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1.
Schlaflosigkeit

Eines Nachmittags ging Mr. Isbister, ein junger Künstler, der in Boscastle wohnte, zur Ebbezeit von diesem Ort nach der malerischen Bucht von Pentargen, weil er die Höhlen dort zu untersuchen wünschte. Halbwegs den steilen Pfad zum Strand von Pentargen hinunter traf er plötzlich auf einen Menschen, der in der Stellung tiefen Grames unter einer vorspringenden Felsmasse saß. Die Hände hingen diesem jungen Mann schlaff herab, seine Augen waren rot, er starrte vor sich hin, und sein Gesicht war von Tränen naß.

Bei dem Geräusch von Isbisters Schritten blickte er sich um. Beide Männer waren aus der Fassung gebracht, Isbister am meisten, und um die Verlegenheit seiner unwillkürlichen Pause zu überwinden, bemerkte er mit einer Miene reifer Überzeugung, das Wetter sei heiß für die Jahreszeit.

»Sehr,« antwortete der Fremde kurz, zögerte eine Sekunde und fügte in farblosem Tone hinzu: »Ich kann nicht schlafen.«

Isbister blieb abrupt stehen. »Nein?« war alles, was er sagte, aber seine Haltung verriet seinen hilfreichen Impuls.

»Es mag unglaublich klingen,« sagte der Fremde, indem er müde Augen auf Isbisters Gesicht wandte und seinen Worten mit einer schlaffen Hand Nachdruck lieh, »aber ich habe keinen Schlaf, überhaupt keinen Schlaf, schon seit sechs Nächten.«

»Rat eingeholt?«

»Ja. Schlechten Rat zum größten Teil. Medizinen. Mein Nervensystem ... Sie sind für die meisten Leute ja recht schön und gut. Es ist schwer zu erklären. Ich wage nicht ... genügend starke Dosen zu nehmen.«

»Das macht es schwierig,« sagte Isbister.

Er stand hilflos auf dem engen Pfad, in Verlegenheit, was er tun sollte. Offenbar wollte der Fremde reden. Ein unter den Umständen ziemlich natürlicher Gedanke trieb ihn, das Gespräch in Gang zu halten. »Ich selber habe nie unter Schlaflosigkeit gelitten,« sagte er im Ton der Alltagsplauderei, »aber in den Fällen, die ich gekannt habe, haben die Leute gewöhnlich etwas gefunden –«

»Ich wage nicht zu experimentieren.«

Er sprach müde. Er machte eine Geste der Abweisung, und eine Zeitlang waren beide Männer still.

»Bewegung?« regte Isbister ohne Vertrauen an, indem er von des anderen elendem Gesicht auf den Touristenanzug blickte, den er trug.

»Das habe ich versucht. Unklugerweise, vielleicht. Ich bin Tag für Tag der Küste gefolgt – von New Quai her. Das hat zu der geistigen Ermüdung nur die der Muskeln hinzugefügt. Die Ursache dieser Unrast war Überarbeitung – Aufregung. Ich hatte etwas –«

Er hielt wie vor bloßer Ermüdung inne. Er rieb sich mit einer hageren Hand die Stirn. Er begann wieder zu sprechen, wie einer, der mit sich selber redet.

»Ich bin ein einzelner Wolf, ein einsamer Mensch, der durch eine Welt wandert, an der er keinen Teil hat. Ich habe keine Frau – kein Kind – wer spricht doch noch von den Kinderlosen als den toten Zweigen auf dem Baum des Lebens? Ich habe keine Frau, kein Kind – ich konnte keine Aufgabe finden, die ich zu erfüllen hatte. Nicht einmal einen Wunsch in meinem Herzen. Eins nahm ich mir schließlich vor.

»Ich sagte, ich will dies tun, und um es zu tun, um die Trägheit dieses stumpfen Körpers zu überwinden, nahm ich meine Zuflucht zu Arzneien! Ich weiß nicht, ob Sie fühlen, wie schwer und unbequem der Körper ist, wie seine Forderung der Zeit vom Geist – der Zeit – des Lebens erbittert! Leben! Wir leben nur stoßweise. Wir müssen essen, und dann kommt die stumpfe Selbstgefälligkeit der Verdauung – oder ihre Gereiztheit. Wir müssen Luft schöpfen, oder unsere Gedanken werden träg, stupid, sie laufen in Abgründe und blinde Gassen. Tausend Ablenkungen steigen drinnen und draußen auf, und dann kommt die Schläfrigkeit und der Schlaf. Die Menschen scheinen für den Schlaf zu leben. Wie wenig vom Tag des Menschen gehört ihm – selbst im besten Falle! Und dann kommen diese falschen Freunde, diese Taghelfer, die Alkaloide, die die natürliche Ermattung ersticken und die Ruhe töten – schwarzer Kaffee, Kokain –«

»Ich verstehe,« sagte Isbister.

»Ich habe meine Arbeit getan,« sagte der schlaflose Mann mit klagendem Tonfall.

»Und dies ist der Preis?«

»Ja.«

Eine kleine Zeitlang verharrten die beiden schweigend.

»Sie können sich das Verlangen nach Ruhe, das ich fühle, nicht vorstellen – einen Hunger und Durst. Seit sechs langen Tagen, seit meine Arbeit getan war, ist mein Geist ein Wirbel gewesen, rasch, unaufhörlich, ohne von der Stelle zu rücken, ein Gießbach von Gedanken, der nirgends hinführt, der sich schnell und stetig herumwirbelt –«

Er machte eine Pause. »Auf den Abgrund zu.«

»Sie müssen schlafen,« sagte Isbister entschieden und mit der Miene, als habe er ein Mittel entdeckt. »Auf jeden Fall müssen Sie schlafen.«

»Mein Geist ist vollkommen klar. Er ist nie klarer gewesen. Aber ich weiß, ich schieße auf den Wirbel zu. Plötzlich –«

»Ja?«

»Sie haben Dinge einen Wirbel hinunterschießen sehen? Aus dem Licht des Tages, aus dieser frischen Welt der Gesundheit – hinunter –«

»Aber,« protestierte Isbister.

Der Fremde streckte eine Hand gegen ihn aus, und seine Augen waren wild, und seine Stimme plötzlich stark. »Ich werde mich töten. Wenn auf keine andere Art – am Fuße des dunklen Abhangs da, wo die grünen Wellen sind, und wo sich die weiße Brandung hebt und senkt, und der kleine Wasserfaden hinabzittert. Da ist auf jeden Fall ... Schlaf.«

»Das ist unvernünftig,« sagte Isbister, erschreckt durch den hysterischen Gefühlsausbruch des Menschen. »Da sind Arzneien immer noch besser.«

»Auf jeden Fall gibt es mir Schlaf,« wiederholte der Fremde, ohne auf ihn zu achten.

Isbister blickte ihn an und fragte sich flüchtig, ob wohl wirklich irgendeine komplizierte Vorsehung sie an diesem Nachmittag zusammengeführt habe. »Das ist nicht so sicher, wissen Sie,« bemerkte er. »In Lulworth Cove steht eine ähnliche Klippe – auf jeden Fall ebenso hoch – und da ist ein kleines Mädchen von oben bis unten hinuntergefallen. Und lebt heute noch – gesund und munter.«

»Aber diese Felsen?«

»Da könnte man eine kalte Nacht hindurch ziemlich unangenehm liegen, wenn einem die zerbrochenen Knochen knirschen, sobald man fröstelt, und kaltes Wasser über einen spritzt. Eh?«

Ihre Augen begegneten sich. »Tut mir leid, Ihre Ideale zu zerstören,« sagte Isbister mit einem Gefühl kecken Glanzes. »Aber ein Selbstmord über die Klippe da (oder über irgendeine Klippe) – wahrhaftig – als Künstler –« Er lachte. »Es ist so verdammt dilettantisch.«

»Aber das andere,« sagte der Schlaflose gereizt, »das andere. Kein Mensch kann gesund bleiben, wenn er Nacht für Nacht –«

»Sind Sie diese Küste entlang gewandert?«

»Ja.«

»Das törichteste, was man tun kann. Entschuldigen Sie, daß ich das sage. Allein! Wie Sie sagen: Körperermüdung ist kein Mittel gegen Gehirnermüdung. Wer hat Ihnen das geraten? Kein Wunder; Gehen! Und diese Sonne auf dem Kopf, Hitze, Anstrengung, Einsamkeit, den ganzen Tag lang, und dann, denk ich mir, gehn Sie zu Bett und geben sich rechte Mühe – eh?«

Isbister hielt inne und blickte zweifelhaft auf den Leidenden.

»Sehn Sie diese Felsen an!« rief der Sitzende mit einer plötzlichen Kraft der Geste. »Sehn Sie die See an, die da seit ewig geglänzt und gezittert hat! Sehn Sie den weißen Schaum da unter der großen Klippe ins Dunkel stürzen. Und dies blaue Gewölbe, aus dessen Kuppel die blendende Sonne hinunterstrahlt. Sie nehmen das hin. Sie freuen sich darüber. Es wärmt und stützt und ergötzt Sie. Und für mich –«

Er wandte den Kopf und zeigte ein gespenstisches Gesicht, blutunterlaufene, bleiche Augen und blutlose Lippen. Er sprach fast flüsternd. »Das ist das Kleid meines Elends. Die ganze Welt ... ist das Kleid meines Elends.«

Isbister blickte auf die ganze wilde Schönheit der sonnenbeleuchteten Klippen rings und zurück auf jenes Gesicht der Verzweiflung. Einen Moment schwieg er.

Er fuhr zusammen und machte eine Geste ungeduldiger Abwehr. »Sie sollen eine Nacht schlafen,« sagte er, »und da sehn Sie hier draußen nicht mehr viel Elend. Nehmen Sie mein Wort drauf.«

Er war jetzt ganz sicher, daß dies eine Begegnung der Vorsehung war. Noch vor einer halben Stunde hatte er sich furchtbar gelangweilt gefühlt. Hier war Beschäftigung, an die nur zu denken, aufrichtiger Selbstbeifall war. Er ergriff alsbald Besitz. Ihm schien, das erste Bedürfnis dieses erschöpften Wesens war Gesellschaft. Er warf sich auf die steil abfallende Wiese neben der reglos sitzenden Gestalt hin und entfaltete alsbald eine scharmützelnde Linie von Geplauder.

Sein Zuhörer schien wieder in Apathie versunken zu sein; er starrte finster aufs Meer und sprach nur, wenn er Isbister auf direkte Fragen antwortete – und auch da nicht bei allen. Aber er gab kein Zeichen des Protestes gegen diese wohlwollende Unterbrechung seiner Verzweiflung von sich.

Auf eine hilflose Art schien er sogar dankbar, und als dann Isbister, der fühlte, daß sein Gespräch ohne die Hilfe des andern an Kraft verlor, vorschlug, den Abhang wieder hinaufzusteigen und nach Boscastle zurückzukehren, indem er die Aussicht nach Blackapit rühmte, fügte er sich ruhig. Halbwegs hinauf, begann er mit sich selbst zu reden und wandte seinem Helfer unvermutet ein gespenstisches Gesicht zu. »Was kann nur los sein?« fragte er, während seine hagere Hand illustrierte, »was kann nur los sein? Spinn, spinn, spinn, spinn. Es geht rund und rund, immerfort rund und rund.«

Er stand still und beschrieb mit der Hand Kreise.

»Alles in Ordnung, alter Junge,« sagte Isbister mit der Miene eines alten Freundes. »Plagen Sie sich nicht. Vertrauen Sie mir.«

Der Fremde ließ den Kopf sinken und drehte sich wieder um. Sie gingen hintereinander den Kamm entlang, und dann zu der Landzunge hinter Penally, und immer gestikulierte der Schlaflose von Zeit zu Zeit und sagte fragmentarische Dinge über sein wirbelndes Gehirn. Auf dem Vorgebirge standen sie eine Zeitlang neben der Bank, von der man in die schwarzen Geheimnisse von Blackapit hinabblickt, und dann setzte er sich. Isbister hatte sein Gespräch wieder aufgenommen, so oft der Pfad breit genug gewesen war, daß sie nebeneinander gehen konnten. Er erging sich darüber, wie schwierig es sei, Boscastle Hafen bei schlechtem Wetter zu nehmen, als sein Gefährte ihn plötzlich und ganz unvermittelt von neuem unterbrach.

»Mein Kopf ist nicht, wie er war,« sagte er und gestikulierte aus Mangel an ausdrucksvollen Worten. »Er ist nicht mehr, wie er war. Ich fühle eine Art von Druck, ein Gewicht. Nein – keine Schläfrigkeit, wollte Gott, das wäre es! Es ist wie ein Schatten, ein tiefer Schatten, der plötzlich und schnell über etwas Geschäftiges fällt. Es spinnt und spinnt ins Dunkel. Der Tumult der Gedanken, der Wirrwarr, der Wirbel und Wirbel! Ich kann es nicht ausdrücken. Ich kann kaum den Geist darauf konzentrieren – nicht stetig genug, um es Ihnen zu sagen.«

Er hielt vor Schwäche inne.

»Keine Angst, alter Junge,« sagte Isbister. »Ich glaube, ich kann es verstehen. Auf jeden Fall kommt es vorläufig nicht sehr darauf an, ob Sie's mir sagen können.«

Der Schlaflose drückte sich die Finger in die Augen und rieb sie. Isbister redete eine Weile, während dieses Reiben fortdauerte, und dann hatte er einen neuen Gedanken. »Kommen Sie in mein Zimmer hinunter und versuchen Sie eine Pfeife. Ich kann Ihnen ein paar Skizzen von diesem Blackapit zeigen. Wenn Sie mögen?«

Der andere stand gehorsam auf und folgte ihm den Abhang hinunter.

Mehrere Male hörte Isbister ihn stolpern, als sie hinunterstiegen, und seine Bewegungen waren langsam und zögernd. »Kommen Sie mit hinein,« sagte Isbister, »und probieren Sie ein paar Zigaretten und die gesegnete Gabe des Alkohols. Wenn Sie Alkohol trinken?«

Der Fremde zögerte an der Gartenpforte. Er schien sich seiner Handlungen nicht mehr klar bewußt zu sein. »Ich trinke nicht,« sagte er langsam, als er den Gartenpfad entlang ging, und nach einer momentanen Pause wiederholte er geistesabwesend: »Nein – ich trinke nicht. Es geht herum. Spinn, geht es – spinn –«

Er stolperte auf der Schwelle und trat in der Haltung eines Menschen, der nichts sieht, ins Zimmer.

Dann setzte er sich plötzlich und schwer in den Lehnstuhl, schien fast hineinzufallen. Er lehnte sich mit der Stirn in den Händen nach vorn und wurde regungslos.

Dann gab er ein leichtes Geräusch in der Kehle von sich. Isbister ging mit der Nervosität eines unerfahrenen Gastgebers im Zimmer umher und ließ kleine Bemerkungen fallen, die kaum einer Antwort bedurften. Er ging durchs Zimmer zu seiner Mappe, legte sie auf den Tisch und sah auf die Kaminuhr.

»Ich weiß nicht, ob Sie bei mir zu Nacht essen mögen,« sagte er mit einer noch nicht angezündeten Zigarette in der Hand – sein Geist brütete unruhig über dem Plan, dem Fremden heimlich Chloral beizubringen. »Nur kalter Hammel, wissen Sie, aber wundervoll frisch. Aus Wales. Und eine Pastete, glaube ich.« Er wiederholte dies nach einem kurzen Schweigen.

Der Sitzende gab keine Antwort. Isbister unterbrach sich mit dem Streichholz in der Hand und sah ihn an.

Die Stille dauerte fort. Das Streichholz erlosch, die Zigarette wurde unangezündet hingelegt. Der Fremde war auf jeden Fall sehr still. Isbister nahm die Mappe auf, öffnete sie, legte sie wieder hin, zögerte, schien sprechen zu wollen. »Vielleicht,« flüsterte er zweifelnd. Er blickte auf die Tür und wieder auf die Gestalt zurück. Dann stahl er sich auf den Zehenspitzen aus dem Zimmer, indem er bei jedem vorsichtigen Schritt auf seinen Gefährten blickte.

Er schloß die Tür geräuschlos. Die Haustür stand offen, und er trat hinaus und blieb da stehen, wo an der Ecke des Gartenbeetes der Eisenhut stand. Von diesem Punkt aus konnte er durch das offene Fenster den Fremden sehen, der still und dunkel, mit dem Kopf auf der Hand, dasaß. Er hatte sich nicht gerührt.

Eine Anzahl Kinder, die die Straße entlang gingen, blieben stehen und sahen den Künstler neugierig an. Ein Bootsmann tauschte Höflichkeiten mit ihm aus. Er empfand, diese umsichtige Stellung und Haltung mochte eigentümlich und unerklärlich erscheinen. Wenn er rauchte, würde es vielleicht natürlicher erscheinen. Er zog die Pfeife und den Tabaksbeutel aus der Tasche und füllte die Pfeife langsam.

»Ich möchte wissen« ... sagte er mit einer kaum merklichen Einbuße an Selbstgefälligkeit. »Auf jeden Fall muß man ihm eine Möglichkeit geben.« Er zündete sich an der Fußsohle ein Streichholz und mit ihm seine Pfeife an.

Plötzlich hörte er seine Wirtin hinter sich, die mit seiner brennenden Lampe aus der Küche kam. Er drehte sich um und gestikulierte mit der Pfeife und brachte sie an der Tür seines Wohnzimmers zum Stehen. Er hatte einige Mühe, die Situation im Flüstern auseinanderzusetzen, denn sie wußte nicht, daß er Besuch hatte. Sie zog sich mit der Lampe zurück, immer noch, nach ihrem Wesen zu urteilen, ein wenig mystifiziert, und er trat wieder in die Tür, leicht erregt und weniger unbefangen.

Lange, nachdem er seine Pfeife ausgeraucht hatte, und als schon die Fledermäuse herumflogen, besiegte seine Neugier all die komplizierten Bedenken, und er stahl sich in sein dunkles Wohnzimmer zurück. Er blieb in der Tür stehen. Der Fremde saß noch in derselben Haltung dunkel vorm Fenster. Abgesehen davon, daß ein paar Seeleute an Bord der kleinen Schiefertransportschiffe im Hafen sangen, war der Abend sehr still. Draußen standen die Spitzen des Eisenhuts und Delphiniums reglos und aufrecht vor dem Schatten des Hügels. Irgend etwas blitzte in Isbisters Geist auf; er fuhr zusammen, lehnte sich über den Tisch und lauschte. Ein unangenehmer Verdacht wurde stärker, wurde Überzeugung. Erstaunen faßte ihn und wurde zur – Angst!

Die sitzende Gestalt gab kein Geräusch des Atmens von sich.

Er schlich langsam und geräuschlos um den Tisch und hielt zweimal inne, um zu lauschen. Schließlich konnte er die Hand auf den Rücken des Lehnstuhls legen. Er bückte sich, bis die beiden Köpfe mit den Ohren nebeneinander standen.

Dann bückte er sich noch tiefer, um von unten her in das Gesicht seines Besuchers zu blicken. Er fuhr heftig zusammen und stieß einen Ausruf aus. Die Augen waren leere weiße Flecken.

Er blickte noch einmal hin und sah, daß sie offen, und daß die Pupillen unter das Lid hinaufgerollt waren. Er fürchtete sich plötzlich. Von der Unheimlichkeit der Lage des Mannes überwältigt, faßte er ihn an der Schulter und schüttelte ihn. »Schlafen Sie?« sagte er, und seine Stimme schnappte über; und nochmals: »Schlafen Sie?«

Seinen Geist ergriff die Überzeugung, daß der Mann tot war. Er wurde plötzlich beweglich und geräuschvoll, ging durchs Zimmer und schellte.

»Bitte, bringen Sie sofort Licht,« sagte er im Gang. »Mit meinem Freund ist etwas nicht in Ordnung.«

Dann kehrte er zu der reglosen, sitzenden Gestalt zurück, faßte die Schulter, schüttelte sie und schrie. Das Zimmer wurde von gelbem Licht überflutet, als seine erstaunte Wirtin mit der Lampe eintrat. Sein Gesicht war weiß, als er sich ihr blinzelnd zuwandte. »Ich muß sofort einen Doktor holen,« sagte er. »Es ist entweder der Tod oder ein Anfall. Gibt es einen Doktor im Dorf? Wo ist ein Doktor zu finden?«


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