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13. Kapitel.
Herr Eugen Kore

Draußen war es dunkel. Ich hatte den unbestimmten Verdacht, daß das Haus bewacht würde, aber in der Bendlerstraße war alles still. Ich lief an den vornehmen Häusern entlang zur Tiergartenstraße, wo auch nicht das Geringste zu sehen war, was das Herz eines Amateur-Spiones hätte erschrecken können, sogar in der Tiergartenstraße, wo die jüdischen Millionäre wohnen, war wenig Verkehr, und ich kam mir merkwürdig unromantisch vor, wie ich so das saubere Pflaster entlang nach den Linden zu lief.

Jetzt stand mir der ursprüngliche Zweck meiner Reise nach Deutschland wieder klar vor Augen. Eine Reihe ungewöhnlicher Abenteuer hatte mich von meinem Weg abgebracht, aber nicht von meinem Ziel. Ich war mir klar darüber, daß ich mich nie wieder wohl fühlen würde, wenn ich Deutschland verließ, ohne mich vergewissert zu haben, daß es meinem Bruder gut ging. Jetzt stand ich nun auf der Schwelle einer großen Entdeckung oder einer Enttäuschung.

Denn mein nächstes Ziel war die Straße In den Zelten. Vielleicht ging ich ganz fehl mit der Deutung des Zettels, den ich für eine Botschaft von Francis hielt. Wenn die Auslegung falsch war, wenn der Brief überhaupt nicht von ihm stammte – dann würden alle Hoffnungen, die ich auf diesen verrückten Einfall in Feindesland gesetzt hatte, zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. Dann allerdings würde ich in einer traurigen Verfassung sein.

Allein ich verließ mich auf meine Glückssträhne. Bis jetzt war es mir gelungen, alle Schwierigkeiten zu überwinden, ich wollte also meinem Stern weiter vertrauen.

Zur Vorsicht hatte ich meinen Kragen aufgeschlagen, und mir den Hut tief ins Gesicht gezogen. Aber ich wurde von niemandem behelligt. Schließlich hätte mich ja nur Dr. Grundt und Schmalz erkennen können, und wenn ich mich von Hotels, Restaurants und Bahnhöfen fernhielt, wo Verbrecher ja meistens gefaßt werden, würde ich wohl verhältnismäßig sicher sein. Das schlimmste war die Paßfrage.

Ich mußte Semlins Paß unbedingt loswerden. Ich zerriß ihn beim Gehen in kleine Schnitzelchen, die ich in großen Abständen fortwarf. Es kostete mich einige Überwindung, das zu tun, denn ein Paß ist immer sehr nützlich und imponiert doch den meisten Menschen. Dieser Paß aber war gefährlich. Er hätte mich unter Umständen verraten können, während man mich sonst nicht so leicht erkennen konnte.

Ich mußte ein paar mal nach dem Weg zu den Zelten fragen. Einmal einen Postboten und das zweite Mal einen verwundeten Soldaten, der an Krücken humpelte. Endlich fand ich die Straße, die von dem großen Platz vor dem Reichstag abgeht. Nummer zwei war das zweite Haus von rechts.

Ich hatte keinen bestimmten Plan. Nichtsdestoweniger ging ich kühn die Treppen hinauf. Es war nur immer eine Wohnung auf jeder Etage. Im dritten Stock blieb ich ziemlich außer Atem vor einer Tür stehen, an der ein kleines Messingschild mit dem Namen »Eugen Kore« angebracht war. Ich klingelte.

Ein älterer Diener öffnete die Tür.

»Ist Herr Kore zu Hause«, fragte ich.

Der Mann blickte mich mißtrauisch an.

»Ist der Herr gemeldet?«, fragte er.

»Nein«, entgegnete ich.

»Dann wird Herr Kore Sie nicht empfangen«, war die Antwort, und der Mann tat, als wolle er die Tür wieder zumachen.

Da hatte ich einen Einfall.

»Einen Augenblick!«, rief ich aus und fügte leise das Wort »Achilles« hinzu.

Der Diener öffnete mir die Tür weit.

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«, meinte er. »Bitte, treten Sie näher, ich werde sehen, ob der Herr Sie empfangen kann.«

Er führte mich durch eine Diele in ein Wohnzimmer, wo er mich allein ließ. Es sah hier aus, wie in einem Museum. Alte Holländer und italienische Meister hingen an den Wänden, in einer Ecke stand ein prachtvoller Florentiner Schrank und gegenüber ein antikes Gebetpult. Auf einer Etagere befand sich eine ganze Sammlung von alten Schlüsseln, jeder mit besonderem Etikett versehen. »Schlüssel der Festung Spandau, 1715«, »Schlüssel des hinteren Tors vom Palast des Paschas in Belgrad, 1810«, »Nürnberger Hausschlüssel, 1567«, waren Inschriften, die mir ins Auge sprangen.

Dann hörte ich eine Stimme hinter mir sagen:

»Interessieren Sie sich für derartige Sammlungen?«

Ich wandte mich um und erblickte einen kleinen untersetzten Mann von jüdischem Aussehen, kahlem Kopf, dicker Nase und kleinen blanken Augen.

»Eugen Kore!«, stellte er sich vor und verbeugte sich.

»Meyer!«, erwiderte ich, der deutschen Sitte gemäß.

»Und was kann ich für Herrn ... Meyer tun?«, fragte er mit öliger Stimme und machte vor dem Namen eine kleine Pause, um mich wissen zu lassen, daß er ihn für ein Pseudonym hielt.

»Ich glaube, Sie kennen einen meiner Freunde, dessen Adresse ich gern wissen möchte«, sagte ich.

»Ah«, seufzte er. »Ein Geschäftsmann wie ich lernt ja so viele Menschen kennen ... wie, sagten Sie doch, war der Name Ihres Freundes?«

Ich dachte, der Name »Eichenholz« würde vielleicht seine Wirkung auf diesen rätselhaften Kerl nicht verfehlen.

»Eichenholz? Eichenholz?« wiederholte Kore, »der Name kommt mir bekannt vor ... Ja, warten Sie mal ... Eichenholz, Eichenholz ...«

Er schloß beim Sprechen einen seiner Schränke auf, in dem eine Kassette stand. Die öffnete er, holte ein dickes Buch heraus und fuhr mit dem Finger das Namenregister entlang. Dann klappte er das Buch zu, legte es an Ort und Stelle zurück, schloß Kassette und Schrank ab und wandte sich mir wieder zu.

»Jawohl«, sagte er, »ich kenne den Namen.«

Sein Schweigen war unerträglich.

»Können Sie mir sagen, wo ich ihn finden kann«, fragte ich.

»Jawohl«, war die Antwort.

Ich stand wie auf Kohlen.

»Na, wo denn?«, fragte ich.

»Tja, das ist ja alles ganz schön und gut, mein Herr«, sagte er, »Sie kommen hier aus heiterem Himmel an, stellen sich als Meyer vor, fragen mich ›wer?‹ und ›was?‹ und ›wo?‹ – alles Fragen, deren Beantwortung in meinem Geschäft unter Umständen wertvoll ist. Wir Auskunfteien müssen doch auch leben, mein lieber Herr, wir müssen essen und trinken, wie andere Sterbliche, und die Zeiten sind schwer, sehr schwer. Darf ich jetzt mal eine Frage an Sie stellen? Meyer? Wer ist Meyer? Alle Welt heißt in Deutschland Meyer!«

Ich mußte über diese bizarre Rede lächeln.

»Gesetzt den Fall«, sagte ich, »... dieser Eichenholz wäre mein Bruder?«

»Da könnte er sich gratulieren«, sagte Kore, und seine Eidechsenäugelchen blitzten.

»Und er hat mir geschrieben, ich sollte Sie aufsuchen und mich nach ihm erkundigen. Sie scheinen ja Rätsel zu lieben, Herr Kore ... ich werde Ihnen eins zeigen!«

Und ich las ihm die Botschaft von Francis bis auf die ersten beiden Zeilen vor.

Der kleine Mann strahlte vor Entzücken.

»Ach! Das ist ja großartig!«, rief er aus. »Der ist ja helle, dieser Herr Eichenholz, wer hätte das geglaubt? Glänzend, glänzend!«

»Wie Sie sagen, Herr Kore, müssen Privatdetektive leben, und ich bin gern bereit, Ihnen Ihre Auskünfte zu bezahlen ...«

Dabei zog ich meine Brieftasche hervor.

»Die Sache ist ganz einfach«, erwiderte Herr Kore. »Kostenpunkt fünfhundert Mark. Als ich meinen Kunden das letztemal sah, sagte er, ›Kore, wenn jemand kommt und Sie nach mir fragt, dann nennen Sie ihm das Wort und er wird Ihnen fünfhundert Mark zahlen‹.«

»Das Wort?« sagte ich.

»Jawohl, das Wort«, wiederholte er.

»Sie müssen holländisches Geld nehmen«, sagte ich. »Rechnen Sie es in Gulden um ... dann zahle ich!«

Er kritzelte mit einem kleinen Bleistiftstummel etwas auf einen Notizblock und ich zahlte ihm sein Geld.

Dann sagte er: »Boonekamp!«

»Boonekamp?« wiederholte ich verdattert.

»Das ist das Wort«, kicherte er und lachte dann laut über meine entgeisterte Miene, »ich versteh es übrigens genau so wenig, wie Sie.«

»Boonekamp?«, wiederholte ich noch einmal. »Ist das ein Männername oder heißt eine Stadt so? Das klingt doch holländisch. Haben Sie denn gar keine Ahnung? ... Na los, ich zahle.«

»Vielleicht ...« fing er an.

»Was, vielleicht was?«, rief ich ungeduldig aus.

»Möglicherweise ...«

»Heraus damit, Mann Gottes«, rief ich aus. »Sagen Sie doch, was Sie meinen!«

»Wenn ich vielleicht dem Herrn den Dienst erweisen könnte, den ich seinem Bruder erwiesen habe, würde dadurch Licht ...«

»Was für einen Dienst haben Sie denn meinem Bruder erwiesen?« erkundigte ich mich hastig. »Ich tappe ja hier vollständig im Dunkeln.«

»Vielleicht befindet sich der Herr in Schwulitäten? ... Wegen seines Militärdienstes oder seiner Papiere? Der Herr ist jung und kräftig ... War er draußen im Felde? Hat er es da schwer gehabt? Hat er sich jemals draußen nach dem behaglichen zu Hause gesehnt? Hat er niemals die beneidet, die d. u. geschrieben worden sind? Die Söhne der Reichen vielleicht, deren Väter schlau sind und sich verschaffen können, was sie brauchen?«

Seine kleinen Äugelchen bohrten sich in meine.

Ich fing an, zu verstehen.

»Und wenn ich das nun wäre?«

»Dann kann der alte Kore nur sagen, daß der Herr sich an die richtige Adresse gewandt hat, wie sein Herr Bruder. Womit kann ich dem Herrn also dienen? Was hat er für Wünsche? Es ist ein schwieriges, gefährliches Geschäft. Es kostet Geld, viel Geld, aber es läßt sich einrichten ... Es läßt sich einrichten.«

»Aber wenn Sie auch das für mich tun, was Sie für meinen Bruder getan haben«, sagte ich, »so sehe ich doch nicht ein, was das zur Aufklärung dieses Wortes beitragen soll!«

»Mein lieber Herr, ich tappe da genau so im Dunkeln wie Sie. Aber eins kann ich Ihnen sagen. Ihr Bruder ist dank meiner Intervention an eine Stelle gesetzt worden, wo er leicht auf dieses Wort hat stoßen können ...«

»Na«, sagte ich ungeduldig.

»Wenn ich also für den Herrn das tue, was ich für seinen Bruder getan habe, könnte der Herr vielleicht da unterkommen, wo sein Bruder untergekommen ist. Der Herr ist sehr jung und fesch, er kann vielleicht ...«

»Hören Sie doch um Himmels willen auf, in Rätseln zu sprechen«, rief ich verzweifelt aus, »und geben Sie endlich einmal eine klare Antwort auf meine Frage! Also erstens: Was haben Sie für meinen Bruder getan?«

»Ihr Bruder ist von der Front desertiert – das ist der schwierigste Fall, mit dem wir es zu tun haben – wir haben ihm eine vierzehntägige Aufenthaltserlaubnis beschafft und außerdem eine Stellung in einem Betrieb, wo man nicht nach ihm fragen würde.«

»Und dann?« rief ich zitternd vor Neugierde aus.

Er zuckte die Schultern und rieb sich die Hände.

»Dann ist er eines Tages verschwunden. Kurz vorher habe ich ihn noch gesehen und da gab er mir die Instruktionen, von denen ich Ihnen vorhin erzählt habe, für den Fall, daß jemand nach ihm fragte.«

»Aber hat er Ihnen nicht gesagt, wohin er gehen würde?«

»Er hat mir ja nicht einmal gesagt, daß er überhaupt gehen würde, Herr, er ist einfach verschwunden.«

»Und wann war das?«

»Ungefähr in der ersten Juliwoche ... damals, als so schlechte Nachrichten aus Frankreich kamen.«

Ich erinnerte mich, daß Francis' Botschaft vom 1. Juli datiert war.

»Ich habe gute schwedische Papiere«, fuhr er fort, »ein sehr achtbarer Holzhändler ... mit denen könnte man in den besten Hotels wohnen und niemand würde ein Wort sagen. Oder ungarische Papiere von einem, der d. u. geschrieben worden ist ... die sind sehr sicher, aber vielleicht spricht der Herr nicht ungarisch. Das wäre natürlich Voraussetzung.«

»Ich befinde mich in derselben Lage, wie mein Bruder«, sagte ich. »Ich muß verschwinden.«

»Sie sind doch nicht etwa Deserteur, Herr?« Kore krümmte sich bei diesem Wort zusammen.

»Ja«, sagte ich. »Warum auch schließlich nicht?«

»Ich trau mich sowas nicht noch einmal zu machen, mein lieber Herr, wahrhaftig, ich trau mich nicht. Die Sache ist mir zu brenzlig.«

»Na, los doch«, sagte ich. »Sie haben mir doch eben erst erklärt, daß Sie jedem aus der Patsche helfen können. Sie werden mir sicher einen ordentlichen Paß von irgendwoher beschaffen!«

»Paß! Ausgeschlossen, mein lieber Herr. Wenn's mit einem meiner Pässe mal schief geht, bin ich verloren. Nee, nee! Nur keine Pässe an Deserteure! Das Geschäft paßt mir nicht ... Zu Anfang des Krieges ..., tja, da war es etwas anderes! Aber Sie sind ja von der Isere und von Ypern fortgelaufen! Und von Verdun auch! Jetzt paßt die Polizei besser auf. Nee, nee! Das lohnt sich nicht. Es würde Sie auch außerdem zuviel Geld kosten.«

Ich dachte, der elende Schuft wollte nur den Preis in die Höhe treiben, aber das war ein Irrtum. Er hatte Angst: das Geschäft behagte ihm wirklich nicht.

Als letztes Mittel wandte ich einen alten Trick an:

Ich zeigte ihm mein Geld. Er wurde sofort wankend und nach vielen Einwänden und Protesten ging er aus dem Zimmer. Dann kehrte er mit einer Handvoll schmutziger Papiere zurück.

»Es ist sehr unrecht von mir; ich weiß, ich werde es bereuen, aber Sie haben mich herumbekommen, und ich hatte Herrn Eichenholz gern. Ein vornehmer Herr war das, und sehr freigebig. Da sehen Sie, die Papiere eines Kellners. Julius Zimmermann, der bei der Landwehr eingezogen wurde, aber dann d. u. geschrieben worden ist. Militär-Soldbuch und Aufenthaltserlaubnis für vierzehn Tage. Diese Papiere brauchen Sie nur vorzuzeigen, falls Sie es mit der Polizei zu tun bekommen. Da, wo ich Sie hinschicke, wird kein Mensch danach fragen.«

»Aber Aufenthaltsbewilligung nur für vierzehn Tage«, sagte ich, »was soll ich denn dann später anfangen?«

»Das überlassen Sie nur mir«, sagte Kore selbstsicher. »Ich werde schon dafür sorgen, daß er erneuert wird. Das wird schon klappen!«

»Aber inzwischen ...« warf ich ein.

»Bringe ich Sie als Kellner bei einem Freund von mir unter, der es mit solchen armen Kerls wie Sie gut meint. Ihr Bruder war auch bei ihm.«

»Aber ich brauche doch Bewegungsfreiheit.«

»Ausgeschlossen«, erwiderte er fest. »Sie müssen Ihre Rolle spielen und zurückgezogen leben, bis die Nachforschungen nach Ihnen aufgehört haben. Dann werden wir weiter sehen. Da, hier haben Sie feine Papiere und ein sicheres, behagliches Leben, weit weg vom Schützengraben – und billig noch dazu, trotz der Gefahr für mich, weil Sie ein forscher Kerl sind und ich Ihren Bruder gern hatte ... Zehntausend Mark!«

Ich konnte wieder atmen. Jetzt, da wir so weit waren, würde ich schon in den Besitz der Papiere gelangen. Mit Semlins Geld und meinem eigenen hatte ich noch ungefähr 550 Pfund, aber ich beabsichtigte nicht, ihm fünfhundert davon zu geben. Ich handelte also unbarmherzig und erstand die Papiere schließlich für dreitausendsechshundert Mark – hundertachtzig Pfund.

Aber damit war ich den Kerl noch immer nicht los.

»Ihre Kleider sind unmöglich«, sagte er. »Sehen viel zu feudal aus – wir müssen Ihnen andere geben.«

Er klingelte.

Der alte Diener tauchte auf.

»Einen Kellnerrock für die Linienstraße!«, sagte er.

Dann führte er mich in ein Schlafzimmer, wo ein abgetragener Anzug aus deutschem Lumpenzeug auf dem Sofa lag. Den hieß er mich anziehen und reichte mir dann einen fadenscheinigen, grünen Überzieher und einen speckigen, grünen Filzhut.

»So«, sagte er, »wenn Sie sich jetzt ein, zwei Tage lang nicht rasieren, sehen Sie echt aus!« Eine Bemerkung, die zwar ermunternd war, aber gewiß nicht gerade schmeichelhaft.

Dann gab er mir noch einen Schal, den ich mir um den Hals binden sollte, um den unteren Teil meines Gesichts zu verdecken und mit diesem tief über die Augen gezogenen speckigen Hut und in den abgetragenen, zerknüllten Sachen sah ich wahrhaftig reichlich verkommen aus: das gerade Gegenteil von dem sauberen, gut angezogenen jungen Mann, der die Wohnung vor einer halben Stunde betreten hatte.

»Also, Julius«, sagte Kore lachend, »kommen Sie, mein Sohn, ich bringe Sie jetzt zu Ihrem Chef.«

Vor der Tür stand eine Droschke und wir stiegen ein. Er plauderte vergnügt, während wir durch die Dunkelheit ratterten. Er machte mir Komplimente über den Scharfsinn, mit dem ich Francis' Botschaft entziffert hatte.

»Wie finden Sie denn meine Idee?«, sagte er, »›Achilles in dem Zelte‹ ... das ist das Schlüsselwort für den versteckten Teil meines Geschäfts. Sie verstehen die Parallele doch, nicht wahr? Achilles hält sich von der Armee fern, wie junge Leute Ihrer Art, die ruhige Friedensgeschäfte dem herberen Kriegerberuf vorziehen! Diejenigen meiner Kunden, die eine klassische Bildung genossen haben, fanden den Humor dieses Schlüsselwortes immer großartig.«

Die Droschke fuhr an der Friedrichstraße vorbei, die ganz in Licht getaucht war, und hielt dann Ecke Linienstraße, einer schmalen, düsteren Straße mit schmutzigen Häusern und ordinären Läden. Menschen waren um diese Zeit nirgends zu sehen, bis auf ein paar Schutzleute ab und zu. Aber aus den Kellern, zu denen Stufen von der Straße hinabführten, drang das Geklimper mechanischer Klaviere und fröhliches Gelächter zum Beweis dafür, daß die Linienstraße keineswegs schlief.

Vor einem dieser Kellereingänge blieb der Kore stehen. Am Fuße der steilen Treppe sah man eine Milchglastür, deren Scheibe von der Feuchtigkeit der heißen Luft innen ganz beschlagen war. Kore ging hinunter, und ich folgte.

Eine widerliche Welle stickiger Luft, mit Tabakqualm untermischt, schlug uns entgegen, als wir die Türe öffneten. Zuerst konnte ich nichts weiter sehen als einen dicken Mann, der in dichten Rauchschwaden an einem Tisch saß und ein großes Glas Bier vor sich stehen hatte. Als dann der Dunst durch den Zug von draußen etwas durcheinander gewirbelt wurde, sah ich die Umrisse eines langen, niedrigen Zimmers mit kleinen Tischen rechts und links und einer Theke, hinter der eine aufgedonnerte Frauensperson mit gefärbtem Haar thronte. Die meisten Tische waren besetzt und es war beinahe ebensoviel Lärm wie Rauch im Lokal.

Eine Frauenstimme kreischte: »Tür zu, ich friere mich tot!« Ich gehorchte, folgte Kore an einen Tisch und setzte mich hin. Ein Mann in Hemdsärmeln, der an der Theke Bier zapfte, kam auf Kore zu, begrüßte ihn herzlich und fragte, was wir genehmigen wollen.

Kore versetzte mir einen Rippenstoß. »Geben Sie uns jedem einen Boonekamp, Haase«, sagte er.


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