Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dionysius hatte so wenig Lust sich einer Gewalt zu begeben, deren Wert er nach Proportion, daß seine Fibern wieder elastischer wurden, von Tag zu Tag wieder stärker zu empfinden begann; daß die Einstreuungen seines Günstlings ihre ganze Würkung taten. Er gab ihm auf, mit aller nötigen Vorsichtigkeit, damit niemand nichts davon gewahr werden könnte, den Philistus noch in dieser Nacht in sein Cabinet zu führen, um sich über diese Dinge besprechen, und die Gedanken desselben vernehmen zu können. Es geschah; Philistus vollendete was Timocrat angefangen hatte. Er entdeckte dem Prinzen alles was er beobachtet zu haben vorgab, und sagte gerade so viel, als nötig war, um ihn in den Gedanken zu bestärken, daß ein geheimes Complot zu einer Staats-Veränderung im Werke sei, welches zwar vermutlich noch nicht zu seiner Reife gekommen, aber doch so beschaffen sei, daß es Aufmerksamkeit verdiene. »Und wer kann der Urheber und das Haupt eines solchen Complots sein«, fragte Dionys? – Hier stellte sich Philistus verlegen – er hoffe nicht, daß es schon soweit gekommen sei – Dion bezeuge so gute Gesinnungen für den Prinzen – »Rede aufrichtig, wie du denkst«, fiel ihm Dionys ein; »was hältst du von diesem Dion? Aber keine Komplimenten, denn du brauchst mich nicht daran zu erinnern, daß er meiner Schwester Mann ist; ich weiß es nur zu wohl – Aber ich traue ihm nicht desto besser – er ist ehrgeizig –« »Das ist er« – »immer finster, zurückhaltend, in sich selbst eingeschlossen –« »In der Tat, so ist er«, nahm Philist das Wort, und wer ihn genau beobachtete, ohne vorhin eine bessere Meinung von ihm gefaßt zu haben, würde sich des Argwohns kaum erwehren können, daß er mißvergnügt sei, und an Gedanken in sich selbst arbeite, die er nicht für gut befinde, andern mitzuteilen – »Glaubst du das, Philistus?« fiel Dionys ein; »so hab' ich immer von ihm gedacht; wenn Syracus unruhig ist, und mit Neuerungen umgeht, so darfst du versichert sein, daß Dion die Triebfeder von allem ist – wir müssen ihn genauer beobachten –« »Wenigstens ist es sonderbar«, fuhr Philistus fort, »daß er seit einiger Zeit, sich eine Angelegenheit davon zu machen scheint, sich der Freundschaft der angesehensten Bürger zu versichern –« (Hier führte er einige Umstände an, welche, durch die Wendung die er ihnen gab, seine Wahrnehmung bestätigen konnten) »Wenn ein Mann von solcher Wichtigkeit, wie Dion, sich herabläßt eine Popularität zu affektieren, die so gänzlich wider seinen Charakter ist, so kann man glauben, daß er Absichten hat – und wenn Dion Absichten hat, so gehen sie gewiß auf keine Kleinigkeiten – Was es aber auch sein mag, so bin ich gewiß«, setzte er hinzu, »daß Platon, ungeachtet der engen Freundschaft, die zwischen ihnen obwaltet, zu tugendhaft ist, um an heimlichen Anschlägen gegen einen Prinzen, der ihn mit Ehren und Wohltaten überhäuft, Teil zu nehmen –« »Wenn ich dir sagen soll was ich denke, Philistus, so glaub' ich, daß diese Philosophen, von denen man so viel Wesens macht, eine ganz unschuldige Art von Leuten sind; in der Tat, ich sehe nicht, daß an ihrer Philosophie so viel gefährliches sein sollte, als die Leute sich einbilden; ich liebe, zum Exempel, diesen Platon, weil er angenehm im Umgang ist; er hat sich seltsame Dinge in den Kopf gesetzt, man könnte sichs nicht schnakischer träumen lassen, aber eben das belustiget mich; und bei alle dem muß man ihm den Vorzug lassen, daß er gut spricht; es hört sich ihm recht angenehm zu, wenn er euch von der Insel Atlantis, und von den Sachen in der andern Welt eben so umständlich und zuversichtlich spricht, als ob er mit dem nächsten Marktschiffe aus dem Mond angekommen wäre« (hier lachten die beiden Vertrauten, als ob sie nicht aufhören könnten, über einen so sinnreichen Einfall, und Dionys lachte mit) »ihr möcht lachen so lang ihr wollt«, fuhr er fort; »aber meinen Plato sollt ihr mir gelten lassen; er ist der gutherzigste Mensch von der Welt, und wenn man seine Philosophie, seinen Bart und seine hieroglyphische Physionomie zusammennimmt, so muß man gestehen, daß alles zusammen eine Art von Leuten macht, womit man sich, in Ermanglung eines bessern, die Zeit vertreiben kann –« (›o göttlicher Platon! du, der du dir einbildetest, das Herz dieses Prinzen in deiner Hand zu haben, du der sich das große Werk zutraute, einen Weisen und tugendhaften Mann aus ihm zu machen – warum standest du nicht in diesem Augenblick hinter einer Tapete, und hörtest diese schmeichelhafte Apologie, wodurch er den Geschmack, den er an dir fand, in den Augen seiner Höflinge zu rechtfertigen suchte!‹) »In der Tat«, sagte Timocrates, »die Musen können nicht angenehmer reden als Plato; ich wißte nicht, was er einen nicht überreden könnte, wenn er sichs in den Kopf gesetzt hätte –« »Du willst vielleicht scherzen«, fiel ihm der Prinz ein; »aber ich versichre dich, es hat wenig gefehlt, daß er mich letzthin nicht auf den Einfall gebracht hätte, Sicilien dahinten zu lassen, und eine philosophische Reise nach Memphis und zu den Pyramiden und Gymnosophisten anzustellen, die seiner Beschreibung nach eine seltsame Art von Kreaturen sein müssen – wenn ihre Weiber so schön sind, wie er sagt, so mag es keine schlimme Partie sein, den Tanz der Sphären mit ihnen zu tanzen; denn sie leben in dem Stand der vollkommen schönen Natur, und treten dir, allein mit ihren eigentümlichen Reizungen geschmückt, das ist, nackender als die Meer-Nymphen, mit einer so triumphierenden Miene unter die Augen, als die schönste Syracusanerin in ihrem reichesten Fest-Tags-Putz –« Dionys war, wie man sieht, in einem Humor, der den erhabenen Absichten seines Hof-Philosophen nicht sehr günstig war; Timocrates merkte sichs, und baute in dem nämlichen Augenblick ein kleines Projekt auf diese gute Disposition, wovon er sich eine besondere Würkung versprach. Aber der weiter sehende Philistus fand nicht für gut, seinen Herrn in dieser leichtsinnigen Laune fortsprudeln zu lassen. Er nahm das Wort wieder: »Ihr scherzet«, sprach er, »über die Würkungen der Beredsamkeit Platons; es ist nur allzugewiß, daß er in dieser Kunst seines gleichen nicht hat; aber eben dieses würde mir keine kleine Sorgen machen, wenn er weniger ein rechtschaffner Mann wäre, als ich glaube daß er ist. Die Macht der Beredsamkeit übertrifft alle andre Macht; sie ist fähig fünfzigtausend Arme nach dem Gefallen eines einzigen wehrlosen Mannes in Bewegung zu setzen, oder zu entnerven. Wenn Dion, wie es scheint, irgend ein gefährliches Vorhaben brütete, und Mittel fände, diesen überredenden Sophisten auf seine Seite zu bringen, so besorg ich, Dionysius könnte das Vergnügen seiner sinnreichen Unterhaltung teuer bezahlen müssen. Man weiß was die Beredsamkeit zu Athen vermag, und es fehlt den Syracusanern nichts als ein paar solche Wortkünstler, die ihnen den Kopf mit Figuren und lebhaften Bildern warm machen, so werden sie Athenienser sein wollen, und der Erste Beste, der sich an ihre Spitze stellt, wird aus ihnen machen können was er will.«

Philistus sah, daß sein Herr bei diesen Worten auf einmal tiefsinnig wurde; er schloß daraus, daß etwas in seinem Gemüt arbeitete, und hielt also inn; »was für ein Tor ich war«, rief Dionys aus, nachdem er eine Weile mit gesenktem Kopf zu staunen geschienen hatte. »Das war wohl der Genius meines guten Glücks, der mir eingab, daß ich dich diesen Abend zu mir rufen lassen sollte. Die Augen gehen mir auf einmal auf – Wozu mich diese Leute mit ihren Dreiecken und Schlußreden nicht gebracht hätten! Kannst du dir wohl einbilden, daß mich dieser Plato mit seinem süßen Geschwätze beinahe überredet hätte, meine fremden Truppen, und meine Leibwache nach Hause zu schicken? Ha! nun seh ich wohin alle diese schönen Vergleichungen mit einem Vater im Schoße seiner Familie, und mit einem Säugling an der Brust seiner Amme, und was weiß ich, mit was noch mehr, abgesehen waren! Die Verräter wollten mich durch diese süßen Wiegenliedchen erst einschläfern, hernach entwaffnen, und zuletzt wenn sie mich mit ihren gebenedeiten Maximen so fest umwunden hätten, daß ich weder Arme noch Beine nach meinem Gefallen hätte rühren können, mich in ganzem Ernst, zu ihrem Wickelkind, zu ihrer Puppe, und wozu es ihnen eingefallen wäre, gemacht haben! Aber sie sollen mir die Erfindung bezahlen! Ich will diesem verrätrischen Dion – bist du töricht genug, Philistus, und bildest dir ein, daß er sich nur im Traum einfallen lasse, diese Spießbürger von Syracus in Freiheit zu setzen? Regieren will er, Philistus; das will er, und darum hat er diesen Plato an meinen Hof kommen lassen, der mir, indessen daß er das Volk zur Empörung reizen, und sich einen Anhang machen wollte, so lange und so viel von Gerechtigkeit, und Wohltun, und goldnen Zeiten, und väterlichem Regiment, und was weiß ich von was für Salbadereien vorschwatzen sollte, bis ich mich überreden ließe, meine Galeeren zu entwaffnen, meine Trabanten zu entlassen, und mich am Ende in Begleitung eines von diesen zottelbärtigen Knaben, die der Sophist mit sich gebracht hat, als einen Neuangeworbenen nach Athen in die Akademie schicken zu lassen, um unter einem Schwarm junger Gecken darüber zu disputieren, ob Dionysius recht oder unrecht daran getan habe, daß er sich in einer so armseligen Mausfalle habe fangen lassen –« »Aber ists möglich«, fragte Philistus mit angenommener Verwunderung, »daß Plato den sinnlosen Einfall haben konnte, meinem Prinzen solche Räte zu geben?« – »Es ist möglich, weil ich dir sage, daß ers getan hat. Ich habe selbst Mühe zu begreifen, wie ich mich von diesem Schwätzer so bezaubern lassen konnte –« »Das soll sich Dionys nicht verdrießen lassen«, erwiderte der gefällige Philistus; »Plato ist in der Tat ein großer Mann in seiner Art; ein vortrefflicher Mann, wenn es darauf ankommt, den Entwurf zu einer Welt zu machen, oder zu beweisen, daß der Schnee nicht würklich weiß ist; aber seine Regierungs-Maximen sind, wie es scheint, ein wenig unsicher in der Ausübung. In der Tat, das würde den Atheniensern was zu reden gegeben haben, und es wäre wahrlich kein kleiner Triumph für die Philosophie gewesen, wenn ein einziger Sophist, ohne Schwertschlag, durch die bloße Zauberkraft seiner Worte zu Stande gebracht hätte, was die Athenienser mit großen Flotten und Kriegs-Heeren vergeblich unternommen haben –« »Es ist mir unerträglich nur daran zu denken«, sagte Dionys, »was für eine einfältige Figur ich ein paar Wochen lang unter diesen Grillenfängern gemacht habe; hab ich dem Dion nicht selbst Gelegenheit gegeben, mich zu verachten? Was mußten sie von mir denken, da sie mich so willig und gelehrig fanden? – Aber sie sollen in kurzem sehen, daß sie sich mit aller ihrer Wissenschaft der geheimnisvollen Zahlen gewaltig überrechnet haben. Es ist Zeit, der Komödie ein Ende zu machen –« »Um Vergebung, mein Gebietender Herr«, fiel ihm Philistus hier ins Wort; »die Rede ist noch von bloßen Vermutungen; vielleicht ist Plato, ungeachtet seines nicht allzuwohl überlegten Rats, unschuldig; vielleicht ist es so gar Dion; wenigstens haben wir noch keine Beweise gegen sie. Sie haben Bewunderer und Freunde zu Syracus, das Volk ist ihnen geneigt, und es möchte gefährlich sein, sie durch einen übereilten Schritt in die Notwendigkeit zu setzen, sich diesem Freiheit-träumenden Pöbel in die Arme zu werfen. Lasset sie noch eine Zeitlang in dem angenehmen Wahn, daß sie den Dionysius gefangen haben. Gebet ihnen, durch ein künstlich verstelltes Zutrauen Gelegenheit, ihre Gesinnungen deutlicher herauszulassen – Wie, wenn Dionysius sich stellte, als ob er Lust hätte die Monarchie aufzugeben, und als ob ihn kein andres Bedenken davon zurückhielte, als die Ungewißheit, welche Regierungs-Form Sicilien am glücklichsten machen könnte. Eine solche Eröffnung wird sie nötigen, sich selbst zu verraten; und indessen, daß wir sie mit akademischen Fragen und Entwürfen aufhalten, werden sich Gelegenheiten finden, den regiersüchtigen Dion in Gesellschaft seines Ratgebers mit guter Art eine Reise nach Athen machen zu lassen, wo sie in ungestörter Muße Republiken anlegen, und ihnen, wenn sie wollen, alle Tage eine andre Form geben mögen.«

Dionys war von Natur hitzig und ungestüm; eine jede Vorstellung, von der seine Einbildung getroffen wurde, beherrschte ihn so sehr, daß er sich dem mechanischen Trieb, den sie in ihm hervorbrachte, gänzlich überließ; aber wer ihn so genau kannte als Philistus, hatte wenig Mühe, seinen Bewegungen oft durch ein einziges Wort, eine andere Richtung zu geben. In dem ersten Anstoß seiner unbesonnenen Hitze waren die gewaltsamsten Maßnehmungen, die ersten, auf die er fiel: Aber man brauchte ihm nur den Schatten einer Gefahr dabei zu zeigen, so legte sich die auffahrende Lohe wieder; und er ließ sich eben so schnell überreden, die sichersten Mittel zu erwählen, wenn sie gleich die niederträchtigsten waren.

Nachdem wir die wahre Triebfeder seiner vermeinten Sinnes-Änderung oben bereits entdeckt haben, wird sich niemand verwundern, daß er von dem Augenblick an, da sich seine Leidenschaften wieder regten, in seinen natürlichen Zustand zurücksank. Was man bei ihm für Liebe der Tugend angesehen, was er selbst dafür gehalten hatte, war das Werk zufälliger und mechanischer Ursachen gewesen; daß er ihr zu lieb seinen Neigungen die mindeste Gewalt hätte tun sollen, so weit ging sein Enthusiasmus für sie nicht. Die ungebundene Freiheit worin er vormals gelebt hatte, stellte sich ihm wieder mit den lebhaftesten Reizungen dar; und nun sah er den Plato für einen verdrießlichen Hofmeister an, und verwünschte die Schwachheit, die er gehabt hatte, sich so sehr von ihm einnehmen, und in eine Gestalt, die seiner eigenen so wenig ähnlich sah, umbilden zu lassen. Er fühlte nur allzuwohl, daß er sich selbst eine Art von Verbindlichkeit aufgelegt hatte, in den Gesinnungen zu beharren, die er sich von diesem Sophisten, wie er ihn itzt nannte, hatte einflößen lassen: Er stellte sich vor, daß Dion und die Syracusaner sich berechtiget halten würden, die Erfüllung des Versprechens von ihm zu erwarten, welches er ihnen gewisser maßen gegeben hatte, daß er künftig auf eine gesetzmäßige Art regieren wolle. Diese Vorstellungen waren ihm unerträglich, und hatten die natürliche Folge, seine ohnehin bereits erkaltete Zuneigung zu dem Philosophen von Athen in Widerwillen zu verwandeln; den Dion aber, den er nie geliebt hatte, ihm doppelt verhaßt zu machen. Dieses waren die geheimen Dispositionen, welche den Verführungen des Timocrates und Philistus den Eingang in sein Gemüt erleichterten. Es war schon so weit mit ihm gekommen, daß er vor diesen ehmaligen Vertrauten sich der Person schämte, die er einige Wochen lang, gleichsam unter Platons Vormundschaft, gespielt hatte; und es ist zu vermuten, daß es von dieser falschen und verderblichen Scham herrührte, daß er in so verkleinernden Ausdrücken von einem Manne, den er anfänglich beinahe vergöttert hatte, sprach, und seiner Leidenschaft für ihn einen so spaßhaften Schwung zu geben bemüht war. Er ergriff also den Vorschlag des Philistus mit der begierigen Ungeduld eines Menschen, der sich von dem Zwang einer verhaßten Einschränkung je bälder je lieber loszumachen wünscht; und damit er keine Zeit verlieren möchte, so machte er gleich des folgenden Tages den Anfang, denselben ins Werk zu setzen. Er berief den Dion und den Philosophen in sein Cabinet, und entdeckte ihnen mit allen Anscheinungen des vollkommensten Zutrauens, und indem er sie mit Liebkosungen überhäufte, daß er gesonnen sei, sich der Regierung zu entschlagen, und den Syracusanern die Freiheit zu lassen, sich diejenige Verfassung zu erwählen, die ihnen die angenehmste sein würde.


 << zurück weiter >>