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18.
Graham besinnt sich

Sie traf schließlich in einer kleinen Galerie auf ihn, die vom Windfahnenamt zu seinen Staatsgemächern lief. Die Galerie war lang und schmal, mit einer Reihe von Logen, deren jede durch ein Bogenfenster auf einen Palmenhof hinausblickte. Er sah sie plötzlich in einer dieser Logen. Sie saß. Sie drehte den Kopf beim Geräusch seiner Schritte und fuhr bei seinem Anblick zusammen. Jede Spur von Farbe verschwand aus ihrem Gesicht. Sie stand sofort auf, trat einen Schritt auf ihn zu, als wollte sie ihn anreden, und zögerte. Er blieb erwartungsvoll stehen. Dann sah er, daß eine nervöse Erregung ihr den Mund schloß, sah auch, daß sie ein Gespräch mit ihm gesucht haben mußte, um an dieser Stelle auf ihn zu warten.

Er fühlte einen königlichen Drang, ihr zu helfen. »Ich habe gewünscht, Sie zu treffen,« sagte er. »Vor ein paar Tagen wollten Sie mir etwas sagen – sie wollten mir vom Volk erzählen. Was hatten Sie mir zu erzählen?«

Sie sah ihn mit unruhigen Augen an.

»Sie sagten, das Volk sei unglücklich.«

Noch einen Augenblick verharrte sie im Schweigen.

»Es muß Ihnen seltsam erschienen sein,« sagte sie plötzlich.

»Ja. Und doch –«

»Es war ein Impuls.«

»Und?«

»Weiter nichts.«

Sie sah ihn mit einem Gesicht des Zögerns an. Sie sprach mit Anstrengung. »Sie vergessen,« sagte sie und holte tief Atem.

»Was?«

»Das Volk – –«

»Sie meinen –?«

»Sie vergessen das Volk.«

Er blickte fragend.

»Ja. Ich weiß, Sie sind überrascht. Denn Sie verstehen nicht, was Sie sind. Sie wissen, was für Dinge geschehen.«

»Nun?«

»Sie verstehen nicht.«

»Nicht klar vielleicht. Aber – erzählen Sie mir.«

Sie wandte sich ihm mit plötzlichem Entschluß zu. »Es ist so schwer zu erklären. Ich habe es gewollt, ich habe es gewünscht. Und jetzt – kann ich es nicht. Ich bin nicht mit Worten bereit. Aber über Ihnen – liegt etwas. Es ist ein Wunder. Ihr Schlaf – Ihr Erwachen. Das sind Wunder. Für mich wenigstens – und für das ganze gewöhnliche Volk. Sie haben gelebt, gelitten, sind gestorben, Sie sind ein gewöhnlicher Bürger gewesen, und Sie erwachen wieder, leben wieder auf, um sich als Herrn der Erde wiederzufinden.«

»Als Herrn der Erde,« sagte er. »So sagt man mir. Aber versuchen Sie sich vorzustellen, wie wenig ich von ihr weiß.«

»Städte – Trusts – die Arbeitsgesellschaft –«

»Fürstentümer, Mächte, Herrschaften – die Macht und der Ruhm. Ja, ich habe sie rufen hören. Ich weiß. Ich bin Herr. König, wenn Sie wollen. Mit Ostrog, dem Meister –«

Er hielt inne.

Sie wandte sich zu ihm und überflog sein Gesicht mit seltsamem Forschen. »Nun?«

Er lächelte. »Um die Verantwortung zu tragen.«

»Gerade das haben wir zu fürchten begonnen.« Einen Moment sagte sie weiter nichts. »Nein,« sagte sie langsam. » Sie werden die Verantwortung übernehmen. Sie werden die Verantwortung übernehmen. Das Volk blickt auf Sie.«

Sie sprach weich. »Hören Sie! Seit wenigstens der Hälfte der Jahre Ihres Schlafes – haben in jeder Generation – Scharen von Menschen, in jeder Generation größere Scharen von Menschen gebetet, daß Sie erwachen möchten – gebetet

Graham machte eine Bewegung, um zu sprechen und tat es nicht.

Sie zögerte, und eine leichte Farbe schlich in ihre Wange zurück. »Wissen Sie, was Sie für Myriaden gewesen sind – König Artus, Barbarossa – der König, der zu seiner Zeit kommen würde und die Welt für sie ordnen?«

»Ich denke mir, die Phantasie des Volkes –«

»Haben Sie nicht unser Sprichwort gehört: ›Wenn der Schläfer erwacht‹? Während Sie dort besinnungs- und regungslos dalagen – sind Tausende gekommen. Tausende. Jeden Ersten des Monats lagen Sie im Staat, in einem weißen Kleid da, und das Volk zog an ihnen vorbei. Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich Sie so gesehen, mit ruhigem und weißem Gesicht.«

Sie wandte die Augen von ihm ab und blickte fest auf die gemalte Wand vor ihr. Ihre Stimme sank. »Als ich ein kleines Mädchen war, pflegte ich Ihr Gesicht anzusehen... es schien mir fest und abwartend wie Gottes Geduld.«

»Das dachten wir von Ihnen,« sagte sie. »So erschienen Sie uns.«

Sie wandte ihm leuchtende Augen zu, ihre Stimme war klar und stark. »In der Stadt, auf der Erde, warten Myriaden von Männern und Frauen, um zu sehen, was Sie tun werden, voll von seltsamen, unglaublichen Erwartungen.«

»Ja?«

»Ostrog – niemand – kann die Verantwortung übernehmen.«

Graham sah sie überrascht an, ihr Gesicht, das vor Erregung leuchtete. Sie schien zuerst mit Überwindung gesprochen und sich in Feuer geredet zu haben.

»Glauben Sie,« sagte sie, »daß Sie, der das kleine Leben so fern in der Vergangenheit gelebt hat, Sie, der in dieses Wunder von Schlaf verfallen und aus ihm erstanden ist – glauben Sie, das Staunen und die Verehrung und die Hoffnung der halben Welt habe sich um Sie gesammelt, nur damit Sie noch ein kleines Leben leben können?... Damit Sie die Verantwortung auf einen anderen abschieben können?«

»Ich weiß, wie groß dieses mein Königtum ist,« sagte er zögernd. »Ich weiß, wie groß es scheint. Aber ist es wirklich? Es ist unglaublich – traumgleich. Ist es wirklich, oder ist es nur eine große Täuschung?«

»Es ist wirklich,« sagte sie; »wenn Sie es wagen.«

»Schließlich ist wie alles Königtum mein Königtum ein Glaube. Es ist eine Illusion im Geist der Menschen.«

»Wenn Sie es wagen!« sagte sie.

»Aber –«

»Zahllose Menschen,« sagte sie, »und solange sie in ihrem Geist ist – werden sie gehorchen.«

»Aber ich weiß nichts. Daran dachte ich. Ich weiß nichts. Und diese anderen – die Räte, Ostrog. Sie sind klüger, kühler, sie wissen so viel, jede Einzelheit. Und wahrhaftig, wo ist das Elend, von dem Sie reden? Was soll ich wissen. Meinen Sie –«

Er hielt plötzlich inne.

»Ich bin noch kaum mehr als ein Mädchen,« sagte sie. »Aber mir scheint die Welt voller Elend. Die Welt hat sich seit Ihrer Zeit verändert. Ich habe gebetet, daß ich Sie sehen möchte und Ihnen diese Dinge erzählen. Die Welt ist verändert. Als hätte sie ein Krebs gefaßt – und hätte das Leben all dessen beraubt – was zu haben sich lohnt.«

Sie wandte ihm mit plötzlicher Bewegung ein gerötetes Gesicht zu. »Ihre Tage waren die Tage der Freiheit. Ja – ich habe nachgedacht. Ich bin zum Denken gedrängt, denn mein Leben – ist nicht glücklich. Die Menschen sind nicht mehr frei – sie sind nicht größer, nicht besser als die Menschen Ihrer Zeit. Das ist nicht alles. Diese Stadt – ist ein Gefängnis. Jede Stadt ist heute ein Gefängnis. Mammon hält den Schlüssel in der Hand. Myriaden, zahllose Myriaden plagen sich von der Wiege bis zum Grabe. Ist das recht? Soll das so bleiben – ewig? Ja, weit schlimmer als in Ihrer Zeit. Rings um uns, unter uns, Sorge und Schmerz. All der schale Genuß des Lebens, das Sie um sich sehen, ist nur durch ein ganz Weniges von einem Leben unsäglichen Elends getrennt. Ja, die Armen wissen es – sie wissen, sie leiden. Diese zahllosen Mengen, die vor ein paar Abenden für Sie dem Tode entgegentraten –! Sie verdanken ihnen Ihr Leben.«

»Ja,« sagte Graham langsam. »Ja. Ich verdanke ihnen mein Leben.«

»Sie kommen«, sagte sie, »aus den Tagen, als diese neue Tyrannei der Städte noch kaum begann. Es ist eine Tyrannei – eine Tyrannei. In Ihren Tagen waren die feudalen Kriegsherren verschwunden, und die neue Herrschaft des Reichtums sollte erst noch kommen. Die Hälfte der Menschen in der Welt lebte noch draußen auf dem freien Lande. Die Städte sollten sie erst noch verschlingen. Ich habe die Geschichten aus den alten Büchern gehört – da gab es Adel! Gewöhnliche Menschen lebten ein Leben der Liebe und Treue damals – sie taten tausend Dinge. Und Sie – Sie kommen aus jener Zeit.«

»Es war kein – Doch einerlei. Wie ist es jetzt –?«

»Gewinn und die Freudenstädte! Oder Sklaverei – unbedankte, ungeehrte Sklaverei!«

»Sklaverei?« sagte er.

»Sklaverei.«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß menschliche Wesen Besitz sind?«

»Schlimmeres. Das, will ich, sollen Sie wissen, sollen Sie sehen. Ich weiß, Sie wissen es nicht. Sie werden Ihnen die Dinge verbergen, sie werden Sie bald in eine Freudenstadt bringen. Aber Sie haben Männer und Frauen und Kinder in blaßblauer Leinwand mit dünnen, gelben Gesichtern und stumpfen Augen gesehen?«

»Überall.«

»Sie sprechen einen scheußlichen, heiseren und dünnen Dialekt.«

»Den habe ich gehört.«

»Das sind die Sklaven – Ihre Sklaven. Es sind die Sklaven der Arbeitsgesellschaft, die Ihnen gehört.«

»Der Arbeitsgesellschaft! Irgendwie – kenne ich das. Ah! jetzt weiß ich. Ich sah es, als ich in der Stadt umherwanderte, große, blaßblau getünchte Gebäudefassaden. Wollen Sie wirklich sagen –?«

»Ja. Wie kann ich es Ihnen erklären? Natürlich fiel Ihnen die blaue Uniform auf. Fast ein Drittel unseres Volkes trägt sie – mit jedem Tage nehmen sie mehr zu. Diese Arbeitsgesellschaft ist unmerklich gewachsen.«

»Was ist diese Arbeitsgesellschaft?« fragte Graham.

»Was fingen Sie in den alten Tagen mit den Hungernden an?«

»Wir hatten das Arbeitshaus – das die Gemeinde unterhielt.«

»Das Arbeitshaus! Ja – es gab etwas. In den Geschichtsstunden. Jetzt fällt mir's ein. Die Arbeitsgesellschaft hat das Arbeitshaus verdrängt. Sie ist – zum Teil – aus etwas – vielleicht besinnen Sie sich – aus einer religiösen Organisation, aus der sogenannten Heilsarmee herausgewachsen – die zu einer Geschäftsgesellschaft wurde. Zuerst war es fast eine Wohltätigkeit, Leute vor der Härte des Arbeitshauses zu retten. Jetzt, wo ich darüber nachdenke – es war mit das erste, was Ihre Verwalter erwarben. Sie kauften die Heilsarmee und rekonstruierten sie folgendermaßen: Zuerst war die Idee, verhungernden, obdachlosen Leuten Arbeit zu geben.«

»Ja.«

»Heutzutage gibt es keine Arbeitshäuser, keine Asyle und Wohltätigkeitsanstalten mehr, nichts als diese Gesellschaft. Ihre Ämter sind überall. Das Blau ist ihre Farbe. Und jeder Mann und jede Frau und jedes Kind, die dem Hunger oder der Müdigkeit verfallen, ohne ein Haus oder einen Freund oder eine Zuflucht zu haben, muß schließlich in die Gesellschaft gehen – oder ein Mittel zum Tode suchen. Die Euthanasie übersteigt ihre Mittel – für die Armen gibt es keinen leichten Tod. Und zu jeder Stunde, Tags wie Nachts, ist für alle Ankömmlinge Nahrung, Obdach und eine blaue Uniform vorhanden – das ist die erste Bedingung der Inkorporation der Gesellschaft – und für einen Tag Obdach fordert die Gesellschaft einen Tag Arbeit und gibt dann dem Besucher seine eigene Kleidung zurück und setzt ihn oder sie wieder hinaus.«

»Ja?«

»Vielleicht erscheint Ihnen das nicht so schrecklich. In Ihren Tagen verhungerten die Menschen auf Ihren Straßen. Das war schlimm. Aber sie starben – als Menschen. Diese Leute in Blau – Das Sprichwort sagt: ›Blaue Leinwand einmal und immer.‹ Die Gesellschaft handelt mit ihrer Arbeit und hat dafür gesorgt, daß sie sie hat. Die Leute kommen hungernd und hilflos zu ihr – sie essen und schlafen für eine Nacht und einen Tag, sie arbeiten einen Tag, und am Schluß des Tages gehen sie wieder hinaus. Wenn sie gut gearbeitet haben, haben sie einen Groschen oder so – genug für ein Theater oder einen billigen Tanzboden oder eine Kinematographengeschichte oder für ein wenig Essen oder eine Wette. Wenn er ausgegeben ist, wandern sie herum. Betteln wird durch die Straßenpolizei gehindert. Außerdem gibt niemand etwas. Sie kommen am Tage darauf oder am nächsten Tage zurück – getrieben von derselben Unfähigkeit, die sie zuerst hintrieb. Schließlich nutzt ihre eigene Kleidung sich ab, oder ihre Lumpen werden so schäbig, daß sie sich schämen. Dann müssen sie monatelang arbeiten, um neue zu bekommen. Wenn sie neue haben wollen. Eine große Zahl Kinder werden unter der Obhut der Gesellschaft geboren. Die Mutter schuldet ihnen danach einen Monat – die Kinder, die sie pflegen und erziehen, bis sie vierzehn sind, zahlen mit zwei Jahren Dienst. Sie können sich darauf verlassen, daß diese Kinder für die blaue Leinwand erzogen sind. Und so arbeitet die Gesellschaft.«

»Und niemand ist hilflos in der Stadt?«

»Niemand. Sie stecken entweder in der blauen Leinwand oder im Gefängnis.«

»Wenn sie nicht arbeiten wollen?«

»Die meisten Leute wollen arbeiten, so viel verlangt wird, und die Gesellschaft hat Macht. Es gibt Phasen der Erschwerung in der Arbeit – Nahrungsmittelentziehung – und einen Mann oder eine Frau, die sich einmal zu arbeiten geweigert hat, kennt man durch ein Daumenbrandsystem in den Gesellschaftsämtern der ganzen Welt wieder. Außerdem – wer kann als Armer die Stadt verlassen? Die Reise nach Paris kostet zwei Löwen. Und für Insubordination sind die Gefängnisse da – dunkel und elend – unten, unsichtbar. Es gibt jetzt für viele Dinge Gefängnisse.«

»Und ein Drittel des Volks trägt diese blaue Leinwand?«

»Mehr als ein Drittel. Arbeiter, die ohne Stolz und Freude und Hoffnung leben, denen die Geschichten von den Freudenstädten in den Ohren klingen und ihr schmähliches Leben verhöhnen, ihre Entbehrungen und ihre Mühsal. Zu arm selbst für die Euthanasie, des Reichen Zuflucht aus dem Leben. Taube, verkrüppelte Millionen, zahllose Millionen über die ganze Welt, die nichts kennen als Beschränkungen und unbefriedigte Wünsche. Sie werden geboren, sie werden gehindert und sterben. Das ist der Zustand, zu dem wir gekommen sind.«

Eine Zeitlang blieb Graham niedergeschlagen sitzen.

»Aber es hat eine Revolution gegeben,« sagte er. »All diese Dinge werden anders werden. Ostrog –«

»Das ist unsere Hoffnung. Das ist die Hoffnung der Welt. Aber Ostrog wird das nicht tun. Er ist Politiker. Ihm scheint, die Dinge müssen so sein. Ihm liegt nichts daran. Er nimmt das als gegeben hin. All die Reichen, all die Einflußreichen, alle, die glücklich sind, kommen schließlich dahin, daß sie dies Elend als gegeben hinnehmen. Sie benutzen das Volk für ihre Politik, sie leben durch seine Erniedrigung im Behagen. Aber Sie – Sie, der Sie aus einer glücklicheren Zeit kommen – auf Sie blickt das Volk. Auf Sie.«

Er sah ihr ins Gesicht. Ihre Augen glänzten von unvergossenen Tränen. Er fühlte eine Wallung der Empfindung. Einen Moment vergaß er diese Stadt, er vergaß das Rennen und all jene vagen, fernen Stimmen in der unmittelbaren Menschlichkeit ihrer Schönheit.

»Aber was soll ich tun?« sagte er, die Augen auf sie gerichtet.

»Herrschen Sie,« antwortete sie, indem sie sich zu ihm neigte und mit leiser Stimme sprach. »Regieren Sie die Welt, wie sie noch nie regiert ist, zum Wohl und Glück der Menschen. Denn Sie könnten regieren – Sie vermöchten es.

»Das Volk rührt sich. In der ganzen Welt rührt sich das Volk. Es bedarf nur eines Wortes – nur eines Wortes von Ihnen – um es ganz zusammenzurufen. Selbst der mittlere Stand des Volkes ist rastlos – unglücklich.

»Man sagt Ihnen nicht, welche Dinge geschehen. Das Volk will nicht zurück zu seiner Plackerei – es weigert sich, die Waffen abzugeben. Ostrog hat etwas geweckt, was größer ist, als er sich träumen ließ – er hat Hoffnungen geweckt.«

Das Herz schlug ihm schnell. Er versuchte, vorsichtig zu scheinen, Erwägungen zu prüfen.

»Sie brauchen nur ihren Führer,« sagte sie.

»Und dann?«

»Sie könnten tun, was Sie wollten; – die Welt gehört Ihnen.«

Er saß da und sah sie nicht mehr an. Dann sprach er. »Die alten Träume, und was ich geträumt habe, Freiheit, Glück. Sind es Träume? Könnte ein Mensch – ein Mensch – –?« Ihm sank die Stimme, sie verstummte.

»Nicht ein Mensch, sondern alle Menschen – geben Sie ihnen einen Führer, der die Sehnsucht ihrer Herzen ausspricht.«

Er schüttelte den Kopf, und eine Zeitlang herrschte Schweigen.

Er blickte plötzlich auf, und ihre Augen trafen sich. »Ich habe Ihren Glauben nicht,« sagte er. »Ich habe nicht Ihre Tugend. Ich stehe hier mit einer Macht, die mich verhöhnt. Nein – lassen Sie mich sprechen. Ich möchte – nicht recht tun – dazu habe ich nicht die Kraft – aber etwas, was eher recht als unrecht ist. Es wird kein Millennium bringen, aber ich bin jetzt entschlossen, daß ich regieren will. Was Sie gesagt haben, hat mich geweckt ... Sie haben recht. Ostrog muß seinen Platz kennen lernen. Und ich will lernen – ... Eins verspreche ich Ihnen. Diese Arbeitssklaverei soll aufhören.«

»Und Sie wollen regieren?«

»Ja. Vorausgesetzt – es bleibt eins.«

»Ja?«

»Daß Sie mir helfen wollen.«

» Ich! – ein Mädchen?«

»Ja. Fällt Ihnen nicht ein, daß ich absolut allein bin?«

Sie fuhr zusammen und einen Moment zeigten ihre Augen Mitleid. »Brauchen Sie fragen, ob ich Ihnen helfen will?« sagte sie.

Sie stand vor ihm, schön, würdevoll, und ihre Begeisterung und die Größe ihres Themas lag wie ein großer Abgrund zwischen ihnen. Sie berühren, ihre Hand zu fassen, war über alle Hoffnung. »Dann will ich wirklich regieren,« sagte er langsam. »Ich will regieren –« Er machte eine Pause. »Mit Ihnen.«

Es folgte ein gespanntes Schweigen, und dann schlug eine Uhr die Stunde. Sie gab keine Antwort. Graham stand auf.

»Schon«, sagte er, »wird Ostrog warten.« Er zögerte, ihr zugewandt. »Wenn ich ihn gewisse Dinge gefragt habe – Es gibt vieles, was ich nicht weiß. Vielleicht werde ich selber hingehen, mir die Dinge, von denen Sie gesprochen haben, mit eigenen Augen anzusehen. Und wenn ich wiederkomme –

»Ich werde von Ihrem Gehen und Kommen wissen. Ich will hier wieder auf Sie warten.«

Er blieb einen Augenblick stehen und sah sie an.

»Ich wußte,« sagte sie und hielt inne.

Er wartete, aber sie sagte nichts mehr. Sie sahen sich fest an, fragend, und dann wandte er sich von ihr zum Windfahnenamt.


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