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Dreibast

Am Ufer eines großen Sees stand eine graue, windschiefe Hütte, darin lebte eine Frau, die war die Witwe eines Fischers. Der Fischer war bei einem Herbststurm ertrunken, und die Frau hatte damals zwei Söhne. Den dritten trug sie noch unter dem Herzen, als der Mann nicht mehr wiederkam.

Einmal, wenige Wochen vor seiner Geburt, saß sie am Abend auf der Schwelle vor der Hütte und spann. Die Söhne waren mit den Netzen auf dem Wasser, die Sonne war schon am Untergehen, und es war so still, daß die hohen Schilfhalme am Ufer ganz unbeweglich standen und nicht einmal flüsterten, was sie doch Tag und Nacht zu tun pflegten.

Da kam eine alte, gebückte Frau über die Heide, und ihr Schatten ging lang und schmal hinter ihr her. Sie murmelte leise vor sich hin, neigte sich hin und wieder nach einem Kraut und blieb dann vor der Schwelle stehen.

»Was spinnst du da?« fragte sie mit ihrer heiseren Stimme.

Die Frau fürchtete sich ein wenig, erwiderte aber ruhig, daß sie Wolle für das noch Ungeborene spinne.

Da sagte die Alte: »Du hast zwei Söhne, die jung und stark sind, und ich habe keinen. Gib mir das Ungeborene, und du sollst nichts als Goldfäden spinnen mit deinem Rocken.«

Da richtete die Frau sich zornig auf und erwiderte: »Lieber will ich Tränen und Herzeleid spinnen bis an meine Sterbestunde, als daß ich dir ein Haar von seinem Haupte gebe!«

Da lachte die Alte böse und heimlich und sagte: »Es soll geschehen, wie du willst.« Und sie befeuchtete ihren Daumen und drehte den Faden ein paarmal zwischen den Fingern. »So«, sagte sie, »nun wollen wir sehen, was für einen Goldsohn du gebären wirst.«

Dann ging sie langsam davon, am Ufer entlang, und die Frau vor der Hütte sah, daß alle Schilfhalme sich zum Wasser hinneigten, wo die Alte vorüberkam.

Da erschrak sie in ihrem Herzen, schnitt das Stück aus dem Faden aus, das die Alte berührt hatte, und versuchte, weiter zu spinnen. Aber es ging ihr nicht mehr von der Hand, und sie saß verstört da, bis die Söhne vom Wasser kamen.

Denen erzählte sie, was ihr zugestoßen war, und die Söhne waren ärgerlich. »Wir sind ganz genug zu zweit«, sagten sie, »und ein Goldfaden ohne Ende ist besser als ein Schreihals in der Wiege.«

Aber die Mutter schalt sie und erinnerte sie an den toten Vater und daß es unrecht sei, ein lebendes Erbe um Gold zu verkaufen.

Doch die Söhne zuckten die Schultern, und so blieb es dabei.

Als die Frau ihre schwere Stunde kommen fühlte, war ihr angst ums Herz, und als das Neugeborene in der Wiege lag, saß sie viele Stunden davor und sah es an. Aber es hatte alle zehn Finger und alle zehn Zehen und keine Hasenscharte und kein Mal auf der Brust oder Stirn. Nur daß es kleiner war als die beiden anderen Söhne bei der Geburt, viel kleiner, und daß sein Kopf groß und oben so glatt war wie eine kleine Scheunentenne. Doch meinte sie, daß sie auch Erwachsene gesehen hätte, die auf ihrem Kopf ruhig einen Kochtopf hätten tragen können, und so wurde sie wieder ruhig und nahm das Kind mit besonderer Zärtlichkeit an ihre Brust.

Die beiden anderen Söhne aber taten, als liege ein Holzscheit in der Wiege, und sie kümmerten sich nicht darum.

Aber als die Zeit nun verging, zeigte sich, daß das Kind nicht wachsen wollte, als hätte jemand einen Knoten in seinen Lebensfaden geschlungen, und auch daß sein Kopf sehr groß und oben sehr glatt war und seine Arme länger als bei anderen Kindern. Die Brüder nannten ihn das »Zwerglein«, knufften ihn wohl auch hier und da ein bißchen und stießen ihn in die Ecken wie ein Wollknäuel, aber es war nicht böse gemeint und wohl nur so, wie sie auch eine junge Katze oder einen jungen Hund gestoßen hätten. Er aber trug alles geduldig, ohne Zorn oder Traurigkeit, und nur wenn sie ihn wieder allein gelassen hatten, setzte er sich auf seine Fersen, wie er zu tun liebte, stützte die Hände auf die Erde und sah nachdenklich vor sich hin.

Als er älter wurde, sah er nun wirklich wie ein kleiner Holzklotz aus, den man schnell und roh behauen hatte, oder wie ein kleiner, stämmiger Schneemann, den die Kinder in Eile bauen und dem sie einen kleinen Zweig statt einer Pfeife in den Mund stecken.

Je mehr aber die Jahre gingen, desto mehr zeigte sich, daß er seinen Brüdern und allen Kindern am Ufer des Sees an Klugheit weit überlegen war und daß er Dinge sagte und dachte, die den anderen niemals in den Sinn kamen. Und da diese Klugheit aus einem so kleinen Körper kam und mit so viel frühem Ernst vorgetragen wurde, so wurde er bald der »Dreibast« genannt, weil man dortzulande ein altkluges Wesen »dreibastig« zu nennen pflegte, als sei einem jungen Baum statt des einfachen Bastes unter der Rinde ein dreifacher verliehen worden.

Dreibast war ein anstelliges und geschicktes Kind, aber da er so klein war, nahmen die Brüder ihn nicht zum Fischen mit, weil sie meinten, sie könnten ihn einmal aus Versehen statt eines kleinen Fisches in den See werfen. Und auch die Mutter erschrak, wenn sie sich nach einem Eimer am Herd bückte und statt dessen kam ihr Dreibast in die Finger, der dort kauerte und in das Torffeuer starrte. »Tue etwas!« schalt sie dann. »Und liege hier nicht herum wie ein Kloß in der Brühe!«

Da ging Dreibast leise fort und setzte sich am Ufer zwischen die Schilfhalme, die waren so hoch wie Lanzen über seinem großen Kopf. Und er faltete die langen Arme um seine Knie und dachte nach. Er mußte Dinge lernen, die die anderen nicht konnten, das war ihm klar. Und da er zu aller richtigen Arbeit zu klein war und jedermann über ihn lachte, so fielen ihm der Reihe nach ein paar Dinge ein, die er heimlich treiben wollte, bis er ein Meister in ihnen würde.

Zuerst begann er damit, sich auf seinen Kopf zu stellen. Sein Spiegelbild im Wasser hatte ihm oft genug gezeigt, daß ein kleiner Mann auf seinem flachen Kopf Erbsen dreschen könnte, und so stand er nun, still wie eine Rohrdommel, zuerst eine Minute lang und dann immer länger, so lange, bis die Welt ihm von unten ebenso vertraut aussah wie von oben. Und wenn er sich mit seinen langen Armen abstieß, konnte er sich drehen wie ein Kreisel und die kurzen Beine wie Mühlenflügel bewegen. Und damit war er dann sehr zufrieden.

Dann fiel ihm ein, daß es leicht sein müßte, mit seinen Armen und seinem kurzen Körper, flache Steine über das Wasser zu schleudern, viel weiter, als die anderen es konnten, und er brachte Tage und Wochen damit zu, bis jeder Stein wohl dreißigmal über das Wasser hüpfte und noch häufiger. Und damit war er dann sehr zufrieden. »Ich werde es euch schon zeigen«, sagte er, auf dem Kopfe stehend, »was Dreibast kann!«

Und schließlich fiel ihm ein, daß die anderen Kinder sich oft die Zeit damit vertrieben, nach einem Stein zu spucken, den sie sich als Ziel hingelegt hatten. Das schien ihm, bei seiner breiten Brust und seiner ruhigen Art, eine aussichtsreiche Sache, und auch darin übte er sich, bis er ein Meister war, und war es dann sehr zufrieden. »Ich werde es euch schon zeigen«, sagte er, »daß Dreibast kein Kloß in der Brühe ist!«

Da wunderten sich seine Brüder bald, daß er immer heiter und zuversichtlich aussah und ihnen nicht mehr aus dem Wege ging, wenn sie in einer Ecke des Hofes oder des Hauses auf ihn trafen. Und als sie wieder Wollknäuel mit ihm spielen wollten, faßte er den ältesten um den Leib, stellte ihn auf den Kopf und sagte: »Nun ruhe ein bißchen, daß du wieder zu Kräften kommst.«

Dem blieb vor Erstaunen das Wort im Halse stecken, und als der zweite ihm zu Hilfe kommen wollte, zog ihm Dreibast mit seinen langen Armen die Füße weg und stellte ihn mit einer Hand neben den anderen auf den Kopf, so daß sie wie zwei umgekehrte Kegel dastanden und ihnen die Welt wie von rotem Feuer erfüllt schien.

Da baten sie um Gnade, richteten sich mühsam auf und fragten endlich, ob er einen Zaubergürtel gefunden habe. Dreibast aber winkte nachlässig mit der Hand und meinte nur, daß er eben drei Häute habe, und erst wenn sie ihm die beiden obersten auszögen, würde er schwach sein wie ein anderes Kind auch.

Und er ging ruhig zum Seeufer, setzte sich zwischen die Schilfhalme und bedachte jetzt erst voller Freude, was geschehen war. Denn er war sich seiner Kraft selber nicht bewußt gewesen bis zu dieser Stunde. »Es kann mir nicht fehlen«, dachte er, »auch wenn ich klein bin und wie ein Holzklotz aussehe. Es ist schon manche Axt von einem Eichenklotz abgeglitten.«

Als er nun wußte, daß er sich auf dieser großen Erde nicht zu fürchten brauchte, wurden ihm die Hütte und das Stück des Seeufers bald zu eng, und er begann am See entlang oder über die Heide zu wandern, wo er die Welt noch nicht kannte und wo ihm vielleicht ein Abenteuer begegnen würde, an dem er seine neue Kraft erproben könnte, ernsthafter als an seinen beiden Brüdern.

Aber wenn er so durch die Heide wanderte und das Heidekraut reichte ihm bis zu den Hüften und der große Kopf schien wie eine Kugel über die Blüten dahinzurollen, lachten die Vögel über ihn, kreisten über seinem Weg oder warteten auf ihn in den Zweigen der alten Birken, die hier und da einsam in der Heide standen. »Dreibast kommt«, riefen sie einander zu. »Laßt uns ihn fragen, ob er die Dreikäsehoch-Prinzessin holen geht.«

Aber Dreibast ging ruhig seines Weges, bis er unter dem Baum stand. Dann holte er Atem und spuckte den ärgsten Schreiern in die Augen, auch wenn sie im höchsten Wipfel saßen, so daß sie für eine Weile blind waren und in den Zweigen herumtaumelten. »Ich wollte euch nur die Augen ein bißchen auswaschen«, sagte er freundlich, »damit ihr erkennt, wer ich bin.« Und damit ging er ruhig seines Weges.

Aber es kränkte ihn, daß auch die Vögel seiner spotteten, obwohl er ihnen doch zugetan war, und daß das äußere Kleid eines Menschen auch ihnen soviel bedeutete. »Ich muß Geld verdienen«, sagte er sich, »daß ich einen Zauberer finde, der mich wachsen läßt.«

Und so saß er nun oft am Südende des großen Sees, wo die Landstraße aus der Stadt des Königs vorüberkam und in die Ferne führte. Hier kamen Krieger und Kaufleute vorbei, Zauberer und Gesandte fremder Herrscher, und hier pflegte er im Sande des Ufers zu sitzen und träumerisch über das weite, ebene Land zu blicken. »Der See ist groß und das Netz ist klein«, dachte er. »Und doch fängt sich ab und zu ein Fisch in seinen Fäden. Weshalb sollte es Dreibast mit dem Glück nicht ebenso ergehen?«

Aber die Krieger und Kaufleute, die vorüberkamen, kümmerten sich nicht um Dreibast, oder sie lachten über ihn, oder sie warfen ihm eine Kupfermünze zu, weil sie ihn für einen Krüppel hielten. Und sie schienen Dreibast nicht wert, daß er seine Kräfte an ihnen versuchte.

Einmal aber sah er schon von ferne eine Karawane, die war prächtiger und größer als alles, was er gesehen hatte, und an ihrer Spitze ritt ein Jüngling in einem herrlichen, goldverbrämten Kleid, der schien ihm wie aus einem Märchenland zu kommen.

Da füllte er schnell seine Taschen mit flachen Steinen, kauerte sich am Ufer nieder und begann so ungeschickt seine Steine über das Wasser zu werfen, daß sie nur zwei- oder dreimal aufschlugen und dann versanken. Und jedesmal raufte er sich seine blonden Haare und rang seine langen Arme wie ein Verzweifelter.

Der Königssohn – denn dieser war es – hielt sein Pferd an und sah ihm lachend zu. »Kannst du es nicht, armer Knirps?« fragte er gutmütig. »Warte, ich will es dir zeigen.«

Und er stieg aus dem Sattel, und die ganze Karawane mußte halten, und las sich flache Steine vom Strande auf, und gleich sein erster Wurf tanzte siebenmal über das glatte Wasser.

»Nicht übel für einen Anfänger«, sagte Dreibast.

Da lachten sie alle laut auf, und der Königssohn hieß ihn es auch einmal versuchen. Und Dreibast streckte seinen langen Arm aus, aber sein Stein tanzte nur zweimal über das Wasser und versank dann mit einem dumpfen Laut. Er kratzte sich bekümmert den Kopf und sagte: »Noch einmal!«

Wieder warf der Königssohn, und zehnmal stieg der flache Stein über die blaue Tiefe, ehe er versank.

»Es macht sich«, sagte Dreibast und nickte mit seinem großen Kopf.

Da schüttelten sie sich vor Lachen, und selbst die Letzten der Karawane kamen herbei, um den Wettkampf zu betrachten. Dreibast suchte lange nach einem passenden Stein, wiegte sich dann lange in den Knien und starrte weit vorgebeugt dem Steine nach. »Dreimal!« sagte er. »Es bessert sich. Aber es fehlt mir der Preis, um den die Helden kämpfen.«

Da meinten sie alle zu vergehen vor Lachen, und der Königssohn befahl ihm, einen Preis zu nennen.

Dreibast sah sich langsam um, blickte die Karawane hinauf und hinunter und meinte schließlich, das Reitpferd des jungen Führers könnte wohl etwas sein, das seine Kraft beflügeln würde. Der dritte Wurf sollte darüber entscheiden.

»Es sei so«, sagte der Königssohn ernsthaft, »und was willst du einsetzen gegen mein Pferd?«

Dreibast dachte lange nach und zog dann einen kleinen, grünen Glasscherben aus der Tasche. Den wischte er mit seinem Ärmel sorgfältig ab, hielt ihn an das rechte Auge und sagte dann: »Siehst du, die Welt ist nur einmal geschaffen, aber durch dieses Glas hast du eine zweite Welt. Neben deiner gewöhnlichen Karawane hast du eine zweite, die wie aus dem grünen Wasser heraufgestiegen ist. Und im Winter ist die Erde nicht weiß und kalt, sondern Moos scheint statt des Schnees die Erde zu bedecken. Eine doppelte Welt gegen ein Reitpferd scheint mir kein schlechter Einsatz zu sein.«

Der Königssohn blickte durch das grüne Glas, lächelte und sagte dann ernsthaft, daß er einverstanden sei.

Aber er gab sich doch besondere Mühe, und sein Stein tanzte fünfzehnmal über das Wasser. Seine Begleiter klatschten in die Hände, aber Dreibast sah sie mißbilligend an. »Auch meine Mutter war froh, als sie mich gebar«, sagte er. »Aber als sie mich dann ansah, verging ihr das Lachen. Der Haken sitzt erst am Ende der Angelschnur.«

Und er prüfte lange seinen Stein, und ehe die anderen es sich versahen, lief eine schnurgerade, blitzende Spur über das Wasser, so leicht, als tauchte ein Vogel im Fluge ein, und über ihr erhob sich dreißigmal der runde Stein, ehe er in der Ferne lautlos versank.

Da standen sie mit offenem Munde und wollten ihren Augen nicht trauen. Der Königssohn aber sah ihn lange und prüfend an. »Du bist ein kluger Bursche«, sagte er freundlich und ohne Unmut. »Und was ich versprochen habe, will ich auch halten.« Und er winkte, daß man sein Pferd vorführe.

Dreibast schnallte die Steigbügel kürzer, legte beide Hände auf den Sattelknopf und hob sich so leicht wie eine Feder auf das hohe Tier. Von dort aus verneigte er sich artig. »Ich sehe, daß du ein Edelmann bist«, sagte er zum Königssohn, »und es soll dir unvergessen bleiben. Und wenn du wieder vorüberkommst, wollen wir in einer anderen Sache unsere Kräfte messen.«

»Wenn du in drei Monaten wieder hier bist«, erwiderte der Königssohn, »dann soll es so sein, wie du gesagt hast.«

Dann ritt Dreibast langsam davon, quer über die Heide, und die Begleiter des Prinzen mußten doch bei allem Mißmut über ihn lachen, wie er gleich einem Kochtopf auf einem Hausdach davonfuhr und die Sonne seinen großen, runden Kopf freundlich beschien.

Seine Mutter und seine Brüder standen vor der Hüttentür und vermeinten zu träumen. »Dies ist eine kleine Gabe für dich, liebe Mutter«, sagte Dreibast. »Meine Brüder können es verkaufen und dir das Geld abliefern. Und wenn sie es nicht auf Heller und Pfennig tun, könnte es übel für sie ausgehen.«

Weiter sagte er nichts über seinen Handel, und die anderen wagten nicht zu fragen. Nur seine Mutter weinte vor Freude. »Kleiner Dreibast«, sagte sie, »wie gut, daß ich dich nicht von meinem Herzen gelöst habe!«

Dreibast aber beschloß, in die Welt zu ziehen, mit seinen Künsten Geld zu verdienen und dann die alte Frau zu suchen, von der seine Mutter ihm nun erzählt hatte. Vielleicht daß sie den Knoten in seinem Lebensfaden wieder löste, wenn er sehr darum bäte. Oder vielleicht, daß sie sich auf einen Wettkampf einließe, und er könnte durch Klugheit wieder zu einem geraden Körper gelangen, wie andere Menschen ihn besaßen. Er wartete nur noch den Königssohn ab, und nach drei Monaten saß er wieder am fernen Seeufer, blickte über den See und die Heide und dachte, daß er dies alles nun bald verlassen würde.

Erst als der Staub der Karawane sich in der Ferne erhob, erinnerte er sich an das, was bevorstand, und als der Königssohn lächelnd sein Pferd wieder anhielt, bemühte Dreibast sich, auf dem Kopfe zu stehen, aber sein kurzer Körper fiel immer wieder zur Seite, und wieder lachten die Begleiter des Prinzen und ließen es an Ratschlägen nicht fehlen.

»Kannst du es nicht, kleiner Freund?« sagte dieser. »Warte, ich will es dir zeigen.«

Und er legte sein Schwert ab, stützte die Hände in den Sand und hob seinen schlanken Körper ruhig in die Höhe, daß er wie ein Rohr über der Heide stand.

»Nicht übel für einen Anfänger«, sagte Dreibast und versuchte, es ihm nachzutun. Aber er fiel um wie ein Kegel und hob sich mühsam aus dem Sande auf. »Es fehlt mir der Preis, um den die Helden kämpfen«, sagte er nach dem zweiten Versuch wieder.

Da lächelte der Königssohn und hieß ihn einen Preis nennen.

»Ich würde mir dein Schwert wünschen«, sagte Dreibast, »denn ich will morgen in die weite Welt ziehen. Aber es ist zu lang für mich, und es würde mir immer zwischen die Beine kommen. Doch sehe ich, daß du einen schönen goldenen Trinkbecher bei dir führst, und den würde ich gerne verdienen, da mich dürsten wird unterwegs.«

»Es sei so«, sagte der Königssohn ernsthaft, »und was willst du einsetzen gegen meinen Becher?«

Da zog Dreibast eine kunstlose Weidenflöte aus seinem Rock und sagte: »Diese habe ich selbst geschnitten. Sie ist einfacher Leute Kind wie ich, aber wenn du einmal traurig bist, so spiele auf ihr, und mein Bild wird dir wieder vor Augen kommen, und du wirst wieder fröhlich sein. Denn immer sind die Menschen fröhlich, wenn sie sich erinnern, daß es Geringeres gibt als sie.«

Der Königssohn lächelte und sagte dann ernsthaft, daß er einverstanden sei. Und während er sich wieder auf seinen Händen mühelos aufhob, sah er neben sich Dreibast sich ebenso erheben und sich dann langsam auf seinen Kopf niederlassen. Dann griff dieser mit seinen Händen leicht in den Sand und begann seinen kurzen, schweren Körper zu drehen wie einen Kreisel, immer schneller und schneller, bis sein Kopf nur wie eine helle Kugel erschien und seine Augen wie ein dunkles Band, das in die Kugel gezeichnet war.

»Das ist der Unterschied zwischen Handwerk und Kunst«, sagte er dabei ruhig zum Königssohn, so ruhig, als ob er im Arm seiner Mutter läge. »Nun versuche auch du es ein bißchen.«

Aber der Königssohn stellte sich wieder auf seine Füße, sah ihn lange und prüfend an und sagte dann freundlich: »Du bist ein sehr kluger Bursche, und niemandem gebe ich meinen Becher lieber als dir. Und wenn du wieder heimkehrst aus der Welt, so vergiß nicht, mich zu besuchen.«

Dann nahmen sie Abschied, und Dreibast ging nach Hause, um den goldenen Becher zu zeigen und Abschied zu nehmen. Seine Mutter weinte, aber er tröstete sie und verriet ihr, daß er die alte Frau suchen wolle, damit sie den Knoten aus seinem Lebensfaden löse.

Da segnete sie ihn und ließ ihn ziehen.

Da ging nun Dreibast in die weite Welt hinaus, und je größer sie ihm schien mit jedem Tag, desto kleiner schien er sich selbst. Und manchmal wünschte er sich, er wäre eine Feldmaus und hätte eine kleine Höhle in der Erde, um dort zu schlafen, unverspottet von Menschen und Tieren.

Aber nach so trüben Gedanken richtete er sich immer wieder auf, stellte sich auf der Heide ein Weilchen auf den Kopf, drehte sich wie ein Kreisel, trank dann aus dem schönen goldenen Becher einen Schluck Quellwasser und wanderte wieder rüstig weiter. Denn er wußte nun, daß nur die Alte schuld war an seinem Körper und nicht Vater oder Mutter.

Er erwarb sein Brot, indem er auf den Höfen Holz hackte oder Wasser trug, ein Feld umgrub oder Säcke zur Mühle schleppte, und obwohl die Leute zuerst weidlich über ihn lachten, hatten sie ihn doch lieb gewonnen, wenn er wieder weiterzog, und wiesen ihm viele Wege, wo sie etwas von einer alten Hexe gehört hatten. Aber es war nie der richtige Weg.

Manchmal auch ließ Dreibast auf Märkten seine Künste sehen, und manchmal konnte er auch wieder eine Wette gewinnen, aber es freute ihn nicht mehr recht, denn er dachte an nichts als die alte Frau und wie er sie finden könnte.

Nur eine neue Kunst erlernte er noch, und sie half ihm über viele traurige Stunden hinweg. Er sah nämlich einmal, wie Kinder in einer Stadt aus einem Strohhalm Seifenblasen steigen ließen, und sein einsames Herz füllte sich mit Entzücken bei diesem Anblick. Er wies geduldig alle seine Künste auf, bis sie ihn das einfache Geheimnis lehrten, und von da ab trug er immer ein Stückchen Seife mit sich, und wenn die Trauer über ihn kam und er mutterseelenallein auf der Heide war, nahm er einen Rohrhalm, von denen er immer viele bei sich trug, verrührte ein bißchen Seife in einer Birkenrinde, legte sich auf einen Grabenrand und ließ langsam die wunderbaren Kugeln in den blauen Himmel steigen, in denen alle Farben des Regenbogens waren und in deren leuchtender Schönheit alle Schmerzen seiner kleinen Menschenseele davonflogen.

Einmal aber, als er keine Birkenrinde fand und keinen Glasscherben, nahm er ruhig den goldenen Becher, rührte darin etwas Seife an, legte sich in die Heide und ließ den Atem langsam in das Schilfrohr gehen.

Aber der Herzschlag wollte ihm stocken, als er sah, daß die schimmernde Kugel immer größer und größer wurde, so groß wie sein eigener großer Kopf, in tausend Farben auf das herrlichste leuchtend, und dann sich erst von dem Halm löste und ganz, ganz langsam in den blauen Himmel emporstieg.

Da weinte er fast vor Glückseligkeit, formte Stern um Stern mit seinem Atem und ließ sie einander folgen, und die höchste Kugel war immer noch zu sehen, während die unterste noch an dem Ende des Halmes leise bebte, und zwischen ihnen stiegen die anderen langsam aufwärts, eine herrliche Himmelsleiter, an der man meinte, aufwärts steigen zu können, über alles Erdenleid hinweg, bis zu dem Saum des Paradieses, wo es keine Mißgestalt gab, keinen Spott und keine Verhöhnung.

Und er segnete den Königssohn, der ein Lächeln der Menschenliebe in seinen goldenen Becher hatte fallen lassen.

Von nun an ließ er seine anderen Künste ganz und gar, und es gab keine Stadt in allen Königreichen, in der auf dem Marktplatz sich nicht die Kinder und die Großen, die Geringen und die Vornehmen drängten, wenn Dreibast auf den Stufen einer Treppe saß, den goldenen Becher zwischen den Knien, und seine Wunderkugeln hoch über die Dächer der Häuser und die Zinnen der Paläste steigen ließ. Und mancher Nachdenkliche oder Gutherzige wandte sich nach einer Weile und ging mit feuchten Augen davon, wenn er gesehen hatte, daß so liebliche Schönheit aus einem so traurigen Munde zu den Menschen kommen konnte.

Doch gewann Dreibast auch hiervon großen Lohn, indem ein alter, ehrwürdiger Mann, der ihm lange zugesehen hatte, ihn am Abend in sein Haus lud, ihn freundlich bewirtete, nach seinem Schicksal fragte und sagte: »Wenn du von dieser Stadt aus einen Monat lang nach Westen gehst, so wirst du an einen großen Wald kommen, den die Leute den Zauberwald nennen, und dort kann es sein, daß du die Alte findest. Aber hüte dich, daß du etwas trinkst, was sie selbst zubereitet hat!«

Da bedankte sich Dreibast sehr, brach noch am späten Abend auf und erblickte nach einem Monat den Wald, von dem der alte Mann gesprochen hatte. Er hatte den Rand noch nicht erreicht, da sah er von ferne eine Hütte, wie er sie zu Hause gehabt hatte, vor der saß eine alte Frau und spann. Und da die Sonne tief stand und ihre Strahlen waagerecht über die Heide schickte, sah er, daß die Frau einen goldenen Faden spann.

Da wurde ihm leicht ums Herz, und er ging leise durch das Heidekraut, bis er vor der Frau stand. Sie erschrak ein wenig, legte die Hand auf den Faden, und Dreibast sah, daß er nun grau wie jeder andere Faden war.

Da wußte Dreibast genug, und er erzählte ohne Umschweife, wer er sei und weshalb er sie gesucht habe.

»Bist du es also, Goldsöhnchen?« kicherte sie. »So ist es also gekommen, wie ich damals gesagt habe, und wenn ich dich nicht aus dem Mutterleib erworben habe, so ist es eben ein bißchen später geworden.«

Aber Dreibast erklärte, daß von Erwerben keine Rede sei, und er bitte sie um seiner Seligkeit willen, ihn wieder von dem Zauber zu lösen.

»Langsam, langsam, Goldsöhnchen«, erwiderte die Alte. »Zuerst mußt du zeigen, was du gelernt hast, und dann mußt du mir ein Jahr lang dienen, weil ich zu alt bin, um Holz und Wasser zu tragen und um die Schafe zu hüten, von denen ich meine Wolle nehme.«

Da begann Dreibast ihr seine Künste zu zeigen, aber sie kicherte nur, als er sich wie ein Kreisel drehte. Und erst als er die Seifenblasen in den stillen Abend steigen ließ, eine nach der anderen, wurden ihre Augen groß vor Begierde, und sie streckte die magere Hand schnell nach dem Goldbecher aus.

»Langsam, langsam, Goldmuhme«, sagte Dreibast und verbarg den Becher in seinem Kleid. »Wenn ich dir nun ein Jahr diene und du gibst mir meine schöne Menschenform wieder, dann kannst du den Becher vielleicht als Geschenk bekommen. Anders nicht.«

»Gut, gut«, erwiderte sie und lächelte verstohlen. »So laß uns den Vertrag schließen. Wenn du mir ein Jahr lang treu gedient hast, werde ich dir sagen, wie du erlöst werden kannst. Bist du es so zufrieden?«

Und Dreibast, arglos und voller Hoffnung, schlug in ihre Hand ein.

Da war er nun, und da wollte er treulich dienen. Er sammelte Holz und trug Wasser, hütete die Schafe und flickte das Rohrdach aus. Er schlief in einem Schuppen auf trockenem Laub, aber den Goldbecher wahrte er immer an seinem Herzen. Er verwunderte sich, daß die Alte soviele Tiere in ihrer Hütte und dem Schuppen hielt, Hasen und Rebhühner, Amseln und Igel, und auch eine Elster folgte ihr lärmend auf Schritt und Tritt. Und er sah, daß alle Tiere ihre Arbeit hatten, daß sie Gras und Laub sammeln mußten, Ameiseneier und seltsam riechende Kräuter, und daß sie am Abend traurig auf ihren Schlafplätzen saßen und ihre Augen ihm immer folgten, wenn er an ihnen vorüberkam.

Da wußte er, daß es eine besondere Bewandtnis mit ihnen hatte, aber er verstand ihre Sprache nicht. Und nur einmal, als er durstig von der Heide zurückkam und die Alte ihm einen Becher mit Wasser reichte, schrie eine Amsel gellend auf, als er den Becher an den Mund hob. Da stellte er den Becher wieder zurück, sagte, er sei zu heiß, als daß er trinken dürfe, und erinnerte sich der Warnung des alten Mannes.

Die Alte aber hetzte zornig ihre Katze auf die Amsel, so daß sie sich auf das Dach der Hütte flüchten mußte. »Sei bedankt!« sagte Dreibast leise im Vorübergehen. »Und habt Geduld, bis unsre Zeit gekommen sein wird.«

Da versuchte es die Alte noch einmal, mit einem Becher heißen, gewürzten Weines, als er im Herbst ganz erfroren von der Heide gekommen war. Aber der Igel stieß wie aus Versehen an den Becher, und die Alte schleuderte zornig ein Holzscheit nach ihm.

Da hütete sich Dreibast wohl, und als das Jahr vorüber war, stand er am Morgen in seinem geflickten Kleid vor der Alten und erinnerte sie an den Vertrag.

»Ist recht, Goldsöhnchen«, sagte die Alte und kicherte in sich hinein. »Hast mir treu gedient und sollst deinen Lohn bekommen. Und nun höre gut zu! Wenn dein Bitterstes auf dein Süßestes fällt, dann wirst du erlöst werden. Hast du verstanden? Wenn dein Bitterstes auf dein Süßestes fällt! Nicht früher, Goldsöhnchen.«

Da ergrimmte Dreibast vor Zorn, aber er bezwang sich und wiederholte das dunkle Wort. »Hatten wir nicht abgemacht, daß du mich nach einem Jahr erlösen solltest?« fragte er.

»Nein Goldsöhnchen«, erwiderte die Alte. »Wenn du mir ein Jahr treu gedient hast, dann will ich dir sagen, wie du erlöst werden kannst! Das hatten wir abgemacht, und die Elster hat es gehört.«

Da spuckte Dreibast dem Vogel voller Zorn in die Augen, daß er blind ins Herdfeuer taumelte, und ging aus der Hütte. Aber in der Heide kehrte er noch einmal um, ergriff die Alte, die ihm an der Schwelle nachsah, mit einer Hand, stellte sie auf den Kopf und band ihre Füße an dem Türriegel fest. »Nun stehe da, Goldmuhmchen«, sagte er, »bis die Seifenblasen dir aus der Nase kommen!«

Und dann winkte er allen Tieren zu, versprach ihnen wiederzukommen und ging nun wirklich fort. Aber als er die Hütte nicht mehr sehen konnte, setzte er sich in der Heide nieder und weinte zuerst einmal bitterlich. Er hatte nie einen Zweifel gehabt, daß er am Ende dieses Jahres schlank und gesund würde fortgehen können, und nun saß er wieder da wie früher, und sein großer Kopf ragte kaum über die hohen Erikastauden hinaus. »Wenn dein Bitterstes auf dein Süßestes fällt«, dachte er verzweifelt. »Aber ich kenne so viel Bitteres, und vom Süßen weiß ich nichts.«

Er blieb so sitzen bis zum Abend, und nur die Traurigkeit war seine Speise und seine Tränen sein Trank. Aber dann stand er doch auf, sah den Abendstern tröstlich über die Heide steigen und ging ihm entgegen, als werde er dort finden, was er suche. »Dreibast gibt es nicht auf«, sagte er entschlossen, »und der Haken sitzt erst am Ende der Angelschnur!«

So saß er wieder auf den Stufen der Märkte, ließ seine Seifenblasen steigen und sah nach einem alten Mann aus, der ihm wieder den Weg weisen könnte.

Und nach langer Zeit kam er einmal in eine große Stadt, die war ganz leer und verlassen, und nur ein paar uralte Frauen saßen auf den Schwellen ihrer Hütten. Da fragte er, ob die Pest sie heimgesucht habe, aber sie zeigten mit ihren Stöcken nach dem anderen Ende der Stadt. Dort habe die Königstochter einen großen Wettkampf unter den Prinzen aller Länder angesagt, und wer Sieger sei, der solle ihre Hand und ihren Thron gewinnen.

»Nicht gerade etwas für mich«, dachte Dreibast, »aber wir wollen sehen.«

Und als er aus der Stadt herauskam, war da ein großer, von Bäumen umgebener Platz, und Tribünen und Bänke waren aufgeschlagen, und unter einem goldenen Dach saß die Prinzessin mit ihrem Hofstaat, die war so schön, wie er noch nichts auf Erden gesehen hatte. Zu ihren Füßen aber waren in herrlichen Gewändern die schönsten Jünglinge versammelt, die warfen ihre Lanzen in einem goldenen Bogen durch die blaue Luft, und jeder weite Wurf wurde von dem Jubelruf des Volkes begleitet.

Da schlich sich Dreibast leise zu den Stufen, über denen die Prinzessin saß, ließ sich dort bescheiden nieder, als sei er der Hofzwerg eines der Prinzen, sah eine Weile dem Wettkampf zu, nahm dann seinen goldenen Becher und die Rohrhalme aus dem Kleid und ließ ganz still für sich die bunten Kugeln in den blauen Himmel steigen, und jede war so groß wie sein eigener großer Kopf, nur um das Tausendfache schöner und lieblicher.

Und kaum waren die ersten Kugeln langsam in die Höhe gestiegen, hoch über das goldene Dach und den Staub der Wettkämpfe hinaus, da hörten die Jünglinge auf, ihre Lanzen zu werfen, und traten näher, um ihm zuzusehen, und die Prinzessin klatschte glückselig in die Hände und rief ihn zu sich, um zu erfahren, wer er sei.

Und als sie seine Geschichte gehört hatte, tröstete sie ihn und bat ihn, sich etwas zu wünschen und am Abend in ihren Palast zu kommen und die goldenen Kugeln unter die Sterne steigen zu lassen.

Da bedankte Dreibast sich und sagte, er bitte darum, an diesen Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen, auch wenn er nur der Sohn eines armen Fischers sei und nur Dreibast heiße.

Da lachte die Prinzessin, und alle schönen Jünglinge lachten, und das Volk schrie vor Lachen und rief: »Dreibast vor! Dreibast vor!« Und als er eine der Lanzen mit seinem langen Arm ergriff und sie ihn um das Zehnfache überragte, war der Jubel nicht mehr zu bändigen, und die Prinzessin hielt sich ein gesticktes Tuch vor das Gesicht, weil die Tränen ihr vor Lachen in die Augen stiegen.

Aber mit einem Mal war alles still wie in einer großen Kirche, denn Dreibasts Lanze hob sich hoch in die blaue Luft und schoß wie ein goldener Blitz unter dem Himmel dahin, und als der Schaft am Ende seiner Bahn bebend in der Erde stak, waren alle Zielmarken der schönen Jünglinge weit dahinter geblieben.

Da erschrak die Prinzessin, und die Jünglinge erschraken, und das Volk erschrak, denn niemand konnte sich denken, wie ein solcher Zwerg auf dem Throne sitzen und eine junge, schöne Königin an der Hand führen sollte.

Aber Dreibast stand schon vor dem Throne der Prinzessin und nahm Abschied. »Es steht mir nicht zu«, sagte er, »hier den Sieg zu erwerben, und nur um eines bitte ich, um etwas, woran ich mich erinnern kann, wenn ich wieder allein in der Heide bin. Und wenn es nur eine Schleife von deinem Gewande wäre.«

Da mußte die Prinzessin wieder ihr Tuch vor die Augen heben, aber diesmal, weil die Traurigkeit in Dreibasts Gesicht sie zu Tränen rührte. Und sie winkte ihrem Kämmerer und hieß ihn eines ihrer Bilder bringen, das war mit Gold und Scharlach auf Elfenbein gemalt und so klein, daß man es mit einer Hand umschließen konnte, und so lebensgetreu, als stände die Prinzessin vor einem.

Das reichte sie Dreibast und bat ihn, ihr nicht zu zürnen, aber es könne ja doch nicht sein, und sie sah ihm lange nach, wie er zwischen den Bänken hindurch ins Freie ging und der Schatten der Bäume ihn freundlich aufnahm. Nur soviel Traurigkeit und Verlassenheit war in der Erscheinung des kleinen Wanderers, daß nicht einmal die Kinder lachten, als er an ihnen vorüberging.

Dreibast aber ging immer weiter und weiter, in traurigen Gedanken, bis er zum Ufer eines kleinen Baches kam. Da setzte er sich in das warme Gras, nahm das Bild in beide Hände, sah es an und weinte bitterlich.

Aber siehe, als die ersten Tränen auf das liebliche Gesicht der Königstochter fielen, war es ihm, als dehnten sich und zerbrächen seine Glieder, als streckte sich sein kleiner Körper, als stiege sein Kopf freier und immer freier aus den Schultern empor. Sein altes, schmutziges Gewand fiel von ihm ab, und als er taumelnd aufstand und sich über das stille Wasser neigte, sah ihm daraus das Bild eines schönen, jungen und gesunden Jünglings entgegen, und nur die Augen waren dieselben geblieben, die ein bißchen traurigen und ein bißchen schalkhaften Augen Dreibasts. Und er schlug die Hände vor sein Gesicht und schluchzte vor Seligkeit.

»Wenn dein Bitterstes auf dein Süßestes fällt ,...«, sagte er leise. »Und ich habe nicht gewußt, daß die Tränen unser Bitterstes sind und daß das Antlitz der Geliebten unser Süßestes ist.«

Da wartete er, bis der Abend dämmerte, fand die Hütte eines Wächters, bat ihn um eine Decke, die er um die Schultern schlang, ließ ihm den Goldbecher zum Pfande und betrat, als die Sterne aufstiegen, die Halle des Palastes, in der die Trompeten schmetterten und die Prinzessin sich anschickte, einen Kranz auf die Stirn des Siegers zu setzen. Es erkannte ihn niemand, und die Diener wollten ihn zurückdrängen, aber er zeigte ihnen das Bild der Königstochter, das er bei sich verborgen hatte, und trat bis an die Stufen des Thrones. »Du hast mich eingeladen«, sagte er, sich verneigend, »und ich bin gekommen.«

»Wer hat dich eingeladen?« fragte die Prinzessin erstaunt.

Da zog er das Elfenbeinbild wieder aus der Decke und erzählte, wie es ihm ergangen sei.

Der mit dem Lorbeer Gekrönte stand unmutig daneben und meinte schließlich, daß jeder eine solche Geschichte erzählen könne. Auch werde der Fremde sich wohl erinnern, daß er eines Fischers Sohn sei und daß man allein mit Seifenblasen wohl keine Königstochter sich zu gewinnen hoffen dürfe.

Aber die Prinzessin hieß ihn schweigen, stützte den Kopf in ihre Hand und dachte lange nach. Dann winkte sie ihrem Kämmerer, sprach leise zu ihm und wartete, bis er mit einer goldenen Platte wiederkam, auf der lagen ein Schwert, reich mit Edelsteinen geziert, ein Beutel mit Gold und ein kleines Brot, das war schwarz und einfach, wie arme Leute es backen.

Da hieß die Prinzessin den Jüngling mit dem Lorbeerkranz und Dreibast näher an den Thron treten und sprach: »Jeder von euch darf sich eines von diesen drei Dingen als Hochzeitsgabe wählen, wenn ich ihm die Hand reichen sollte. Das Schwert schlägt jeden Feind, gegen den es erhoben wird. Der Beutel mit Gold wird niemals leer. Und das Brot bleibt immer ganz, ob man auch tausend mal tausend Scheiben von ihm schneidet.«

Da griff der Jüngling schnell nach dem Schwert, damit Dreibast ihm nicht zuvorkäme, aber dieser nahm das Brot und hob es an das Gesicht, um seinen Duft zu atmen, denn es war noch warm.

»Und nun sage, was du gedacht hast«, sagte die Königstochter zu dem Jüngling.

»Ich habe gedacht«, erwiderte dieser stolz, »daß man mit dem Schwert so viel Gold gewinnen kann, wie man will, und mit dem Gold so viel Brot kaufen, wie man will. Nur ein Narr würde anders gewählt haben.«

Dreibast aber lächelte. »Schwerter zerbrechen und Gold verrinnt«, sagte er, »aber das Brot bleibt. Und wer so viel gehungert und erfahren hat wie ich, weiß, daß die Armen durch das Schwert umkommen und durch Gold verderben und daß ihre Kinder nicht nach Schwertern und Gold verlangen, sondern allein nach Brot.«

Da hieß die Prinzessin sie die Gaben zurücklegen auf die goldene Platte, stand auf, nahm Dreibast bei der Hand und sagte: »Du bist eines Fischers Kind, aber dein Herz ist gut und edel geboren, und ich will dich zum Manne nehmen.«

Da erhob sich lauter Jubel in der großen Halle, und alles Volk rühmte die Wahl der Königstochter und rief, daß ein König, der an das Brot der Armen denkt, der beste König sei.

Und als die Hochzeit gefeiert war, machten Dreibast und seine Königin sich mit einem großen Gefolge auf, denn Dreibast wollte die Tiere erlösen, die bei der Alten gefangen waren, und wollte seine Mutter wiedersehen.

Nun spotteten die Vögel in der Heide seiner nicht mehr, und er ritt mit dankbarem Herzen an der Seite seiner schönen Frau. Und als sie zum Walde kamen, den die Leute den Zauberwald nannten, sahen sie die Alte noch immer auf dem Kopfe stehen, mit den Füßen an den Riegel gebunden, und sie war eingetrocknet wie ein Weidenstrunk. »Siehst du, Goldmuhme«, sagte Dreibast, »auch die Bosheit hat ein Ende.«

Aber die Hasen und Igel, die Rebhühner und die Amseln saßen alle still auf der Treppe und sahen Dreibast flehend an. Da war er traurig und ohne Rat, bis seine Blicke auf den Spinnrocken fielen. Den zeigte er seiner Frau, und sie wickelte als eine gute Hausmutter den Faden ab. Und als das letzte Stückchen von der Rolle fiel, standen statt der Tiere ebensoviele Knaben und Mädchen auf der Schwelle und umarmten einander und küßten der Königin die Hände.

Da nahmen sie alle mit sich auf ihre Reise, und als sie bei der Hütte am See ankamen, stand die Mutter davor und beschirmte ihre alten Augen mit der Hand. Und dann hielt sie Dreibast an ihrem Herzen und streichelte seinen Kopf und sagte ganz leise: »Mein Lebtag habe ich nur graue Wolle gesponnen, aber es muß doch ein goldener Faden gewesen sein, mit dem du an mein Herz gebunden warst. Denn es war der Faden der Liebe, und zu allen Zeiten ist die Liebe golden gewesen zwischen Mutter und Kind.«

* * *


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