Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Zweiter Teil

Achtes Buch

Erstes Kapitel

Vorbereitung zum Folgenden

Die Laune eines Dichters, die Treue einer Buhlerin, und die Freundschaft eines Hippias, sind vielleicht die drei unzuverlässigsten Dinge unter allen in der Welt; es wäre denn, daß man die Gunst der Großen für das Vierte halten wollte, welche gemeiniglich eben so leicht verloren als gewonnen wird, und mit den Gunstbezeugungen gewisser Nymphen noch diese Ähnlichkeit hat, daß derjenige, welcher unvorsichtig genug gewesen ist davon zu kosten, einen kurzen Traum von Vergnügen gemeiniglich mit langwierigen Schmerzen bezahlen muß.

Hippias nannte sich einen Freund der schönen Danae, und wurde von ihr dafür gehalten; eine Bekanntschaft von mehr als zwölf Jahren hatte dieses beiden zur Gewohnheit gemacht. Hiezu kam noch die natürliche Verwandtschaft, welche unter Leuten von Witz und feiner Lebens-Art obwaltet, die Übereinstimmung ihrer Denkungs-Art, und Neigungen; vielleicht auch die besondere Vorrechte, die er, der gemeinen Meinung nach, eine Zeit lang bei ihr genossen. Alles dieses hatte diese Art von Vertraulichkeit unter ihnen hervorgebracht, welche von den Weltleuten, aus einem Mißverstande dessen sie sich nur nicht vermuten, für Freundschaft gehalten wird, und auch in der Tat alle Freundschaft, deren sie fähig sind, ausmacht; ob es gleich gemeiniglich eine bloß mechanische Folge zufälliger Umstände, und im Grunde nichts bessers als eine stillschweigende Übereinkommnis ist, einander so lange gewogen zu sein, als es einem oder dem andern Teil gelegen sein werde; und daher auch ordentlicher Weise keinen Augenblick länger daurt, als bis sie auf irgend eine Probe, wobei sich die Eigenliebe einige Gewalt antun müßte, gesetzt werden wollte.

Die schöne Danae, deren Herz unendlich mal besser war als des Sophisten seines, ging inzwischen ganz aufrichtig zu Werke, indem sie in die vermeinte Freundschaft dieses Mannes nicht den mindesten Zweifel setzte. Es ist wahr, er hatte einen guten Teil von ihrer Hochachtung, und also zugleich von ihrem Vertrauen verloren, seitdem die Liebe so sonderbare Veränderungen in ihrem Charakter gewürkt hatte. Je mehr Agathon gewann, je mehr mußte Hippias verlieren. Allein das war so natürlich und kam so unvermerkt, daß sie sich dessen kaum, oder nur sehr undeutlich bewußt war; und vielleicht so wenig, daß sie, ohne die mindeste Besorgnis, er werde tiefer in ihr Herz hineinschauen als sie selbst, an nichts weniger dachte, als einige Vorsichtigkeit gegen ihn zu gebrauchen. Ein Beweis hievon ist, daß sie, anstatt ihm bei ihrem Liebhaber schlimme Dienste zu tun, sich vielmehr bei jedem Anlaß bemühete, ihn bei demselben in bessere Achtung zu setzen. Und dieses war ihr auch, bei der besondern Sorgfalt, womit der Sophist seit einiger Zeit ihre Bemühung beförderte, so wohl gelungen, daß Agathon anfing eine bessere Meinung von seinem Charakter zu fassen, und sich unvermerkt so viel Vertrauen von ihm abgewinnen ließ, daß er kein Bedenken mehr trug, sich so gar über die Angelegenheiten seines Herzens in vertrauliche Unterredungen mit ihm einzulassen.

Unsre Liebende verliefen sich also mit der sorglosesten Unvorsichtigkeit, welche sich Hippias nur wünschen konnte, in die Fallstricke die er ihnen legte; und ließen sich nicht einfallen, daß er Absichten haben könne, eine Verbindung wieder zu vernichten, die gewissermaßen sein eigenes Werk war. Diese Sorglosigkeit könnte vielleicht desto tadelhafter scheinen, da beiden so wohl bekannt war, nach was für Grundsätzen er lebte. Allein es ist eine Beobachtung, die man alle Tage zu machen Gelegenheit hat, daß edle Gemüter mit Leuten von dem Charakter unsers Sophisten betrogen werden müssen, sie mögen es angehen, wie sie wollen. Sie mögen die Denkens-Art dieser Leute noch so gut kennen, noch so viele Proben davon haben, daß derjenige, dessen Neigungen und Handlungen allein durch das Interesse seiner eigennützigen Leidenschaften bestimmt wird, keines rechtschaffenen Betragens fähig ist; es wird ihnen doch immer unmöglich bleiben, alle Krümmen und Falten seines Herzens so genau auszuforschen, daß nicht in irgend einer derselben noch eine geheime Schalkheit lauren sollte, deren man sich nicht versehen hatte, wenn sie endlich zum Vorschein kömmt. Agathon und Danae, zum Exempel, kannten den Hippias gut genug, um überzeugt zu sein, daß er sich, sobald sein Interesse dem Vorteil ihrer Liebe entgegenstünde, nicht einen Augenblick bedenken würde, die Pflichten der Freundschaft seinem Eigennutzen aufzuopfern. Denn was sind Pflichten für einen Hippias? Hingegen konnten sie nicht begreifen, was für einen Vorteil er darunter haben könnte, ihre Herzen zu trennen; und dieses machte sie sicher. In der Tat hatte er keinen; auch hatte er eigentlich die Absicht nicht sie zu trennen. Aber er hatte ein Interesse, ihnen einen Streich zu spielen, welcher, dem Charakter des Agathon nach, notwendig diese Würkung tun mußte. Und das war es, woran sie nicht dachten.

Wir haben im vierten Buche dieser Geschichte die Absichten entdeckt, welche den Sophisten bewogen hatten, unsern Helden mit der schönen Danae bekannt zu machen. Der Entwurf war wohl ausgesonnen, und hätte, nach den Voraussetzungen, die dabei zum Grunde lagen, ohnmöglich mißlingen können, wenn man auf irgend eine Voraussetzung Rechnung machen dürfte, so bald sich die Liebe ins Spiel mischt. Dieses mal war es ihm gegangen, wie es gemeiniglich den Projektmachern geht; er hatte an alles gedacht, nur nicht an den einzigen Fall, der ihm seine Absichten vereitelte. Wie hätte er auch glauben können, daß eine Danae fähig sein sollte, ihr Herz an einen Platonischen Liebhaber zu verlieren? Ein gleichgültiger Philosoph würde darüber betroffen gewesen sein, ohne böse zu werden; aber es gibt sehr wenig gleichgültige Philosophen. Hippias fand sich in seinen Erwartungen betrogen; seine Erwartungen gründeten sich auf Schlüsse; seine Schlüsse auf seine Grundsätze, und auf diese das ganze System seiner Ideen, welches (wie man weiß) bei einem Philosophen wenigstens die Hälfte seines geliebten Selbsts ausmacht. Wie hätte er nicht böse werden sollen? Seine Eitelkeit fühlte sich beleidiget. Agathon und Danae hatten die Gelegenheit dazu gegeben. Er wußte zwar wohl, daß sie keine Absicht ihn zu beleidigen dabei gehabt haben konnten; allein darum bekümmert sich kein Hippias. Genug, daß sein Unwille gegründet war; daß er einen Gegenstand haben mußte; und daß ihm nicht zu zumuten war, sich über sich selbst zu erzürnen. Leute von seiner Art würden eher die halbe Welt untergehen sehen, eh sie sich nur gestehen würden, daß sie gefehlt hätten. Es war also natürlich, daß er darauf bedacht war, sich durch das Vergnügen der Rache für den Abgang desjenigen zu entschädigen, welches er sich von der vermeinten und verhofften Bekehrung unsers Helden versprochen hatte.

Agathon liebte die schöne Danae, weil sie, selbst nachdem der äußerste Grad der Bezauberung aufgehört hatte, in seinen Augen noch immer das vollkommenste Geschöpfe war, das er kannte. Was für ein Geist! was für ein Herz! was für seltene Talente! welche Anmut in ihrem Umgang! was für eine Manchfaltigkeit von Vorzügen und Reizungen! wie hochachtungswert mußte sie das alles ihm machen! wie vorteilhaft war ihr die Erinnerung an jeden Augenblick, von dem ersten an, da er sie gesehen, bis zu demjenigen, da sie von sympathetischer Liebe überwältiget die seinige glücklich gemacht hatte! Kurz alles was er von ihr wußte, war zu ihrem Vorteil, und von allem was seine Hochschätzung hätte schwächen können, wußte er nichts.

Man kann sich leicht vorstellen, daß sie so unvorsichtig nicht gewesen sein werde, sich selbst zu verraten. Es ist wahr, sie hatte sich nicht entbrechen können, die vertraute Erzählung, welche er ihr von seinem Lebens-Lauf gemacht, mit Erzählung des ihrigen zu erwidern; aber wir zweifeln sehr, daß sie sich zu einer eben so gewissenhaften Vertraulichkeit verbunden gehalten habe. Und woher wissen wir auch, daß Agathon selbst, mit aller seiner Offenherzigkeit, keinen Umstand zurück gehalten habe, von dem er vielleicht, wie ein guter Maler oder Dichter, vorausgesehen, daß er der schönen Würkung des Ganzen hinderlich sein könnte. Wer ist uns Bürge dafür, daß die verführische Priesterin nicht mehr über ihn erhalten habe, als er eingestanden? Wenigstens hat einigen von unsern Lesern, (welche vielleicht vergessen haben, daß sie keine Agathons sind) die tiefe Gleichgültigkeit etwas verdächtig geschienen, worin ihn, bei einer gewissen Gelegenheit, Reizungen, die, ihrer Meinung nach, in seiner bloßen Beschreibung schon verführen könnten, gelassen haben sollen. In der Tat; man mag so schüchtern oder so Platonisch sein als man will; eine schöne Frau, welche sich vorgenommen hat, die Macht ihrer Reizungen an uns zu prüfen, selbst von dem Gott der Liebe begeistert, und was noch schlimmer ist, eine Priesterin – in einer so belaurenden Stellung, mit so schwarzen Augen, mit einem so schönen Busen – ist ganz unstreitig ein gefährlicher Anblick für einen jeden, der (wie Phryne sagt) keine Statue ist: Und die Poesie müßte die magischen Kräfte nicht haben, welche ihr von jeher zugeschrieben worden sind, wenn in einer solchen Situation das Lesen einer Szene, wie die Verführung Jupiters durch den Gürtel der Venus in der Iliade ist, den natürlichen Würkungen eines damit so übereinstimmenden Gegenstands, nicht eine verdoppelte Stärke hätte geben sollen. Allein dem sei nun wie ihm wolle, so ist gewiß, daß Danae, in der Erzählung ihrer Geschichte mehr die Gesetze des Schönen und Anständigen als die Pflichten einer genauen historischen Treue zu ihrem Augenmerk genommen, und sich kein Bedenken gemacht, bald einen Umstand zu verschönern, bald einen andern gar wegzulassen, so oft es die besondere Absicht auf ihren Zuhörer erfodern mochte. Denn für diesen allein, nicht für die Welt, erzählte sie; und sie konnte sich also durch die strengen Forderungen, welche die Letztere (wiewohl vergebens) an die Geschichtschreiber macht, nicht so sehr gebunden halten. Nicht, als ob sie ihm irgend eine hauptsächliche Begebenheit ihres Lebens gänzlich verschwiegen, oder ihn statt der würklichen durch erdichtete hintergangen hätte. Sie sagte ihm alles. Allein es gibt eine gewisse Kunst, dasjenige was einen widrigen Eindruck machen könnte, aus den Augen zu entfernen; es kömmt soviel auf die Wendung an; ein einziger kleiner Umstand gibt einer Begebenheit eine so verschiedene Gestalt von demjenigen, was sie ohne diesen kleinen Umstand gewesen wäre; daß man ohne eine merkliche Veränderung dessen was den Stoff der Erzählung ausmacht, tausend sehr bedeutende Treulosigkeiten an der historischen Wahrheit begehen kann. Eine Betrachtung, die uns (im Vorbeigehen zu sagen) die Geschichtschreiber ihres eignen werten Selbsts, keinen Xenophon noch Marcus Antoninus, ja selbst den offenherzigen Montaigne nicht ausgenommen, noch verdächtiger macht, als irgend eine andre Klasse von Geschichtschreibern.

Die schöne und kluge Danae hatte also ihrem Liebhaber weder ihre Erziehung in Aspasiens Hause, noch ihre Bekanntschaft mit dem Alcibiades, noch die glorreiche Liebe, welche sie dem Prinzen Cyrus eingeflößt hatte, verhalten. Alle diese, und viele andre nicht so schimmernde Stellen ihrer Geschichte machten ihr entweder Ehre, oder konnten doch mit der Geschicklichkeit, worin sie die zweite Aspasia war, auf eine solche Art erzählt werden, daß sie ihr Ehre machten. Allein was diejenigen Stellen betraf, an denen sie alle Kunst, die man auf ihre Verschönerung wenden möchte, für verloren hielt; es sei nun, weil sie an sich selbst, oder in Beziehung auf den eigenen Geschmack unsers Helden, in keiner Art von Einkleidung, Wendung oder Licht gefallen konnten: über diese hatte sie klüglich beschlossen, sie mit gänzlichem Stillschweigen zu bedecken; und daher kam es dann, daß unser Held noch immer in der Meinung stund, er selbst sei der erste gewesen, welchem sie sich durch Gunst-Bezeugungen von derjenigen Art, womit er von ihr überhäuft worden war, verbindlich gemacht hätte. Ein Irrtum, der nach seiner spitzfündigen Denkens-Art zu seinem Glücke so notwendig war, daß ohne denselben alle Vollkommenheiten seiner Dame zu schwach gewesen wären, ihn nur einen Augenblick in ihren Fesseln zu behalten. Ihm diesen Irrtum zu benehmen, war der schlimmste Streich, den man seiner Liebe und der schönen Danae spielen konnte; und dieses zu tun, war das Mittel, wodurch der Sophist an beiden auf einmal eine Rache zu nehmen hoffte, deren bloße Vorstellung sein boshaftes Herz in Erzückung setzte. Er laurte dazu nur auf eine bequeme Gelegenheit, und diese pflegt zu einem bösen Vorhaben selten zu entgehen.

Ob dieses letztere der Geschäftigkeit irgend eines bösen Dämons zu zuschreiben sei, oder ob es daher komme, daß die Bosheit ihrer Natur nach eine lebhaftere Würksamkeit hervorbringt als die Güte; ist eine Frage, welche wir andern zu untersuchen überlassen. Es sei das eine oder das andere, so würde eine ganz natürliche Folge dieser fast alltäglichen Erfahrungs-Wahrheit sein, daß das Böse in einer immer wachsenden Progression zunehmen, und, wenigstens in dieser sublunarischen Welt, das Gute zuletzt gänzlich verschlingen würde; wenn nicht aus einer eben so gemeinen Erfahrung richtig wäre, daß die Bemühungen der Bösen, so glücklich sie auch in der Ausführung sein mögen, doch gemeiniglich ihren eigentlichen Zweck verfehlen, und das Gute durch eben die Maßregeln und Ränke, wodurch es hätte gehindert werden sollen, weit besser befördern, als wenn sie sich ganz gleichgültig dabei verhalten hätten.


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