Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Wir sagen dieses alles nicht, um die schöne Danae zu rechtfertigen; sondern nur zu zeigen, daß Agathon in der Hitze des Affekts zu strenge über sie geurteilt habe. Es war unbillig, ihr eine Gütigkeit zum Verbrechen zu machen, welche ihn so glücklich gemacht hatte, als er elend gewesen sein würde, wenn sie schlechterdings darauf beharret wäre, die heftige Leidenschaft, von der er verzehrt wurde, bloß allein durch die ruhigen Gesinnungen der Freundschaft erwidern zu wollen. Allein das Vorurteil, von welchem er nun eingenommen war, machte ihn unfähig ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der Gedanke, daß sie einen Hippias eben so begünstiget habe als ihn, machte ihm alles verdächtig, was ihn hätte überzeugen können, daß, wenn ihm gleich andere in dem Genuß ihrer Gunstbezeugungen zuvorgekommen, er doch der erste gewesen sei, der ihr Herz wahrhaftig gerührt habe. Kurz, er sah nun nichts in ihr als eine Buhlerin, welche in dem Gesichtspunkt, worin sie ihm itzt erschien, vor den übrigen ihrer Klasse keinen andern Vorzug hatte, als daß sie gefährlicher war.

Indessen konnte sein Unwille gegen sie nicht so heftig sein als er war, ohne sich gegen sich selbst zu kehren. Die Vorstellung, daß er die Stelle eines Hippias, eines Hyacinths, bei ihr vertreten habe, machte ihn in seinen eigenen Augen zum verächtlichsten Sklaven; er schämte sich vor seinem ehmaligen bessern Selbst, wenn er an die Rechenschaft dachte, welche er sich von seinem Aufenthalt zu Smyrna schuldig sei. Würde er so gar, wenn Danae würklich diejenige gewesen wäre, wofür er sie in der Trunkenheit der Leidenschaft gehalten hatte, vor dem Gerichtstuhl der Tugend haben bestehen können? Was wollte er dann nun antworten, da er sich selbst anklagen mußte, eine so lange Zeit ohne irgend eine lobenswürdige Tat, verloren für seinen Geist, verloren für die Tugend, verloren für sein eigenes und das allgemeine Beste, in untätigem Müßiggang, und, was noch schlimmer war, in der verächtlichen Bestrebung den wollüstigen Geschmack einer Danae zu belustigen, ihre Begierden, ihre von dem Rest des üppigen Feuers ihrer Jugend noch erhitzte Einbildung zu befriedigen, unruhmlich verschwendet zu haben? Er trieb die Vorwürfe, welche er bei diesen gelbsüchtigen Vorstellungen sich selbst machte, so weit als sie der Affekt einer allzufeurigen, aber mit angeborner Liebe zur Tugend durchdrungenen Seele treiben kann. Die Schmerzen wovon sein Gemüt dadurch zerrissen wurde, waren so heftig, daß er die ganze Nacht, welche auf diesen traurigen Tag folgte, in einer fiebrischen Hitze zubrachte, welche, mit dem Zustande, worin sich seine Seele befand, zusammengenommen, ein sehr fügliches Bild derjenigen Pein hätte abgeben können, worin, nach dem allgemeinen Glauben aller Völker, die Lasterhaften in einem andern Leben die Verbrechen des gegenwärtigen büßen.

Wir haben schon einmal angemerkt, daß das Mißvergnügen über uns selbst ein allzuschmerzhafter Zustand sei, als daß ihn unsre Seele lange ausdauern könnte. Es ist natürlich, daß die Selbstliebe allen ihren Kräften aufbeut, um sich Linderung zu verschaffen; und wenn wir betrachten, wie wenig Gutes ein anhaltendes Gefühl von Scham und Verachtung seiner selbst würken kann, und wie nachteilig im Gegenteil Gram und Niedergeschlagenheit, ihre natürliche Folgen, der wiederkehrenden Tugend sein müssen: so haben wir vielleicht Ursache, die Geschäftigkeit der Eigenliebe, uns bei uns selbst zu entschuldigen, für eine von den nötigsten Springfedern unsrer Seele, in diesem Stande des Irrtums und der Leidenschaften, worin sie sich befindet, anzusehen. Die Reue ist zu nichts gut, als uns einen tiefen Eindruck von der Häßlichkeit eines törichten oder unsittlichen Verhaltens, dessen wir uns schuldig fühlen, zu geben. Sobald sie diese Würkung getan hat, soll sie aufhören; ihre Dauer würde uns nur die Kräfte benehmen, uns in einen bessern Zustand emporzuarbeiten, und dadurch eben so schädlich werden als eine allzugroße Furcht, die zu nichts dient, als uns dem Übel desto gewisser auszuliefern, welchem wir behutsam entfliehen oder mutig widerstehen sollten.

Agathon hatte desto mehr Ursache, diesen wohltätigen Eingebungen der Eigenliebe Gehör zu geben, da ihm seine allezeit zu warme Einbildungs-Kraft seine Vergehungen und den Gegenstand derselbigen würklich in einem weit häßlichern Lichte gezeigt hatte, als die gelassene und unparteiische Vernunft getan haben würde. Die seltsame Abwechselung dieser launischen Zauberin, und wie wenig ihr der plötzliche Übergang von dem äußersten Grad eines Affekts zum entgegen gesetzten kostet, wird vermutlich einem guten Teil unsrer Leser aus eigner Erfahrung so wohl bekannt sein, daß sie sich nicht verwundern werden, zu vernehmen, daß die Begierde sich selbst in seinen eignen Augen zu rechtfertigen, oder doch wenigstens soviel möglich zu entschuldigen, unsern Helden unvermerkt dahin gebracht habe, auch der schönen Danae einen Teil der Gerechtigkeit wieder angedeihen zu lassen, der ihr von den strengesten Verehrern der Tugend nicht versagt werden kann. »Es war schwer, sehr schwer«, würde ein Socrates gesagt haben, »den Reizungen eines so schönen Gegenstandes, den Verführungen so vieler vereinigter Zauberkräfte zu widerstehen; die Flucht war das einzige sichere Rettungs-Mittel; es war freilich fast eben so schwer; aber das Vermögen dazu war wenigstens anfangs in eurer Gewalt; und es war unvorsichtig an euch, nicht zu denken, daß eine Zeit kommen würde, da ihr keine Kräfte mehr zum fliehen haben würdet.« So ungefähr möchte derjenige gesagt haben, der den Critobulus, weil er den schönen Knaben des Alcibiades geküßt hatte, einen Wagehals nannte; und dem jungen Xenophon riet, vor einem schönen Gesichte so behende wie vor einem Basilisken davon zu laufen. Allein so bescheiden und so wahr klang die Sprache der Eigenliebe nicht. »Es war unmöglich«, sagte sie unserm Helden, »so mächtigen Reizungen zu widerstehen; es war unmöglich zu entfliehen.« Sie nahm die ganze Lebhaftigkeit seiner Einbildungs-Kraft zu hülfe, ihm die Wahrheit dieser tröstlichen Versicherungen zu beweisen; und wenn sie es nicht so weit brachte, ein gewisses innerliches Gefühl, welches ihr widersprach, und welches vielleicht das gewisseste Merkmal der Freiheit unsers Willens ist, gänzlich zu betäuben, so gelang es ihr doch unvermerkt, den Gram aus seinem Gemüte zu verbannen, und dieses sanfte Licht wieder darin auszubreiten, worin wir ordentlicher Weise alles, was zu uns selbst gehört, zu sehen gewohnt sind.

Allein Danae gewann wenig bei dieser ruhigern Verfassung seines Herzens. Ihre Vollkommenheiten rechtfertigten zwar die hohe Meinung die er von ihrem Charakter gefasset hatte, und beides, die Größe seiner Leidenschaft; er vergab sich selbst, sie so sehr geliebet zu haben, so lang er Ursache gehabt hatte, die Schönheit ihrer Seele für eben so ungemein zu halten als es die Reizungen ihrer Person waren: Aber sie verlor mit dem Recht an seine Hochachtung alle Gewalt über sein Herz. Der Entschluß sie zu verlassen war die natürliche Folge davon, und dieser kostete ihn, da er ihn faßte, nur nicht einen Seufzer; so tief war die Verachtung, wovon er sich gegen sie durchdrungen fühlte. Die Erinnerung dessen was er gewesen war, das Gefühl dessen was er wieder sein könne, sobald er wolle, machte ihm den Gedanken unerträglich, nur einen Augenblick länger der Sklave einer andern Circe zu sein, die durch eine schändlichere Verwandlung als irgend eine von denen welche die Gefährten des Ulysses erdulden mußten, den Helden der Tugend in einen müßigen Wollüstling verwandelt hatte.

Bei so bewandten Umständen war es nicht ratsam, ihre Wiederkunft zu erwarten, welche, nach ihrem Bericht, längstens in dreien Tagen erfolgen sollte. Denn sie hatte keinen Tag vorbeigehen lassen, ohne ihm zu schreiben; und die Notwendigkeit, ihr eben so regelmäßig zu antworten, setzte ihn, nach der großen Revolution die in seinem Herzen vorgegangen war, in eine desto größere Verlegenheit, da er zu aufrichtig und zu lebhaft war, Empfindungen vorzugeben, die sein Herz verleugnete. Seine Briefchen wurden dadurch so kurz, und verrieten so vielen Zwang, daß Danae auf einen Gedanken kam, der zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber doch der natürlichste war, der ihr einfallen konnte. Sie vermutete, ihre Abwesenheit könnte eine von den Schönen zu Smyrna verwegen genug gemacht haben, ihr einen so beneidenswürdigen Liebhaber entführen zu wollen. Wenn ihr Stolz zu einem so vermessenen Vorhaben lächelte; so liebte sie doch zu zärtlich, um so ruhig dabei zu sein, als man aus der muntern Art, womit sie über seine Erkältung scherzte, hätte schließen sollen. Indessen behielt doch das Bewußtsein ihrer Vorzüge die Oberhand, und ließ ihr keinen Zweifel, daß es nur ihre Gegenwart brauche, um alle Eindrücke, welche eine Nebenbuhlerin auf der Oberfläche seines Herzens gemacht haben könne, wieder auszulöschen. Und wenn sie dessen auch weniger gewiß gewesen wäre, so war sie doch zu klug, ihn merken zu lassen, daß sie ein Mißtrauen in sein Herz setze, oder fähig sein könnte, sich ihm jemals durch eine grillenhafte Eifersucht beschwerlich zu machen. Bei allem dem beschleunigte dieser Umstand ihre Zurückkunft; und der Gedanke, daß es ihr vielleicht einfallen könnte, ihn durch eine frühere Ankunft, als sie in ihrem letzten Briefe versprochen hatte, überraschen zu wollen, (ein Gedanke, den wir sehr geneigt sind der Eingebung des Schutzgeistes seiner Tugend zu zuschreiben, so prophetisch war er) stellte ihm die Notwendigkeit der schleunigsten Flucht so dringend vor, daß er sich, sobald er den Boten der Danae abgefertiget hatte, nach dem Hafen begab, sich um ein Schiff um zu sehen, welches ihn noch in dieser Nacht von Smyrna entfernen möchte.


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