht geschlafen, im Zimmer war es nicht warm genug ..., das war nur ein Teil der Klagen, mit denen er mich überschüttete. Seine Stimmung war wirklich unerträglich. Er schickte mich bald hierhin, bald dorthin, gab mir einen Befehl und zog ihn im gleichen Atemzug zurück. Meine Gefälligkeit schien ihn zu reizen, und ihn zu immer neuen Bosheiten herauszufordern.

Endlich kam er wieder auf sein altes Thema zurück, auf meine englische Aussprache.

»Unser gutes Amerikanisch ist wohl nicht fein genug für so einen vornehmen englischen Herrn wie Sie«, sagte er, »aber ich glaube, wenn Sie noch ein bißchen länger hier in Berlin sind, werden Sie sich Ihre Aussprache da schon abgewöhnen. Ein englischer Akzent ist hier augenblicklich nicht sehr zuträglich, mein verehrter Mister Meyer; reden Sie also lieber wie wir alle, wenn Ihnen daran liegt, in diesem Hause zu bleiben. Meine Gesundheit erlaubt mir nicht, mich jetzt aufzuregen, und ich habe keine Lust, mit der Polizei in Kollision zu geraten, weil einer ihrer verdammten Detektivs vielleicht gehört hat, daß mein Wärter die Vokale so dehnt wie 'n Brite – noch dazu, wo dieser englische Spion da frei herumläuft. Übrigens Sie müssen ja noch gemeldet werden. Hat meine Schwester schon dafür gesorgt?«

Ich sagte, sie hätte bereits alles eingeleitet.

»Ich möchte wissen, ob sie es erledigt hat. Ich bin ein hilfloser Krüppel, und nichts wird für mich getan. Haben Sie ihr Ihre Papiere gegeben? Ja oder nein?«

Da saß ich nun in der Tinte. Der Mann ließ nicht locker.

Ich log also. Ich sagte, die Gräfin hätte meine Papiere bekommen.

Da klingelte er augenblicklich und fragte Monika aus. Er hatte sich inzwischen in eine hübsche Erregung hineingesteigert.

»Was höre ich da, Monika?« schrie er sie mit seiner hohen Jammerstimme an. »Meyer ist noch nicht polizeilich gemeldet?«

»Ich werde morgen früh gleich dafür sorgen, Gerry«, sagte sie.

»Morgen früh. Morgen früh!« schrie er und warf die Hände in die Luft. »Wie kann man nur um Gottes willen so liederlich sein. Gesetz ist doch Gesetz. Die Papiere dieses Mannes müssen noch heute hingebracht werden ... Augenblicklich!«

Monika sah mich hilfesuchend an.

»Ich fürchte, ich bin der Schuldige, Sir«, sagte ich. »Mein Paß ist nämlich nicht ganz in Ordnung und ich muß erst zur Botschaft, ehe ich ihn zur Polizei schicke.«

Dann sah ich plötzlich Josef mit einem Tablett in der Hand neben dem Bett stehen.

»Ein paar Briefe, Sir«, sagte er zu Gerry.

Wie lange mochte er wohl schon unbemerkt im Zimmer gewesen sein?

Gerry schob die Briefe mit einer ungeduldigen Gebärde fort und brach in einen richtigen Schreikrampf aus. Er wollte nicht, daß es so liederlich im Hause zuginge; er wollte keine unbekannten Fremden um sich haben, wo die Stadt voll wäre von Spionen – vor allen Dingen keine Leute mit englischem Akzent – das hielten seine Nerven nicht aus. Monika hätte das doch wissen sollen und so weiter und so weiter. Der langen Rede kurzer Sinn war, daß er mir befahl, meinen Paß unverzüglich vorzuweisen. Monika sollte die Botschaft anrufen und bitten, daß man ihn ausnahmsweise außerhalb der Bürostunden in Ordnung brächte, dann sollte Josef gleich mit mir auf die Polizei gehen.

Wie wir aus diesem Zimmer hinausgekommen sind, weiß ich nicht. Monika brachte es mit ihrer Sanftmut und weiblichem Takt zuwege. Ich glaube, der verrückte Kerl hätte sich am liebsten meinen Paß selber angesehen, aber davor bewahrte mich Monika.

Ich hatte Hut und Mantel in der Diele unten gelassen. Ich zog meinen Mantel an und ging dann zu Monika in den kleinen Salon.

Sie hätte mir gern viel gesagt – ich sah es ihren Augen an – aber sie merkte wohl meinem Gesicht an, was ich vorhatte und sagte daher nichts.

Auf der Schwelle sagte ich laut:

»Gut, Frau Gräfin, ich werde direkt von der Botschaft zurückkehren und dann mit Josef zur Polizei gehen.« Die Worte waren für Josef bestimmt, der sich auf der Treppe zu schaffen machte.

Einen Augenblick später fand ich mich heimatlos auf den Straßen Berlins.


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