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Dummbart

Ein Mann und eine Frau hatten sechs Kinder, und da sie arm waren und nicht viel mehr besaßen als einen alten Schafstall am Waldrand, in dem sie alle zusammen kümmerlich lebten, so meinten sie, daß es mit drei Töchtern und drei Söhnen nun genug sei, und der Mann pflegte zu sagen, daß er nicht einmal einen Sperling darüber hinaus ernähren könnte.

Aber es war noch nicht lange Zeit darnach vergangen, als die Frau merkte, daß sie wieder gesegnet war, und als sie es ihrem Mann sagte, war er unwillig und fragte sie, ob sie das Kind denn mit Wacholderbeeren groß ziehen sollten. Denn das sei fast das einzige, was sie im Überfluß besäßen.

Sie aber bat ihn, guten Mutes zu sein, denn wie die Lämmer auf dem Felde wüchsen, so würde auch das Siebente groß werden, so wie es mit den anderen gegangen sei.

Der Mann aber brummte vor sich hin, nahm sein Schabeisen zur Hand und ging in den Wald, um Pech zu sammeln, denn damit verdiente er einen Teil ihres Unterhaltes.

Die Frau aber, soviel Not sie auch mit ihren sechs Kindern hatte, freute sich doch im stillen, und wenn sie allein im Schafstall oder im Walde war, wo sie Kräuter und Beeren sammelte, so sang sie leise vor sich hin, denn da war niemand, der sie verspottete, wie ihre Söhne und Töchter gern zu tun pflegten, weil sie schnell mit den Augen und der Zunge waren.

Und wie sie so eines Abends auf einem Baumstumpf saß, müde vom Bücken und den Korb mit Erdbeeren vor ihren Füßen, kam eine alte Frau vorbei, die hatte Pilze gesammelt und trocknete sich die Stirn mit einem roten Tuch, denn der Tag war heiß, und ein Gewitter stand über der Heide.

»Ach, Tochter«, sagte die Frau, »möchtest du mir wohl eine Handvoll Beeren geben, daß ich meinen Durst löschte?«

»Nimm nur, soviel du magst«, sagt die Frau, »auch wenn ich sie zur Stadt tragen wollte, um Mehl dafür zu kaufen.«

Da setzte sich die alte Frau auf einen Baumstumpf neben sie und begann, mit ihren alten, verkrümmten Fingern eine Beere nach der anderen aus dem Korbe zu nehmen.

Als sie drei Hände voll gegessen hatte, seufzte die Frau, die sie gepflückt hatte, ein bißchen.

»Hast du Schmerzen?« fragte die Alte und blickte auf ihren gesegneten Leib.

»Nein, nein«, sagte die Frau verlegen.

»Das war für die ersten drei Jahre«, sagte die Alte und begann von neuem sich an den Beeren zu laben.

Als der Korb bis zur Hälfte leer war, seufzte die Frau wieder ein bißchen, und die Alte fragte wieder: »Aber jetzt hast du wohl Schmerzen, Tochter?«

»Nein, nein«, sagte die Frau verlegen.

»Das war nämlich für die nächsten sieben Jahre«, sagte die Alte und tauchte ihre Hand von neuem in den Korb.

Da hielt die Frau nun still, und erst als der Korb leer war, dachte sie an ihr Mehl und seufzte wieder.

»Aber jetzt hast du sicherlich Schmerzen, Tochter?« fragte die Alte und wischte sich die Hände mit ihrem roten Tuch.

»Ja«, erwiderte die Frau schüchtern, »jetzt habe ich Schmerzen, denn ich weiß nicht, wo ich Mehl für meine Kinder herbekommen soll.«

»Das laß nur deine geringste Sorge sein«, sagte die Alte und stand auf. »Dies war nämlich für das ganze Leben, und deine anderen Kinder werden auch ohne Mehl groß werden, denn sie arten nach dem Vater, und der würde auch von Pech satt werden, wenn es darauf ankäme.«

Und damit stand sie auf, nahm ihren Korb mit Pilzen, strich mit ihrer alten Hand einmal sanft über den gesegneten Leib der Frau und sagte: »Ich danke dir, Tochter, weil du mich erquickt hast. Und wenn er einmal in Not ist, so soll er eine Erdbeere zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrücken, soll mit dem Saft die Lippen berühren und sprechen: ›Hole die Muhme!‹ Du aber, Tochter, habe Geduld mit ihm, denn er wird langsamer wachsen, als ich gegessen habe.«

Und damit nahm sie den Korb unter den Arm und war zwischen den Bäumen verschwunden.

Die Frau aber blieb ganz verwirrt zurück und wußte nicht, was das alles bedeuten sollte.

Als sie aber wieder in den Schafstall zurückkam und nach ihren Kindern rief, denn das Gewitter stand schon über dem Dach, sah sie einen Sack mit weißem Mehl an der Schwelle stehen und erschrak. »War jemand da?« fragte sie ihre Töchter. »Nein«, erwiderten diese in ihrer spöttischen Art. »Drei Königssöhne wollten wohl kommen, aber es roch ihnen zu sehr nach Schafen, und da sind sie wohl wieder umgekehrt.«

»Bist du noch so bei Kräften«, fragten die Söhne, »daß du diesen schweren Sack selbst getragen hast?«

»Nein«, sagte die Mutter, »aber die Königssöhne haben ihn wohl gebracht.« Und damit ließ sie ihre Kinder verdutzt stehen. Denn sie waren nicht gewohnt, daß die Mutter Gleiches mit Gleichem vergalt.

Die Frau aber war nun guter Dinge, denn es war ihr, als werde es mit dem siebenten Kinde eine besondere Bewandtnis haben. Aber sie vergaß auch nicht, daß sie Geduld haben sollte, und als der Knabe zur Sonnenwende geboren wurde, weinte sie wohl ein bißchen, weil er so winzig klein war, aber als sie zwischen seinen Schultern ein rotes Mal entdeckte, das ganz so wie eine Erdbeere aussah, trocknete sie ihre Tränen und wandte ihm alle Liebe zu, die sie besaß.

Die sechs Geschwister aber standen spöttisch um die Wiege herum, fragten sie, ob das Zwerglein ein Vogeljunges sei, und meinten, daß sein Kopf ein bißchen groß sei für den kleinen Körper. Sie wollten sich abwechseln, ihn zu stützen, damit er ihm nicht abfalle und vor die Füße rolle.

Der Mann aber sagte nur: »Arm essen wird er uns nicht.« Und dann ging er wieder zu seinen Harzbäumen in den Wald.

Zu der Zeit aber, als das Kind zu sprechen begann, saß die Mutter doch manchmal im Winkel hinter dem Herd und weinte leise vor sich hin. Denn es zeigte sich, daß das Kind nicht nur klein blieb wie ein Zwerg, sondern daß es auch ein bißchen töricht war, alles glaubte, was man ihm sagte, und in jede Falle ging, die die Geschwister ihm zum Schabernack stellten. Doch war es niemals böse, wenn es entdeckte, wie man es angeführt hatte, sondern schlug die großen blauen Augen freundlich zu seinem Peiniger auf und lächelte, als ob man ihm eine Guttat erwiesen hätte. Und wegen dieses Lächelns und seiner blauen Augen liebten es alle Leute, auch wenn sie es »Dummbart« nannten, wie die Geschwister es bald getauft hatten.

Dummbart wußte von den Tränen seiner Mutter nichts. Er lebte wie ein kleiner Vogel im Hag, zwitscherte den ganzen Tag vor sich hin und verwunderte sich nur, was seine Geschwister und die großen Leute alles wußten und sprachen und taten. Niemals würde er das lernen, sondern immer nur ein kleines fünftes Rad an einem großen Wagen sein, und dieser Wagen fuhr so schnell durch die Jahre, daß es ihn schwindelte, wenn er ihm nachsah.

Manchmal war er wohl ein bißchen traurig, wenn die Geschwister ihn herumstießen, als sei er gar nicht ihresgleichen, und Spottnamen für ihn erfanden, jeden Tag einen neuen. Aber dann meinte er, daß es wohl so sein müsse, weil er klein geboren sei, nahm seine alte, rissige Weidenflöte und ging in die Heide hinaus, wo das blühende Kraut ihm bis zur Brust reichte, und saß dort in einer warmen Sandkuhle, verborgen vor aller Welt, und spielte seine kleinen Lieder. Und so merkwürdig süß war sein Flötenspiel, daß die Eidechsen und Hummeln und Bienen sich um ihn sammelten und ihm lauschten, als sei sein Lied aus Sonne und Honig.

Die Geschwister aber, die sich im Walde oder am Bach herumtrieben, stießen einander an und sagten lächelnd: »Dummbart spielt.«

Doch blieb es bald nicht bei dem Besuch der kleinen Tiere in der Heide, denn einmal, als Dummbart seine Flöte sinken ließ, erblickte er ein menschliches Wesen am Fuße eines Wacholderbusches, das war nicht größer als er selbst, aber es hatte einen grauen Bart und Falten um die Augen und mußte also alt sein. Und da es eine Zipfelmütze auf dem Kopfe hatte und eine kleine Laterne am Gürtel, so meinte Dummbart, daß es aus dem Reich der Zwerge komme, und es freute ihn, daß er nicht allein auf der Welt so klein war.

»Gern höre ich dir zu«, sagte der Zwerg, kam aus dem Schatten heraus und setzte sich zu ihm in die Sonne.

»Ach«, sagte Dummbart, »das ist eine kümmerliche Kunst, und viel lieber würde ich groß sein wie meine Geschwister, statt auf der Flöte zu spielen.«

»Geduld, Geduld!« sagte der Zwerg. »Es ist besser, klein zu sein und guten Herzens statt groß und mit einer bösen Zunge.«

»Aber alle lachen über mich«, klagte Dummbart.

»Laß sie nur lachen«, erwiderte der Zwerg. »Lachen und Weinen wohnt dicht zusammen, und große Bäume wachsen langsam.«

Und so plauderten sie miteinander, als kennten sie einander schon lange Jahre, und als im nächsten Jahr Dummbart schon so verständig war, daß er die Ziegen hüten konnte, trieb er sie weit in die Heide, und der Zwerg saß bei ihm, lehrte ihn ein Handwerk nach dem anderen und manche verschwiegene Kunst, und Dummbart behielt alles bei sich, daß die Geschwister ihn nicht verspotteten.

Eines Tages nun, als er besonders schön gespielt hatte, sagte der Zwerg: »Ich will dir nun etwas Gutes dafür tun, daß du zu etwas Eigenem kommst und vielleicht ein Handwerk anfängst.« Und er nahm seinen kleinen Hammer, mit dem er die Steine klopfte, und berührte die Ziege, die Dummbarts Eigentum war und die seine Mutter ihm geschenkt hatte. Und als er es getan hatte, verwandelte sich jedes Haar in dem Fell der Ziege in ein rötliches Metall, das leuchtete wie reines Kupfer, und die Sonne funkelte so darüber, daß Dummbart die Augen schließen mußte.

»Nun mache einen guten Gebrauch davon«, sagte der Zwerg, »dann wird es dir an nichts fehlen.«

Am Abend trieb Dummbart seine Herde nach Hause und war so stolz, daß er alle Seinigen herbeirief, um ihnen die kupferne Ziege zu zeigen. Da verwunderten sie sich über alle Maßen, am meisten aber die Geschwister, und für eine Weile verging ihnen sogar das Spotten. Dann wollten sie wissen, wie alles zugegangen sei, aber Dummbart sah sie freundlich an und sagte nur: »Es kam jemand und rührte sie an, und da war es geschehen.«

Am Abend aber, als Dummbart seine Ziege melken wollte, stellte es sich heraus, daß sie keine Milch gab. Da saß er ratlos auf seinem Schemel und starrte in den leeren Eimer. Aber die Geschwister begannen nun zu lärmen und zu jubeln und meinten, das hätten sie gleich gewußt, daß Dummbart wieder angeführt worden sei und eine Milchziege gegen einen Kupferkessel eingetauscht habe.

In der Nacht aber besprachen sie sich heimlich, und am Morgen sagte der Älteste: »Du tust uns leid, Dummbart, denn ohne Milch wirst du nun noch viel kleiner werden und bald nur wie eine Spanne groß sein. Und deshalb haben wir beschlossen, daß ich meine Ziege gegen dieses kleine Untier tauschen will, und du brauchst nur deine Bachmuscheln dazuzulegen, weil du so klein und arm bist.«

Da sah Dummbart ihn mit seinen blauen Augen treuherzig an, bedankte sich und sagte: »So habe ich gar nicht gewußt, daß ihr mir so gut gesonnen seid, und habe euch wohl manchmal in Gedanken unrecht getan.«

Als er aber auf die Heide gezogen war, lachten die Geschwister so, daß ihnen die Tränen aus den Augen liefen, und dann machten sie sich alle zusammen auf, trieben die Ziege zur Königsstadt und verkauften sie an einen reichen Kupferschmied. Und am Abend, als Dummbart traurig von der Heide kam, weil der Zwerg ausgeblieben war, schütteten sie einen Haufen Gold vor seinen Augen auf den Tisch und sagten: »Siehst du, Dummbart, nun hast du die Milch und wir haben das Gold.« Und sie gaben ihm nichts davon ab und verspotteten ihn.

Die Mutter nahm ihn zu sich in ihre Kammer, tröstete ihn und sagte: »Laß nur gut sein, liebes Kind. Ein goldenes Herz ist mehr als goldene Finger.«

Endlich, als wohl ein Monat vergangen war, kam der Zwerg wieder aus dem Schatten des Wacholderbusches und setzte sich zu Dummbart in die Sandkuhle. »Sehr klug hast du das ja nun nicht gemacht«, sagte er, »und ich war schon ein bißchen böse auf dich.«

»Das nächste Mal will ich es besser machen«, erwiderte der Junge beschämt. »Sie taten so gut zu mir, daß ich ihnen glauben mußte.«

Der Zwerg schüttelte den Kopf, aber dann nahm er doch seinen kleinen Hammer und sagte: »Ich will es noch einmal mit dir versuchen.« Und als er die Ziege berührte, die Dummbart zum Trost von seiner Mutter bekommen hatte, wurde ihr Fell über und über silbern, und die Hörner und Hufe waren aus Silber, und das Ganze leuchtete so, daß der Knabe die Augen schließen mußte.

»Nun mache es aber wirklich besser«, sagte der Zwerg, »sonst weiß ich mir wirklich keinen Rat mehr mit dir.«

Der Knabe versprach es und trieb die Herde heim. Da war die Aufregung noch größer, und die Geschwister standen herum, und jedes befühlte das silberne Haar des Tieres, das war wie aus Seide gesponnen, und im stillen rechneten sie schon aus, um wieviel sie es verkaufen würden.

Auch dieses Tier gab keine Milch, aber diesmal war Dummbart klüger und wollte von keinem Tausch etwas wissen.

Am Morgen aber kamen die Geschwister mit betrübten Mienen zu ihm, standen traurig um ihn herum, und die Schwestern küßten ihn sogar, was sie noch nie getan hatten.

Da erschrak der Junge und fragte sie, was ihnen fehle.

Da sagte die älteste Schwester mit Tränen in den Augen: »Wir haben in der Nacht bei deiner silbernen Ziege gewacht, und um Mitternacht, als der Hahn schon zu krähen begann, öffnete sie den Mund und sagte: ›Redet doch Dummbart zu, daß er mich gegen eines von euren Tieren vertauscht, sonst muß er bis zum Abend sterben.‹ Und nun sind wir so traurig, daß du uns für immer verlassen wirst.«

Da erschrak der Junge noch mehr und sagte: »Wenn ihr so gut zu mir sein wollt, so will ich sie gern vertauschen, damit ihr keinen Kummer habt, und auch meine kleine Flöte dazulegen.«

Da dachten die Geschwister eine Weile nach, besprachen sich und waren dann einverstanden. Dummbart aber lief fröhlich zu seiner Mutter, küßte sie und erzählte ihr, daß er nun noch bei ihr bleiben könne und nicht zu sterben brauche.

Seine Mutter sah ihn liebreich an, zog ihn an ihre Brust und sagte: »Du armes Kind, morgen wirst du wieder traurig sein, aber warte nur, bis du gewachsen bist, dann wird alles gut werden.«

Der Knabe verstand sie nicht, aber als der Zwerg nun wieder ausblieb, wurde er traurig, und am nächsten Abend schütteten die Geschwister einen Haufen Gold auf den Tisch und sprachen: »Siehst du, Dummbart, nun haben wir das Gold, aber du lebst doch wenigstens.«

Da sah er, daß er wieder betrogen worden war, und hielt sich nun fern von den Geschwistern und wurde ganz einsam und tiefsinnig, so sehr seine Mutter ihn auch tröstete.

So blieb es nun den ganzen Herbst und den ganzen Winter hindurch. Die Ziegen blieben im Stall, und kein Zwerg ließ sich blicken weit und breit.

Im Frühjahr aber, als die Lerchen wieder sangen und die Birken ihre grünen Blätter wieder bekamen, saß Dummbart wieder in der warmen Sandkuhle in der Heide und blies seine allerschönsten Lieder und sah nach rechts und nach links, und endlich erblickte er wieder den grauen Bart und die Zipfelmütze und rief: »Nun wird alles, alles wieder gut werden!«

»Das sagst du so«, meinte der Zwerg und ließ sich neben ihm nieder. »Aber denkst du, daß ich meine schönsten Silberbarren deinen Brüdern und Schwestern in den Hals werfe, nur damit sie dich auslachen?«

Da seufzte der Knabe und sagte: »Ich glaube nun selbst, daß ich meinen Namen zu Recht trage, aber das nächste Mal will ich es gewiß besser machen, und keiner soll mich mehr anführen.«

Der Zwerg sah ihn von der Seite an, aber als Dummbart so süß auf seiner Flöte gespielt hatte, daß alle Eidechsen der Heide sich um sie versammelt hatten, zog er doch seinen kleinen Hammer aus dem Gürtel und berührte Dummbarts Ziege zwischen den Hörnern. Und da erstrahlte die ganze Heide wie von einer zweiten Sonne, denn die Ziege war nun ganz und gar aus Gold, ihre Hörner, ihre Hufe und jedes einzelne Haar ihres langen Felles.

Da jubelte der Knabe und bedankte sich tausendmal, aber der Zwerg sah ihn mahnend an und sagte: »Dies ist nun das letzte Mal, mein Freund, und wenn du es wieder vertust, kann ich dir nicht mehr helfen.«

Aber Dummbart versprach, so klug zu sein wie eine Schlange, nahm Abschied von seinem kleinen Gönner und trieb die Herde leise in den Schafstall zurück. Aber die goldene Ziege leuchtete so, daß seine Eltern und Geschwister herbeigestürzt kamen und ihn mit tausend Fragen bedrängten.

Aber er schüttelte stumm den Kopf, legte sich zu seiner Ziege ins Laub, steckte seine Hand durch ihr goldenes Halsband und schlief, bis die Sonne wieder über den alten Eichen aufging.

Da nahm er Abschied von seiner Mutter und sagte nur, daß er nun zeigen wolle, daß er nicht ewig ein Dummbart zu bleiben gedenke. Und er machte sich auf den Weg zur Königsstadt und führte die goldene Ziege am Halsband neben sich.

Die Mutter sah ihm mit Tränen nach, aber die Geschwister folgten ihm heimlich in der Ferne und hofften, daß sie ihm das Wunderwesen doch noch entreißen würden.

Als Dummbart in die Stadt kam, gab es einen gewaltigen Auflauf, denn solch ein Paar hatte das Volk noch nicht gesehen: eine goldene Ziege, die so leuchtete, daß man die Augen schließen mußte, und einen Hirten, der ihr gerade bis zu den Hörnern reichte, mit einem Kopf, der viel zu groß war für seinen kleinen Leib. Viele spotteten seiner, viele sprachen laut von Hexerei und Zaubertrug, die meisten aber blickten ihn mitleidig an, denn seine Augen waren richtige Kinderaugen, voller Vertrauen und Ängstlichkeit.

So zog ein langer Zug hinter Dummbart her, als er zum Königsschloß kam, und als er an der riesigen Marmortreppe vorübergehen wollte und sich wunderte, was die Menschen in der Stadt alles fertig brachten, kam gerade die Tochter des Königs die obersten Stufen hinunter, denn sie wollte mit ihren Frauen zu ihrem Garten am Strom gehen, um die Kühle des Wassers zu genießen.

Da schrie sie vor Entzücken auf, streichelte die Ziege mit ihren weißen Händen, lächelte über den kleinen Hirten, und da sie so listig wie habgierig war, fragte sie ihn, wer er sei und ob er seinen Besitz gegen etwas Schönes eintauschen wollte, an dem er mehr Freude haben werde als an einem nutzlosen Tier.

Da erinnerte der Knabe sich alles dessen, was er falsch gemacht hatte, war auf seiner Hut, sagte, daß er Dummbart heiße, aber immer noch klug genug sei, um nicht in die erste beste Falle zu treten, die irgend ein aufgeputztes Fräulein ihm vor die Füße stelle. Denn er wußte nicht, daß es die Königstochter war.

Diese aber wurde rot vor Zorn, schalt ihn einen stinkenden Hirtenlümmel und ließ die Palastwache herbeirufen.

»Nehmt diesen«, befahl sie, »und bringt ihn vor den König, denn es scheint mir, daß er entweder ein Dieb oder ein Zauberer ist, und für beides steht vor den Toren ein schöner fester Galgen.«

Da ergriffen sie Dummbart und die goldene Ziege und führten sie auf den Gerichtsplatz, der lag inmitten der Stadt, und der König saß unter der Linde und sprach Recht, so wie seine Väter es dort getan hatten.

Da verwunderte er sich sehr, als sie das seltsame Paar vor ihn brachten, redete aber den Knaben freundlich an und hieß ihn erzählen, wer er sei und woher er ein solches Wunderwesen habe.

Der Knabe erzählte alles der Wahrheit getreu, nur daß seine Geschwister ihn schon zweimal betrogen hatten, verschwieg er. Denn er wollte nicht, daß sein Blut öffentlich mit Schande bedeckt würde.

Der König war geneigt, ihn loszulassen und ihn nur zu fragen, ob er ihm das Tier für große Schätze ablassen wolle. Aber die Tochter erhob laute Klage, daß er sie vor allem Volk beschimpft habe, und gerade als der König nachdenklich vor sich hinblickte, entstand eine Bewegung unter den Zuhörern, und die Geschwister Dummbarts drängten sich durch die Menge, warfen sich vor dem König nieder und baten laut um Recht und Gerechtigkeit.

»Dieser Zwerg, o König und Herr«, rief der Älteste laut, »ist unser Bruder und war böse von Kindheit an. Heute nacht stahl er die goldene Ziege, die eine Fee uns geschenkt hat, und trieb sie in die Stadt, um sie zu verkaufen. Vater und Mutter aber sitzen weinend daheim und warten, daß du, o Herr, Recht sprechest und uns unser Hab und Gut wiedergibst.«

Da wandte sich der König wieder zu Dummbart und sagte: »Ist das dein Bruder, und ist es wahr, was er spricht?«

Der Knabe aber blickte weinend auf seine Geschwister und erwiderte leise: »Ja, das ist mein ältester Bruder.«

»Und ist es wahr, was er sonst von dir spricht?«

Da schüttelte Dummbart den Kopf. »Es ist nicht wahr«, sagte er leise, »aber mehr kann ich dazu nicht sagen«.

Und dabei blieb er, soviel auch der König ihn ermahnte.

Da dachte der König wieder eine Weile nach und sagte dann: »Ich will dir drei Tage Frist geben, in meinem Kerker, zu bedenken, ob du zu dieser Anklage sprechen willst oder nicht. Wenn du sprichst, so wollen wir sehen, das Gesprochene durch Zeugnis zu bekräftigen oder zu widerlegen. Sprichst du aber nicht und verharrst du weiter in deinem Schweigen, so muß ich diesen sechs mehr glauben als dir, und du wirst am Galgen aufgehängt werden, wie es für Diebe in diesem Lande Recht ist.«

Da nahmen die Knechte den Knaben und führten ihn in den Kerker. Die Ziege aber sollte am Königshof bleiben, bis das Urteil gesprochen war.

Da saß nun Dummbart auf seinem Holzlager, sah hinter den Gitterstäben die Sonne und die weißen Wolken und dachte, daß er es nun wieder nicht recht gemacht hatte und daß er doch wohl zu dumm sei, um in dieser Welt zu bestehen. Aber so viel er nachdachte, so war er doch gewiß, daß er schweigen mußte, denn er wollte seine Geschwister nicht verklagen und Schande auf seine alten Eltern häufen.

An jedem Abend kam der König vor sein Gitterfenster und fragte ihn, ob er sprechen oder schweigen wolle. Aber der Knabe wollte schweigen.

Da sagte der König am dritten Abend, daß es ihm leid um ihn sei, aber daß er nun am nächsten Morgen gerichtet werden müsse. Und wenn er noch einen Wunsch habe, so solle er ihn sagen.

Da erinnerte sich Dummbart der Erzählung seiner Mutter und sagte, wenn es ginge, so wollte er wohl gern noch einmal einen Teller mit Erdbeeren haben. Und der König versprach es ihm.

Als dann einer der Gärtner ihm eine Schale mit den duftenden Früchten brachte, wartete Dummbart, bis es dunkel geworden war, nahm eine der roten Früchte zwischen Daumen und Zeigefinger, zerdrückte sie, berührte mit dem Saft seine Lippen und sprach: »Hole die Muhme!«

Und als er es gesagt hatte, klirrte der Riegel seiner Tür ganz leise, und eine alte Frau trat ein, die hatte ein rotes Tuch um ihr weißes Haar gebunden, setzte sich auf das Lager und sah den Knaben freundlich an. »Nun, kleiner Dummbart«, sagte sie, »sehr weit haben wir es ja nun nicht gerade gebracht.«

»Bis zum Galgen ist ein weiter Weg«, erwiderte Dummbart. »Aber nun sage mir auch, wer du bist.«

»Morgen«, sagte die Frau, »morgen werden wir alles sagen, und nun schlafe nur ruhig und in Frieden.«

Und ehe der Knabe noch etwas sagen konnte, klirrte der Riegel schon wieder, und sie war verschwunden.

Da schüttelte er seinen großen Kopf über alle Wunder, die es in der Welt gab, aß seine Beeren und schlief still und ohne Träume bis zum Morgen.

Auf dem Richtplatz stand schweigend das Volk, denn es war ihm nicht recht, daß ein Kind sterben sollte. Und auch der König und die Prinzessin und seine Geschwister standen da.

»Möchtest du nicht jetzt noch sprechen?« fragte der König freundlich.

Da trat der Knabe vor seine Geschwister und sagte: »Wollt ihr wirklich um ein Stück Gold meine Seligkeit verkaufen?«

Aber die drohten ihm und riefen: »Du weißt ganz gut, daß du ein Dieb bist, und nun ist es zu Ende mit deinen Künsten.«

Da sah er sie traurig an, trat zum Henker und sagte: »Tue nun, wie dir befohlen ist!«

Aber in diesem Augenblick rief eine Stimme: »Halt!«, die Menge teilte sich, und die alte Frau mit dem roten Tuch trat vor den König. An der linken Hand führte sie den Zwerg, der war ganz verstört unter so vielen Menschen, und an der rechten Dummbarts Vater und Mutter. Der Vater kratzte sich mit seiner Pechhand verlegen im Haar, die Mutter aber nahm Dummbart in ihre Arme, küßte ihn und sah dann den König an.

»Nun sprecht!« sagte die Frau. »Und fürchtet euch nicht, denn Gottesrecht geht vor Menschenrecht.«

Da erzählten sie alles, wie es gewesen war, und ließen den Kupferschmied und den Silberschmied als Zeugen herbeirufen, und die Wahrheit war offenbar vor allem Volk, und das Volk jubelte, daß das Kind unschuldig war.

Die Frau aber sah den König an und sagte: »Weißt du nun, wie schwer es ist, Recht zu sprechen?«

Da war der König beschämt und fragte, ob er die Geschwister statt des Knaben hängen lassen sollte.

Die Frau aber schüttelte den Kopf. »Immer meint ihr, mit dem Tode sei alles getan«, sagte sie. »Aber mit dem Tode ist wenig getan. Laß sie nun vor mich hintreten!«

Da traten die sechs Geschwister vor die alte Frau und sahen sie höhnisch an, denn von einer alten Frau erwarteten sie sich nichts Großes.

Die Frau aber sah sich um und sagte: »Es fehlt noch jemand.«

Da zauderte der König, aber dann hieß er seine Tochter zu den Geschwistern treten, so sehr sie sich sträubte.

Die Frau sah die sieben der Reihe nach an und sagte dann: »Ihr meintet, daß Spott und Gewalt und List und Habgier das Größte auf der Welt seien, und daß Torheit und Vertrauen dazu wüchsen, daß ihr euch davon nähren könntet. Wer aber dem Schwachen nicht hilft, dem wird auch nicht geholfen werden, und wer den Weinenden verspottet, der wird selbst weinen und verspottet werden. Und so sollt ihr verwandelt bleiben, bis eure Herzen sich verwandelt haben, und eure Speise von der Erde suchen, bis ihr demütig geworden seid!«

Und sie nahm das rote Tuch von ihrem weißen Haar und bewegte es einmal durch die stille Morgenluft. Und wie sie es wieder sinken ließ, waren die Geschwister und die Königstochter verschwunden, und statt der drei Brüder und der drei Schwestern standen sechs schwarze Ziegen da, die meckerten kläglich und suchten im Sand der Richtstätte nach einem Kraut zur Speise. Und statt der schönen Königstochter stand ein Pfau mit seinen verkrüppelten Füßen im Sand und breitete seinen Schwanz aus und schrie mit mißtönender Stimme.

Da erschraken der König und seine Großen, und der Henker erschrak und ließ seinen Strick fallen, und das Volk erschrak und wich zurück. Die Frau aber nahm Dummbart bei der Hand, wies ihn dem ganzen Volk und berührte seine Schläfen mit einem Kraut, das sie aus ihrer Jacke nahm. Und wie sie ihre Hände sinken ließ, fiel seine kleine Gestalt von ihm ab, und er wuchs vor aller Augen zu einem großen und schönen Jüngling, und nur seine Augen blieben dieselben, weil sie immer schön gewesen waren, und sein Kopf blieb derselbe, denn er war nun gerade groß genug für seinen schlanken Körper.

Die Mutter weinte vor Freude, und die Frau sagte zu dem Volk: »Einmal war ich durstig, und diese Frau hat mich erquickt mit allem, was sie besaß. Und ich habe ihr gesagt, daß sie Geduld haben sollte mit ihrem Kind, und sie hat Geduld gehabt, denn sie war die einzige, die ihn von Herzen lieb gehabt hat. Nun wird er erhöht werden, wie die anderen erniedrigt worden sind. Denn wir sprechen ein anderes Recht, als die Könige es sprechen.«

Und sie nahm Dummbart bei der Hand und führte ihn durch das Volk, seiner Heimat entgegen. Und die Eltern und der Zwerg folgten ihm, und der Zwerg war ganz verwirrt, daß er nun wieder der Kleinste war.

Die Ziegen und der Pfau aber blieben zurück und suchten ihre Speise von der Erde, und niemand weiß, ob sie noch einmal demütig geworden sind.

* * *


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