Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Viertes Kapitel

Nachricht an den Leser

»Dank sei« (so ruft hier der Autor des griechischen Manuskripts, als einer, dem es auf einmal ums Herz leichter wird, aus) »Dank sei den Göttern, daß wir unsern Helden aus dem gefährlichsten aller schlimmen Orte, wohin ein ehrlicher Mann verirren kann, unversehrt, und was beinahe unglaublich ist, mit seiner ganzen Tugend davon gebracht haben! Er hat allerdings von Glück zu sagen«, fährt das Manuskript fort; »aber – beim Hund (dem großen Schwur des weisen Socrates) was hatte er auch an einem Hofe zu tun? Er, der sich weder zu einem Sklaven, noch zu einem Schmeichler, noch zu einem Narren geboren fühlte, was wollte er am Hofe eines Dionysius machen? – Was für ein Einfall – und wenn ist jemals ein solcher Einfall in das Gehirn eines klugen Menschen gekommen? – einen lasterhaften Prinzen tugendhaft zu machen! – Oder welcher rechtschaffene Mann, der einen Fond von gesunder Vernunft und gutem Willen in sich gefühlt, ist jemals damit an einen Hof gegangen, wenn er im Sinne hatte, von dem einen oder dem andern Gebrauch zu machen? – Man muß gestehen, es ist eine ganz hübsche Sache um den Enthusiasmus – eines Lycurgus, der aus einem Monarchen ein Bürger wird, um sein Vaterland glücklicher zu machen – oder eines Leonidas, der mit dreihundert eben so entschlossenen Männern als er selbst, sich dem Tode weiht, um eben so vielen Myriaden von Barbaren den Mut, mit Griechen zu fechten, zu benehmen. Doch so groß, so schön diese Taten sind; so sind sie durch die Kräfte der Natur möglich, und diejenige, welche sie unternahmen, konnten sich versprechen, daß sie ihre Absichten erreichen würden. Aber wenn hat man jemals gehört, daß ein Mensch, oder ein Held, der Sohn einer Göttin, oder eines Gottes, oder ein Gott selbst, dasjenige zu Stande gebracht hätte, was Agathon unternahm, da er mit der Cither in der Hand sich überreden ließ, der Mentor eines Dionys zu werden.«

Auf diesen humoristischen Eingang, womit unser Autor dieses Kapitel beginnt, folget eine lange, und wie es scheint, ein wenig milzsüchtige Deklamation gegen diejenige Klasse der Sterblichen, welche man große Herren nennt; mit verschiedenen Digressionen über die Maitressen – über die Jagdhunde – und über die Ursachen, warum es für einen ersten Minister gefährlich sei, zuviel Genie, zuviel Uneigennützigkeit, und zuviel Freundschaft für seinen Herrn zu haben – So viel man sehen kann, ist dieses Kapitel eines von den merkwürdigsten, und sonderbarsten in dem ganzen Werke. Aber unglücklicher Weise, befindet sich das Manuskript an diesem Ort halb von Ratten aufgegessen; und die andre Hälfte ist durch Feuchtigkeit so übel zugerichtet worden, daß es leichter wäre, aus den Blättern der Cumäischen Sibylle, als aus den Bruchstücken von Wörtern, Sätzen und Perioden, welche noch übrig sind, etwas Zusammenhängendes herauszubringen. Wir gestehen, daß uns dieser Verlust so nahe geht, daß wir uns eher der sinnreichen Ergänzungen, welche Herr Naudot zum Petronius in seinem Kopfe gefunden hat, oder der sämtlichen Werke des Ehrwürdigen Paters *** beraubt wissen wollten. Indessen ist doch dieser Verlust in Absicht des Lobes der großen Herren um so leichter zu ertragen, da wir über den weiten Umfang der Einsichten, die Größe der Seelen, die edlen Gesinnungen und den guten Geschmack, welcher ordentlicher Weise die großen Herren von den übrigen Erden-Söhnen zu unterscheiden pflegt, in dem besten und schlimmsten Buche (je nachdem es Leser bekommt; welches wir übrigens ganz unpräjudizierlich und niemand zu Leide gesagt haben wollen) das in unserm Jahrhundert zur Welt gekommen ist, in dem Buche des Herrn Helvetius, alles gesagt finden, was sich über einen so reichen und edeln Stoff nur immer sagen läßt. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit der Digression über die Maitressen, und über die Jagdhunde; über welche Materien der geneigte Leser in des Grafen Anton Hamiltons Beiträgen zur Histoire amoureuse des Hofes Carls des zweiten von England, und in den bewundernswürdigen Schriften eines gewissen neuern Staatsmannes (den wir seiner Bescheidenheit zu schonen, nicht nennen wollen) mehr als hinlängliche Auskunft finden kann. Aber den Verlust der dritten Digression bedauren wir von Herzen, indem, (nach der Versicherung eines der größesten Bücher-Kenner von Europa) dermalen noch kein Buch in der Welt ist, in welchem diese interessante und ziemlich verwickelte Materie recht auseinandergesetzt und gründlich ausgeführt wäre. Zum Unglück ist dieses Kapitel eben an diesem Ort am mangelhaftesten. Doch läßt sich aus einigen Worten, welche zum Schlusse dieser Digression zu gehören scheinen, abnehmen, daß der Verfasser neun und dreißig Ursachen angegeben habe; und wir gestehen, daß wir begierig wären, diese neun und dreißig Ursachen zu wissen.


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