Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Viertes Kapitel

Philistus und Timocrates

Während, daß die Philosophie und die Tugend durch die Beredsamkeit eines einzigen Mannes eine so außerordentliche Veränderung der Szene an dem Hofe zu Syracus hervorbrachte, waren die ehmaligen Vertrauten des Dionysius sehr weit davon entfernt, die Vorteile, welche sie von der vorigen Denkungs-Art dieses Prinzen gezogen hatten, so willig hinzugeben, als man es aus ihrem äußerlichen Bezeugen hätte schließen sollen. Als schlaue Höflinge wußten sie zwar ihren Unmut über die sonderbare Gunst, worin Plato bei demselben stund, sehr künstlich zu verbergen. Gewohnt sich nach dem Geschmacke des Prinzen zu modeln, und alle Gestalten anzunehmen, unter welchen sie ihm gefallen oder zu ihren geheimen Absichten am besten gelangen konnten, hatten sie, so bald sie die neue Laune ihres Herrn gewahr worden waren, die ganze Außenseite des philosophischen Enthusiasmus mit eben der Leichtigkeit angenommen, womit sie eine Maskeraden-Kleidung angezogen hätten. Sie waren die ersten, die dem übrigen Hofe hierin mit ihrem Beispiel vorgingen; sie verdoppelten ihre Aufwartung bei dem Prinzen Dion, dessen Ansehen seit Platons Ankunft ungemein gestiegen war; sie waren die erklärten Bewunderer des Philosophen; sie lächelten ihm Beifall entgegen, so bald er nur den Mund auftat; alle seine Vorschläge und Maßnehmungen waren bewundernswürdig; sie wußten nichts daran auszusetzen, oder wenn sie ja Einwürfe machten, so war es nur um sich belehren zu lassen, und auf die erste Antwort sich seiner höhern Weisheit überwunden zu geben. Sie suchten seine Freundschaft so gar mit einem Eifer, worüber sie den Fürsten selbst zu vernachlässigen schienen; und besonders ließen sie sich sehr angelegen sein, die Vorurteile zu zerstreuen, die man von der vorigen Staats-Verwaltung wider sie gefaßt haben könnte. Durch diese Kunstgriffe erreichten sie zwar die Absicht, den weisen Plato sicher zu machen, nicht so vollkommen, daß er nicht immer einiges gerechtes Mißtrauen in die Aufrichtigkeit ihres Bezeugens gesetzt hätte; er beobachtete sie genau; allein da sie gar nicht zweifelten, daß er es tun würde, so war es ihnen leicht davor zu sein, daß er mit aller seiner Scharfsichtigkeit nichts sah. Sie vermieden alles, was ihrem Betragen einen Schein von Zurückhaltung, Zweideutigkeit und Geheimnis hätte geben können, und nahmen ein so natürliches und einfaches Wesen an, daß man entweder ihres gleichen sein, oder betrogen werden mußte. Diese schöne Kunst ist eine von denen, in welchen nur den Hofleuten gegeben ist, Meister zu sein. Man könnte die Tugend selbst herausfordern, in einem höhern Grad und mit besserm Anstand Tugend zu scheinen, als diese Leute es in ihrer Gewalt haben, so bald es ein Mittel zu ihren Absichten werden kann, die eigenste Miene, Farbe, und äußerliche Grazie derselben an sich zu nehmen.

Was wir hier sagen, versteht sich insonderheit von zweenen, welche bei dieser Veränderung des Tyrannen am meisten zu verlieren hatten. Philistus war bisher der vertrauteste unter seinen Ministern, und Timocrates sein Liebling gewesen. Beide hatten sich mit einer Eintracht, welche ihrer Klugheit Ehre machte, in sein Herz, in die höchste Gewalt, wozu er nur seinen Namen hergab, und in einen beträchtlichen Teil seiner Einkünfte geteilt. Itzt zog die gemeinschaftliche Gefahr das Band ihrer Freundschaft noch enger zusammen. Sie entdeckten einander ihre Besorgnisse, ihre Bemerkungen, ihre Anschläge; sie redeten die Maßregeln mit einander ab, die in so kritischen Umständen genommen werden mußten; und gingen, weil sie die schwache Seite des Tyrannen besser kannten, als irgend ein andrer, mit so vieler Schlauheit zu Werke, daß es ihnen nach und nach glückte, ihn gegen Platon und Dion einzunehmen, ohne daß er merkte, daß sie diese Absicht hatten.

Wir haben schon bemerkt, daß die Syracusaner, vermöge einer Eigenschaft, welche aller Orten das Volk charakterisiert, der Hoffnung durch Vermittlung des Platon ihre alte Freiheit wieder zu erlangen, mit einer so voreiligen Freude sich überließen, daß die bevorstehende Staats-Veränderung der Inhalt aller Gespräche wurde. In der Tat ging die Absicht Dions bei Berufung seines Freundes auf nichts geringers. Beide waren gleich erklärte Feinde der Tyrannie und der Demokratie; von denen sie (mit welchem Grunde, wollen wir hier nicht entscheiden) davorhielten, daß sie unter verschiedenen Gestalten, und durch verschiedene Wege, am Ende in einem Punkte, nämlich in Mangel der Ordnung und Sicherheit, Unterdruckung und Sklaverei zusammenliefen. Beide waren für diejenige Art der Aristokratie, worin das Volk zwar vor aller Unterdrückung hinlänglich sicher gestellt, folglich die Gewalt der Edeln, oder wie man bei den Griechen sagte, der Besten, durch unzerbrechliche Ketten gefesselt ist; hingegen die eigentliche Staats-Verwaltung nur bei einer kleinen Anzahl liegt, welche eine genaue Rechenschaft abzulegen verbunden sind. Es war also würklich ihr Vorhaben, die Tyrannie, oder was man zu unsern Zeiten eine uneingeschränkte Monarchie nennt, aus dem ganzen Sicilien zu verbannen, und die Verfassung dieser Insel in die vorbemeldte Form zu gießen. Dem Dionys zu gefallen, oder vielmehr, weil nach Platons Meinung die vollkommenste Staats-Form eine Zusammensetzung aus der Monarchie, Aristokratie und Demokratie sein mußte, wollten sie ihrer neuen Republik zwei Könige geben, welche in derselben eben das vorstellen sollten was die Könige in Sparta; und Dionys sollte einer von denselben sein. Dieses waren ungefähr die Grundlinien ihres Entwurfs. Sie ließen keine Gelegenheit vorbei, dem Prinzen die Vorteile einer gesetzmäßigen Regierung anzupreisen; aber sie waren zu klug, von einer so delikaten Sache, als die Einführung einer republikanischen Verfassung war, vor der Zeit zu reden, und den Tyrannen, eh ihn Plato vollkommen zahm und bildsam gemacht haben würde, durch eine unzeitige Entdeckung ihrer Absichten in seine natürliche Wildheit wieder hineinzuschrecken.

Unglücklicher Weise war das Volk so vieler Mäßigung nicht fähig, und dachte auch ganz anders über den Gebrauch, den es von seiner Freiheit machen wollte. Ein jeder hatte dabei eine gewisse Absicht, die er noch bei sich behielt, und die gerade zu auf irgend einen Privat-Vorteil ging. Jeder hielt sich für mehr als fähig, dem gemeinen Wesen gerade in dem Posten zu dienen, wozu er die wenigste Fähigkeit hatte, oder hatte sonst seine kleine Forderungen zu machen, welche er schlechterdings bewilliget haben wollte. Die Syracusaner verlangten also eine Demokratie; und da sie sich ganz nahe bei dem Ziel ihrer Wünsche glaubten, so sprachen sie laut genug davon, daß Philistus und seine Freunde Gelegenheit bekamen, den Tyrannen aus seinem angenehmen Platonischen Enthusiasmus zu sich selbst zurückzurufen.

Das erste was sie taten, war, daß sie ihm die Gesinnungen des Volkes, und die zwar von außen noch nicht merklich in die Augen fallende, aber innerlich desto stärker gärende Bewegung desselben mit sehr lebhaften Farben, und mit ziemlicher Vergrößerung der Umstände vormalten. Sie taten dieses mit vieler Vorsichtigkeit, in gelegenen Augenblicken, nach und nach, und auf eine solche Art, daß es dem Dionys scheinen mußte, als ob ihm endlich die Augen von selbst aufgingen; und dabei versäumten sie keine Gelegenheit, den Plato und den Prinzen Dion bis in die Wolken zu erheben; und besonders in Ausdrücken, welche von der schlauesten Bosheit ausgewählt wurden, von der außerordentlichen Hochachtung zu sprechen, worein sie sich bei dem Volke setzten. Um den Tyrannen desto aufmerksamer zu machen, wußten sie es durch tausend geheime Wege, wobei sie selbst nicht zum Vorschein kamen, dahin einzuleiten, daß häufige und zahlreiche Privat-Versammlungen in der Stadt angestellt wurden, wozu Dion und Plato selbst, oder doch immer jemand von den besondern Vertrauten des einen oder des andern, eingeladen wurde. Diese Versammlungen waren zwar nur auf Gastmähler und freundschaftliche Ergötzungen angesehen; aber sie gaben doch dem Philistus und seinen Freunden Gelegenheit mit einer Art davon zu reden, wodurch sie den Schein politischer Zusammenkünfte bekamen; und das war alles was sie wollten.

Durch diese und andre dergleichen Kunstgriffe gelang es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beizubringen. Er fing an, in die Aufrichtigkeit seines neuen Freundes ein desto größeres Mißtrauen zu setzen, da er über das besondere Verständnis, welches er zwischen ihm und dem Dion wahrnahm, eifersüchtig war; und damit er desto bälder ins Klare kommen möchte, hielt er für das Sicherste, den seit einiger Zeit vernachlässigten Timocrates wieder an sich zu ziehen; und so bald er sich versichert hatte, daß er, wie vormals auf seine Ergebenheit zählen könne, ihm seine Wahrnehmungen und geheime Besorgnisse zu entdecken. Der schlaue Günstling stellte sich anfangs, als ob er nicht glauben könne, daß die Syracusaner im Ernste mit einem solchen Vorhaben umgehen sollten; wenigstens (sagte er mit der ehrlichsten Miene von der Welt) könne er sich nicht vorstellen, daß Plato und Dion den mindesten Anteil daran haben sollten; ob er gleich gestehen müßte, daß seit dem der erste sich am Hofe befinde, die Syracusaner von einem seltsamen Geiste beseelt würden, und zu den ausschweifenden Einbildungen, welche sie sich zu machen schienen, vielleicht durch das außerordentliche Ansehen verleitet würden, worin dieser Philosoph bei dem Prinzen stehe: Es sei nicht unmöglich, daß die Republikanisch-Gesinnte sich Hoffnung machten, Gelegenheit zu finden, indessen, daß der Hof die Gestalt der Akademie gewänne, dem Staat unvermerkt die Gestalt einer Demokratie zu geben; indessen müsse er gestehen, daß er nicht Vertrauen genug in seine eigene Einsicht setze, seinem Herrn und Freunde in so delikaten Umständen einen sichern Rat zu geben; und Philistus, dessen Treue dem Prinzen längst bekannt sei, würde durch seine Erfahrenheit in Staats-Geschäften unendlichmal geschickter sein, einer Sache von dieser Art auf den Grund zu sehen.


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