Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Siebentes Kapitel

Agathon wird von Athen verbannt

»Der Zeitpunkt meines Lebens, auf den ich nunmehr gekommen bin, führt allzuunangenehme Erinnerungen mit sich, als daß ich nicht entschuldiget sein sollte, wenn ich so schnell davon wegeile, als es die Gerechtigkeit zulassen wird, die ich mir selbst schuldig bin. Es mag sein, daß einige von meinen Feinden aus Beweggründen eines republikanischen Eifers gegen mich aufgestanden sind, und sich durch meinen Sturz eben so verdient um ihr Vaterland zu machen geglaubt haben, als Harmodius und Aristogiton durch die Ermordung der Pisistratiden. Aber es ist doch gewiß, daß diejenige, welche die Sache mit der größesten Wut betrieben, keinen andern Beweggrund hatten, als die Eifersucht über das Ansehen, welches mir die allgemeine Gunst des Volkes gab, und welches sie, nicht ohne Ursache, für ein Hinternis ihrer ehrgeizigen und gewinnsüchtigen Absichten hielten. Die meisten glaubten auch, daß sie Privatbeleidigungen zu rächen hätten. Einige nährten noch den alten Groll, den sie bei meinem ersten Auftritt in der Republik gegen mich faßten, da ich meinen rechtschaffenen Freund, den Wirkungen ihrer Bosheit entriß; andere schmerzte es, daß ich ihnen bei der Wahl eines Befehlshabers gegen die Empörten Inseln vorgezogen worden war; viele waren durch den Verlust des Vorteils, welchen sie von den ungerechten Bedrückungen derselben gezogen hatten, beleidiget worden. Bei diesen allen half mir nichts, daß ich keine Absicht gehabt hatte sie zu beleidigen, und daß es nur zufälliger Weise dadurch geschehen war, daß ich meiner Überzeugung und meinen Pflichten gemäß gehandelt hatte. Sie beurteilten meine Handlungen aus einem ganz andern Gesichtspunkte, und es war bei ihnen ein ausgemachter Grundsatz, daß derjenige kein ehrlicher Mann sein könne, der ihren Privatabsichten Schranken setzte. Zum Unglück für mich, machten diese Leute einen großen Teil von den Edelsten und Reichesten in Athen aus. Hiezu kam noch, daß ich meiner immer fortdauernden Liebe zu Psyche, die vorteilhaftesten Verbindungen, welche mir angeboten worden waren, aufgeopfert, und mich dadurch der Unterstützung und des Schutzes beraubet hatte, den ich mir von der Verschwägerung mit einem mächtigen Geschlechte hätte versprechen können. Ich hatte nichts, was ich den Ränken und der vereinigten Gewalt so vieler Feinde entgegen setzen konnte, als meine Unschuld, einige Verdienste, und die Zuneigung des Volks; schwache Brustwehren, welche noch nie gegen die Angriffe des Neides, der Arglist und der Gewalttätigkeit ausgehalten haben. Die Unschuld kann verdächtig gemacht, und Verdiensten selbst durch ein falsches Licht das Ansehen von Verbrechen gegeben werden; und was ist die Gunst eines enthusiastischen Volkes, dessen Bewegungen immer seinen Überlegungen zuvorkommen; welches mit gleichem Übermaß liebet und hasset, und wenn es einmal in eine fiebrische Hitze gesetzt ist, gleich geneigt ist, dieser oder einer entgegengesetzten Direktion, je nachdem es gestoßen wird, zu folgen? Was konnte ich mir von der Gunst eines Volkes versprechen, welches den großen Beschützer der griechischen Freiheit im Gefängnis hatte verschmachten lassen? Welches den tugendhaften Aristides, bloß darum, weil er den Beinamen des Gerechten verdiente, verbannet, und in einer von seinen gewöhnlichen Launen so gar den Socrates zum Gift-Becher verurteilt hatte, weil er der weiseste und tugendhafteste Mann seines Jahrhunderts war. Diese Beispiele sagten mir sogleich bei der ersten Nachricht, die ich von dem über mir sich zusammenziehenden Ungewitter erhielt, zuverlässig vorher, was ich von den Atheniensern zu erwarten hätte; sie machten, daß ich ihnen nicht mehr zutraute, als sie leisteten; und trugen nicht wenig dazu bei, mich ein Unglück mit Standhaftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich so vortreffliche Männer zu Vorgängern gehabt hatte.

Derjenige, den meine Feinde zu meinem Ankläger auserkoren hatten, war einer von diesen witzigen Schwätzern, deren feiles Talent gleich fertig ist, Recht oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule des berüchtigten Gorgias gelernt, durch die Zaubergriffe der Rede-Kunst den Verstand seiner Zuhörer zu blenden, und sie zu bereden, daß sie sähen, was sie nicht sahen. Er bekümmerte sich wenig darum, dasjenige zu beweisen, was er mit der größesten Dreistigkeit behauptete; aber er wußte ihm einen so lebhaften Schein zu geben, und durch eine zwar willkürliche, aber desto künstlichere Verbindung seiner Sätze die Schwäche eines jeden, wenn er an sich und allein betrachtet würde, so geschickt zu verbergen, daß man, so gar mit einer gründlichen Beurteilungs-Kraft, auf seiner Hut sein mußte, um nicht von ihm überrascht zu werden. Der hauptsächlichste Vorwurf seiner Anklage sollte, seinem Vorgeben nach, die schlimme Verwaltung sein, deren ich mich als Ober-Befehlshaber in der Angelegenheit der empörten Schutz-Verwandten schuldig gemacht haben sollte; denn er bewies mit großem Wort-Gepränge, daß ich in dieser ganzen Expedition nichts getan hätte, das der Rede wert wäre; daß ich vielmehr, anstatt die Empörten zu züchtigen und zum Gehorsam zu bringen, ihren Sachwalter vorgestellt; sie für ihren Aufruhr belohnt; ihnen noch mehr, als sie selbst zu fodern die Verwegenheit gehabt, zugestanden; und durch diese unbegreifliche Art zu verfahren, ihnen Mut und Kräfte gegeben hätte, bei der ersten Gelegenheit sich von Athen gänzlich unabhängig zu machen; er bewies (sage ich) alles dieses nach den Grund-Sätzen einer Politik, welche das Widerspiel von der meinigen war, aber den Leidenschaften der Athenienser und eines jeden andern Volks allzusehr schmeichelte, um nicht Eingang zu finden. Er hatte noch die Bosheit, nicht entscheiden zu wollen, ob ich aus Unverstand oder geflissentlich so gehandelt habe; doch erhub er auf der einen Seite meine Fähigkeiten so sehr, und legte so viel Wahrscheinlichkeiten in die andere Waag-Schale, daß sich der Ausschlag von selbst geben mußte. Dieses führte ihn zu dem zweiten Teil seiner Anklage, welcher in der Tat (ob er es gleich nicht gestehen wollte) das Hauptwerk davon ausmachte. Und hier wurden Beschuldigungen auf Beschuldigungen gehäuft, um mich dem Volk als einen Ehrsüchtigen abzumalen, der sich einen Plan gemacht habe, sein Vaterland zu unterdrücken, und unter dem Schein der Großmut, der Freigebigkeit und der Popularität, sich zum unumschränkten Herrn desselben aufzuwerfen. Eine jede meiner Tugenden war die Maske eines Lasters, welches im Verborgenen am Untergang der Freiheit und Glückseligkeit der Athenienser arbeitete. In der Tat hatte die Beredsamkeit meines Anklägers hier ein schönes Feld, sich zu ihrem Vorteil zu zeigen, und seinen Zuhörern das republikanische Vergnügen zu machen, eine Tugend, welche mir zu große Vorzüge vor meinen Mitbürgern zu geben schien, heruntergesetzt zu sehen. Indessen, ob er gleich keinen Teil meines Privat-Lebens (so untadelhaft es ehemals meinen Gönnern geschienen hatte) unbeschmitzt ließ; so mochte er doch besorgen, daß die Kunstgriffe, deren er sich dazu bedienen mußte, zu stark in die Augen fallen möchten. Er raffte also alles zusammen, was nur immer fähig sein konnte, mich in ein verhaßtes Licht zu stellen; und da es ihm an Verbrechen, die er mir mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte aufbürden können, mangelte, so legte er mir fremde Torheiten, und selbst die ausschweifenden Ehren-Bezeugungen zur Last, welche mir in der Flut meines Glückes und meiner Gunst bei dem Volk aufgedrungen worden waren. Ich mußte itzt so gar für die elenden Verse Rechenschaft geben, womit einige Dichter, denen ich aus einem vielleicht zu weit getriebenen Mitleiden erlaubte, mir täglich um die Essens-Zeit ihren Besuch abzustatten, mir die Dankbarkeit ihres Magens, auf Unkosten ihres Ruhms und des meinigen, zu beweisen gesucht hatten. Man beschuldigte mich in ganzem Ernst, daß ich übermütig und gottlos genug gewesen sei, mich für einen Sohn des delphischen Apollo auszugeben; und mein Ankläger ließ diese Gelegenheit nicht entgehen, über meine wahre Geburt Zweifel zu erregen, und, unter vielen scherzhaften Wendungen, die Meinung derjenigen wahrscheinlich zu finden, welche (wie er sagte) benachrichtigt zu sein glaubten, daß ich mein Dasein den verstohlenen Liebes-Händeln irgend eines delphischen Priesters zu danken hätte. In dieser ganzen Rede ersetzte ein von Bosheit beseelter Witz den Abgang gründlicher Beweise; aber die Athenienser waren schon lange gewohnt, sich Witz für Wahrheit verkaufen zu lassen, und sich einzubilden, daß sie überzeugt würden, wenn ihr Geschmack belustigt und ihre Ohren gekitzelt wurden. Sie machte also allen den Eindruck, und vielleicht noch mehr, als meine Feinde sich davon versprochen hatten. Die Eifersucht, welche sie in den Gemütern anblies, verwandelte die übermäßige Zuneigung, deren Gegenstand ich zwei Jahre lang gewesen war, in einer Zeit von zwo Stunden in den bittersten Haß. Die Athenienser erschraken vor dem Abgrund, an dessen Rand sie sich, durch ihre Verblendung für mich, unvermerkt hingezogen sahen. – Sie erstaunten, daß sie meine Unfähigkeit zur Staats-Verwaltung, meine Begierde nach einer unumschränkten Gewalt, meine weit aussehenden Absichten, und mein heimliches Verständnis mit ihren Feinden nicht eher wahrgenommen hätten; und da es nicht natürlich gewesen wäre, die Schuld davon auf sich selbst zu nehmen, so schrieben sie es lieber einer Bezauberung zu, wodurch ich ihre Augen eine Zeitlang zu verschließen gewußt hätte. Ein jeder glaubte nun, durch die verderblichen Anschläge, welche ich gegen die Republik gefaßt habe, von der Dankbarkeit vollkommen losgezählt zu sein, die er mir für Dienste oder Wohltaten schuldig sein mochte; welche nun als die Lockspeise angesehen wurden, womit ich die Freiheit, und mit ihr das Eigentum meiner Mitbürger, wegzuangeln getrachtet. Kurz: Eben dieses Volk, welches vor wenigen Monaten mehr als menschliche Vollkommenheiten an mir bewunderte, war itzt unbillig genug, mir nicht das geringste Verdienst übrig zu lassen; und eben diejenigen, welche auf den ersten Wink bereit gewesen wären, mir die Oberherrschaft in einem allgemeinen Zusammenlauf aufzudringen, waren itzt begierig, mich einen Anschlag, den ich nie gefaßt, gegen eine Freiheit, deren sie sich in diesem Augenblicke selbst begaben, mit meinem Blute büßen zu sehen. Mein Urteil war zu eben der Zeit, da mir die gewöhnliche Frist zur Verantwortung gegeben wurde, durch die Mehrheit der Stimmen schon gefällt; und das Vergnügen, womit ich von einer unzählbaren Menge Volks ins Gefängnis begleitet wurde, würde vollkommen gewesen sein, wenn die Gesetze gestattet hätten, mich, anstatt dahin, ohne weitere Prozeß-Förmlichkeiten, zum Richt-Platz zu führen.

So glücklich meinen Feinden ihr Anschlag von statten gegangen war, so glaubten sie doch, sich meines Untergangs noch nicht genugsam versichert zu haben; sie fürchteten die Unbeständigkeit eines Volks, von welchem sie allzuwohl wußten, wie leicht es in entgegengesetzte Bewegungen zu setzen war. Es blieb möglich, daß ich mit einer bloßen Verbannung auf einige Jahre durchwischen konnte; und diese ließ eine Veränderung der Szene besorgen, bei welcher weder ihr Haß gegen mich, noch ihre Sicherheit, ihre Rechnung fanden. Man mußte also noch eine andere Mine springen lassen, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen vertrieben wäre, alle Hoffnung, jemals wieder zurückzukommen, abgeschnitten würde. Man mußte beweisen, daß ich kein Bürger von Athen sei; daß meine Mutter keine Bürgerin, und Stratonicus nicht mein Vater gewesen; daß er mich, in Ermanglung eines Erben von seinem eigenen Blute, aus Haß gegen denjenigen, der es, den Gesetzen nach, gewesen wäre, angenommen und unterschoben habe; und daß also die Gesetze mir kein Recht an seine Erbschaft zugestünden. Da es zu Athen an Leuten niemal fehlt, welche gegen eine proportionierte Belohnung alles gesehen und gehört haben, was man will; und da alle diejenigen gestorben waren, welche der Wahrheit das beste Zeugnis hätten geben können: so war es meinen Gegnern ein Leichtes, alles dieses eben so gut zu beweisen, als sie meine Staats-Verbrechen bewiesen hatten. Es wurde also eine neue Klage angestellt. Derjenige, der sich zum Kläger wider mich aufwarf, war ein Neffe von meinem Vater, durch nichts als durch die lüderlichste Lebens-Art bekannt, wodurch er sein Erb-Gut schon vor einigen Jahren verprasset hatte. Seine Unverbesserlichkeit hatte ihn endlich der Freundschaft meines Vaters, so wie der Achtung aller rechtschaffenen Leute, beraubt; und dieses Umstands bediente er sich nun, mich um eine Erbschaft zu bringen, die er, als der nächste Erbe, eh mich Stratonicus für seinen Sohn erklärte, in seinen Gedanken schon verschlungen hatte. Die Geschicklichkeit des Redners, dessen Dienste er zu Ausführung seines Bubenstücks erkaufte, der mächtige Beistand meiner Feinde, die Umstände selbst, in denen er mich unvermutet überfiel, und vornehmlich die Gefälligkeit seiner Zeugen, alle die Unwahrheiten zu beschwören, welche er zu seiner Absicht nötig hatte: Alles dieses zusammen genommen, versicherte ihn des glücklichen Ausgangs seiner Verräterei; und die Reichtümer, die ihm dadurch zufielen, waren in den Augen eines gefühllosen Elenden, wie er war, wichtig genug, um mit Verbrechen, die ihn so wenig kosteten, erkauft zu werden.

Dieser letzte Streich, der vollständigste Beweis, auf was für einen Grad die Wut meiner Feinde gestiegen war, und wie gewiß sie sich des Erfolgs hielten, ließ mir keine Hoffnung übrig, die ihrige zu Schanden zu machen. Denn alle meine vermeinten Freunde, bis auf wenige, deren guter Wille ohne Vermögen war, hatten, so bald sie mich vom Glück verlassen sahen, mich auch verlassen; andere, welche zwar von dem Unrecht, das mir angetan wurde, überzeugt waren, hatten den Mut nicht, sich für eine Sache, welche sie nicht unmittelbar anging, in Gefahr zu setzen; und der einzige, dessen Charakter, Ansehen und Freundschaft mir vielleicht hätte zu statten kommen können, befand sich seit einiger Zeit am Hofe des jungen Dionysius zu Syracus. Ich gestehe, daß ich, so lange die ersten Bewegungen dauerten, mein Unglück in seinem ganzen Umfang fühlte. Für ein redliches, und dabei noch wenig erfahrnes Gemüt ist es entsetzlich zu empfinden, daß man sich in seiner guten Meinung von den Menschen betrogen habe, und sich zu der abscheulichen Wahl genötiget zu sehen, entweder in einer beständigen Unsicherheit vor der Schwachheit der einen, und vor der Bosheit der andern zu leben, oder sich gänzlich aus ihrer Gesellschaft zu verbannen. Aber die Kleinmütigkeit, welche eine Folge meiner ersten melancholischen Betrachtungen war, dauerte nicht lange. Die Erfahrungen, die ich seit meiner Versetzung auf den Schauplatz einer größern Welt, in so kurzer Zeit gemacht hatte, weckten die Erinnerungen meiner glücklichen Jugend in Delphi mit einer Lebhaftigkeit wieder auf, worin sie sich mir unter dem Getümmel des Städtischen und politischen Lebens niemals dargestellt hatten. Die Bewegung meines Gemüts, die Wehmut, wovon es durchdrungen war, die Gewißheit, daß ich in wenigen Tagen von allen den Gunstbezeugungen, womit mich das Glück so schnell, und mit solchem Übermaß überschüttet hatte, nichts, als die Erinnerung, die uns von einem Traum übrig bleibt, und von allem, was ich mein genannt hatte, nichts als das Bewußtsein meiner Redlichkeit, aus Athen mit mir nehmen würde; setzten mich auf einmal wieder in diesen glückseligen Enthusiasmus, worin wir fähig sind, dem Äußersten, was die vereinigte Gewalt des Glücks und der menschlichen Bosheit gegen uns vermag, ein standhaftes Herz und ein heiters Gesicht entgegen zu stellen. Der unmittelbare Trost, den meine Grundsätze über mein Gemüt ergossen, die Wärme und neubeseelte Stärke die sie meiner Seele gaben, überzeugten mich von neuem von ihrer Wahrheit. Ich verwies es der Tugend nicht, daß sie mir den Haß und die Verfolgungen der Bösen zugezogen hatte; ich fühlte, daß sie sich selbst belohnt. Das Unglück schien mich nur desto stärker mit ihr zu verbinden; so wie uns eine geliebte Person desto teurer wird, je mehr wir um ihrentwillen leiden. Die Betrachtungen, auf welche mich diese Gesinnungen leiteten, lehrten mich, wie geringhaltig auf der Waage der Weisheit, alle diese schimmernden Güter sind, welche ich im Begriff war, dem Glück wieder zurückzugeben, und wie wichtig diejenige seien, welche mir keine republikanische Kabale, kein Dekret des Volks zu Athen, keine Macht in der Welt nehmen konnte. Ich verglich meinen Zustand in der höchsten Flut meines Glückes zu Athen mit der seligen Ruhe des kontemplativen Lebens, worin ich in einer glücklichen Unwissenheit des glänzenden Elends und der wahren Beschwerden einer beneideten Größe, meine schuldlose Jugend hinweggelebt; worin ich meines Daseins, und der innern Reichtümer meines Geistes, meiner Gedanken, meiner Empfindungen, der eigentümlichen und von aller äußerlichen Gewalt unabhängigen Wirksamkeit meiner Seele froh geworden war, – und glaubte bei dieser Vergleichung, alles gewonnen zu haben, wenn ich mich, mit freiwilliger Hingabe der Vorteile, die mir indessen zugefallen waren, wieder in einen Zustand zurückkaufen könnte, den mir meine Einbildungskraft mit ihren schönsten Farben, und in diesem überirdischen Lichte, worin er dem Zustande der himmlischen Wesen ähnlich schien, vormalte. Der Gedanke, daß diese Seligkeit nicht an die Haine von Delphi gebunden sei, daß die Quellen davon in mir selbst lägen, und daß eben diese vermeintlichen Güter, welche mir mitten in ihrem Genuß so viel Unruhe zugezogen, und mich in einem immerwährenden Wirbel von mir selbst hinweggerissen hatten, die einzigen Hinternisse meines wahren Glücks gewesen seien. – Dieser Gedanke setzte mich in eine Entzückung, die mich, zum Erstaunen meiner wenigen noch übriggebliebenen Freunde, gegen alle Bitterkeiten meines widrigen Schicksals unempfindlich machte; und dieses ging zuletzt so weit, daß ich nach dem Tage meiner Verurteilung ganz ungeduldig wurde.


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