Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Der erste Schritt, welchen der göttliche Plato in den Palast des Dionysius tat, wurde durch ein feirliches Opfer, und die erste Stunde, worin sie sich mit einander besprachen, durch eine Reforme, welche sich sogleich über den ganzen Hof ausbreitete, bezeichnet. In wenigen Tagen glaubte Plato selbst in seiner Akademie zu Athen zu sein, so bescheiden und eingezogen sah alles in dem Hause des Prinzen aus. Die Asiatische Verschwendung machte auf einmal der philosophischen Einfalt Platz. Die Vorzimmer, welche vorher von schimmernden Gecken, und allen Arten lustigmachender Personen gewimmelt hatten, stellten itzt akademische Säle vor, wo man nichts als langbärtige Weise sah, welche einzeln oder paarweise, mit gesenktem Haupt und gerunzelter Stirne, in sich selbst und in ihre Mäntel eingehüllt auf und ab schritten, bald alle zugleich, bald gar nichts, bald nur mit sich selbst sprachen, und wenn sie vielleicht am wenigsten dachten, eine so wichtige Miene machten, als ob der geringste unter ihnen mit nichts kleinerm umginge, als die beste Gesetzgebung zu erfinden, oder den Gestirnen einen regelmäßigern Lauf anzuweisen. Die üppigen Bankette, bei denen Comus und Bacchus mit tyrannischem Szepter die ganze Nacht durch geherrschet hatten, verwandelten sich in Pythagorische Mahlzeiten, wo man sich bei einem Braten und Salat mit sinnreichen Gesprächen über die erhabensten Gegenstände des menschlichen Verstandes, erlustigte; Statt frecher Pantomimen und wollüstiger Flöten ließen sich Hymnen zum Lob der Götter und der Tugend hören; und den Gaum zum Reden anzufeuchten, trank man aus kleinen Socratischen Bechern Wasser mit Wein vermischt.

Dionys faßte eine Art von Leidenschaft für den Philosophen; Plato mußte immer um ihn sein, ihn aller Orten begleiten, zu allem seine Meinung sagen. Die begeisterte Imagination dieses sonderbaren Mannes, welche vermöge der natürlichen Ansteckungs-Kraft des Enthusiasmus sich auch seinen Zuhörern mitteilte, würkte so mächtig auf die Seele des Dionys, daß er ihn nie genug hören konnte; ganze Stunden wurden ihm kürzer, wenn Plato sprach, als ehemals in den Armen der kunsterfahrensten Buhlerin. Alles, was der Weise sagte, war so schön, so erhaben, so wunderbar! – erhob den Geist so weit über sich selbst – warf Strahlen von so göttlichem Licht in das Dunkel der Seele! In der Tat konnte es nicht anderst sein, da die gemeinsten Ideen der Philosophie für Dionysen den frischesten Reiz der Neuheit hatten. Und nehmen wir zu allem diesem noch, daß er das wenigste recht verstund (ob er gleich, wie viele andere seines gleichen, zu eitel war, es merken zu lassen) noch alles verstehen konnte, weil der begeisterte Plato sich würklich zuweilen selbst nicht allzuwohl verstund; nehmen wir ferner die erstaunliche Gewalt, welche ein in schimmernde Bilder eingekleidetes Galimathias über die Unwissenden zu haben pflegt; so werden wir begreifen, daß niemals etwas natürlichers gewesen, als der außerordentliche Geschmack, welchen Dionys an dem Gott der Philosophen, (wie ihn Cicero nennt) gefunden; zumal da er noch über dies ein hübscher und stattlicher Mann war, und sehr wohl zu leben wußte.

Ohne daß sich die Überredungs-Kunst des göttlichen Plato, oder die Kontagion der Philosophischen Schwärmerei darein mischte, teilte sich die plötzliche Wissens-Begierde des Dionys, so bald man sah, daß es Ernst war, eben so plötzlich allen seinen Höflingen mit. Nicht, als ob ihnen viel daran gelegen gewesen wäre, ihre kleinen Affen-Seelen nach dem göttlichen Modell der Ideen umzubilden, oder als ob sie sich darum bekümmert hätten, was in den überhimmlischen Räumen zu sehen sei; aber sie taten doch dergleichen; der Ton der Philosophie war nun einmal Mode; man mußte Metaphysik in geometrischen Ausdrücken reden, um sich dem Fürsten angenehm zu machen. Man trug also am ganzen Hofe keine andre als philosophische Mäntel; alle Säle des Palasts waren, nach Art der Gymnasien mit Sand bestreut, um mit allen den Dreiecken, Vierecken, Pyramiden, Achtecken und Zwanzigecken überschrieben zu werden, aus welchen Plato seinen Gott diese schöne runde Welt zusammenleimen läßt; alle Leute, bis auf die Köche, sprachen Philosophie, hatten ihr Gesicht in irgend eine geometrische Figur verzogen, und disputierten über die Materie und die Form, über das was ist und was nicht ist, über die beiden Enden des Guten und Bösen, und über die beste Republik. Alles dieses machte freilich ein ziemlich seltsames Aussehen, und konnte den Verdacht erwecken, als ob Plato an dem Syracusischen Hofe eher die Rolle eines aufgeblasenen Pedanten unter einem Haufen unbärtiger Scholaren gespielt habe, als eines weisen Mannes, der sich einen großen Zweck vorgesetzt hat, und die Mittel dazu, nach den Umständen des Orts, der Zeit und der Personen, klüglich zu bestimmen weiß. Aber man würde sich irren. Er hatte an den lächerlichen Ausschweifungen der Hofleute wenig Anteil; ob er gleich ganz gern sah, daß diese unnütze Hummeln, welche er nicht auf einmal austreiben konnte, auf solche Spielwerke verfielen, die doch immer als eine Art von Vorübungen angesehen werden konnten, wodurch sie unvermerkt von ihren vorigen Gewohnheiten abgezogen, und durch den Geschmack an Wissenschaft zu der allgemeinen Verbesserung, welche er zu bewürken hoffte, vorbereitet wurden. Allein seine eigene hauptsächlichsten Bemühungen bezogen sich unmittelbar auf den Dionysius selbst; und indem er ihn durch die Reizungen seines Umgangs und seiner Beredsamkeit zu humanisieren, und an sich zu gewöhnen suchte, trachtete er, ohne es allzudeutlich zu erkennen zu geben, dahin, ihm die Verachtung seines vorigen Zustandes, die Liebe der Tugend, Begierden nach ruhmwürdigen Taten; kurz, solche Gesinnungen einzuflößen, welche ihn durch unmerkliche Grade von sich selbst auf die Gedanken bringen würden, ein unrechtmäßiges Diadem von sich zu werfen, und sich an der Ehre, der erste unter seines gleichen zu sein, genügen zu lassen. Die Anscheinungen ließen ihn den vollkommensten Sukzeß hoffen. Dionys schien in wenigen Tagen nicht mehr der vorige Mann. Seine Wissens-Begierde, seine Gelehrigkeit gegen die Räte des Philosophen, das Sanfte und Ruhige in seinem ganzen Betragen übertraf alles, was sich Dion von ihm versprochen hatte. Ganz Syracus empfand sogleich die Würkungen dieser glücklichen Veränderung. Er ging mit einer unglaublichen Behendigkeit von dem höchsten Grade des tyrannischen Übermuts zu der Popularität eines Atheniensischen Archonten über; setzte alle Tage einige Stunden aus, um jedermann mit einnehmender Leutseligkeit anzuhören, nannte sie Mitbürger, wünschte sie alle glücklich machen zu können; machte würklich den Anfang, verschiedene gute Anordnungen zu veranstalten, und erweckte durch so viele günstige Vorzeichen die allgemeine Erwartung einer glückseligen Revolution, welche nun auf einmal der Gegenstand aller Wünsche, und der Inhalt aller Gespräche unter dem Volke wurde.

Es könnte genug sein, gegen diejenige, die eine so große und schnelle Verwandlung eines Prinzen, den wir für ein kleines Ungeheuer von Lastern und Ausschweifungen gegeben haben, unglaublich vorkommen möchte, uns auf die einhellige Aussage der Geschichtschreiber zu berufen; aber wir können noch mehr tun; es ist leicht, die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit derselben begreiflich zu machen. Aufmerksame Leser, welche einige Kenntnis des menschlichen Herzens haben, werden die Gründe hierzu in unsrer bisherigen Erzählung schon von selbsten entdeckt haben. In einem Gemüts-Zustande, worin die Leidenschaften schweigen, wo uns vor den Ergötzungen der Sinne ekelt, und der Mangel an angenehmen Eindrücken uns in einen beschwerlichen Mittelstand zwischen Sein und Nichtsein versenkt – in einem solchen Zustande, ist die Seele begierig, einen jeden Gegenstand zu umfassen, der sie aus diesem unleidlichen Stillstand ihrer Kräfte ziehen kann, und also am besten aufgelegt, den Reiz sittlicher und intellektualischer Schönheiten zu empfinden. Allerdings würde ein trockner Zergliederer metaphysischer Begriffe sich nicht dazu geschickt haben, solche Gegenstände für einen Menschen zu zurichten, der zu einer scharfen Aufmerksamkeit eben so ungeduldig als unvermögend war. Allein die Beredsamkeit des Homers der Philosophen wußte sie auf eine so reizende Art für die Einbildungs-Kraft zu verkörpern, wußte die Leidenschaften und innersten Triebe des Herzens so geschickt für sie ins Spiel zu setzen, daß sie nicht anders als gefallen und rühren konnten. Hiezu kam noch die Jugend des Tyrannen, welche seine noch nicht verhärtete Seele neuer Eindrücke fähig machte. Warum sollte es also nicht möglich gewesen sein, ihm unter solchen Umständen auf etliche Wochen die Liebe der Tugend einzuflößen, da hiezu weiter nichts nötig war, als seinen Neigungen unvermerkt andre Gegenstände an die Stelle derjenigen, deren er überdrüssig war, zu unterschieben – Denn in der Tat war seine Bekehrung nichts anders, als daß er nunmehr, anstatt irgend einer Wollust-atmenden Nymphe, ein schönes Phantom der Tugend umarmte, und statt in Syracusischem Weine sich in platonischen Ideen berauschte – und daß eben diese Eitelkeit, welche ihn vor weniger Zeit angetrieben hatte, mit dem Bacchus und einer andern Gottheit, welche wir nicht nennen dürfen, in die Wette zu eifern, sich itzt durch die Vorstellung kitzelte, als Regent und Gesetzgeber den Glanz der berühmtesten Männer vor ihm zu verdunkeln, die Augen der Welt auf sich zu heften, sich von allen bewundert, und von den Weisen selbst vergöttert zu sehen.

Daß dieses Urteil von der Bekehrung des Dionys richtig sei, hat sich in der Folge würklich bewiesen; und man hätte, deucht uns, ohne die Gabe der Divination zu besitzen, voraussehen können, daß eine so plötzliche Veränderung keinen Bestand haben werde. Aber wie sollten die in einer großen Angelegenheit verwickelten Personen fähig sein, so gelassen und uneingenommen davon zu urteilen, wie entfernte Zuschauer, welche das Ganze bereits vor sich liegen haben, und bei einer kalten Untersuchung des Zusammenhangs aller Umstände sehr leicht mit vieler Zuverlässigkeit beweisen können, daß es nicht anders habe gehen können, als wie sie wissen, daß es gegangen ist? Plato selbst ließ sich von den Anscheinungen betrügen, weil sie seinen Wünschen gemäß waren, und ihm zu beweisen schienen, wieviel er vermöge. Die voreilige Freude über einen Sukzeß, dessen er sich schon versichert hielt, ließ ihm nicht zu, sich alle die Hindernisse, die seine Bemühungen vereiteln konnten, in der gehörigen Stärke vorzustellen, und in Zeiten darauf bedacht zu sein, wie er ihnen zuvorkommen möchte. Gewohnt in den ruhigen Spaziergängen seiner Akademie unter gelehrigen Schülern idealische Republiken zu bauen, hielt er die Rolle, die er an dem Hofe zu Syracus zu spielen übernommen hatte, für leichter als sie in der Tat war. Er schloß immer richtig aus seinen Prämissen; aber seine Prämissen setzten immer mehr voraus, als war; und er bewies durch sein Exempel, daß keine Leute mehr durch den Schein der Dinge hintergangen werden, als eben diejenige welche ihr ganzes Leben damit zubringen, inter Sylvas Academi dem was wahrhaftig ist nachzuspähen. In der Tat hat man zu allen Zeiten gesehen, daß es den spekulativen Geistern nicht geglückt hat, wenn sie sich aus ihrer philosophischen Sphäre heraus und auf irgend einen großen Schauplatz des würksamen Lebens gewaget haben. Und wie hätte es anders sein können, da sie gewohnt waren, in ihren Utopien und Atlantiden zuerst die Gesetzgebung zu erfinden, und erst wenn sie damit fertig waren, sich so genannte Menschen zu schnitzeln, welche eben so richtig nach diesen Gesetzen handeln mußten, wie ein Uhrwerk durch den innerlichen Zwang seines Mechanismus die Bewegungen macht, welche der Künstler haben will. Es war leicht genug zu sehen (und doch sahen es diese Herren nicht) daß es in der würklichen Welt gerade umgekehrt ist. Die Menschen in derselben sind nun einmal wie sie sind; und der große Punkt ist, diejenige die man vor sich hat, nach allen Umständen und Verhältnissen so lange zu studieren, bis man so genau als möglich weiß, wie sie sind. Sobald ihr das wißt, so geben sich die Regeln, wornach ihr sie behandeln müßt, wenn ihr euern Zweck erhalten wollt, von sich selbst; dann ist es Zeit moralische Projekte zu machen – aber wenn, ihr großen Lichter unsers alleraufgeklärtesten Jahrhunderts, wenn glaubt ihr, daß diese Zeit für das Menschen-Geschlecht kommen werde?


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