Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Siebentes Kapitel

Eine oder zwo Digressionen

Wir wünschen uns Leserinnen zu haben; (denn diese Geschichte, wenn sie auch weniger wahr wäre, als sie ist, gehört nicht unter die gefährlichen Romanen, von welchen der Verfasser des gefährlichsten und lehrreichsten Romans in der Welt die Jungfrauen zurückschreckt) und wir sehen es also nicht gerne, daß einige unter ihnen, welche noch Geduld genug gehabt, dieses achte Buch bis zum Schluß zu durchblättern – in der Meinung, daß nun nichts interessantes mehr zu erwarten sei, nachdem Agathon durch einen Streich von der verhaßtesten Art, durch eine heimliche Flucht der Liebe den Dienst aufgesagt habe – den zweiten Teil seiner Geschichte ganz kaltsinnig aus ihren schönen Händen entschlüpfen lassen, und – vielleicht den »Sopha«, oder die allerliebste kleine »Puppe« des Hrn. Bibiena ergreifen, um die Vapeurs zu zerstreuen, die ihnen die Untreue und die Betrachtungen unsers Helden verursachet haben.

»Woher es wohl kommen mag, meine schönen Damen, daß die meisten unter Ihnen geneigter sind, uns alle Torheiten, welche die Liebe nur immer begehen machen kann, zu verzeihen, als die Wiederherstellung in den natürlichen Stand unsrer gesunden Vernunft? Gestehen Sie, daß wir Ihnen desto lieber sind, je besser wir durch die Schwachheiten, wozu Sie uns bringen können, die Obermacht Ihrer Reizungen über die Stärke der männlichen Weisheit beweisen – Was für ein interessantes Gemälde ist nicht eine Deanira mit der Löwen-Haut ihres nervichten Liebhabers umgeben, und mit seiner Keule auf der Schulter, wie sie einen triumphierend-lächelnden Seitenblick auf den Bezwinger der Riesen und Drachen wirft, der, in ihre langen Kleider vermummt, mitten unter ihren Mädchen mit ungeschickter Hand die weibische Spindel dreht? – Wir kennen eine oder zwo, auf welche diese kleine Exklamation nicht paßt; aber wenn wir ohne Schmeichelei reden sollen, (welches wir freilich nicht tun sollten, wenn wir die Klugheit zu Rate zögen,) so zweifeln wir, ob die Weiseste unter allen, zu eben der Zeit, da sie sich bemüht, den Torheiten ihres Liebhabers Schranken zu setzen, sich erwehren kann, eine solche kleine still-triumphierende Freude darüber zu fühlen, daß sie liebenswürdig genug ist, einen Mann von Verdiensten seines eignen Werts vergessen zu machen.«

»Eine alltägliche Anmerkung« werden Kenner denken, »welche weder mehr noch weniger sagt, als was Gay in einer seiner Fabeln tausend mal schöner gesagt hat, und was wir alle längst wissen – daß die Eitelkeit die wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Herzens ist –« Wir erkennen unsern Fehler, ohne gleichwohl den Kennern einzugestehn, daß unsre Anmerkung so viel sage. Aber nichts mehr hievon!

Hingegen können wir unsern besagten Leserinnen, um sie wieder gut zu machen, eine kleine Anekdote aus dem Herzen unsers Helden nicht verhalten, und wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen sollte, die Hochachtung wieder zu verlieren, in die er sich bei den ehrwürdigen Damen, welche nie geliebt haben, und, Dank sei dem Himmel! nie geliebt worden sind, wieder zu setzen angefangen hat. Hier ist sie –

So vergnügt Agathon über seine Entweichung aus seiner angenehmen Gefangenschaft in Smyrna, und in diesem Stücke mit sich selbst war; so wenig die Bezauberung, unter welcher wir ihn gesehen haben, die charakteristische Leidenschaft schöner Seelen, die Liebe der Tugend, in ihm zu ersticken vermocht hatte; so aufrichtig die Gelübde waren, die er tat, ihr künftig nicht wieder ungetreu zu werden; so groß und wichtig die Gedanken waren, welche seine Seele schwellten; so sehr er, um alles mit einem Wort zu sagen, wieder Agathon war: So hatte er doch Stunden, wo er sich selbst gestehen mußte, daß er mitten in der Schwärmerei der Liebe und in den Armen der schönen Danae – glücklich gewesen sei. »Es mag immer viel Verblendung, viel Überspanntes und Schimärisches in der Liebe sein«, sagte er zu sich selbst, »so sind doch gewiß ihre Freuden keine Einbildung – ich fühlte es, und fühl' es noch, so wie ich mein Dasein fühle, daß es wahre Freuden sind, so wahr in ihrer Art, als die Freuden der Tugend – und warum sollt' es unmöglich sein, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden? Sie beide zu genießen, das würde erst eine vollkommne Glückseligkeit sein.«

Hier müssen wir zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes eine kleine Parenthese machen, um denen, die keine andre Sitten kennen, als die Sitten des Landes oder Ortes, worin sie geboren sind, zu sagen, daß ein vertrauter Umgang mit Frauenzimmern von einer gewissen Klasse, oder (nicht so französisch, aber weniger zweideutig zu reden) welche mit dem was man etwas uneigentlich Liebe zu nennen pflegt, ein Gewerbe treiben, bei den Griechen eine so erlaubte Sache war, daß die strengesten Väter sich lächerlich gemacht haben würden, wenn sie ihren Söhnen, so lange sie unter ihrer Gewalt stunden, eine Liebste aus der bemeldten Klasse hätten verwehren wollen. Frauen und Jungfrauen genossen den besondern Schutz der Gesetze, wie allenthalben, und waren durch die Sitten und Gebräuche dieses Volkes vor Nachstellungen ungleich besser gesichert, als sie es bei uns sind. Ein Anschlag auf ihre Tugend war so schwer zu bewerkstelligen, als die Bestrafung eines solchen Verbrechens strenge war. Ohne Zweifel geschah es, diese in den Augen der Griechischen Gesetzgeber geheiligte Personen, die Mütter der Bürger, und diejenige welche zu dieser Ehre bestimmt waren, den Unternehmungen einer unbändigen Jugend desto gewisser zu entziehen, daß der Stand der Phrynen und Laiden geduldet wurde; und so ausgelassen uns auch der asotische Witzling Aristophanes die Damen von Athen vorstellet, so ist doch gewiß, daß die Weiber und Töchter der Griechen überhaupt sehr sittsame Geschöpfe waren; und daß die Sitten einer Vermählten und einer Buhlerin bei ihnen eben so stark mit einander absetzten, als man dermalen in gewissen Hauptstädten von Europa bemüht ist, sie mit einander zu vermengen.

Ob diese ganze Einrichtung löblich war, ist eine andre Frage, von der hier die Rede nicht ist; wir führen sie bloß deswegen an, damit man nicht glaube, als ob die Reue und die Gewissens-Bisse unsers Agathon aus dem Begriff entstanden, daß es unrecht sei mit einer Danae der Liebe zu pflegen. Agathon dachte in diesem Stücke, wie alle andren Griechen seiner Zeit. Bei seiner Nation (die Spartaner vielleicht allein ausgenommen) durfte man, wenigstens in seinem Alter, die Nacht mit einer Tänzerin oder Flötenspielerin zubringen, ohne sich deswegen einen Vorwurf zu zuziehen, in so ferne nur die Pflichten seines Standes nicht darunter leiden mußten, und eine gewisse Mäßigung beobachtet wurde, welche nach den Begriffen dieser Heiden, die wahre Grenzlinie der Tugend und des Lasters ausmachte. Wenn man dem Alcibiades übel genommen hatte, daß er sich im Schoß der schönen Nemea, als wie vom Siege ausruhend, malen ließ, oder daß er den Liebesgott mit Jupiters Blitzen bewaffnet in seinem Schilde führte; (und Plutarch sagt uns, daß nur die ältesten und ernsthaftesten Athenienser sich darüber aufgehalten; Leute, deren Eifer öfters nicht sowohl von der Liebe der Tugend gegen die Torheiten der Jugend gewaffnet wird, als von dem verdrießlichen Umstand, beim Anblick derselben zu gleicher Zeit, wie weit sie von ihrer eignen Jugend entfernt und wie nahe sie dem Grabe sind, erinnert zu werden): Wenn man, sage ich, dem Alcibiades diese Ausschweifungen übel nahm, so war es nicht sein Hang zu den Ergötzungen oder seine Vertraulichkeit mit einer Person, welche durch Stand und Profession, wie so viel andre, allein dem Vergnügen des Publici gewidmet war; sondern der Übermut, der daraus hervorleuchtete, die Verachtung der Gesetze des Wohlstandes, und einer gewissen Gravität, welche man in freien Staaten mit Recht gewohnt ist von den Vorstehern der Republik, wenigstens außerhalb dem Zirkel des Privatlebens, zu fodern. Man würde ihm, wie andern, seine Schwachheiten, oder seine Ergötzungen übersehen haben; aber man vergab ihm nicht, daß er damit prahlte; daß er sich seinem Hang zur Fröhlichkeit und Wollust, bis zu den unbändigsten Ausgelassenheiten überließ. Daß er, von Wein und Salben triefend, mit dem vernachlässigten und abgematteten Ansehen eines Menschen, der eine Winternacht durchschwelgt hatte, noch warm von den Umarmungen einer Tänzerin, in die Rats-Versammlungen hüpfte, und sich, so übel vorbereitet, doch überflüssig tauglich hielt, (und vielleicht war ers würklich) die Angelegenheiten Griechenlands zu besorgen, und den grauen Vätern der Republik zu sagen, was sie zu tun hätten: Das war es, was sie ihm nicht vergeben konnten, und was ihm die schlimmen Händel zuzog, von denen der Wohlstand Athens und er selbst endlich die Opfer wurden.

Überhaupt ist es eine längst ausgemachte Sache, daß die Griechen von der Liebe ganz andere Begriffe hatten als die heutigen Europäer – denn die Rede ist hier nicht von den metaphysischen Spielwerken oder Träumen des göttlichen Platons – Ihre Begriffe scheinen der Natur, und also der gesunden Vernunft näher zu kommen, als die unsrigen, in welchen Scythische Barbarei und Maurische Galanterie auf die seltsamste Art mit einander kontrastieren. Sie ehrten die ehliche Freundschaft; aber von dieser romantischen Leidenschaft, welche wir im eigentlichen Verstande Liebe nennen, und welche eine ganze Folge von Romanschreibern bei unsern Nachbaren jenseits des Rheins und bei den Engländern bemühet gewesen ist, zu einer heroischen Tugend zu erheben; von dieser wußten sie eben so wenig als von der weinerlich-komischen, der abenteurlichen Hirngeburt einiger Neuerer, meistens weiblicher, Skribenten, welche noch über die Begriffe der ritterlichen Zeiten raffiniert, und uns durch ganze Bände eine Liebe gemalt haben, die sich von stillschweigendem Anschauen, von Seufzern und Tränen nährt, immer unglücklich und doch selbst ohne einen Schimmer von Hoffnung immer gleich standhaft ist. Von einer so abgeschmackten, so unmännlichen, und mit dem Heldentum, womit man sie verbinden will, so lächerlich abstechenden Liebe wußte diese geistreiche Nation nichts, aus deren schöner und lachender Einbildungskraft die Göttin der Liebe, die Grazien, und so viele andre Götter der Fröhlichkeit hervorgegangen waren. Sie kannten nur die Liebe, welche scherzt, küßt und glücklich ist; oder, richtiger zu reden, diese allein schien ihnen, unter gehörigen Einschränkungen, der Natur gemäß, anständig und unschuldig. Diejenige, welche sich mit allen Symptomen eines fiebrischen Paroxysmus der ganzen Seele bemächtiget, war in ihren Augen eine von den gefährlichsten Leidenschaften, eine Feindin der Tugend, die Störerin der häuslichen Ordnung, die Mutter der verderblichsten Ausschweifungen und der häßlichsten Laster. Wir finden wenige Beispiele davon in ihrer Geschichte; und diese Beispiele sehen wir auf ihrem tragischen Theater mit Farben geschildert, welche den allgemeinen Abscheu erwecken mußten; so wie hingegen ihre Komödie keine andre Liebe kennt, als diesen natürlichen Instinkt, welchen Geschmack, Gelegenheit und Zufall für einen gewissen Gegenstand bestimmen, der, von den Grazien und nicht selten auch von den Musen verschönert, das Vergnügen zum Zweck hat, nicht besser noch erhabener sein will als er ist, und wenn er auch in Ausschweifungen ausbrechend, sich gegen den Zwang der Pflichten aufbäumt, doch immer weniger Schaden tut, und leichter zu bändigen ist, als jene tragische Art zu lieben, welche ihnen vielmehr von der Fackel der Furien als des Liebesgottes entzündet, eher die Würkung der Rache einer erzürnten Gottheit als dieser süßen Betörung gleich zu sein schien, welche sie, wie den Schlaf und die Gaben des Bacchus, des Gebers der Freude, für ein Geschenke der wohltätigen Natur, ansahen, uns die Beschwerden des Lebens zu versüßen, und zu den Arbeiten desselben munter zu machen.


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