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16.
Der Aeropile

Eine Weile war Graham, als er mit Lincoln durch die Gänge des Windfahnenamts ging, zerstreut. Aber er nahm sich zusammen und achtete bald auf die Dinge, die Lincoln sagte. Bald schwand seine Zerstreutheit. Lincoln sprach vom Fliegen. Graham wünschte sehr, mehr von dieser neuen Errungenschaft des Menschen zu erfahren. Er begann Lincoln mit Fragen zu bedrängen. Er hatte in seinem früheren Leben die rohen Anfänge der Luftschiffahrt sehr genau verfolgt; er war entzückt, die ihm vertrauten Namen Maxim und Pilcher, Langley und Chanute und vor allem den des Protomärtyrers der Luftschiffahrt, Lilienthals, noch bei den Menschen in Ehren zu finden.

Schon während seines früheren Lebens hatten zwei Untersuchungslinien deutlich auf zwei unterschiedene Typen als mögliche Vorrichtungen hingewiesen, und beide waren Wirklichkeit geworden. Auf der einen Seite stand die große, maschinengetriebene Aeroplane, eine Doppelreihe horizontaler Flügel mit einer großen Luftschraube hinten, und auf der anderen der behendere Aeropile. Die Aeroplanen flogen sicher nur bei Windstille oder mäßigem Wind, und plötzliche Stürme, Ereignisse, die jetzt genau voraussagbar waren, machten sie für alle Zwecke nutzlos. Sie wurden in ungeheurer Größe gebaut – die gewöhnliche Flügelweite betrug sechshundert Fuß oder mehr, und die Länge des Baus tausend Fuß. Sie waren nur für Personenverkehr. Der leichtgeschwungene Wagen, den sie trugen, war hundert bis hundertundfünfzig Fuß lang. Er war auf eine besondere Art aufgehängt, um die komplizierten Schwingungen, die selbst ein mäßiger Wind hervorrief, auf ein Minimum zurückzuführen, und aus demselben Grunde waren die kleinen Sitze im Wagen – der Passagier blieb während der Reise sitzen – mit großer Bewegungsfreiheit aufgehängt. Die Auffahrt des Mechanismus war nur von einem gigantischen Karren auf den Schienen eines besonders dazu erbauten Gerüstes aus möglich. Graham hatte die riesigen Gerüste, die Flugbühnen, vom Krähennest aus gut gesehen. Sechs riesige leere Flächen waren es, jede mit einer gigantischen »Träger«-Bühne darauf.

Die Auswahl des Abstiegs war in gleicher Weise umschrieben, da eine absolut ebene Fläche zur sicheren Landung nötig war. Abgesehen von der Zerstörung, die der Abstieg dieser riesigen Masse von Segeln und Metall angerichtet hätte, und von der Unmöglichkeit, wieder emporzusteigen, hätte die Erschütterung einer unebenen Oberfläche, zum Beispiel eines baumbesetzten Hügelhangs oder einer Böschung genügt, die Rippen des Rumpfes zu zerschmettern und vielleicht die Leute an Bord zu töten.

Erst fühlte Graham sich von diesen schwerfälligen Vorrichtungen enttäuscht, aber bald begriff er die Tatsache, daß die kleineren Maschinen sich nicht gelohnt hätten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ihre Tragkraft bei verringerter Größe unverhältnismäßig abnehmen würde. Obendrein befähigte die riesige Größe dieser Maschinen sie – und das war eine Erwägung von primärer Bedeutung – die Luft mit ungeheurer Geschwindigkeit zu durchfahren und so die Gefahren unvorhergesehenen Wetters zu vermeiden. Die kürzeste befahrene Strecke, die von London nach Paris, nahm dreiviertel Stunden in Anspruch, aber die erreichte Geschwindigkeit war nicht hoch; der Sprung nach New York dauerte etwa zwei Stunden, und wenn man sich sorgfältig mit den Zwischenstationen einrichtete, war es bei ruhigem Wetter möglich, in einem Tage um die Welt zu fahren.

Die kleinen Aeropilen (wie sie ohne besonderen Grund zum Unterschied hießen) waren von ganz anderem Typ. Mehrere von ihnen zogen in der Luft hin und her. Sie waren bestimmt, nur eine oder zwei Personen zu tragen, und ihre Herstellung und Unterhaltung war so kostspielig, daß sie dadurch zum Monopol der reicheren Leute wurden. Ihre Segel, die glänzend gefärbt waren, bestanden nur aus zwei Paaren seitlicher Flächen in gleicher Ebene und einer Schraube hinten. Ihre Kleinheit machte einen Abstieg auf irgendwelchem offenen Platz weder schwierig noch unangenehm, und es war möglich, sie mit pneumatischen Rädern, oder selbst mit den gewöhnlichen Motoren für irdischen Verkehr zu versehen, und sie so zu einem passenden Aufstiegeort zu bringen. Sie erforderten eine besondere Art schnellen Karrens, um sie in die Luft zu werfen, aber ein solcher Karren reichte auf jedem offenem Platz, der von hohen Gebäuden und Bäumen frei war, aus. Die menschliche Aeronautik, merkte Graham, war immer noch weit hinter der instinktiven Begabung des Albatros oder des Fliegenschnäppers zurück. Eine große Probe, die den Aeropilen zu rascherer Vollendung hätte bringen können, war ihm versagt gewesen; diese Erfindungen waren nie im Krieg gebraucht. Der letzte große internationale Kampf hatte vor der Usurpation des Rates stattgefunden.

Die Flugbühnen von London standen in einem unregelmäßigen Halbmond auf der Südseite des Flusses. Sie bildeten drei Gruppen von je zweien und bewahrten die Namen alter vorstädtischer Hügel oder Dörfer. Sie hießen der Reihe nach Roehampton, Wimbledon Park, Streatham, Norwood, Blackheath und Shooters Hill. Es waren gleichförmige Bauwerke, die sich über die allgemeinen Dachflächen erhoben. Jede war etwa viertausend Meter lang und tausend breit, und gebaut aus der Mischung von Aluminium und Eisen, die in der Architektur das Eisen ersetzt hatte. Ihre oberen Partien bildeten ein Rahmenwerk von Pfeilern, durch die Lifts und Treppen hinaufführten. Die Oberfläche war eine glatte Fläche mit Teilen – den Schwungträgern – die hinaufgezogen werden konnten und dann auf sehr leicht geneigten Schienen bis zum Ende des Baus liefen. Abgesehen von Aeropilen und Aeroplanen, die im Hafen lagen, hielt man diese Flächen für Ankömmlinge klar.

Während der Zurichtung der Aeroplanen pflegten die Passagiere in dem System von Theatern, Restaurants, Nachrichtenzimmern und Vergnügungs- und Genußorten jeder Art zu warten, die sich mit den blühenden Läden unten verwoben. Dieser Teil Londons war infolgedessen gemeinhin der lustigste von allen Distrikten, er zeigte etwas von der meretrizischen Lustigkeit des Seehafens oder einer Hotelstadt. Und für die, welche die Aeronautik mit mehr Ernst ansahen, hatten die religiösen Quartiere eine reizvolle Kolonie von Andachtskapellen vorgeschoben, während eine Schar von glänzenden, medizinischen Etablissements dazu beitrug, physische Vorbereitungen für die Reise zu liefern. Auf verschiedenen Niveaus lief durch die Massen von Zimmern und Gängen darunter außer den großen Gleitwegen der Stadt, die sich hier sammelten und verschlangen, ein kompliziertes System besonderer Gänge und Lifts und Gleitwege für den bequemen Austausch von Leuten und Gepäck zwischen Bühne und Bühne. Und ein unterscheidender Zug der Architektur dieser Sektion war die ostentative Massivität der Metallpfeiler und Stützen, die überall die Perspektive durchbrachen und die Hallen und Gänge überspannten, und sich mehrten und verschlangen, wo es galt, dem Gewicht der Bühnen und dem schweren Stoß der Aeroplanen zu Häupten entgegenzutreten.

Graham fuhr auf den öffentlichen Wegen zu den Flugbühnen. Ihn begleitete Asano, sein japanischer Diener. Lincoln war von Ostrog abberufen, der mit seinen Verwaltungssorgen zu tun hatte. Eine starke Wache der Windfahnenpolizei wartete vor dem Windfahnenamt auf den Herrn, und sie machte ihm einen Raum auf der obersten gleitenden Plattform frei. Seine Fahrt zu den Flugbühnen war unerwartet; trotzdem aber sammelte sich eine beträchtliche Volksmenge und folgte ihm bis zu seinem Ziel. Wenn er vorbeifuhr, konnte er die Leute seinen Namen rufen hören, und er sah zahllose Männer und Frauen und Kinder in Blau die Treppen im Mittelweg heraufgeschwärmt kommen, gestikulieren und rufen. Was sie riefen, konnte er nicht hören. Wieder fiel ihm das offenbare Vorhandensein eines vulgären Dialekts unter den Armen der Stadt auf. Als er schließlich hinabstieg, waren seine Wachen sofort von einer dichten, aufgeregten Menge umgeben. Später fiel ihm ein, daß einige ihn mit Petitionen zu erreichen versucht hatten. Seine Wachen brachen nur mit Mühe für ihn Bahn.

Er fand einen Aeropilen mit einem Aeronauten auf der westlichen Bühne wartend vor. Aus der Nähe gesehen, war dieser Mechanismus nicht mehr klein. Wie er auf seinem Schwungträger auf der weiten Fläche der Flugbühne dalag, war das Aluminiumskelett seines Rumpfes so groß, wie der Rumpf einer Zwanzig-Ton-Yacht. Die seitlichen Tragesegel, die, fast wie ein Bienenflügel mit Rippen, mit Metallrippen versteift und aus einer glasartigen, künstlichen Membran gemacht waren, warfen ihre Schatten über viele hundert Quadratmeter hin. Die Stühle für den Ingenieur und seinen Passagier hingen in einer komplizierten Aufhängung schwungfrei innerhalb der schützenden Rahmenrippen und weit hinter der Mitte. Der Passagierstuhl war durch einen Windschirm geschützt und von metallischen Stangen umgeben, die Luftkissen trugen. Er konnte auf Wunsch völlig eingeschlossen werden, aber Graham war auf neue Erfahrungen begierig und wünschte, es solle offen bleiben. Der Aeronaut saß hinter einem Glas, das sein Gesicht schützte. Der Passagier konnte sich mit seinem Sitz feststellen, und das war beim Landen fast unumgänglich, oder er konnte sich mittelst einer Schiene und einer Stange bis zu einem Kasten am Stamm der Maschine bewegen, wo sein persönliches Gepäck, seine Decken und Stärkungsmittel untergebracht waren, und der auch, zusammen mit den Sitzen, als ein Ballast für den Teil der zentralen Maschine diente, der zum Propeller am Stern vorsprang.

Die Maschine sah sehr einfach aus. Asano erklärte ihm die Teile des Apparates und sagte, er gehöre wie die Gasmaschine Viktorianischer Tage zum explosiven Typus, und verbrenne bei jedem Stoß einen kleinen Tropfen einer Substanz namens »Fomil«. Sie bestand einfach aus Reservoir und Kolben rings um die lange pfeifenförmige Kurbel der Propellerwelle. So viel sah Graham von der Maschine.

Die Flugbühne rings war, abgesehen von Asano und ihrem Gefolge, leer. Unter Leitung des Aeronauten setzte er sich auf seinen Sitz. Dann trank er eine Mixtur, die Ergotin enthielt – eine Dosis, wie er hörte, die unweigerlich allen verabreicht wurde, die fliegen wollten, und die der möglichen Wirkung des verminderten Luftdruckes auf den Körper entgegenwirken sollte. Als er das getan hatte, erklärte er sich zu der Reise bereit. Asano nahm ihm das leere Glas ab, trat durch die Stangen des Rumpfes hinaus und blieb unten auf der Bühne stehen und winkte mit der Hand. Plötzlich schien er die Bühne nach rechts hin entlang zu gleiten und zu verschwinden.

Die Maschine stieß, der Propeller kreiste, und eine Sekunde lang glitten die Bühne und die Gebäude unten rasch und horizontal an Grahams Auge vorüber; dann schienen diese Dinge plötzlich zu kippen. Er packte instinktiv die kleinen Stangen zu beiden Seiten. Er fühlte, daß er sich aufwärts bewegte, hörte die Luft über den Windschirm pfeifen. Die Propellerschraube drehte sich mit mächtigen rhythmischen Stößen – eins, zwei, drei, Pause; eins, zwei, drei – die der Ingenieur sehr genau kontrollierte. Die Maschine begann ein lebendes Schwingen, das während des ganzen Fluges fortdauerte, und die Dachflächen schienen sehr rasch nach Steuerbord fortzulaufen und rapid kleiner zu werden. Er blickte von dem Gesicht des Ingenieurs durch die Rippen der Maschine. Wenn er abwärts blickte, war, was er sah, nicht sehr erschreckend – eine rasche Drahtseilbahn hätte die gleichen Empfindungen hervorbringen können. Er erkannte das Rathaus und den Hügel von Highgate. Und dann blickte er senkrecht zwischen den Füßen durch.

Einen Moment hielt ihn physischer Schreck gefangen, eine leidenschaftliche Empfindung der Unsicherheit. Er hielt sich fest. Eine Sekunde oder so konnte er die Augen nicht heben. Hundert Fuß oder mehr unter sich sah er eins der großen Windräder des südwestlichen Londons, und dahinter stand die südlichste Flugbühne, die eng mit kleinen, schwarzen Punkten getüpfelt war. Diese Dinge schienen von ihm fortzufallen. Eine Sekunde lang hatte er einen Impuls, die Erde zu verfolgen. Er kniff die Zähne zusammen, er hob die Augen mit einer Muskelanstrengung, und der Moment der Panik ging vorüber.

Eine Zeitlang blieb er mit fest zusammengebissenen Zähnen sitzen, und seine Augen starrten in den Himmel. Bum, bum, bum – bum, machte die Maschine; bum, bum, bum – bum. Er faßte seine Griffe fest, blickte auf den Aeronauten und sah ein Lächeln auf seinem sonnenverbrannten Gesicht. Er lächelte zurück – vielleicht ein wenig künstlich. »Etwas seltsam zuerst,« rief er, ehe er sich seiner Würde erinnerte. Aber er wagte eine Zeitlang nicht wieder hinunterzublicken. Er blickte dem Aeronauten über den Kopf, dahin, wo ein Rand unbestimmten blauen Horizonts heraufkroch. Eine kleine Weile konnte er den Gedanken an mögliche Unfälle nicht aus dem Kopf verbannen. Bum, bum, bum – bum; wenn nun irgendeine winzige Schraube in dieser Tragemaschine verkehrt ging! Wenn nun –! Er machte eine grimmige Anstrengung, alle solchen Voraussetzungen fallen zu lassen. Nach einer Weile verließen sie wenigstens den Vordergrund seiner Gedanken. Und stetig stieg er, höher und höher in die klare Luft empor.

Als einmal der geistige Stoß, daß er sich ungetragen durch die Luft bewegte, vorüber war, waren seine Empfindungen auch nicht mehr unangenehm. Man hatte ihn vor der Luftkrankheit gewarnt, aber er fand die pulsierende Bewegung des Aeropilen, als er die leichte Südwestbrise emporstieg, sehr gering im Vergleich mit dem Stoßen eines Bootes, das in mäßigem Wind quer durch Rollwellen geht, und er vertrug das Meer von Konstitution aus gut. Und die Schärfe der dünneren Luft, in die sie aufstiegen, weckte ein Gefühl der Leichtigkeit und der Erheiterung. Er blickte auf und sah den blauen Himmel oben von Zirruswolken durchbrochen. Sein Auge senkte sich langsam durch die Rippen und Stangen bis auf eine leuchtende Flucht weißer Vögel, die im unteren Himmel hingen. Eine Zeitlang beobachtete er diese. Dann ging er tiefer hinab und weniger ängstlich und sah die schlanke Form des Krähennestes des Windfahnenwächters golden im Sonnenlicht glänzen und mit jedem Moment kleiner werden. Als sein Auge nun mit mehr Zuversicht abwärts stieg, kam eine blaue Hügellinie und dann London, schon leewärts, in Sicht – eine komplizierte Fläche von Dächern. Sein naher Rand stand scharf und klar da und verbannte seine letzten Befürchtungen mit einem Schlag der Überraschung. Denn die Grenze von London war wie eine Wand, wie eine Klippe, ein steiler Absturz von drei- oder vierhundert Fuß, eine nur hier und dort von Terrassen durchbrochene Stirnseite, eine komplizierte, dekorative Fassade.

Jener allmähliche Übergang von Stadt in Land durch einen weiten Schwamm von Vororten, der ein so charakteristischer Zug der großen Städte des neunzehnten Jahrhunderts war, existierte nicht mehr. Nichts blieb davon als eine Ruinenwüste, variiert und gefüllt mit Dickichten der mannigfaltigsten Gewächse, die einst die Gärten des Gürtels geschmückt hatten, eingestreut unter ebene braune Flecken besäten Bodens und üppiger Flächen von Immergrün. Diese letzteren verbreiteten sich sogar unter die Häuserspuren. Aber zum größten Teil standen die Ruinenriffe und Klippen, die Trümmer vorstädtischer Villen in ihren Straßen und Wegen, wunderliche Inseln mitten in den geebneten Strecken von Grün und Braun, verlassen freilich von den Bewohnern seit Jahren, aber zu massiv, so schien es, um von den großen Hortikulturmaschinen der Zeit aus dem Wege geräumt zu werden.

Die Vegetation dieser Wüste wellte und schäumte zwischen den zahllosen Zellen zerbröckelnder Hausmauern und brach sich am Fuße der Stadtmauer hin in einer Brandung von Brombeerranken und Stechpalmen und von Efeu und Disteln und hohen Gräsern. Hier und dort türmten sich flitternde Freudenpaläste unter den winzigen Resten Viktorianischer Zeiten auf, und zu ihnen hingen Kabel von der Stadt herab. An diesem Wintertage schienen sie verlassen. Verlassen waren auch die künstlichen Gärten zwischen den Ruinen. Die Stadtgrenzen waren wirklich so scharf umrissen, wie in jenen alten Tagen, als die Tore mit Einbruch der Nacht geschlossen wurden und der Räuber-Feind bis an die Mauern schweifte. Ein riesiger, halbkreisförmiger Schlund spie einen kräftigen Verkehr auf die Eadhamitwege heraus. So blitzte Graham der erste Blick auf die Welt jenseits der Stadt auf, und er schwand zusammen. Und als er schließlich wieder senkrecht hinabblicken konnte, sah er unter sich die Gemüsefelder des Thamestals – unzählige winzige Vierecke rötlichen Brauns, die von leuchtenden Fäden durchschnitten waren – von den Kloakengräben.

Seine Aufheiterung nahm schnellen Fortgang, wurde eine Art Rausch. Er ertappte sich, wie er tief Atem holte, laut lachte, zu rufen wünschte. Nach einiger Zeit wurde dieser Wunsch zu stark für ihn, er rief laut hinaus.

Die Maschine war jetzt so hoch gestiegen, wie es bei Aeropilen gewöhnlich ist, und sie begannen nach Süden herumzuschwenken. Die Steuerung, sah Graham, geschah, indem man ein oder zwei dünne Streifen der Membran in dem einen oder anderen der sonst starren Flügel öffnete, und durch die Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung der ganzen Maschine an ihren Trägern entlang. Der Aeronaut ließ die Maschine ihre Schiene entlang langsam nach vorn gleiten und öffnete die Klappe des Leeflügels, bis der Stamm des Aeropiles horizontal lag und nach Süden zeigte. Auch in der Richtung flogen sie mit einer leichten Neigung nach Lee und mit einer langsamen Änderung der Bewegung, erst einem kurzen, scharfen Aufstieg und dann einem langen, sehr raschen und unangenehmen Abwärtsgleiten hin. Während dieses Abwärtsgleitens war der Propeller ganz in Ruhe. Diese Aufstiege gaben Graham ein glorreiches Gefühl erfolgreicher Bemühung; die Abstiege durch die verdünnte Luft waren über alle Erfahrung. Er hätte die obere Luft nie mehr verlassen mögen.

Eine Zeitlang achtete er auf die winzigen Details der Landschaft, die unter ihm rasch nach Norden lief. Ihr klar kleinstes Detail gefiel ihm außerordentlich. Der Ruin der Häuser, die einst das Land durchsprenkelt hatten, die riesigen baumlosen Landflächen, auf denen, abgesehen von bröckelnden Ruinen, keine Bauernhöfe und Dörfer mehr standen – das machte ihm großen Eindruck. Er hatte gewußt, daß es so war, aber es so zu sehen, war etwas ganz anderes. Er versuchte Orte zu erkennen, die er in dem hohlen Becken der Welt unten gekannt hatte, aber zuerst konnte er keine Data finden, jetzt, wo das Thamestal hinter ihm lag. Bald aber flogen sie über einen scharfen Kalkhügel, den er als den Guildford Hogs Back erkannte, und zwar an dem ihm vertrauten Umriß der Schlucht am östlichen Ende und an den Ruinen der Stadt, die sich steil auf beiden Rändern dieser Schlucht erhoben hatte. Und von da ausgehend, erkannte er andere Punkte, Leith Hill, die Sandwüsten von Aldershut und so weiter. Der Dünenhang war mit gigantischen, langsam kreisenden Windrädern besetzt. Außer, wo die breite Eadhamitstraße nach Portsmouth, die mit jagenden Punkten getüpfelt war, dem Lauf der alten Eisenbahn folgte, war das Tal der Wey von Dickichten erstickt.

Die ganze Fläche der Dünenabdachung war, so weit der graue Nebel ihm zu blicken erlaubte, mit Windrädern besetzt, gegen die das größte der Stadt nur ein jüngerer Bruder war. Sie kreisten mit würdevoller Bewegung vor dem Südwestwind. Und hier und dort waren Flecken mit den Schafen des Britischen Nahrungsmitteltrusts getüpfelt, und hier und dort gab ein berittener Hirt einen schwarzen Fleck. Dann kamen unter dem Stern des Aeropils die Wealden Heights, die Linie von Hindhead, Pitch Hill und Leith Hill entlang gestürzt, und eine zweite Reihe von Windrädern schien sich zu bestreben, den Dünenlandmühlen ihren Teil der Brise zu rauben. Das purpurne Heidekraut war mit gelbem Ginster gefleckt, und ferner hin jagte eine Herde Ochsen vor einem Paar berittener Männer. Schnell fegte das nach hinten, schwand zusammen und verlor die Farbe und wurde zu kaum sich bewegenden Punkten, die der Nebel verschlang.

Und als sie in der Ferne verschwunden waren, hörte Graham ganz in der Nähe einen Kiebitz klagen. Er sah, daß er jetzt über den Süddünen war, und als er über die Schulter blickte, sah er die Zinnen der Landungsbühne von Portsmouth, die über dem Rand von Portsdown Hill aufragte. Im nächsten Moment kam eine von Schiffen bedeckte Fläche in Sicht, die schwimmenden Städten glich, die kleinen weißen Klippen der Nadeln, winzig und sonnenhell, und die grauen und glitzernden Wasser der engen See. Sie schienen den Solent in einem Moment zu überspringen, und in ein paar Sekunden lief die Insel Wight vorbei, und dann breitete sich unter ihm eine weitere und weitere Meeresfläche, hier purpurn vom Schatten einer Wolke, hier grau, hier ein polierter Spiegel und hier eine Fläche wolkig grünen Blaus. Die Insel Wight wurde immer kleiner. In noch ein paar Minuten löste sich ein Streifen grauen Nebels von anderen Streifen, die Wolken waren, stieg aus dem Himmel herab und wurde zur Küstenlinie – sonnenhell und heiter – der Küste Nordfrankreichs. Sie stieg, sie nahm Farbe an, wurde bestimmt und detailliert, und das Gegenstück zum Dünenland von England eilte unten vorbei.

In kurzer Zeit, wie es schien, kam Paris über den Horizont und blieb dort eine Weile hängen und sank wieder außer Sicht, als der Aeropile wieder nach Norden kreiste. Aber noch sah er den Eifelturm stehen und daneben eine riesige Kuppel, die von einem Nadelspitzenkoloß überragt wurde. Und er sah auch, obgleich er sie damals nicht verstand, eine treibende Rauchwolke. Der Aeronaut sagte etwas von »Unruhen auf den Untergrundwegen«, worauf Graham nicht achtete. Aber ihm fielen die Minarets und Türme und schlanken Masten auf, die über den Windrädern der Stadt zum Himmel strömten, und er wußte, daß wenigstens, soweit die Anmut in Frage kam, Paris seinem größeren Rivalen noch immer voraus blieb. Und während er noch hinsah, stieg eine blasse blaue Gestalt sehr rasch von der Stadt auf, wie etwa ein totes Blatt vor einem Sturm aufwirbelt. Sie machte eine Kurve und hob sich auf sie zu und wurde rapid immer größer. Der Aeronaut sagte etwas. »Was?« sagte Graham, der die Augen nicht davon abwenden wollte. »Aeroplan, Sire,« schrie der Aeronaut und zeigte.

Sie stiegen und kreisten nach Norden herum, als er näher kam. Näher kam und näher, größer und größer. Das bum, bum, bum – bum des Aeropilenflugs, das so kräftig und schnell erschienen war, erschien plötzlich im Vergleich mit diesem Sturm langsam. Wie groß das Ungeheuer schien, wie schnell und stetig! Es flog ganz dicht unter ihnen hin, in schweigendem Flug, eine riesige Fläche drahtumnetzter, durchsichtiger Flügel, ein lebendiges Wesen. Einen Moment sah Graham die Reihen und Reihen eingehüllter Passagiere, die hinter Windschirmen in ihren kleinen Wiegen hingen, er sah einen weißgekleideten Ingenieur gegen den Wind einen Leiterweg entlang kriechen, sah speiende Maschinen zusammenschlagen, sah die Luftschraube hinten wirbeln und eine weite Flügelfläche. Er frohlockte über den Anblick. Und im Moment war das Ding vorbei.

Es stieg langsam, und ihre eigenen kleinen Flügel schwankten im Sturm seines Fluges. Es sank und wurde kleiner. Kaum hatten sie sich bewegt, so schien es, da war es wieder nur noch ein flaches, blaues Ding, das im Himmel verschwand. Dies war der Aeroplan, der zwischen Paris und London hin und her ging. Bei schönem Wetter und in friedlichen Zeiten fuhr er viermal am Tage hin und her.

Sie flogen über den Kanal, langsam, wie es Grahams größeren Begriffen jetzt schien, und links von ihnen stieg Beachy Head grau herauf.

»Landen?« schrie der Aeronaut, dessen Stimme gegen das Pfeifen der Luft über dem Windschirm leise erschien.

»Noch nicht,« rief Graham lachend. »Noch nicht landen. Ich will mehr von dieser Maschine erfahren.«

»Ich dachte –« sagte der Aeronaut.

»Ich will mehr von dieser Maschine erfahren,« wiederholte Graham.

»Ich komme zu Ihnen,« sagte er und war aus seinem Sitz gesprungen und machte einen Schritt auf dem geschützten Gitter zwischen ihnen. Er blieb einen Moment stehen, und seine Farbe wechselte und sein Griff wurde fester. Noch einen Schritt und er klammerte sich nahe beim Aeronauten an. Er fühlte ein Gewicht auf den Schultern, den Luftdruck. Sein Hut war ein wirbelnder Fleck hinter ihm. Der Wind kam in Stößen über den Windschirm und blies sein Haar in Streifen an seiner Backe vorbei. Der Aeronaut traf einige eilige Vorkehrungen gegen den Wechsel des Schwerpunkts und Drucks.

»Ich will diese Dinge erklärt haben,« sagte Graham. »Was tun Sie, wenn Sie die Maschine nach vorn bewegen?«

Der Aeronaut zögerte. Dann antwortete er: »Es ist kompliziert, Sire.«

»Einerlei,« rief Graham, »einerlei.«

Es folgte eine Pause von einem Moment. »Die Aeronautik ist das Geheimnis – das Privileg – –«

»Ich weiß. Aber ich bin der Herr und will es wissen.« Er lachte, voll von jener neuen Machtempfindung, die ihm die höhere Luft eingab.

Der Aeropil beschrieb eine Kurve, und der scharfe, frische Wind schnitt Graham übers Gesicht, und sein Gewand zerrte ihm am Körper, als der Stamm nach Westen herumzeigte. Die beiden Männer blickten sich in die Augen.

»Sire, es gibt Regeln –«

»Nicht, wo ich in Frage komme,« sagte Graham. »Sie scheinen zu vergessen.«

Der Aeronaut sah ihm forschend ins Gesicht. »Nein,« sagte er. »Ich vergesse nicht, Sire. Aber auf der ganzen Welt – hat niemand, der kein vereidigter Aeronaut ist – je Aussicht. Sie kommen als Passagiere – –«

»Ich habe etwas davon gehört. Aber ich will über diese Punkte nicht streiten. Wissen Sie, warum ich zweihundert Jahre geschlafen habe? Um zu fliegen!«

»Sire,« sagte der Aeronaut, »die Regeln – wenn ich die Regeln breche –«

Graham winkte die Strafen fort.

»Wenn Sie mich dann beobachten wollen –«

»Nein,« sagte Graham, schwankte und faßte fest zu, als die Maschine die Nase wieder zu einem Aufstieg hob. »So ist mein Spiel nicht. Ich will es selber tun, und wenn ich dafür zerschelle! Nein! Ich will's! Sehn Sie. Ich will hieran heraufklettern – zu Ihnen kommen und Ihren Sitz teilen. Ruhig! Ich will selber fliegen, und wenn ich am Schluß zerschelle. Ich will etwas als Zahlung für meinen Schlaf haben. Von allem andern – – In meiner Vergangenheit war es mein Traum, zu fliegen. Jetzt – halten Sie die Balance.«

»Mich beobachten ein Dutzend Spione, Sire!«

Grahams Geduld war zu Ende. Vielleicht wollte er, sie sollte es sein. Er fluchte. Er schwang sich um die dazwischenliegende Masse von Hebeln herum und der Aeropil schwankte.

»Bin ich Herr der Erde?« sagte er. »Oder Ihre Gesellschaft? Also. Nehmen Sie die Hände von den Hebeln und fassen Sie mich am Handgelenk. Ja – so. Und jetzt – wie drehen wir seine Nase zum Gleiten hinunter?«

»Sire,« sagte der Aeronaut.

»Was gibt's«

»Sie werden mich schützen?«

»Himmel! Ja! Und wenn ich London verbrennen muß. Also!«

Und mit diesem Versprechen erkaufte Graham seine erste Lektion in der Luftschiffahrt. »Sie ist doch offenbar zu Ihrem Vorteil, diese Fahrt,« sagte er mit lautem Lachen – denn die Luft war wie starker Wein – »wenn Sie mich schnell und gut lehren. Ziehe ich dies? Ah! So! Hallo!«

»Zurück, Sire! Zurück!«

»Zurück – richtig. Eins – zwei – drei – guter Gott! Ah! Hinauf geht's! Aber dies ist Leben!«

Und jetzt begann die Maschine die seltsamsten Figuren in der Luft zu tanzen. Bald fegte sie eine Spirale von kaum hundert Metern Durchmesser herum, bald raste sie in die Luft empor und stürzte wieder hinunter, fiel steil, rasch, einem Falken gleich, um sich in einem stürzenden Sprung wieder zu erheben, der sie von neuem in die Lüfte fegte. Bei einem dieser Abstiege schien sie geradewegs auf den schweren Ballonpark im Südosten loszutreiben und umging und mied sie nur durch eine plötzliche Wendung. Die außerordentliche Schnelligkeit und Glätte der Bewegung, die außerordentliche Wirkung der verdünnten Luft auf seine Konstitution warfen Graham in eine Wut der Sorglosigkeit.

Aber schließlich ernüchterte ihn ein wunderlicher Zwischenfall, so daß er noch einmal wieder zu dem gedrängten Leben da unten mit all seinen dunklen, unlösbaren Rätseln zurückflog. Als er hinunterglitt, gab es einen Schlag, und es flog etwas vorbei und ihn traf ein Tropfen wie ein Regentropfen. Dann sah er, als er weiter abwärts glitt, einen weißen Fleck in seiner Kielluft Hinunterwirbeln. »Was war das?« fragte er. »Ich habe es nicht gesehen.«

Der Aeronaut blickte hin und griff dann nach dem Hebel, um wieder zu steigen, denn sie glitten hinab. Als der Aeropil sich wieder hob, holte er tief Atem und antwortete. »Das«, sagte er und zeigte auf das weiße Ding, das noch hinunterflatterte, »war ein Schwan.«

»Ich hatte ihn nicht gesehen,« sagte Graham.

Der Aeronaut gab keine Antwort, und Graham sah kleine Tropfen auf seiner Stirn.

Sie fuhren horizontal hin, als Graham aus dem peitschenden Wind in den Passagiersitz zurückkletterte. Und dann kam ein rasches Niederjagen, während die Luftschraube wirbelte, um ihren Fall zu hemmen, und die Flugbühne wurde vor ihnen breit und dunkel. Die Sonne, die im Westen über die Kalkhügel sank, fiel mit ihnen und machte den Himmel zu einer goldenen Glut.

Bald konnte man die Menschen als kleine Flecke sehen. Er hörte einen Lärm sich entgegenkommen, einen Lärm gleich dem Schall der Wellen auf einem Kieselstrand, und er sah, daß die Dächer um die Flugbühne dunkel waren von seinem Volk, das sich über seine wohlbehaltene Rückkehr freute. Eine dunkle Masse war unter der Bühne zusammengepreßt, ein Schwarz, das mit unzähligen Gesichtern getüpfelt war und von dem winzigen Schwanken geschwungener weißer Taschentücher und winkender Hände zitterte.


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