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XX

Wie sie in ihren Sachen kramte, fielen ihr ein paar lange Handschuh in die Finger.

Das waren die Handschuh, die sie an jenem Tage getragen hatte. Und sie drehte sie in den Fingern, und nahm sie und machte damit die schlagende Bewegung, wie sie das an jenem Vormittage gegen ihn getan hatte.

Und doch hatte sie damit ein Unrecht begangen, hatte nichts gewußt, gar nichts Sicheres, war nur empört gewesen, daß er behauptet haben sollte, eine jede Frau sei zu gewinnen, also auch Eveline Tismar. Aber jetzt wußte sie, daß die anderen weit schuldiger waren, die zuerst auf den Gedanken gekommen waren.

Vor ein paar Tagen war Walter Mandy bei ihr gewesen, und sie waren, sie wußte nicht recht wie, auf ein ähnliches Thema zu sprechen gekommen. Und mit einem Male wußte sie, daß er versuchte, sie auszuhorchen. Sie empfand, wie er auf der rechten Fährte war, daß er offenbar darauf ausging, mehr zu erfahren, um aus der Sache eine Novelle zu machen, und sie nun als Modell suchte. Sehr vorsichtig war sie, tat ganz unwissend und dumm.

Aber mit Schrecken sah sie, daß er die ganze Sachlage durchschaute, daß er der Wahrheit sehr nahe war.

Und wie er weiter darüber sprach, entlastete er den Mann, den seine Freunde in die Geschichte hineingetrieben hatten, und sie spürte, daß es keine Erfindung von ihm war, sondern, daß sich die Anfänge so zugetragen haben mochten, wie er sie erzählte.

Ganz unwissend tat sie, daß er doch verwirrt wurde und nicht wußte, ob sie so naiv oder so raffiniert war, um ihn zu nasführen und die Unbeteiligte zu spielen.

Aber seitdem sah sie das alles mit anderen Augen an.

Wenn es so war, dann hatte Paul Bröse eine noch größere Schuld, als sie bisher angenommen hatte.

*

Sie hatte nichts wieder von Kurt Laue gehört. Er hatte keinen Schritt getan, sich ihr zu nähern, nur von Bröse hatte sie erfahren, wie schroff er das Anerbieten abgelehnt hatte, mit dem er zu ihm gekommen war.

Und der hatte die Beweggründe gar nicht begriffen!

Waren die Leute denn wirklich blind? ... Konnte man den Vertretern der Justiz, die doch berufen waren, die Wahrheit zu ermitteln, so leicht eine Nase drehn? ... Das war ja nicht zu glauben, daß sie alle blind waren. Dann konnte man ja tun und lassen, was man wollte, wenn das möglich war. – –

Sie spielte mit den Handschuhen, und in einem plötzlichen Entschlusse, nahm sie den einen, sie wußte genau, daß es der linke gewesen, und legte ihn auf die Platte des Schreibtisches und strich ihn glatt.

Der war ihm ins Gesicht gefahren. Ach er war es ja kaum. Es war ja nur ein Lufthieb gewesen. Sie wußte genau, daß sie ihn gar nicht recht getroffen hatte, obwohl sie es sehr ernstlich beabsichtigt hatte.

Und dann suchte sie ein großes Kuvert, und mit ihrer gewöhnlichen Handschrift schrieb sie die Adresse:

Herrn Dr. Kurt Laue
Margarethenstraße
W. 10

Faltete den Handschuh sauber zusammen, und tat ihn in das Kuvert.

Ehe es ihr wieder leid tun konnte, nahm sie Hut und Jacket und ging hinunter zum Briefkasten, sah noch, daß er schon in einer Viertelstunde geleert wurde und warf den Brief ein.

Dann ging sie weiter. Und es war ihr, als ob eine schwere Last von ihrem Herzen genommen war.

Jedenfalls sollte er sehen, wie sie jetzt dachte. Er würde das schon verstehn, was es bedeutete, daß sie ihm den Handschuh sandte, mit dem sie nach ihm geschlagen hatte.

Keinen Augenblick dachte sie daran, daß er nun irgend etwas darauf erwidern könne. Das wollte sie gar nicht, sie würde sich auch auf nichts einlassen mehr. Nur das Unrecht, das sie ihm angetan, wollte sie wieder gut machen, weil sie ihn in seiner Mannesehre so gekränkt hatte.

Mochte er dann weiter von ihr denken, was er wollte.

Und doch suchte sie in den folgenden Tagen jeden Morgen die Post durch, ob nicht eine Zeile von ihm dabei war. Aber es kam nichts. Und sie mußte daran denken, wie sie ihm damals seine Karte ohne ein Wort weiter zurückgesandt hatte, die er ihr mit den Blumen geschickt hatte.

Nun revanchierte er sich und ließ nichts von sich hören, genau wie sie damals getan. –

Sie hörte auch sonst nichts von ihm. Es war, als sei er nicht mehr auf der Welt. Niemand sprach von ihm, und sie selbst konnte doch nicht von ihm anfangen. Und dabei hätte sie gern gewußt, was er trieb.

Auch sein Name, der eine Zeitlang so vielfach in der Zeitung gestanden, erschien dort nicht mehr, als sei er von der Bildfläche gänzlich verschwunden. –

Sie ging viel aus, hoffte ihn einmal von fern zu sehen – aber er schien auch nirgends mehr zu verkehren. Und es war bald ein Monat vergangen, seit sie seinen Namen nicht mehr hatte nennen hören. Dann erfuhr sie, daß er viel auf Reisen sei. Eine große auswärtige Gesellschaft hatte ihn mit Beschlag belegt, und es sollte ihm glänzend gehn.

*

Sie war zur Eröffnung der Ausstellung der Akademie am Pariser Platz, wo sie sich mit Paul Bröse treffen wollte. Aber sie fand ihn nicht, sondern stand mit anderen Freunden, als sie auf Kurt Laue stieß. Ganz unerwartet stand er vor ihr, die Bekannten neben ihr begrüßten ihn, und sie konnten nicht anders, sie wurden einander vorgestellt. Aber keiner von ihnen brachte es fertig, die Phrase: ich hatte schon einmal die Ehre oder so zu sagen, aber sie dachten es beide und schwiegen.

Wer zuerst die Hand ausstreckte, wußten sie nicht; jeder meinte, der andere sei es gewesen, aber sie reichten sich die Hand, und da vermochte sie es nicht, wie sie wollte, ihre Finger nur kühl in die seinen zu legen, sondern mit einem krampfhaften Druck faßte sie zu, und sie fühlte, wie seine Hand ihre Finger einen Augenblick umschloß, als wolle er sie festhalten. Dann ließ er sie ebenso rasch wieder los, und sie mußten ein paar Worte mit einander wechseln.

Sie sah nichts mehr von den Bildern, wußte nichts mehr; aber sie fühlte eine große Ruhe in sich, und so hob sie die Augen, und begegnete den seinen, die sich fragend ängstlich auf sie richteten.

Und dann mußte sie ihm doch wohl zugelächelt haben, denn er wurde gesprächig, und da er sie einen Augenblick allein hatte, sagte er:

– Ich bitte sehr, aber ...

Weiter wußte er nichts, und sie fühlte nur ihre Knie zittern und wartete, daß er ein Wort weiter sagen sollte.

Weshalb bat er sie denn um Entschuldigung? wozu? wo sie doch viel eher Anlaß hatte, ihn ...

Dann wußten sie sich nichts mehr zu sagen.

Ob er ihren Brief mit dem Handschuh damals nicht erhalten hatte?

Das hätte sie gern gewußt. Und wie sie jetzt einen Augenblick allein standen, sah er sie an, und faßte in die Brusttasche seines Jacketts und sie sah in seiner Hand einen hellen Handschuh, und dann hatte sie das Gefühl, als müsse sie über und über erröten. Aber sie beherrschte sich doch wohl, denn offenbar fiel es niemandem auf.

Allein dann sah sie, wie sein Gesicht sich plötzlich verdüsterte, es tat ihm wohl leid, daß er so gehandelt, er machte ihr eine hastige Verbeugung, und ehe sie ihn fragen konnte, was er denn habe, war er verschwunden, und sie sah Paul Bröse auf sich zukommen.

Der war schuld, daß Laue sie so plötzlich verließ. –

Mußte der Justizrat auch gerade in diesem Augenblicke auftauchen?

Er hatte wohl Kurt Laue nicht gesehn, sonst würde er ein Wort gesagt haben. Sie traute sich auch nicht, zu sagen, daß sie eben mit ihm gesprochen hatte.

Sie ließ ihre Augen suchend umhergehn, ging unruhig durch die Säle, daß der Justizrat fast ungehalten wurde, wie sie ihn immer wieder fortzog. Und dann ging sie mit einem Male, indem sie Müdigkeit vorschützte, und nahm sich gleich auf dem Pariser Platze, wo die Sonne so grell auf dem Asphalt brannte, ein Auto, wollte keine Begleitung, sondern fuhr direkt nach Hause, obgleich sie doch eigentlich verabredet hatten, daß sie mit Freunden im Adlon oder bei Bristol frühstücken wollten.


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