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24.
Die Ankunft der Aeroplanen

Zwei Leute in Blaßblau lagen in der unregelmäßigen Linie, die sich am Rand der genommenen Bühne Roehampton von einem Ende bis zum andern erstreckte, und spähten, die Karabiner in den Händen, in die Schatten der Wimbledon Park genannten Bühne nieder. Hin und wider sprachen sie miteinander. Sie sprachen das verstümmelte Englisch ihrer Klasse und Zeit. Das Feuer der Ostrogiten hatte sich verzogen und aufgehört, und seit einiger Zeit hatte man nur noch wenige vom Feind gesehen. Aber das Echo des Kampfes, der weit unten in den unteren Galerien jener Bühne tobte, hallte immer wieder in das Staccato der Schüsse auf der Seite des Volkes. Einer von diesen Leuten schilderte dem andern, wie er einen Mann sich da unten habe hinter einen Pfeiler ducken sehen, und er hatte aufs Geratewohl gezielt und ihn genau getroffen, als er sich zu weit duckte. »Er liegt noch da unten,« sagte er Treffer. »Sieh den kleinen Fleck da. Ja. Zwischen den Stangen da.« Ein paar Meter hinter ihnen lag ein toter Fremder, das Gesicht zum Himmel aufgewandt, dem die blaue Leinwand seiner Jacke in einem Kreis um das scharfe Kugelloch in der Brust herum glomm. Dicht neben ihm saß ein Verwundeter mit einem umwickelten Bein ausdruckslosen Gesichtes da und beobachtete diesen Brennprozeß. Gigantisch lag hinter ihnen, quer über dem Träger, der genommene Aeropil.

»Ich kann ihn nicht mehr sehen,« sagte der Zweite im Ton der Herausforderung.

Der Treffer begann in seinem ernsten Bemühen, die Dinge klar zu machen, zu schimpfen und zu schreien. Und plötzlich unterbrach ihn ein lärmendes Rufen aus der Unterbühne.

»Was ist jetzt los?« sagte er und hob sich auf einen Arm, um nach den Treppen in der Mittelrinne der Bühne zu blicken. Eine Anzahl blauer Gestalten kamen da heraufgeschwärmt und über die Bühne zum Aeropil.

»Wir brauchen all die Narren nicht,« sagte sein Freund. »Die drängen sich bloß und verderben einem den Schuß. Was wollen sie?«

»Sch! – sie rufen etwas.«

Die beiden lauschten. Die wimmelnden Ankömmlinge hatten sich dicht um den Aeropil gedrängt. Drei Bezirksführer, die durch ihre schwarzen Mäntel und Abzeichen auffielen, kletterten in den Rumpf hinein und erschienen darüber. Die ganze Reihe schwang sich auf die Flügel, indem sie die Kanten faßten, bis der ganze Umriß des Dinges bemannt war, stellenweise drei Mann tief. Einer der Treffer kniete auf. »Sie bringen ihn auf den Träger – das wollen sie.«

Er sprang auf die Füße, sein Freund gleichfalls. »Was soll's nützen?« sagte sein Freund. »Wir haben keine Aeronauten.«

»Auf jeden Fall tun sie's.« Er sah nach seinem Gewehr, sah auf die wimmelnde Menge und wandte sich plötzlich an den Verwundeten. »Hebt mir das auf, Maat,« sagte er und gab ihm Karabiner und Patronengürtel; und im Nu lief er zum Aeropil. Eine Viertelstunde lang war er ein schwitzender Titane, schleppte, schob, rief, hörte auf Rufe, und dann war es getan, und er stand mit einer Menge von anderen da, die ihrer eigenen Leistung ein Hurra riefen. Mittlerweile wußte er, was überhaupt in der Stadt jedermann wußte, daß der Herr, ein so ungeübter Lehrling er auch war, diese Maschine selber zu lenken gedachte, ja, daß er schon komme, sie in die Hand zu nehmen, und es keinen anderen versuchen lassen wollte. »Wer die größte Gefahr auf sich nimmt, wer die schwerste Bürde trägt, der ist König,« so, berichtete man, hatte der Herr gesprochen. Und während dieser Mann noch Hurra schrie, und während sich die Schweißtropfen noch aus dem Wirrwarr seines Haares herjagten, hörte er den Donner eines größeren Aufruhrs und in mutwilligen Fetzen den Rhythmus und Drang des Revolutionsliedes. Er sah durch eine Lücke im Volk, daß noch immer ein dichter Strom von Köpfen die Treppe heraufkam. »Der Herr kommt,« riefen Stimmen, »der Herr kommt,« und die Menge um ihn wurde dichter und dichter. Er begann sich zur Mittelrinne zu drängen. »Der Herr kommt!« »Der Schläfer, der Herr!« »Gott und der Herr!« So brüllten die Stimmen.

Und plötzlich sah er ganz nah vor sich die schwarzen Uniformen der Revolutionswache, und zum ersten- und letztenmal in seinem Leben sah er Graham, sah ihn ganz aus der Nähe. Einen großen, dunklen Mann in wallendem, schwarzem Gewand mit weißem, entschlossenem Gesicht und fest vor sich hin gerichteten Augen; einen Mann, der für all die kleinen Dinge um ihn her weder Ohren noch Augen noch Gedanken hatte ... All seine Tage lang vergaß dieser Mann nicht, wie Grahams blutloses Gesicht an ihm vorbeigezogen war. Im Nu war es vorbei, und er kämpfte in der schwankenden Menge. Ein Bursche, der vor Schreck weinte, prallte gegen ihn, indem er nach den Treppen drängte und schrie: »Klar für den Aeropilen!« Die Glocke, die die Flugbühne klar macht, wurde zu einem lauten, unmelodischen Dröhnen.

Mit diesem Dröhnen im Ohr trat Graham zum Aeropilen und in den Schatten seines kippenden Flügels. Er merkte, daß sich eine Anzahl von Leuten rings um ihn erboten, ihn zu begleiten, und winkte ihnen ab. Er wollte Nachdenken, wie man die Maschine startete. Die Glocke dröhnte schneller und schneller, und die Füße des davonlaufenden Volkes brüllten schneller und lauter. Der Mann in Gelb half ihm durch die Rippen des Rumpfes zu steigen. Er kletterte auf den Aeronautenplatz und setzte sich sehr sorgfältig und überlegt fest. Was gab es? Der Mann in Gelb zeigte auf zwei Aeropilen, die im südlichen Himmel emporstiegen. Ohne Zweifel schauten sie nach den kommenden Aeroplanen aus. Das – sofort – was sofort geschehen mußte, war der Start. Man rief ihm allerlei zu, Fragen, Warnungen. Sie belästigten ihn. Er wollte an den Aeropilen denken, sich jeden Punkt seiner früheren Erfahrung ins Gedächtnis zurückrufen. Er winkte das Volk fort, sah den Mann in Gelb von den Rippen niederspringen, sah die Menge die Schützenlinie hinunter durch seine Geste gespalten.

Einen Moment saß er regungslos, starrte auf die Hebel, das Rad, durch das der Motor hin und her rückte, und all die feinen Vorrichtungen, von denen er so wenig wußte. Sein Auge fiel auf eine Spirituswage mit der Luftblase auf ihn zugerichtet und er verbrachte ein Dutzend Sekunden damit, den Motor nach vorn zu schwingen, bis die Blase in der Mitte des Rohrs schwamm. Er merkte, daß das Volk nicht mehr schrie, wußte, die beobachteten seine Überlegung. Eine Kugel schlug auf die Stange über seinem Kopf. Wer hatte gefeuert? War die Linie klar vom Volk? Er stand auf, um nachzusehen, und setzte sich wieder.

In der nächsten Sekunde wirbelte der Propeller und er jagte die Schienen hinunter. Er faßte das Rad und schwang den Motor zurück, um den Steven zu heben. Da jubelte das Volk. Im nächsten Moment pochte er im Stoßen des Motors, und das Rufen schwand schnell nach hinten, stürzte in die Stille hinab. Der Wind pfiff über die Ränder des Schirms, und die Welt versank sehr schnell unter ihm.

Eins, zwei, drei – ein, zwei, drei; aufwärts stieg er. Er glaubte von jeder Aufregung frei zu sein, fühlte sich kühl und überlegt. Er hob den Steven noch mehr, öffnete eine Klappe auf seinem linken Flügel und fegte herum und empor. Er blickte ruhigen Kopfes hinab und empor. Einer der Ostrogitischen Aeropile flog quer durch seinen Kurs, so daß er schräg darauf zuflog und in steilem Winkel unter ihm passieren mußte. Die kleinen Aeronauten spähten auf ihn herab. Was wollen sie? Sein Geist wurde aktiv. Einer, sah er, hielt eine Waffe und zielte, schien zu feuern bereit. Im Nu verstand er ihre Taktik, und sein Entschluß war gefaßt. Seine momentane Lethargie war vergangen. Er öffnete noch zwei Klappen nach links, drehte sich, richtete das Ende auf diese feindliche Maschine, schloß seine Klappen und schoß gerade darauf los; Steven und Windschirm schützten ihn vor dem Schuß. Sie kippten ein wenig, als wollten sie über ihm weg. Er warf seinen Steven in die Höhe.

»Ein, zwei, drei – Pause – ein, zwei – er kniff die Zähne zusammen, zog eine unwillkürliche Grimasse – und krach! Er schlug auf! Er stieß unter dem näheren Flügel auf.

Sehr langsam schien der Flügel seines Gegners breiter zu werden, als der Anprall seines Stoßes ihn hob. Er sah seine volle Breite, und dann glitt er abwärts außer Sicht.

Er fühlte, daß sein Steven abwärts ging, seine Hände griffen die Hebel fester, wirbelten und schoben die Maschine zurück. Er fühlte den Ruck eines Sprunges, die Nase der Maschine ruckte steil in die Höhe, und einen Moment war ihm, als läge er auf dem Rücken. Die Maschine wankte und taumelte, sie schien auf ihrer Schraube zu tanzen. Er machte eine gewaltige Anstrengung, hing einen Moment an den Hebeln, und langsam kam die Maschine wieder nach vorn. Er flog nach oben, aber nicht mehr so steil. Er keuchte einen Moment und warf sich wieder auf die Hebel. Der Wind pfiff um ihn. Noch eine Anstrengung und er lag fast wagerecht. Er konnte atmen. Zum erstenmal wandte er den Kopf, um zu sehen, was aus seinen Gegnern geworden war. Wandte sich noch einen Moment wieder zu den Hebeln und sah sich dann wieder um. Einen Moment hätte er glauben können, sie seien vernichtet. Und dann sah er, zwischen den beiden Bühnen nach Osten war ein Abgrund, und dahinter fiel etwas, eine schmale Kante, und verschwand schnell, wie ein Groschen einen Spalt hinabfällt.

Erst begriff er nicht, und dann erfaßte ihn ein wilde Freude. Er jubelte laut auf, einen unartikulierten Ruf, und höher und höher flog er zum Himmel auf. Eins, zwei, drei – Pause – ein, zwei, drei. »Wo blieb der andere Aeropil?« dachte er. »Auch die –« Als er sich im leeren Himmel umsah, kam ihn eine momentane Angst an, diese Maschine könne über ihn gestiegen sein, und dann sah er sie auf der Norwood-Bühne landen. Sie hatten schießen wollen. Die Gefahr, zweitausend Fuß hoch vom Boden jäh in den Grund gebohrt zu werden, überstieg jedoch ihren modernen Mut. Der Kampf war abgelehnt.

Eine kleine Weile kreiste er, dann stieß er in steilem Abstieg auf die westliche Bühne hinab.

Eins, zwei, drei – eins, zwei, drei. Das Zwielicht kam rasch heraufgeschlichen, der Rauch von der Streatham-Bühne her, der so dicht und dunkel gewesen war, war jetzt eine Feuersäule, und all die verschlungenen Kurven der Gleitwege, und die durchsichtigen Dächer und Kuppeln und die Abgründe zwischen den Gebäuden glühten jetzt weich, erleuchtet vom gemilderten Strahlen des elektrischen Lichtes, das der Tagesglanz überwältigte. Die drei brauchbaren Bühnen, die die Ostrogiten noch behaupteten – denn Wimbledon Park war wegen des Feuerns von Roehampton aus nutzlos, und Streatham stand in Flammen – glühten vor Führerlichtern für die kommenden Aeroplanen. Als er über die Roehampton-Bühne fegte, sah er die dunklen Volksmassen darauf. Er hörte den Donner wahnsinnigen Jubels, hörte eine Kugel von der Wimbledon Park-Bühne durch die Luft pfeifen und stieg über Surrey empor. Er fühlte einen Windhauch von Südwesten her und hob den westlichen Flügel, wie er es gelernt hatte, und fuhr so schräg in die dünne, rasche höhere Luft empor. Eins, zwei, drei – eins, zwei, drei.

Aufwärts fuhr er und aufwärts mit jenem Rhythmus, bis das Land unten blau und undeutlich wurde und London sich wie eine kleine lichtgezeichnete Landkarte dehnte, wie das bloße Modell einer Stadt am Rande des Horizonts. Der Südwesten war ein Himmel von Saphiren über dem schattigen Rand der Welt, und während er emporfuhr, mehrten sich die Mengen der Sterne.

Und siehe! Im Süden tief unten, und rasch näher glitzernd, erschienen zwei kleine Flecken nebligen Lichtes. Und dann noch zwei, und dann ein Nebelschein schnell fliegender Gestalten. Dann konnte er sie zählen. Es waren vierundzwanzig. Die erste Aeroplanenflotte war gekommen! Dahinter erschien ein noch größerer Schein.

Er fegte in einem Halbkreis herum und starrte auf die sich nahende Flotte. Sie flog in keilförmigem Zug, ein dreieckiger Flug riesenhafter, phosphoreszierender Gestalten, die durch die untere Luft heranfegten. Er stellte eine schnelle Berechnung ihrer Geschwindigkeit an und drehte das kleine Rad, das die Maschine nach vorne brachte. Er berührte einen Hebel, und die pochende Anstrengung des Motors hörte auf. Er begann zu fallen, fiel immer schneller. Er zielte auf den Kopf des Keils. Er schoß wie ein Stein durch die pfeifende Luft. Es schien kaum eine Sekunde seit dem Aufschwung vergangen, als er den ersten der Aeroplanen traf.

Keiner aus der ganzen schwarzen Menge sah sein Schicksal kommen, keiner von ihnen träumte von dem Falken, der aus dem Himmel auf ihn niederschoß. Die, die nicht von der Luftkrankheit lahm waren, reckten ihre schwarzen Hälse, um die neblige Stadt zu sehen, die aus dem Nebel stieg, die reiche und glänzende Stadt, in die »Massa Ostrog« ihre gehorsamen Muskel gerufen hatte. Glänzende Zähne blitzten, und die glatten Gesichter leuchteten. Sie hatten von Paris gehört. Sie wußten, sie würden herrliche Zeiten haben unter der »armen weißen« Spreu. Und plötzlich traf Graham sie.

Er hatte auf den Rumpf des Aeroplans gezielt, aber im letzten Augenblick war ihm ein besserer Gedanke aufgeblitzt. Er wand sich herum und traf mit all seinem gesteigerten Gewicht nahe am Rand des Steuerbordflügels. Er prallte zurück, als er auftraf. Sein Steven glitt über die glatte Fläche bis zum Rand. Er fühlte, wie der Schwung des Riesenbaus ihn und seinen Aeropil mitriß, und einen Moment, der eine Ewigkeit schien, konnte er nicht sagen, was vorging. Er hörte tausend Kehlen gellen und sah, daß die Maschine auf dem Rand des gigantischen Floßes balanzierte und abwärts, abwärts flog; er blickte über die Schulter und sah die Wirbelsäule des Aeroplans und den gegenüberliegenden Flügel emporkippen. Er sah durch die Rippen gleitende Stühle, starrende Gesichter und Hände, die nach den kippenden Führstangen griffen. Die Fenster im andern Flügel blitzten auf, als der Aeronaut das Gleichgewicht wieder herzustellen suchte. Dahinter sah er das zweite der Aeroplane steil aufspringen, um dem Wirbel des kippenden ersten auszuweichen. Die breite Fläche stürmender Flügel schien emporzurucken. Er fühlte, sein Aeropil war klar gekommen und der ungeheure Bau hing, glatt umgekippt, wie eine hängende Mauer über ihm.

Ihm war nicht ganz klar, daß er den Seitenflügel des Aeroplans getroffen und abgerutscht war, aber er sah, daß er frei abwärtsgleitend flog und sich rasch der Erde näherte. Was hatte er getan? Ihm pochte das Herz wie eine geräuschvolle Maschine in der Kehle, und einen gefährlichen Moment hindurch konnte er wegen der Lähmung seiner Hände die Hebel nicht bewegen. Er rang an den Hebeln, um seinen Motor zurückzuwerfen, kämpfte zwei Sekunden lang gegen sein Gewicht, fühlte, wie er zurecht kam, horizontal flog, und setzte den Motor wieder in Gang.

Er blickte empor und sah zwei Aeroplanen weit zu Häupten schreiend dahingleiten, blickte zurück und sah die Hauptmasse der Flotte sich öffnen und empor und nach außen stürmen; sah die Maschine, die er getroffen hatte, über die Kante stürzen und wie eine riesige Messerklinge an den Windrädern darunter entlang schneiden.

Er senkte seinen Stern und blickte wieder hin. Er fuhr aufwärts, ohne auf seine Richtung zu achten, während er beobachtete. Er sah die Windflügel nachgeben, sah den Riesenbau auf die Erde schlagen, sah seine unteren Flügel unter dem Gewicht des Sturzes zerknittern und dann die ganze Masse Umschlagen und umgekehrt auf den kreisenden Rädern zerschmettern. Eins, zwei, drei, Pause. Plötzlich flackerte von den schwellenden Trümmern eine dünne Zunge weißen Feuers zum Zenith empor. Und dann wurde er sich einer riesigen Masse bewußt, die durch die Luft auf ihn zuschoß, und wandte sich gerade noch rechtzeitig empor, um dem Angriff – denn es war ein Angriff – eines zweiten Aeroplans auszuweichen. Es wirbelte unten vorbei, zog ihn einen Faden hinab und stürzte ihn im Sturm seines nahen Fluges fast um.

Er sah, wie drei weitere auf ihn zustürzten, sah die dringende Notwendigkeit, über sie zu kommen. Überall rings um ihn waren Aeroplanen und kreisten wild, um ihm auszuweichen, wie es schien. Sie flogen an ihm vorbei, über ihm, unter ihm, nach Osten und Westen. Weit nach Westen hörte er den Donner einer Kollision, und sah er zwei stürzende Flammenscheine. Weit im Süden kam eine zweite Schwadron. Stetig stieg er empor. Plötzlich waren all die Aeroplanen unter ihm, aber einen Moment war er über seine Höhe über ihnen im Zweifel und fegte nicht wieder hinab. Und dann stürzte er auf ein zweites Opfer, und die ganze Soldatenladung sah ihn kommen. Die große Maschine kippte und schwankte, als die vor Furcht wahnsinnigen Menschen nach ihren Waffen in den Stern kletterten. Ein Dutzend Kugeln sangen durch die Luft, und in dem dicken, gläsernen Windschirm, der ihn schützte, blitzte ein Stern auf. Der Aeroplan flog langsamer und senkte sich, um einen Stoß auszugleichen, und senkte sich zu tief. Gerade noch rechtzeitig sah er die Windräder von Bromley Hill gegen sich emporstürmen und schwenkte herum und empor, als der Aeroplan, den er gejagt hatte, zwischen ihnen zerschmetterte. All die Stimmen verwoben sich zu einem Filz des Gellens. Der große Bau schien eine Sekunde lang zwischen den kreisenden und splitternden Flügeln auf der Kante zu stehen, und dann zerschmetterte er in Stücke. Riesensplitter kamen durch die Luft geflogen, seine Maschinen platzten wie Eierschalen. Ein heißer Flammenstrom schoß oben in den dunklen Himmel.

» Zwei!« rief er, und eine Bombe von oben zerplatzte im Sturz, und er pochte wieder aufwärts. Jetzt hatte ihn eine glorreiche Heiterkeit erfaßt, eine Riesenaktivität. Seine Bedenken um die Menschlichkeit, um seine Untüchtigkeit waren auf ewig vergangen. Er war ein Mann in der Schlacht, der sich seiner Kraft freut. In jeder Richtung schienen Aeroplanen von ihm auszustrahlen, bemüht, ihn zu meiden, und das Schreien ihrer gedrängten Passagiere drang in kurzen Schauern zu ihm, wenn sie vorüberfegten. Er wählte ein drittes Wild und kippte es nur auf die Kante. Es entkam ihm, um an der großen Klippe der Mauer von London zu zerschmettern. Als er vor diesem Anprall floh, schoß er so nah am Boden hin, daß er ein erschrecktes Kaninchen einen Hang konnte emporhüpfen sehen. Er sprang steil auf und sah, wie er, rings um sich freie Luft, über Südlondon hinschoß. Rechts von ihm dröhnte ein wilder Aufruhr von Signalraketen der Ostrogiten wirr in der Luft. Im Süden flammten die Wracks von einem halben Dutzend Luftschiffen, und im Osten, Westen und Norden flohen die Luftschiffe vor ihm. Sie fuhren nach Osten und Norden davon und flogen im Süden hin und her, denn sie konnten in der Luft nicht anhalten. In ihrer gegenwärtigen Verwirrung hätte jeder Versuch zur Schwenkung unheilvolle Kollisionen bedeutet. Er konnte sich kaum klar machen, was er getan hatte. Auf allen Seiten flohen die Aeroplane. Sie flohen. Sie wurden immer kleiner. Sie waren in die Flucht geschlagen!

Er flog etwa zweihundert Fuß über der Roehampton-Bühne hin. Sie stand schwarz voll Volk und dröhnte von wahnsinnigem Jubeln. Aber warum war auch die Wimbledon Park-Bühne schwarz und jubelte auch? Der Rauch und die Flammen von Streatham verbargen jetzt die drei weiteren Bühnen. Er schlug einen Bogen und bekam sie und die nördlichen Quartiere in Sicht. Zuerst tauchten hinter dem Rauch die viereckigen Massen von Shooters Hill auf, erleuchtet und regelrecht mit dem gelandeten Aeroplan und seinen sich ausschiffenden Negern. Dann kam Blackheath und dann unter der Ecke des Dunstes die Norwood-Bühne. Auf Blackheath war kein Aeroplan gelandet, aber ein Aeropil lag offen auf den Führstangen. Norwood war von einem Schwarm kleiner Gestalten bedeckt, die in leidenschaftlicher Verwirrung hin und her liefen. Warum? Plötzlich verstand er. Die hartnäckige Verteidigung der Flugbühnen war vorbei, das Volk strömte in die unteren Wege dieser letzten Festungen von Ostrogs Usurpation hinein. Und dann kam von fern am nördlichen Rand der Stadt, voll glorreichen Klanges für ihn, ein Ton herüber, eine Note des Triumphs, der bleierne Knall einer Kanone. Die Lippen trennten sich ihm, sein Gesicht zuckte vor Erregung.

Er holte gewaltig Atem. »Sie gewinnen,« rief er der leeren Luft zu; »das Volk gewinnt!« Der Knall einer zweiten Kanone kam wie eine Antwort. Und dann sah er den Aeropilen auf Blackheath seine Schienen niederlaufen, um sich aufzuschwingen. Er hob sich und stieg. Er schoß in die Luft empor und flog grad nach Süden und von ihm fort.

Im Nu war ihm klar, was das bedeutete. Das mußte Ostrog auf der Flucht sein. Er schrie auf und schoß darauf zu. Er hatte die bewegende Kraft seiner Höhe und fiel schräg durch die Luft und sehr schnell. Als er nahte, stieg der andere steil empor. Er rechnete mit seiner Geschwindigkeit und schoß genau drauf los.

Plötzlich wurde der andere zur bloßen flachen Kante, und siehe! er war an ihm vorbei und schoß mit aller Kraft seines nichtigen Stoßes wahnsinnig abwärts.

Er war rasend vor Wut. Er riß die Maschine an ihrem Schaft zurück und kreiste in die Höhe. Er sah Ostrogs Maschine vor sich eine Spirale schlagen. Er stieg senkrecht auf sie los, holte sie kraft des Schwunges seines Abstiegs und kraft des Vorteils, daß er einen Mann weniger trug, ein, schoß jäh hinab – schoß hinab und fehlte noch einmal. Als er vorbeijagte, sah er das Gesicht von Ostrogs Aeronauten zuversichtlich und kühl und in Ostrogs Haltung eine zuckende Entschlossenheit. Ostrog blickte fest von ihm fort – nach Süden. Ihm wurde mit einem Blitz der Wut klar, wie stümperhaft sein Flug sein mußte. Unten sah er die Croydon Hügel. Er ruckte in die Höhe, und noch einmal kam er über seinen Feind.

Er blickte über die Schulter, und seine Aufmerksamkeit wurde von etwas Seltsamem gefesselt. Die östliche Bühne, die auf Shooters Hill, schien sich zu heben; ein Blitz wurde zu einer hohen, grauen Gestalt, eine verkappte Figur aus Rauch und Staub sprang in die Luft. Einen Moment blieb diese Figur regungslos stehen, indem sie riesige Metallmassen von den Schultern fallen ließ, und dann begann sie einen dichten Rauchkopf aufzuwirbeln. Das Volk hatte sie in die Luft gesprengt, die Bühne mitsamt dem Aeroplan! Ebenso plötzlich sprang ein zweiter Blitz und eine graue Gestalt von der Norwood-Bühne auf. Und als er noch dahin starrte, kam ein stumpfer Knall, und die Luftwelle der ersten Explosion traf ihn. Er wurde empor und zur Seite geschleudert.

Einen Moment stürzte der Aeropil fast auf der Kante mit der Nase nach unten nieder; er schien zu zögern, ob er ganz umschlagen sollte. Graham stand auf seinem Windschirm und riß an dem Rad, das ihm über den Kopf emporschlug. Und dann faßte der Stoß der zweiten Explosion seine Maschine von der Seite.

Er fand, daß er an einer der Rippen seiner Maschine hing, und die Luft blies an ihm vorbei und nach oben! Er schien in der Luft ganz still zu hängen, und der Wind zu ihm emporzublasen. Ihm kam der Gedanke, er falle. Dann war er sicher, daß er fiel. Er konnte nicht niederblicken.

Er fühlte, wie er mit unglaublicher Geschwindigkeit alles rekapitulierte, was seit seinem Erwachen geschehen war, die Tage des Zweifels, die Tage der Herrschaft, und schließlich die stürmische Entdeckung von Ostrogs berechnetem Verrat. Er war geschlagen, aber London war gerettet! London war gerettet!

Der Gedanke hatte etwas absolut Unwirkliches. Wer war er? Warum hielt er sich so mit den Händen fest? Warum konnte er nicht loslassen? Mit einem solchen Sturz haben zahllose Träume geendet. Aber in einem Moment mußte er erwachen ...

Seine Gedanken liefen immer schneller. Er fragte sich, ob er Helene wiedersehen werde. Es schien so unvernünftig, daß er sie nicht wiedersehen sollte. Es mußte ein Traum sein! Sicher mußte er ihr noch begegnen. Sie wenigstens war wirklich. Sie war wirklich. Er mußte erwachen und sie Wiedersehen.

Obgleich er nicht hinsah, war er sich plötzlich bewußt, daß die Erde sehr nahe war.


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