Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Die Seite, von der sich dieser Philosoph in der gegenwärtigen Geschichte zeigt, stimmt mit dem gemeinen Vorurteil, welches man gegen ihn gefaßt hat, so wenig überein, als dieses mit den gewissesten Nachrichten, welche von seinem Leben und von seinen Meinungen auf uns gekommen sind. In der Tat scheint dasselbe sich mehr auf den Mißverstand seiner Grundsätze und einige ärgerliche Märchen, welche Diogenes von Laerte und Athenäus, zween von den unzuverlässigsten Kompilatoren in der Welt, seinen Feinden nacherzählen, als auf irgend etwas zu gründen, welches ihm unsre Hochachtung mit Recht entziehen könnte. Es hat zu allen Zeiten eine Art von Leuten gegeben, welche nirgends als in ihren Schriften tugendhaft sind; Leute, welche die Verdorbenheit ihres Herzens, und ihre geheimen Laster durch die Affektation der strengesten Grundsätze in der Sittenlehre bedecken wollen; moralische Pantomimen, qui Curios simulant & Bacchanalia vivunt; Leute, welche sich das Ansehen einer außerordentlichen Delikatesse der Ohren in moralischen Dingen geben, und von dem bloßen Schall des Worts Wollust, mit einem heiligen Schauer, errötend – oder erblassend, zusammenfahren; kurz, Leute, welche jedermann verachten würde, wenn nicht der größeste Haufen dazu verurteilt wäre, sich durch Masken-Gesichter, Mienen, Gebärden, Inflexionen der Stimme, verdrehte Augen, und – weiße Schnupftücher betrügen zu lassen. Diese vortrefflichen Leute, (welche wir etwas genauer beschrieben haben, weil es nicht mehr gebräuchlich ist, denenjenigen einen Bündel Heu vor die Stirne zu binden, denen man nicht allzunahe kommen darf,) taten schon damals ihr Bestes, den guten Aristipp für einen Wollüstling auszuschreien, dessen ganze Philosophie darin bestehe, daß er die Forderungen unsrer sinnlichen Triebe zu Grundsätzen gemacht, und die Kunst gemächlich und angenehm zu leben, in ein System gebracht habe.

Es ist hier der Ort nicht, die Unbilligkeit und den Ungrund dieses Urteils zu beweisen; und dieses ist auch so nötig nicht, nachdem bereits einer der ehrwürdigsten und verdienstvollesten Gelehrten unsrer Zeit, ein Mann der durch die Eigenschaften seines Verstandes und Herzens den Namen eines Weisen verdient, wenn ihn ein Sterblicher verdienen kann, ungeachtet seines Standes den Mut gehabt hat, in seiner kritischen Geschichte der Philosophie diesem würdigen Schüler des Socrates Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Ohne uns also um Aristipps Lehrsätze zu bekümmern, begnügen wir uns, von seinem persönlichen Charakter so viel zu sagen als man wissen muß, um die Person, die er an Dionysens Hofe vorstellte, richtiger beurteilen zu können. Unter allen den vorgeblichen Weisen, welche sich damals an diesem Hofe befanden, war er der einzige, der keine heimliche Absichten auf die Freigebigkeit des Prinzen hatte; ob er sich gleich kein Bedenken machte, Geschenke von ihm anzunehmen, die er nicht durch parasitische Niederträchtigkeiten erkaufte. Durch seine natürliche Denkungs-Art eben so sehr als durch seine, in der Tat ziemlich gemächliche Philosophie, von Ambition und Geldgierigkeit gleich entfernt, bediente er sich eines zulänglichen Erbguts, (welches er bei Gelegenheit durch den erlaubten Vorteil, den er von seinen Talenten zog, zu vermehren wußte) um, nach seiner Neigung, mehr einen Zuschauer als einen Akteur auf dem Schauplatz der Welt vorzustellen. Da er einer der besten Köpfe seiner Zeit war, so gab ihm diese Freiheit, worin er sich sein ganzes Leben durch erhielt, Gelegenheit sich einen Grad von Einsicht zu erwerben, der ihn zu einem scharfen und sichern Beurteiler aller Gegenstände des menschlichen Lebens machte. Meister über seine Leidenschaften, welche von Natur nicht heftig waren; frei von allen Arten der Sorgen, und in den Tumult der Geschäfte selbst niemals verwickelt, war es ihm nicht schwer, sich immer in dieser Heiterkeit des Geistes, und in dieser Ruhe des Gemütes zu erhalten, welche die Grundzüge von dem Charakter eines weisen Mannes ausmachen. Er hatte seine schönsten Jahre zu Athen, in dem Umgang mit Socrates und den größesten Männern dieses berühmten Zeitalters zugebracht; die Euripiden und Aristophane, die Phidias und die Polygnote, und die Wahrheit zu sagen, auch die Phrynen, und Laiden, Damen, an denen die Schönheit die geringste ihrer Reizungen war, hatten seinen Witz gebildet, und jenes zarte Gefühl des Schönen in ihm entwickelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit der Severität der Philosophie auf eben diese unnachahmliche Art verbinden lehrte, die ihm den Neid aller philosophischen Mäntel und Bärte seiner Zeit auf den Hals zog. Nichts übertraf die Annehmlichkeit seines Umgangs; niemand wußte so gut wie er, die Weisheit unter der gefälligen Gestalt des lächelnden Scherzes und der guten Laune in solche Gesellschaften einzuführen, wo sie in ihrer eignen Gestalt nicht willkommen wäre. Er besaß das Geheimnis, den Großen selbst die unangenehmste Wahrheiten mit Hülfe eines Einfalls oder einer Wendung erträglich zu machen, und sich an dem langweiligen Geschlechte der Narren und Gecken, wovon die Höfe der (damaligen) Fürsten wimmelten, durch einen Spott zu rächen, den sie dumm genug waren, mit dankbarem Lächeln für Beifall anzunehmen. Die Lebhaftigkeit seines Geistes und die Kenntnis, die er von allen Arten des Schönen besaß, machte daß er wenige seines Gleichen hatte, wo es auf die Erfindung sinnreicher Ergötzlichkeiten, auf die Anordnung eines Festes, die Auszierung eines Hauses, oder auf das Urteil über die Werke der Dichter, Tonkünstler, Maler und Bildhauer ankam. Er liebte das Vergnügen, weil er das Schöne liebte; und aus eben diesem Grunde liebte er auch die Tugend: Aber er mußte das Vergnügen in seinem Wege finden, und die Tugend mußte ihm keine allzubeschwerliche Pflichten auflegen; dem einen oder der andern seine Gemächlichkeit aufzuopfern, so weit ging seine Liebe nicht. Sein vornehmster Grundsatz, und derjenige, dem er allezeit getreu blieb, war; daß es in unsrer Gewalt sei, in allen Umständen glücklich zu sein; des Phalaris glühenden Ochsen ausgenommen; denn wie man in diesem sollte glücklich sein können, davon konnte er sich keinen Begriff machen. Er setzte voraus, daß Seele und Leib sich im Stande der Gesundheit befinden müßten, und behauptete, daß es als dann nur darauf ankomme, daß wir uns nach den Umständen richten; anstatt, wie der große Haufe der Sterblichen, zu verlangen, daß sich die Umstände nach uns richten sollen, oder ihnen, zu diesem Ende Gewalt antun zu wollen. Von dieser sonderbaren Geschmeidigkeit kam es her, daß er das vielbedeutende Lob verdiente, welches ihm Horaz gibt, daß ihm alle Farben, alle Umstände des günstigen oder widrigen Glückes gleich gut anstunden; oder wie Plato von ihm sagte, daß es ihm allein gegeben war, ein Kleid von Purpur, und einen Kittel von Sackleinwand mit gleich guter Art zu tragen.

Es ist kein schwacher Beweis, wie wenig es dem Dionys an Fähigkeit das Gute zu schätzen gefehlt habe, daß er Aristippen um aller dieser Eigenschaften willen höher achtete, als alle andern Gelehrten seines Hofes; daß er ihn am liebsten um sich leiden mochte, und sich öfters von ihm durch einen Scherz zu guten Handlungen bewegen ließ, wozu ihn seine Pedanten mit aller ihrer Dialektik und schulgerechten Beredsamkeit nicht zu vermögen fähig waren.

Diese charakteristische Züge vorausgesetzt, läßt sich, deucht uns, keine wahrscheinlichere Ursache angeben, warum Aristipp, so bald er unsern Helden zu Syracus erblickte, den Entschluß faßte, ihn bei dem Dionys in Gunst zu setzen, als diese; daß er begierig war zu sehen, was aus einer solchen Verbindung werden, und wie sich Agathon in einer so schlüpfrigen Stellung verhalten würde. Denn auf einige besondere Vorteile für sich selbst konnte er dabei kein Absehen haben, da es nur auf ihn ankam, ohne einen Mittelsmann zu bedürfen, sich die Gnade eines Prinzen zu Nutzen zu machen, der in einem Anstoß von prahlerhafter Freigebigkeit fähig war, die Einkünfte von einer ganzen Stadt an einen Luftspringer oder Citharspieler wegzuschenken.

Dem sei indessen wie ihm wolle, so hatte Aristipp nichts angelegners, als des nächsten Morgens den Prinzen, dem er bei seinem Aufstehen aufzuwarten pflegte, von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten, und eine so vorteilhafte Abschilderung von ihm zu machen, daß Dionys begierig wurde, diesen außerordentlichen Menschen von Person zu kennen. Aristipp erhielt also den Auftrag, ihn unverzüglich nach Hofe zu bringen; und er vollzog denselben, ohne unsern Helden merken zu lassen, wieviel Anteil er an dieser Neugier des Prinzen gehabt hatte.

Agathon sah eine so bald erfolgende Einladung als ein gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit sie anzunehmen. Er erschien also vor dem Dionys, der ihn mitten unter seinen Hofleuten auf eine sehr leutselige Art empfing. Er erfuhr bei dieser Gelegenheit abermal, daß die Schönheit eine stumme Empfehlung an alle Menschen, welche Augen haben, ist. Diese Gestalt des Vatikanischen Apollo, die ihm schon so manchen guten – und schlimmen – Dienst getan, die ihm die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der Athenienser zugezogen, ihn in den Augen der thrazischen Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der schönen Danae zum liebenswürdigsten der Sterblichen gemacht hatte – Diese Gestalt, diese einnehmende Gesichts-Bildung, diese mit Würde und Anstand zusammenfließende Grazie, welche allen seinen Bewegungen und Handlungen eigen war – taten ihre Würkung, und zogen ihm beim ersten Anblick die allgemeine Bewunderung zu. Dionys, welcher als König zu wohl mit sich selbst zufrieden war, um über einen Privat-Mann wegen irgend einer Vollkommenheit eifersüchtig zu sein, überließ sich dem angenehmen Eindruck, den dieser schöne Fremdling auf ihn machte. Die Philosophen hofften, daß das Inwendige einer so viel versprechenden Außenseite nicht gemäß sein werde, und diese Hoffnung setzte sie in den Stand, mit einem Nasenrümpfen, welches den geringen Wert, den sie einem solchen Vorzug beilegten, andeutete, einander zu zuraunen, daß er – schön sei. Aber die Höflinge hatten Mühe ihren Verdruß darüber zu verbergen, daß sie keinen Fehler finden konnten, der ihnen den Anblick so vieler Vorzüge erträglich gemacht hätte. Wenigstens waren dieses die Beobachtungen, welche der kaltsinnige Aristipp bei dieser Gelegenheit zu machen glaubte.

Agathon verband in seinen Reden und in seinem ganzen Betragen so viel Bescheidenheit und Klugheit mit dieser edeln Freiheit und Zuversichtlichkeit eines Weltmannes, worin er sich zu Smyrna vollkommen gemacht hatte; daß Dionys in wenigen Stunden ganz von ihm eingenommen war. Man weiß, wie wenig es oft bedarf, den Großen der Welt zu gefallen, wenn uns nur der erste Augenblick günstig ist. Agathon mußte also dem Dionys, welcher würklich Geschmack hatte, notwendig mehr gefallen, als irgend ein anderer, den er jemals gesehen hatte; und das, in immerzunehmendem Verhältnis, so wie sich, von einem Augenblick zum andern, die Vorzüge und Talente unsers Helden entwickelten. In der Tat besaß er deren so viele, daß der Neid der Höflinge, der in gleicher Proportion von Stunde zu Stunde stieg, gewisser maßen zu entschuldigen war; die guten Leute würden sich viel auf sich selbst eingebildet haben, wenn sie nur diejenigen Eigenschaften, in einem solchen Grad, einzeln besessen hätten, welche in ihm vereinigt, dennoch den geringsten Teil seines Wertes ausmachten. Er hatte die Klugheit, anfänglich seine gründlichere Eigenschaften zu verbergen, und sich bloß von derjenigen Seite zu zeigen, wodurch sich die Hochachtung der Weltleute am sichersten überraschen läßt. Er sprach von allem mit dieser Leichtigkeit des Witzes, welche nur über die Gegenstände dahinglitscht, und wodurch sich oft die schalesten Köpfe in der Welt (auf einige Zeit wenigstens) das Ansehen, Verstand und Einsichten zu haben, zu geben wissen. Er scherzte; er erzählte mit Anmut; er machte andern Gelegenheit sich hören zu lassen; und bewunderte die guten Einfälle, welche dem schwatzhaften Dionys unter einer Menge von mittelmäßigen und frostigen zuweilen entfielen, mit einer Art, welche, ohne seiner Aufrichtigkeit oder seinem Geschmack zuviel Gewalt anzutun, diesen Prinzen überzeugte, daß Agathon unendlich viel Verstand habe.

Die großen Herren haben gemeiniglich eine Lieblings-Schwachheit, wodurch es sehr leicht wird, den Eingang in ihr Herz zu finden. Der große Tanzai von Scheschian, ein Kenner übrigens von Verdiensten, kannte doch kein größeres als die Leier gut zu spielen. Dionys hegte ein so günstiges Vorurteil für die Cithar, daß der beste Cithar-Spieler in seinen Augen der größeste Mann auf dem Erdboden war. Er spielte sie zwar selbst nicht; aber er gab sich für einen Kenner, und rühmte sich die größesten Virtuosen auf diesem wundertätigen Instrument an seinem Hofe zu haben. Zu gutem Glücke hatte Agathon zu Delphi die Cithar schlagen gelernt, und bei der schönen Danae, welche eine Meisterin auf allen Saiten-Instrumenten der damaligen Zeit war, einige Lektionen genommen, die ihn vollkommen gemacht hatten. Kurz, Agathon nahm das dritte oder vierte mal, da er mit dem Dionys zu Nacht aß, eine Cithar, begleitete darauf einen Dithyramben des Damon, (der von einer feinen Stimme gesungen, und von der schönen Bacchidion getanzt wurde) und setzte seine Hoheit dadurch in eine so übermäßige Entzückung, daß der ganze Hof von diesem Augenblick an für ausgemacht hielt, ihn in kurzem zur Würde eines erklärten Günstlings erhoben zu sehen. Dionys überhäufte ihn in der ersten Aufwallung seiner Bewunderung mit Liebkosungen, welche unserm Helden beinahe allen Mut benahmen. »Himmel!« dachte er, »was werde ich mit einem König anfangen, der bereit ist, den ersten Neuangekommenen an die Spitze seines Staats zu setzen, weil er ein guter Citharschläger ist?« Dieser erste Gedanke war sehr gründlich, und würde ihm vieles Ungemach erspart haben, wenn er seiner Eingebung gefolget hätte. Aber eine andere Stimme (war es seine Eitelkeit, oder der Gedanke ein großes Vorhaben nicht um einer so geringfügigen Ursache willen aufzugeben? – oder war es die Schwachheit, die uns geneigt macht, alle Torheiten der Großen, welche Achtung für uns zeigen, mit nachsichtvollen Augen einzusehen?) flüsterte ihm ein: Daß der Geschmack für die Musik, und die besondere Anmutung für ein gewisses Instrument, eine Sache sei, welche von unsrer Organisation abhange; und daß es ihm nur desto leichter sein werde, sich des Herzens dieses Prinzen zu versichern, je mehr er von den Geschicklichkeiten besitze, wodurch man seinen Beifall erhalten könne.


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