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Die Schwestern

Eine arme Frau hatte drei Töchter, die waren keine der anderen gleich in ihrem Herzen, aber alle lieblich anzusehen. Die älteste war still und mitleidigen Herzens, arbeitete vom Morgen bis in die Nacht und erbarmte sich jedes Kindes und jedes Tieres, das des Trostes bedurfte. Die zweite war so rohen Gemütes, daß sie den ganzen Tag sang und tanzte, keine Arbeit richtig beendete und wie ein Irrwisch durch die Stunden flog. Doch waren alle Menschen ihr hold, weil sie mit den Fröhlichen lachte und mit den Traurigen weinte. Die jüngste war fleißig und gehorsam, aber listigen Herzens, und während sie zu jedem liebreich und sanftmütig war, trug sie in ihrer Seele dunkle Gedanken und neidete ihren Schwestern alles, was sie besaßen.

Die Mutter sah dies alles wohl, aber sie war krank und alt und wußte, daß jedes Leben sich wie ein Garnknäuel abwickelt und die Hand, die es ändern will, nur Knoten und Verwirrung schafft. So ließ sie es gehen und dachte, daß die Jahre schon Lohn und Strafe austeilen würden, wie es jeder ihrer Töchter zukam.

Unterwies sie also in den wenigen Dingen, die sie selbst gelernt hatte, und so fristeten sie ihr Leben, indem die drei Töchter den ganzen Tag strickten und das Erarbeitete in die Häuser der Königsstadt zum Verkaufe trugen. Und da sie alle lieblich anzusehen waren, so schickte niemand sie ohne Lohn davon, und sie hatten genug, um bescheiden vor sich hinzuleben.

Als die Mutter nun zum Sterben kam und sich ihr Totenhemd auf das Lager reichen ließ, knieten die drei Töchter an ihrer Seite und weinten, daß sie nun verlassen zurückbleiben sollten. Aber die Mutter tröstete sie, da ja für die Armen der Tod der beste Freund sei, und ließ sich von der ältesten Tochter ein schmales Kästchen aus ihrer Truhe reichen. Das öffnete sie und sprach: »Liebe Kinder, das ist nun das einzige, was ich euch zu schenken vermag. Haltet es wohl in Ehren, denn ich habe es von einer alten Frau bekommen, die allen Zaubers kundig war.«

Und sie nahm aus dem Kästchen dreimal drei Stricknadeln, von denen waren drei aus Gold und drei aus Silber und drei aus Eisen. Die hielt sie nun in ihren zitternden Händen und sagte: »Da ihr mir alle drei gleich lieb seid und ich euch alle drei geboren habe, so soll jede von euch eine goldene, eine silberne und eine eiserne Nadel haben, und damit sollt ihr euch nun euer Leben verdienen wie bisher.«

Da bedankten sich die Schwestern unter Tränen, aber die jüngste sah heimlich auf die goldene und silberne Nadel der anderen, und sie meinte, daß die Mutter ihre Gabe auch wohl anders hätte verteilen können.

Die Mutter aber begann nun mühsam zu atmen, und endlich sagte sie zu der jüngsten Tochter: »Liebes Kind, du könntest mir wohl schnell ein paar Handschuhe stricken, denn der Tod rührt mich an, und meine Hände sind schon kalt.«

Da war die Tochter ganz bereit dazu, nahm die neuen Nadeln, und ehe das Licht zu Häupten der Mutter um Fingerbreite herabgebrannt war, streifte sie der Mutter die Handschuhe über.

Da bedankte die Mutter sich, hielt ihre Hände nun still und atmete so vor sich hin.

Nach einer Weile aber sagte sie zu der zweiten Tochter: »Liebes Kind, du könntest mir wohl schnell ein Paar Strümpfe stricken, denn der Tod ist nun näher gekommen, und meine Füße sind schon kalt.«

Da weinte die Tochter sehr, war aber gern bereit dazu, nahm die neuen Nadeln, und ehe das Licht wieder um Fingerbreite herabgebrannt war, streifte sie der Mutter die Strümpfe über.

Da bedankte die Mutter sich, lag still und träumte so vor sich hin.

Nach einer Weile aber sagte sie zu der ältesten Tochter: »Liebes Kind, du könntest mir wohl schnell eine Jacke stricken, denn der Tod ist nun schon ganz nahe bei mir, und mein Herz wird schon kalt.«

Da weinte die älteste Tochter bitterlich, war aber von Herzen bereit dazu, nahm die drei neuen Nadeln, und bevor das Licht noch erlosch, zog sie der Mutter die Jacke an.

Da bedankte die Mutter sich, lag still und ganz friedlich, aber dann schlug sie noch einmal die Augen auf, blickte die zweite Tochter lächelnd an und sagte: »Liebes Kind, du warst nun doch wohl wieder ein bißchen eilig wie immer, denn meine Füße sind schon wieder kalt.«

Da öffnete die älteste Tochter ihr Kleid, nahm die Füße der Mutter und wärmte sie an ihrem Herzen.

Da lächelte die Mutter noch einmal wie in alter Zeit und sagte: »Segen über deinen Scheitel, mein liebstes Kind!«

Und darnach streckte sie sich aus und starb.

Da weinten die Töchter sehr, und darnach wuschen sie den toten Leib und begruben ihn am Waldrand hinter ihrer Hütte und pflanzten einen Rosenstrauch in die frische Erde.

Dann lebten sie weiter, wie sie bisher gelebt hatten, nur daß die älteste Tochter am traurigsten war, strickten von der Frühe bis in den Abend, und die Arbeit ging ihnen schneller von der Hand als je zuvor.

Die jüngste Tochter aber sann Tag und Nacht darüber, wie sie die drei goldenen Nadeln erwerben könnte, denn es freute sie nicht, eine silberne und eine eiserne in ihrem Strickzeug zu haben.

Und als ein Jahr vergangen war, nahm sie eines Tages drei Grashalme in die Hand, die waren alle drei von verschiedener Länge, setzte sich zu den beiden Schwestern und sagte: »Liebe Schwestern, es kommt mir vor, als seien wir alle drei ein bißchen töricht, daß unsere Strickzeuge so bunt wie ein Trödelkram aussehen. Sollten wir nicht gut daran tun, zu losen, daß jede von uns ein richtiges Werkzeug hat? Die eine die drei goldenen Nadeln, die andere die drei silbernen und die letzte die eisernen? Haben wir doch gesehen, daß alle gleich gut zur Arbeit sind, und wahrscheinlich hat die Mutter es auch so gewollt, nur daß ihre Gedanken schon etwas verwirrt waren in ihrer letzten Stunde.«

Da war die zweite Schwester gleich einverstanden in ihrem leichten Sinn und meinte, daß sie auch mit hölzernen Nadeln stricken wolle, wenn sie nur ihre Arbeit gut täten.

Die Älteste aber widersprach und warnte die anderen, an dem Vermächtnis der toten Mutter etwas zu verändern.

Aber die Jüngste bat so lange mit süßen und arglistigen Worten, bis sie widerwillig einstimmte.

Da verbarg die jüngste Tochter nun die Grashalme in der Hand, so daß nur die Spitzen hervorkamen, und sagte: »Wer den kürzesten Halm zieht, der soll die goldenen Nadeln haben, und so der Reihe nach weiter. Und da ich kein Glück habe in meinem Leben, so werden mir wohl die eisernen zufallen.«

Da zog die älteste Schwester den kürzesten Halm und die mittlere den nächsten, so daß für die jüngste der längste übrig blieb. Und als sie das sah, drückte sie heimlich mit dem Daumennagel ihren Halm entzwei und wies nun ein kurzes Stückchen vor, das war kürzer als die beiden anderen. Und so gewann sie die goldenen Nadeln.

Die zweite Schwester war mit ihren silbernen Nadeln wohl zufrieden, und auch die älteste widersprach nicht, aber sie sah ihre jüngere Schwester eine Weile an und sagte dann: »Möchte dir dies doch Segen bringen, liebe Schwester!«

Da wurde die Schwester verwirrt, begann aber sogleich, eifrig zu stricken, und lobte die Nadeln, daß sie für ihre schwachen Hände so viel leichter seien als die anderen.

Darauf blieb alles, wie es gewesen war, und es war auch kein besonderer Zauber an den Nadeln zu entdecken, außer daß jede Arbeit schneller fertig wurde als zuvor.

Nun saßen die Schwestern eines Sommerabends vor ihrer Hütte bei der Arbeit, und während ihre Finger sich bewegten, blickten sie über das blühende Land hin, sahen in der Ferne die Dächer der Königsstadt und hörten den Vögeln zu, die ihr Abendlied sangen.

»Ach, wenn die Mutter doch noch lebte ,...«, sagte die älteste Schwester leise und ließ für einen Augenblick ihr Strickzeug sinken. Da hielten auch die beiden anderen mit ihrer Arbeit inne, aber dann begann die fröhliche ein Lied zu summen, vom Meiden und Scheiden und Wiederkehr, und allmählich fielen die beiden anderen ein, und es klang so lieblich in den Abend hinaus, daß selbst die Vögel verstummten und lauschten.

Auch die alte Frau, die am Wiesengraben entlangkam, blieb stehen und hörte zu, und als sie dann zu den drei Schwestern trat, sagte sie: »Schön habt ihr gesungen, daß es meinem alten Herzen wohlgetan hat, und fleißig seid ihr auch. So ist es meinen Augen lieb, euch zu sehen.«

»Wo kommt Ihr her?« fragte die fröhliche Schwester und rückte auf der Bank zur Seite.

»Von weit, von weit her, liebe Tochter«, erwiderte die Frau und strich bewundernd über die silbernen Nadeln. »Da muß es leichte Arbeit sein mit so schönem Gerät. O, und diese sind gar aus Gold! Da seid ihr wohl drei Königstöchter, die verwunschen sind, hier zu sitzen und zu stricken?«

Da lachte die fröhliche Schwester und meinte, darauf wären sie noch gar nicht verfallen, aber wenn sie es sage, so wolle sie es gerne glauben.

»Wer weiß, wer weiß, liebe Tochter?« sagte die Frau und zog ihre dünne Jacke zusammen, als friere es sie.

Und dann berührte sie noch einmal die goldenen Nadeln und sagte zu der Jüngsten: »Möchtest du mir wohl, mein liebes Kind, mit diesen schönen Nadeln eine Jacke stricken, daß ich nicht mehr zu frieren brauche in der Abendluft? Ich will es dir auch reichlich lohnen.«

»Lohn haben wir genug«, sagte die jüngste Tochter spöttisch, »und deinem Rücken dürfte auch eine Eselhaut gut stehen und Wärme genug geben.«

Da sahen die beiden anderen, daß die Frau ein wenig verwachsen war, und sie schämten sich der Rede ihrer Schwester, und die fröhliche sagte, daß sie gleich am nächsten Morgen beginnen wolle, nur heute sei der Abend ihr zu schön.

Da streichelte die Frau ihre blühenden Wangen und sagte: »Wer heute versäumt, hat morgen geträumt. Aber wer jung ist, hat keine Geduld, und so will ich es dir später lohnen.«

Die Älteste aber stand sogleich auf, holte frische Wolle und begann mit ihrer Arbeit. Aber kaum hatte sie die ersten Maschen gestrickt, so wuchs die Arbeit ihr so schnell unter den Händen, daß ihre Finger kaum zu folgen vermochten und sie bestürzt auf das Wunder starrte, das sich fast ohne ihr Zutun vollzog.

Da streichelte die Frau ihre beiden Wangen, nahm die Jacke aus ihren Händen, zog sie über und sagte: »Segen über dich, liebes Kind.«

Und damit stand sie auf, nickte ihnen zu und ging wieder über die Wiese zurück, dem Walde zu, der nun schon finster und schweigend dastand. Die Schwestern aber blieben verwundert zurück und sprachen noch lange von der alten Frau und ihren seltsamen Worten.

Aber als sie nun ihr Abendessen bereitet hatten und zu dem Tisch gingen, auf den sie ihre Strickzeuge niedergelegt hatten, verwunderten sie sich noch viel mehr, so daß sie ihre Hände an ihr Herz drückten und sprachlos dastanden. Denn sie sahen, daß von den Nadeln der Jüngsten alle Maschen abgefallen waren, so daß nur die goldenen Nadeln leer auf einem wirren Wollknäuel lagen. Die Nadeln der fröhlichen Schwester staken zwar noch in den Maschen, aber diese waren so wirr und durcheinander gestrickt, daß es aussah, als hätte eine Katze mit dem Ganzen gespielt und es solange hin und her gerollt, bis weder Anfang noch Ende zu entdecken war.

Das größte Wunder aber war das Strickzeug der ältesten Schwester, denn an ihm flogen die eisernen Nadeln schnell und lautlos auf und ab, fügten Masche an Masche und ließen die Arbeit unter ihren Augen so schnell wachsen, daß, ehe sie sich versahen, das Werk fertig dalag, so sauber, als hätte die größte Meisterin ein Jahr lang daran gewirkt.

Da dachten sie alle drei an die alte Frau und wiederholten einander noch einmal alle Worte, die sie gesprochen hatte, und die älteste Schwester sagte ganz leise: »Es ist mir so, als sei sie von der Mutter geschickt worden.«

Nun war die Jüngste noch neidischer in ihrem Herzen, verlor die Lust an der Arbeit, da ja alle Mühe umsonst war, und saß nur so herum, putzte sich und sann nach, wie sie der alten Frau diesen Streich heimzahlen könnte. Und als die älteste Schwester das eine Weile angesehen hatte, bot sie ihr die eisernen Nadeln an und nahm die goldenen zu sich, und sobald sie diese in ihren Händen hatte, verging der böse Zauber. Aber auch die jüngste Schwester mußte sich nun bemühen, denn es wuchs ihr nichts von selbst unter den Händen, was sie nicht mit eigener Arbeit erschuf.

»So lag es also nicht an den Nadeln«, sagte die fröhliche Schwester, »sondern Gutes und Böses liegt immer am Menschenherzen.«

Die beiden anderen aber schwiegen dazu.

So ging es nun wieder eine lange Zeit, und dann lief eines Tages das Gerücht durch die Königsstadt, daß ein junger Prinz erwartet werde aus einem fernen Land, der suche sich eine Frau. Aber er trachte weder nach der Schönsten noch nach der Reichsten, sondern allein nach der, die am fleißigsten und geschicktesten in aller häuslichen Arbeit sei. Denn von den Schönen und Reichen habe er soviel Ungemach erfahren, daß er genug an ihnen habe für Lebenszeit.

Auch zu den Schwestern kam das Gerücht, und die fröhliche trieb ihren Scherz damit und meinte, gewiß sei der Prinz auf die beste Strickerin im Lande aus, und da gebe es nun Hoffnungen genug für ihre beiden Schwestern, einmal eine Krone zu tragen.

Die älteste lächelte nur auf ihre stille Weise, aber die jüngste ließ ihre Arbeit sinken und sann den Worten ihrer Schwester nach.

Als nun der Prinz angekommen war mit einem großen Hofstaat, fanden die Schwestern, sobald sie ihre Arbeit in die Stadt trugen, alles in Aufregung und Verwirrung, denn der Königssohn hatte nicht nur die Töchter der Großen geprüft, sondern Boten in alle Häuser gesendet, daß hundert Jungfrauen sich täglich in der Königshalle versammeln sollten, damit er sie von Angesicht sehen und sie prüfen könne. Und es hieß, daß er mit ihnen von der Küche in den Speicher und von dort zu den Webstühlen und von dort zu den Bienenstöcken ziehe, um nur alles mit eigenen Augen zu erkunden, was sie könnten.

Da wunderten die Schwestern sich, was für Launen es in den Köpfen der Großen gebe, und die fröhliche wurde immer mutwilliger in ihren Scherzen.

Aber als nun eines Tages ein prächtig gekleideter Bote an ihr kleines Haus klopfte und sie bat, doch am nächsten Tage in die Königshalle zu kommen, weil der Prinz von ihrer großen Kunstfertigkeit vernommen habe, vergingen der fröhlichen Schwester die Scherze, und sie bat die ältere, doch allein hinzugehen, weil sie allein den guten Ruf retten könne, der zu den Ohren des Prinzen gelangt sei.

Die Schwester aber weigerte sich und ließ nicht nach, bis sie am nächsten Morgen alle drei in die herrliche Halle traten, ihr Strickzeug in den Händen und ganz verwirrt von aller Pracht, die sie umgab.

Da sahen sie nun viele Mädchen ihres Alters über Stickrahmen und Häkelarbeit und Strickzeugen sitzen und sahen, daß der Prinz schön und freundlich war und von einer zur andern ging, um ihre Arbeit zu betrachten.

Nun hatte am Morgen die jüngste Schwester gebeten, die eisernen Nadeln behalten zu dürfen, und als der Prinz nun zu ihnen trat und seine Freude aussprach, auch die drei Schwestern zu sehen, von deren Fleiß und Sittsamkeit die Stadt erfüllt sei, geschah das Wunder, daß unter ihren Händen die Maschen genau so wuchsen und flogen wie an dem Abend, als die alte Frau die Nadeln gesegnet hatte. Da blieben der Prinz und seine Begleiter wortlos stehen, starrten auf ihre weißen Finger, die dem Gang der Nadeln kaum zu folgen vermochten, und brachen dann in Staunen und Entzücken aus.

Der Prinz warf nur einen flüchtigen Blick auf die beiden Schwestern, die still vor sich hinstrickten, sah die silbernen und goldenen Nadeln, fuhr ihnen tröstend über die gebeugten Scheitel und sagte freundlich: »Auch eure Arbeit freut mich, aber ihr seht, daß Gold und Silber nicht das Höchste im Leben sind.«

Dann ließ er alle Mädchen mit der Arbeit aufhören, belohnte sie und schickte sie mit freundlichen Worten nach Hause. Die drei Schwestern aber behielt er da, streifte der jüngsten einen Ring an den Finger, erwählte sie zu seiner Gemahlin und kündete für den Abend die Verlobungsfeier an. Die beiden anderen aber bat er, ihrer Schwester bis zur Abreise zur Hand zu gehen, sie zu schmücken und zu kleiden und zu diesem Zweck für wenige Tage im Palast zu bleiben. Er führte sie in ein prächtiges Gemach, und dort ließ er sie, indem er versprach, sie am Abend selbst zur Tafel zu führen.

Da saßen sie nun unter Gold und Seide, und die beiden Verschmähten sehnten sich nach ihrer stillen Hütte und dem Gesang der Vögel vor ihrer Schwelle. Aber da sie ihre Schwester nicht allein lassen wollten, so versuchten sie, nur an deren Glück zu denken, und breiteten die herrlichen Kleider aus, die für sie dalagen, um sie zu schmücken.

Aber nun glaubte die böse Schwester, es nicht mehr nötig zu haben, ihr Herz zu verstellen. Sie lächelte höhnisch, riß ihnen die Kleider wieder aus den Händen und sagte: »Es ist nun genug mit eurer Vormundschaft. Ihr seht nun wohl, daß andere Gold von Messing zu unterscheiden wissen. Macht euch also auf in die Küche, wo ihr hingehört, und bleibt dort, bis ich davonreite, um eine Königin zu werden. Und solltet ihr nicht gehorsam sein, so will ich dafür sorgen, daß ihr es lernt!«

Da gingen die Schwestern traurig fort, und auf der Treppe weinte die fröhliche, aber die andere tröstete sie und sagte: »Sei gewiß, daß es ihr nicht zum Segen gereichen wird. Es hat mir von unserer Mutter geträumt, und ich weiß, daß sie uns nicht verlassen wird.«

So blieben sie nun den ganzen Tag in der Hofküche, und alle waren freundlich zu ihnen und meinten, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe.

Am Abend aber war die Tafel in der Königshalle mit Gold und Silber und Blumen geschmückt, und der Prinz saß mit seiner Verlobten zu Häupten der Tafel, neben dem alten König, und die Musikanten spielten auf, und die Köche und Diener liefen mit Speisen und Wein, und alles war eitel Glanz und Fröhlichkeit.

Aber wie der Prinz nun aufstehen wollte, um dem ganzen Hofstaat seine Verlobung anzukündigen, sah er, daß die beiden Schwestern an der Tafel fehlten, und er fragte leise nach ihnen. Da lächelte die Braut spöttisch und sagte: »Sie haben so gierig gegessen und getrunken den ganzen Tag, daß ihnen nun übel ist und sie nicht kommen können.«

Da war der Prinz etwas verwundert, sagte aber nichts und stützte wieder die Hände auf die Lehnen seines Sessels, um aufzustehen.

Aber da verstummte plötzlich die Musik, Gespräche und Gelächter verstummten, die Köche und Diener blieben stehen, wo sie gerade standen, und eine tiefe Stille fiel über den ganzen Saal. Denn die breite Mitteltür hatte sich lautlos geöffnet, und eine alte, ärmlich gekleidete Frau, die etwas verwachsen war, kam über die glänzenden Marmorfliesen quer durch den Saal auf den Platz zugegangen, wo der Prinz saß, verneigte sich vor ihm und sagte: »Willst du dein neues Leben damit beginnen, daß du Herzeleid zufügst und die beiden Schwestern deiner Braut am Küchenherd stehen lassest, indes diese hier in Samt und Seide thront?«

Da wurde der Prinz verwirrt, entschuldigte sich und sagte, daß die Schwestern krank seien, wie ihm berichtet worden sei.

»Ein König kann nicht von Berichten leben«, sagte die Frau, »sondern von seinen eigenen Augen. Schicke also deinen Kämmerer um sie!«

Und kurz darauf führte der Kämmerer die Schwestern in die Halle, aber sie waren ärmlich gekleidet und schämten sich.

Da begrüßte der Prinz sie freundlich, ließ ihnen Platz neben ihrer Schwester machen und fragte die Frau, ob sie nun zufrieden sei.

»Das warte nun ab, junger Herr«, erwiderte die Frau, »und laß mich zuvor meine Gaben verteilen.«

Und sie legte vor jede der drei Schwestern ein graues Wollknäuel und drei einfache Nadeln und sagte: »Nun, liebe Töchter, beginnt damit, diese Knäuel abzustricken, dann werdet ihr in jedem von ihnen eine Gabe finden, die euch wohl anstehen wird.«

Und während in der großen Halle nach wie vor tiefes Schweigen war, begannen die Schwestern zu tun, was ihnen befohlen war, und man hörte nichts als das leise Klappern der Nadeln, die aneinanderstießen.

Der Prinz aber hatte sich von seinem Sessel erhoben und über den Tisch gebeugt, denn was er sah, kam ihm seltsam genug vor. Indes nämlich die Arbeit der ältesten Schwester ihr unter den Händen so schnell wuchs, daß ihre Finger den Nadeln kaum zu folgen vermochten und auch die der fröhlichen Schwester ordentlich und stetig vonstatten ging, fiel von den Nadeln der Braut Masche um Masche auf das weiße Tafeltuch und ringelte sich dort zu merkwürdigen Figuren, die wie tausendgliedrige Würmer ihre Bewegung beibehielten.

Da erhoben sich auch der alte König und die Gäste und blickten auf die Hände der drei Schwestern, und auch die Köche und Diener stellten sich auf die Fußspitzen und warteten, wie das enden würde.

Und als die Knäuel abgestrickt waren, blieben drei runde Kugeln auf dem Tisch liegen, die waren aus reinem Gold und ließen sich in der Mitte auseinanderschrauben, und als die Finger der ältesten Schwester den Deckel abgehoben hatten, richtete sich aus der halben Kugel die wunderbare Gestalt eines Engels auf, der war nur so groß wie eine halbe Spanne, trug zwei Flügel an den Schultern, die schimmerten wie Schmetterlingsflügel, und eine altertümliche Geige im linken Arm. Die hob er nun ans Kinn, strich leise mit dem Bogen darüber, und zu den sanften, wunderbaren Tönen sang er mit lieblicher Stimme, so lieblich, daß allen Gästen das Herz still stehen wollte:

»Meine Mutter war mir hold,
meine Nadeln sind von Gold,
aber goldner als Edelstein
ist mein Herz, denn mein Herz ist rein.«

Und als der Engel so gesungen hatte, ließ er die Geige sinken, setzte sich auf den Rand der geteilten Kugel, faltete die winzigen Hände über dem Geigenbogen und blickte lächelnd auf die goldene Kugel, die die fröhliche Schwester nun mit zitternden Fingern öffnete.

Und als sie die Hälften auseinandergetan hatte, stieß jeder [einzelne] der Gäste einen Laut des Entzückens aus, denn aus dem goldenen Rund schwebte die Gestalt einer kleinen Tänzerin, die war in silberne Schleier gekleidet, so zart wie Nebel vor dem Sonnenaufgang, und sie hob eine kleine goldene Flöte an die Lippen und spielte darauf ein Tanzlied, und dazu drehte und wendete sie sich auf dem weißen Tafeltuch zwischen Bechern und Schalen, daß niemand seine Augen von dem holdseligen Schauspiel wenden konnte.

Und als sie so getanzt hatte, ließ sie die kleine Flöte sinken, setzte sich auf den Rand der geteilten Kugel, faltete die winzigen Hände über die Flöte und sah lächelnd zu, wie die jüngste Schwester mit stolzem und zuversichtlichem Gesicht ihre goldene Kugel öffnete.

Aber da schrien die Gäste und der Prinz und die Schwestern wie aus einem Munde auf, denn aus der Höhlung stieg der schmale Leib einer dunkelgrauen Schlange, hob mit einem häßlichen Zischen die gespaltene Zunge gegen die jüngste Schwester und glitt dann zwischen Bechern und Schalen so eilig über das Tafeltuch, daß sie verschwunden war, ehe auch nur einer der Gäste Atem geholt hatte. Und alle sahen, daß sie die heruntergefallenen Maschen aus dem Strickzeug der Braut hinter sich her zog wie einen tausendfüßigen Wurm, und sie entsetzten sich über die Maßen.

Da legte die alte Frau ihre Hand auf die Schulter des Prinzen und sagte: »Möchtest du nun erkennen, junger Herr, daß die Wahrheit manchmal in eines Menschen Mund und manchmal in einer goldenen Kugel wohnt.«

Und sie nahm die älteste Schwester bei der Hand, führte sie auf den Ehrenplatz und sagte: »So wie du die Füße deiner alten Mutter an deinem Herzen gewärmt hast, so soll dein Volk sich an deinem Herzen wärmen. Diesen Engel aber nimm mit dir, daß er den Großen deines Reiches ab und zu vorsinge, was not tut. Und wenn du deinen ersten Sohn in der Wiege liegen hast, will ich von neuem bei dir einkehren und ihm eine Gabe reichen. Und nun soll dein Scheitel abermals gesegnet sein.«

Und als sie das gesagt hatte, erschien auf dem Scheitel der Schwester eine goldene Krone, und der Prinz und alle Großen beugten ihre Knie vor ihr, und die fröhliche Schwester tanzte weinend um sie herum.

Die verstoßene Braut aber schlich sich heimlich davon, und ihr letzter verstohlener Griff war nach der goldenen Kugel, aus der die Schlange entwichen war. So daß sie doch wenigstens etwas in ihr neues Leben mitnahm.

* * *


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