Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Drittes Kapitel

Folgen des Vorhergehenden

Die menschliche Seele ist vielleicht keines heftigern Schmerzens fähig, als derjenige ist, wenn wir uns genötiget sehen, den Gegenstand unsrer zärtlichsten Gesinnungen zu verachten. Alles was man davon sagen kann ist zu schwach, die Pein auszudrücken, die durch eine so gewaltsame Zerreißung in einem gefühlvollen Herzen verursacht wird. Wir wollen also lieber gestehen, daß wir uns unvermögend finden, den Tumult der Leidenschaften, welche in den ersten Stunden nach einer so grausamen Unterredung in dem Gemüte Agathons wüteten, abzuschildern, als durch eine frostige Beschreibung zu gleicher Zeit unsre Vermessenheit und unser Unvermögen zu verraten.

Das erste was er tat, sobald er seiner selbst wieder mächtiger wurde, war, daß er alle seine Kräfte anstrengte, sich zu überreden, daß ihn Hippias betrogen habe. War es zuviel, das Schlimmste von einem so ungeheuern Bösewicht zu denken, als dieser Sophist nunmehr in seinen Augen war? Was für eine Gültigkeit konnte ein solcher Zeuge gegen eine Danae haben? – Oder vielmehr, was für einen mächtigen Apologisten hattest du, schöne Danae, in dem Herzen deines Agathon! Was hätte Hyperides selbst, ob er gleich beredt genug war, die Athenienser von der Unschuld einer Phryne zu überzeugen, stärkers und scheinbarers zu deiner Verteidigung sagen können, als was er sich selbst sagte? – Vermutlich würde die Vernunft allein von dieser sophistischen Beredsamkeit der Liebe überwältiget worden sein: Aber die Eifersucht, welche ihr zu Hülfe kam, gab den Ausschlag. Unter allen Leidenschaften ist keine, welcher die Verwandlung des Möglichen ins Würkliche weniger kostet als diese. In dem zweifelhaften Lichte, welches sie über seine Seele ausbreitete, wurde Vermutung zu Wahrscheinlichkeit und Wahrscheinlichkeit zu Gewißheit; nicht anders als wenn er mit der spitzfündigen Delikatesse eines Julius Cäsars die schöne Danae schon darum schuldig gefunden hätte, weil sie bezüchtiget wurde. Er verglich ihre eigene Erzählung mit des Hippias seiner, und glaubte nun, da das Mißtrauen sich seines Geistes einmal bemächtiget hatte, hundert Spuren in der ersten wahrzunehmen, welche die Wahrheit der letztern bekräftigten. Hier hatte sie einem Umstand eine gekünstelte Wendung geben müssen; dort war sie, (wie er sich zu erinnern glaubte) verlegen gewesen, was sie aus einem andern machen sollte, der ihr unversehens entschlüpft war.

Mit einem eben so schielenden Auge durchging er ihr ganzes Betragen gegen ihn. Wie deutlich glaubte er itzt zu sehen, daß sie von dem ersten Augenblick an Absichten auf ihn gehabt habe! Tausend kleine Umstände, welche ihm damals ganz gleichgültig gewesen waren, schienen ihm itzt eine geheime Bedeutung gehabt zu haben. Er besann sich, er verglich und kombinierte so lange, bis es ihm ganz glaublich vorkam, daß alles was bei dem ersten Besuche, den er ihr mit Hippias gemacht, bis zu seinem Übergang in ihre Dienste vorgegangen, die Folgen eines zwischen ihr und dem Sophisten abgeredeten Plans gewesen seien. Wie sehr vergiftete dieser Gedanke alles was sie für ihn getan hatte! wie gänzlich benahm er ihren Handlungen diese Schönheit und Grazie, die ihn so sehr bezaubert hatte! Er sah nun in diesem vermeinten Urbild einer jeden idealen Vollkommenheit nichts mehr als eine schlaue Buhlerin, welche von einer großen Fertigkeit in der Kunst die Herzen zu bestricken den Vorteil über seine Unschuld erhalten hatte! Wie verächtlich kamen ihm itzt diese Gunstbezeugungen vor, welche ihm so kostbar gewesen waren, so lang er sie für Ergießungen eines für ihn allein empfindlichen Herzens angesehen hatte! Wie verächtlich diese Freuden, die ihn in jenem glücklichen Stande der Bezauberung den Göttern gleich gemacht! Wie zürnte er itzt über sich selbst, daß er töricht genug hatte sein können, in ein so sichtbares, so handgreifliches Netz sich verwickeln zu lassen!

Das Bild der liebenswürdigen Psyche konnte sich ihm zu keiner ungelegnern Zeit für Danae darstellen als itzt. Aber es war natürlich, daß es sich darstellte; und wie blendend war das Licht, worin sie ihm itzt erschien! Wie wurde sie durch die verdunkelte Vorzüge ihrer unglücklichen Nebenbuhlerin herausgehoben! Himmel! wie war es möglich, daß die Beischläferin eines Alcibiades, eines Hippias – eines jeden andern, der ihr gefiel, fähig sein konnte, diese liebenswürdige Unschuld auszulöschen, deren keusche Umarmungen, anstatt seine Tugend in Gefahr zu setzen, ihr neues Leben, neue Stärke gegeben hatten? – Er trieb die Vergleichung so weit sie gehen konnte. Beide hatten ihn geliebt; aber, welch ein Unterschied in der Art zu lieben! welch ein Unterschied zwischen jener Nacht – an die er sich itzt mit Abscheu erinnerte – wo Danae, nachdem sie alle ihre Reizungen, alles was die schlaueste Verführungs-Kunst erfinden kann; zugleich mit den magischen Kräften der Musik aufgeboten, seine Sinnen zu berauschen und sein ganzes Wesen in wollüstige Begierden aufzulösen, sich selbst mit zuvorkommender Güte in seine Arme geworfen hatte – und den elysischen Nächten, die ihm an Psychens Seite in der reinen Wonne entkörperter Geister, wie ein einziger himmlischer Augenblick, vorübergeflossen waren! – Arme Danae! So gar die Reizungen ihrer Figur verloren bei dieser Vergleichung einen Vorzug, den ihnen nur das parteilichste Vorurteil absprechen konnte. Diese Gestalt der Liebes-Göttin, bei deren Anschauen seine entzückte Seele in Wollust zerflossen war, sank itzt, mit der jungfräulichen Geschmeidigkeit der jungen Psyche verglichen, in seiner gramsüchtigen Einbildung zu der üppigen Schönheit einer Bacchantin herab – der Wut eines Wein-triefenden Satyrs würdiger als der zärtlichen Entzückungen, welche er sich itzt schämte, in einer unverzeihlichen Betörung seiner Seele, an sie verschwendet zu haben.

Ohne Zweifel werden unsre tugendhafte Leserinnen, welche den Fall unsers Helden nicht ohne gerechten Unwillen gegen die feine Buhler-Künste der schönen Danae betraurt haben, von Herzen erfreut sein, die Ehre der Tugend, und gewisser maßen das Interesse ihres ganzen Geschlechts an dieser Verführerin gerochen zu sehen. Wir nehmen selbst vielen Anteil an dieser ihrer Freude; aber wir können uns doch, mit ihrer Erlaubnis nicht entbrechen zu sagen, daß Agathon in der Vergleichung zwischen Danae und Psyche eine Strenge bewies, welche wir nicht allerdings billigen können, so gerne wir ihn auch von einer Leidenschaft zurückkommen sehen, deren längere Dauer uns in die Unmöglichkeit gesetzt hätte, diesen zweiten Teil seiner Geschichte zu liefern.

Danae mag wegen ihrer Schwachheit gegen unsern Helden so tadelnswürdig sein, als man will, so war es doch offenbar unbillig, sie zu verurteilen, weil sie keine Psyche war; oder, um bestimmter zu reden, weil sie in ähnlichen Umständen sich nicht vollkommen so wie Psyche betragen hatte. Wenn Psyche unschuldiger gewesen war, so war es weniger ein Verdienst, als ein physikalischer Vorzug, eine natürliche Folge ihrer Jugend und ihrer Umstände: Danae war es vermutlich auch, da sie, unter der Aufsicht ihres edeln Bruders, mit aller Naivität eines Landmädchens vor vierzehen Jahren bei den Gastmählern zu Athen, nach der Flöte tanzte, oder den Alcamenen, für die Gebühr, das Model zu dem halbaufgeblühten Busen einer Hebe vorhielt. War es ihre Schuld, daß sie nicht zu Delphi erzogen worden? Oder, daß sich die ersten Empfindungen ihres jugendlichen Herzens für einen Alcibiades, und nicht für einen Agathon entfalteten? – Psyche liebte unschuldiger; wir geben's zu; aber die Liebe bleibt doch in ihren Würkungen allezeit sich selbst ähnlich. Sie erweitert ihre Foderungen so lange bis sie im Besitz aller ihrer Rechte ist; und die treuherzige Unerfahrenheit ist am wenigsten im Stande, ihr diese Forderungen streitig zu machen. Es war glücklich für die Unschuld der zärtlichen Psyche, daß ihre nächtliche Zusammenkünfte unterbrochen wurden, eh diese auf eine so geistige Art sinnliche Schwärmerei, worin sie beide so schöne Progressen zu machen angefangen hatten, ihren höchsten Grad erreichte. Vielleicht noch wenige Tage, oder auch später, wenn ihr wollt; aber desto gewisser würden die guten Kinder, von einer unschuldigen Ergießung des Herzens zur andern, von einem immer noch zu schwachen Ausdruck ihrer unaussprechlichen Empfindungen zum andern, sich endlich, zu ihrer eignen großen Verwunderung, da gefunden haben, wo die Natur sie erwartet hätte; und wo würde da der wesentlichste Vorzug der Unschuld geblieben sein? – Ein andrer Umstand, worin Psyche glücklicher Weise den Vorteil über Danae hatte, war dieser, daß ihr Liebhaber eben so unschuldig war als sie selbst, und bei aller seiner Zärtlichkeit nur nicht den Schatten eines Gedankens hatte, ihrer Tugend nachzustellen. Wissen wir, wie sie sich verhalten hätte, wenn sie auf die Probe gestellt worden wäre? Sie würde widerstanden haben; daran ist kein Zweifel; aber, setzet hinzu; so lang es ihr möglich gewesen wäre. Denn daß sie stark genug gewesen wäre ihn zu fliehen, ihn gar nicht mehr zu sehen, das ist nicht zu vermuten. Sie würde also endlich doch von den süßen Verführungen der Liebe überschlichen worden sein, so weit sie auch den Augenblick ihrer Niederlage hätte zurückstellen mögen. Man könnte sagen: Gesetzt auch, sie würde die Probe nicht ausgehalten haben, so hätte sie doch widerstanden; Danae hingegen habe ihren Fall nicht nur vorausgesehen, und beschleunigt, sondern er sei sogar das Werk ihrer eignen Maßnehmungen gewesen; und wenn sie ihn aufgezogen habe, so sei es allein des Vorteils ihrer Liebe und ihres Vergnügens wegen, nicht aus Tugend, geschehen. Alles das ist nicht zu leugnen; allein vorausgesetzt, daß sie sich endlich doch ergeben haben würde, (welches auf eine oder die andere Art doch allemal der stillschweigende Vorsatz einer jeden ist, die sich in eine Liebes-Angelegenheit waget) wozu würde ein langwieriger eigensinniger Widerstand gedient haben, als sich selbst und ihrem Liebhaber unnötige Qualen zu verursachen? Genung, daß der strengeste Wohlstand der heutigen Welt nicht halb soviel Zeit fodert, als sie anwandte, dem Agathon seinen Sieg zu erschweren. Und glauben wir etwan, daß sie sich keine Gewalt habe antun müssen, einen so vollkommenen Liebhaber, einen Liebhaber dessen außerordentlicher Wert die Heftigkeit ihrer Neigung so gut rechtfertigte, so lange schmachten zu lassen? oder daß die Selbstverleugnung, welche dazu erfordert wurde, eine Person, deren Einbildungs-Kraft mit den lebhaftesten Vergnügungen der Liebe schon so bekannt war, nicht zum wenigsten eben soviel gekostet habe, als einer noch unerfahrenen Person der ernstlichste Widerstand kosten kann?


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