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XVI

Sie lag im Moos hart am See auf einer bunten Decke und hatte die Augen geschlossen, als ein Schatten über sie fiel, aber sie rührte sich nicht, denn sie dachte, es könne nur Magda Hellesen sein, die sie vorhin verlassen hatte, um im Gutshause nachzusehn, ob ihr Mann noch nicht angekommen war, wie er das versprochen hatte.

Den ganzen sonnigen Vormittag lagen sie hier schon faul im Park am See und sonnten sich, müde von einem langen Spaziergang, den sie in aller Herrgottsfrüh im Walde gemacht hatten.

Es war ein so wunderbares Ausruhn nach der Nervosität der Stadt, nach allem, was sie in den letzten Lagen durchgemacht hatte, seit sie wußte, was für ein Mensch dieser Doktor Laue war.

Sie hatte anfangs so gut von ihm gedacht. Er war ihr sehr sympathisch gewesen, vor allem, weil er doch der Bruder ihrer lieben Freundin Else war. Das hatte ihn ihr so nahe gebracht, wie das sonst noch mit keinem Menschen der Fall gewesen war.

Das allein war der Anlaß gewesen, weshalb sie ihn schon nach dem ersten Zusammentreffen im Hause von Hellesens zu sich aufgefordert hatte.

Und Magda wußte auch sein Lob zu singen, was für ein anständiger Charakter er sei.

Sie selber hatte freilich nur den Beweis, wie die ahnungslose Magda sich gründlich hatte täuschen lassen.

Vor allem hatte Paul Bröse recht behalten, als er nicht einverstanden gewesen war, als er Mißtraun gehabt und nur unwillig an diese neue Bekanntschaft herangegangen war.

Er hatte damals das Wort: ein Lebemann! fallen lassen. Aber es steckte wohl mehr dahinter.

Ein gewissenloser Mensch, der die Arglosigkeit einer Frau zu nutzen verstand, die gar keinen Gedanken, keine Ahnung gehabt hatte, daß sie sich in Gefahr vor ihm befand.

War sie denn so arglos gewesen? war sie wirklich nur das Opfer eines gewissenlosen Wüstlings geworden?

Nein! das konnte sie von sich selbst nicht behaupten.

Sie hatte auch Schuld. Sie war ja auch in eine so seltsame Stimmung geraten, die sie zuvor nie gekannt, alles in ihr war aufgewühlt gewesen. Das hatte er verstanden.

Nur daß sie ihm ja nicht zu folgen brauchte, nur daß es an ihr gewesen wäre, jeder Möglichkeit aus dem Wege zu gehn, aber das hatte sie nicht getan. Sie hatte ihn den Abend über allein behalten, hatte sich von seinen Worten einlullen und einschmeicheln lassen, hatte ihm mit offenen Lippen zugehört, hatte auch seinen ersten Kuß geduldet, weil sie in dem Augenblicke das Gefühl hatte, daß es gar nicht anders sein konnte.

Und sie fühlte wieder, wie er sie im Arm gehalten, sie hatte sich so geborgen gewußt, und nichts in ihr hatte sich dagegen gewehrt, alles drängte zu ihm hin. Und es wäre ja auch alles gut gewesen, wenn er nur nicht so dumm fortgelaufen wäre. Denn sie hatte da oben am Fenster gestanden, und hatte immer wieder die Hand von dem Türgriff genommen, weil sie sich nicht entschließen konnte, wieder hinunter zu gehn, zu ihm.

Sie traute sich nicht, das Mädchen zu rufen, sie wußte gar nicht, was sie tun sollte, nachdem sie sich von ihm losgerissen.

Und wäre doch am liebsten hinabgeeilt, – aber das durfte ja nicht sein. Das war unmöglich. –

Und als sie ihn unten im Garten sah, wollte sie ihn zurückrufen. Er konnte doch so nicht gehn, so nicht!

Aber wie ein Dieb in der Nacht schwang er sich über das Gitter, ohne abzuwarten, wozu sie sich entschließen würde.

Da schon war sie erbittert gegen ihn gewesen.

Hatte noch lange am Fenster gestanden, hatte bei jedem Geräusche gedacht, er kehre zurück, – aber nichts geschah, nichts. –

Am anderen Morgen auch nichts.

Immer hatte sie erwartet, er werde unter irgend einem Vorwande anrufen. Vielleicht hätte sie ihm ebenso wie am folgenden Tage nur durch das Mädchen ein abweisendes Wort sagen lassen. Aber er mußte doch irgend etwas unternehmen, irgend was mußte doch geschehen.

Und sie wartete voller Ungeduld, hielt es am Morgen nicht im Zimmer aus, ging ruhelos durch das Haus und den Garten, sah nach dem Wege, der von dem Festlande zur Insel führte, traute sich keinen Schritt weit vom Hause fort. Und zum ersten Male, seit sie Harras hatte, liebkoste sie den Hund, legte den Arm um ihn, der ganz still hielt, und ihr nur wie dankbar die Hände leckte.

Der war treu, der gehörte zu ihr, verließ sie nicht in ihrer Not.

Aber wußte sie denn, ob der Mann sich mehr aus ihr machte?

Vielleicht war es für ihn nur ein Abenteuer mehr auf seinem Wege, eine neue Nummer nur, und am anderen Morgen hatte er es schon wieder vergessen.

Er schien sie wirklich vergessen zu haben, denn nichts geschah. Sie wartete und wartete vergebens.

Und nach der langen Unruhe fing der Stolz sich in ihr zu regen an, daß sie sich soweit vergessen hatte. Und der Haß gegen den Mann, der sie so gedemütigt, stieg in ihr auf, siedend heiß.

Ein wachsender Haß, der immer stärker wurde, – und als am Nachmittage, da es schon zu spät war, endlich die Blumen mit seiner Karte kamen, da hatte sie in der ersten Aufwallung die Karte genommen und sie ihm zurückgeschickt, und die Blumen hätte sie am liebsten zum Fenster hinausgeworfen oder sie mit Füßen getreten, aber das konnte sie nicht vor dem Mädchen. Ließ sie in eine Vase stellen, ganz abseits, wollte nicht durch das Zimmer gehen wo sie standen, und konnte es doch nicht lassen.

Aber der Duft fiel ihr auf die Nerven, daß sie ein paarmal daran war, sie selbst zu nehmen und hinauszutragen; aber dann ließ sie es jedesmal wieder.

Und dann hatte sie sich plötzlich entschlossen zu Magda Hellesen mit hinaus zu fahren, damit sie fern von allem war, was sie beunruhigte.

Und so lag sie hier in der Sonne im Park und träumte und mußte immer an den Mann denken, der sie so bis ins Innerste gekränkt hatte, und dessen Küsse sie zu fühlen glaubte, den sie in ihren Adern spürte, ohne daß sie sich dagegen wehren konnte.

Aber zuvor hatte sie erst noch ihr Haus in der Stadt aufgesucht, und da war er ihr in den Weg gekommen, und all der aufgespeicherte Haß, alles was sie inzwischen erfahren, hatte nur den einen Ausweg gefunden, daß sie ihn in das lächelnde Gesicht schlug.

Sie begriff nicht, wie sie dazu gekommen war, woher sie den Mut gefunden hatte.

Und sie war vor sich selber erschrocken, als sie sein Gesicht gesehn.

Einen Augenblick hatte sie gedacht, nun werde er sich auf sie stürzen, und werde sie einfach vernichten, so wild flammte es in seinen Augen auf, und da war sie geflohen, am liebsten wäre sie gerannt. Aber sie war nur rasch gegangen und zitterte, weil sie seine Schritte hinter sich hörte, und war tiefaufatmend erst stehen geblieben, als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, durch die sie eben erst auf die Straße hinausgegangen war.

So harmlos war er ihr entgegengetreten, als sei nichts zwischen ihnen gewesen, als seien sie liebe gute Bekannte, die sich ein paar Tage nicht gesehn hatten und sich nun freuten, einander wieder zu begegnen.

Diese lächelnde Selbstverständlichkeit hatte sie maßlos empört, hatte ihr Blut zum Sieden gebracht, daß sie nicht anders konnte, als ihm ihre Verachtung sichtbar zu machen – als ihn zu züchtigen, wie sie es getan.

Sie bereute es nicht. Er verdiente es nicht besser.

Aber sie war doch glücklich – als sie ein paar Stunden später mit Magda Hellesen im Auto, aufs Land fahren konnte, wo sie sicher vor ihm war. Dahin konnte er ihr so leicht nicht folgen. Hier war sie vor ihm in Sicherheit, wenigstens vorläufig.

Sie blinzelte ein wenig mit den Augen in die Sonne, um zu sehn, was Magda Hellesen machte, aber sie schrak auf, denn zu ihren Füßen stand ein Mann, der auf sie herabsah.

Einen Augenblick stockte ihr Herzschlag, – dann sah sie, daß es nicht der war, den sie im ersten Momente erwartet und gefürchtet hatte, sondern es war ihr alter Freund Paul Bröse. Und nun setzte sie sich lächelnd auf im Moos und nickte ihm zu. Aber das Herz schlug ihr doch wie toll.

– Gut geschlafen, fragte er?

– Ich habe nicht geschlafen, sondern nur die Augen geschlossen und geträumt und nachgedacht, sagte sie zu ihm aufblickend.

– Geträumt? Was Angenehmes? ...

– Das kann ich nicht gerade sagen. Aber lassen wir das. Wie aber kommen Sie hierher?

– Gott, wie das so kommt. Ich war mit Hellesen gestern bei Laue zusammen, und da ergab sich das so. Ich habe natürlich die Einladung hierher sofort angenommen, weil ich ja wußte, daß ich hier eine liebe Freundin treffen würde.

Bei Laue waren sie gewesen? sagte er. Wie kamen sie dazu? Hatte es etwa dort eine Auseinandersetzung gegeben? Wußte er, was geschehen war?

Sie hätte ihn am liebsten sofort gefragt, aber die Stimme stockte ihr, und sie wartete, was nun kommen würde. Aber er sagte nur:

– Es ergab sich erst auf dem Heimwege, – sonst könnte ich Ihnen gewiß die schönsten Grüße von Doktor Laue bestellen.

– So! sagte sie nur.

Aber sie fühlte sich wie befreit, denn danach wußte noch niemand etwas von dem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Und sie atmete tief auf, daß es vorerst dabei blieb.

– Wollen Sie sich nicht zu mir setzen? fragte sie ihn. Ich renke mir ja sonst den Hals aus, wenn ich so zu Ihnen aufsehen muß.

Und sie rückte ein wenig zur Seite, breitete das Tuch aus, strich es glatt und ließ die Füße den Hang zum See hinunter.

Er kniete sich erst hin und setzte sich dann. Alles ein wenig schwerfällig. Und er kam ihr komisch vor, wie er nun mit angezogenen Knien neben ihr saß, und den kleinen steifen Hut abnahm, der nicht recht in die ganze ländliche Umgebung hineinpaßte. Ob er die Melone auch auf der Autofahrt getragen hatte? aber sie wußte ja, daß sie im geschlossenen Wagen gekommen waren. Also ging es immerhin.

– Ist es nicht schön hier? fragte sie ihn. Je älter ich werde, um so mehr entdecke ich mein Herz für die Natur.

– Spüren Sie, daß Sie älter werden? ... Auch Sie, liebe Freundin?

– Aber das glaube ich. Die lieben Mitmenschen erinnern einen ja daran, wenn sie einem zum Geburtstage gratulieren.

– Wollen Sie mich einmal anhören? ...

– Aber, lieber Freund! Sie wissen doch, daß ich Ihnen immer aufmerksam zuhöre. Weshalb diese feierliche Beschwörung zuvor?

– Liebe Eveline! seien Sie einmal nicht ironisch, was zudem gar nicht zu Ihrem lieben Charakter passen will.

– Sehr schmeichelhaft.

– Also, ich habe mir nunmehr eine Position errungen, die dank den letzten Ereignissen sich wohl sehen lassen kann. Pekuniär kann ich sagen, daß ich aus allen Sorgen bis in die fernste Zukunft heraus bin. Und da komme ich wieder mit der Frage, die ich schon einmal an Sie gestellt habe. Damals haben Sie mir gesagt, ich solle Ihnen Zeit lassen. Inzwischen ist eine geraume Zeit verflossen. Ich werde nicht jünger, und da komme ich Ihnen nun wieder. Ich glaube, daß Sie mich in all den Jahren gründlich kennen. Sie wissen, wie ich Sie schätze und verehre. Von Liebe will ich gar nicht reden, aber das ... Nun, auch davon wäre ein Wort zu reden, aber das wollen wir vorerst beiseite stellen und nur die nüchterne Vernunft walten lassen. Ich glaube, unsere Charaktere, unsere ganze gesellschaftliche Stellung paßt zueinander. Wozu soll jeder von uns so allein für sich durchs Leben gehn? Könnten wir denn unseren Weg nicht noch ein wenig näher als jetzt mit einander gehen? Wollen Sie sich das nicht doch einmal aufs neue überlegen? ...

Sie schwieg und sah auf den See, wo ein paar Enten mit leisem Gequak hin- und herschwammen. Ein Vogel über ihnen zwitscherte, aber brach gleich wieder ab. Und nur das Fallen einer Kastanie, die in den See schlug, unterbrach die Stille.

Dann hob sie den Kopf und sagte sanft:

– Mußte das sein, lieber Freund? Mußten Sie mir in diesen Gottesfrieden, bei dem ich auf all das nicht gefaßt war, wenn ich ehrlich sein soll, wo ich an ganz etwas anderes dachte, einbrechen, – mit einer so schwergewichtigen Frage, auf die ich Ihnen ebensowenig heute eine Antwort geben kann, wie seiner Zeit. Ist es denn nicht sehr schön, wie alles ist? Warum wollen Sie durchaus eine Änderung haben? Seien Sie doch zufrieden mit dem, wie es jetzt ist.

Er schüttelte den Kopf und sagte:

– Nein, Eveline, es wäre für Sie viel besser. Sie ständen nicht so allein. Sie hätten einen Schutz.

Wieder stieg die Angst in ihr auf, daß es nun kommen würde, daß er mehr wußte, als er sagte, aber mutig fragte sie:

– Und bitte, wer tut mir was? Wer bedroht meine Ruhe?

– Niemand direkt. Ich glaube nicht, daß ein Mensch sich unterstehen würde. Aber es wäre ganz gewiß besser. Es gibt doch so manches. Eine Frau ist leicht Dingen ausgesetzt, die für sie und ihren Ruf nicht gut sind, von denen sie selbst vielleicht nichts erfährt. Aber wenn die anderen sie zum Gegenstande ihres Interesses machen, indem sie ... aber das läßt sich Ihnen eben nicht so erklären. Kurz, glauben Sie mir: Sie täten gut daran, meine neue Werbung doch recht sorgsam zu erwägen, und nicht einfach abzutun.

– So verbergen Sie mir etwas. Es gibt etwas, was Sie meinetwillen beunruhigt?

– Nichts Spezielles. Nur allgemeine Erwägungen, wie sie eben bei jeder Frau zutreffen, die allein steht, nicht gerade besonders bei Ihnen.

Sie schwiegen beide, – und dann schüttelte sie den Kopf.

– Nein – lieber Freund, lassen wir das doch. Ich möchte meine Freiheit nicht aufgeben. Ich weiß nicht, – aber ich bin nicht mehr so elastisch, daß ich mich in neue, – denn es wären immerhin neue Verhältnisse, – so leicht einfügen könnte, wie Sie das glauben. Ich bin Ihrer ja gar nicht wert.

Und sie sagte das, mit einer gewissen Hast, und wiederholte es noch einmal:

– Ich bin Ihrer wirklich nicht wert.

Er lachte:

– Sie meiner nicht wert? Aber das ist ja ...

– Kennen Sie mich denn? ... Wissen Sie denn, was eine Frau denkt, empfindet und erlebt, – wenn auch nicht gerade in der Wirklichkeit, aber in ihrer Phantasie? fügte sie rasch hinzu.

– Da muß ich doch lachen, Eveline. Entschuldigen Sie, aber ich kenne doch Ihr Leben zu gut. Und da ...

Aber wie sie ihn jetzt ansah, schwieg er doch. Ein so bitterer Ernst lag auf ihrem Gesichte. Und einen Augenblick hatte sie das Gefühl, was er sagen würde, wenn sie ihm alles erzählte, was in den letzten Tagen geschehen war.

Sie hatte das Bedürfnis, dem alten Freunde zu beichten, nicht nur was an jenem Abend in dem Gartensaal geschehen war, sondern daß dieser Abend ihr weiter im Blute lag, daß sie immer daran denken mußte, daß sie schon soweit war, nicht mehr in Reue oder mit einem Vorwurfe daran zu denken, sondern, daß, – – aber das war ja alles Unsinn. Die Hauptsache war, sie konnte unmöglich, nach dem was geschehen war, noch seine Werbung jemals annehmen.

Das war alles nicht geklärt, war nicht überwunden, sondern brannte frisch, zitterte alles noch in ihr. Und da gerade kam er mit seinem Antrage.

Und sie sah das Gesicht Kurt Laues vor sich, wie er sich verlangend über sie gebeugt hatte, wie sie ihm nicht gewehrt, wie sie ... ja, sie hatte in dem Augenblicke auch nichts anders gewollt, als was er von ihr forderte. Sie war schwach gewesen, oder sie war auch so stark gewesen, daß sie geschehen ließ, was sie selbst ersehnte.

Und sie stellte sich vor, wie so ganz anders es sein würde, wenn der Mann, dem sie den Handschuh ins Gesicht geworfen hatte, jetzt neben ihr sitzen würde. Ob der auch so kühl geschäftsmäßig von einer gemeinsamen Zukunft reden würde, ob der nicht vielmehr die Gegenwart beim Schopfe fassen würde und ...

Ja, war sie denn nicht wert, als Frau begehrt zu werden? Hatte sie denn kein Blut, das aufwallen konnte? war sie denn ein Stock oder eine Handelsware, daß sie nur aus rein praktischen Erwägungen heraus sich ihre Zukunft gestalten sollte?

Sie sah sich den Mann an, der da neben ihr ausgestreckt lag, der sich auf seinen Arm stützte, und das Haupt gesenkt hielt, so daß sie sah, wie sein Haar schon an den Schläfen grau war, wie es licht wurde, wie hart seine Hände waren, wie er so gar nicht das war, was eine Frau verlocken konnte. – Sie stellte sich vor, wie sie sich verhalten würde, wenn er an einem schwülen Sommerabend sie umfangen und begehren würde. Ob sie da auch so willig sich geben konnte?

Und ein leiser Schauer der Abwehr kroch ihr kalt über den Rücken, wenn sie sich vorstellte, daß sie sich vor diesem Manne jemals entkleiden sollte.

Nein, das war nicht möglich, – das ging einfach nicht, jetzt gewiß noch weniger als je.

Nach dem was vor ein paar Tagen geschehn, schon gar nicht.

Mit dem Gedanken an jenen Abend, an den anderen, mit der Erinnerung ihrer Schwäche war das ausgeschlossen.

Sie erhob sich rasch, daß er noch am Boden war, während sie schon ihre Röcke glatt strich und sich schüttelte, um ein paar Zweige abzustreifen. Und sie schüttelte sich auch innerlich. Und wie sie auf ihn herabsah, sagte sie sich, wie völlig ausgeschlossen es war, daß sie diesem Manne je den Mund zum Kusse reichen konnte, zu einem so wilden Kusse, wie jener gewesen, den sie ...

Über die Wiese kam Magda Hellesen, sie wollte ihr entgegeneilen; aber dann stockte sie und blieb bei ihm stehn, wie er sich langsam erhob, indem sie ihm dabei half. Und sie sah einen andern, der sie so kraftvoll gerudert hatte, wie seine Arme sich gestrammt hatten, wie selbstverständlich er aus dem Boote gesprungen war, wie alles an ihm Leben und Bewegung war.

Aber sie wollte ja nicht an ihn denken, – sie wollte von diesem Menschen nichts mehr wissen,, der nur sein frivoles Spiel mit ihr getrieben hatte, der sie zum Gegenstande einer Wette gemacht hatte. – –

Das war es ja, was sie empörte, was sie erfahren hatte.

Gesagt hatte es ihr niemand, aber aus den Andeutungen Magdas hatte sie es nur zu deutlich herausgehört, am Tage als sie aus ihrer Villa in die Stadt gekommen war.

An jenem Abend bei Hellesens, als er sie noch gar nicht kannte, hatte er die Behauptung aufgestellt, daß es ihm ein leichtes sein würde, jede Frau zu erringen. Und an jenem Abend in Wannsee hatte er es wahr gemacht.

Deshalb hatte sie ihn in sein freches Gesicht geschlagen, damit er wußte, daß man mit einer Frau nicht sein frivoles Spiel treiben durfte.

Und sie wartete, wenn wirklich wahr sein sollte, was sie nur vermutete, was noch alles kommen würde. Sie war fest entschlossen, sich jede Genugtuung zu verschaffen, die ihr irgend zustand.

Einen Augenblick hatte sie überlegt gehabt, ob sie Paul Bröse nicht mit in die Sache hineinziehen sollte. Ob sie ihm nicht gestehen sollte, was jener ihr angetan hatte, damit er sie rächte. Aber dann stellte sie sich vor, wie der gute Justizrat sie mit der Waffe in der Hand verteidigen würde, und höchstwahrscheinlich dabei sein Leben nutzlos opferte. Denn der andere war in allen ritterlichen Künsten sicher gewandt und bewandert, und würde kein Mitleid mit ihm haben, sondern ihn einfach über den Haufen schießen. Das aber wollte sie doch nicht.

Das war ganz ausgeschlossen. –

Magda Hellesen war nun neben ihnen, und dann setzten sie sich zu dreien auf die Birkenbank, die unter einer hängenden Trauerweide am Seeufer stand, und sie sprachen vom Pastor Hansen, der heute zu Tisch kommen sollte, und der ein sehr lebenslustiger Herr war, von dem immer neue Schwänke zu berichten waren.

Der Justizrat war sehr still – und schüttelte ein paar mal den Kopf. Und dann nahm er Frau Magda Hellesen unter den Arm und ging mit ihr um den See, und Eveline sah, wie die Freundin zu ihr herüberblickte und nickte. Sie hörte wohl mit an, was er ihr erzählte. Jedenfalls wollte er auch sie mobil machen – daß sie ihm half, auf sie einzuwirken.

Nein, das würde auch nichts nutzen. Und sie stand auf und ging allein in das Haus.

*

Am Nachmittage, als sie nach dem Kaffee auf der Terrasse saßen, und Hellesen mit der Zeitung auf seinem Stuhle eingeschlafen war, setzte sich Paul Bröse noch einmal neben sie und sagte:

– Ich will Sie durchaus nicht drängen – liebe Freundin. Sie sollen sich das mit Ruhe überlegen. Allein grade was ich in den letzten Tagen gehört habe, hat mich veranlaßt, mit meiner Bitte wieder vor Ihnen zu erscheinen. Ich meinte, das gäbe mir eine gewisse Berechtigung dazu.

– Was meinen Sie denn? fragte sie argwöhnisch.

– Nun, sagte er nach kurzem Zaudern, mir schien ein paar Tage, als ob Ihr Interesse sich auf einen Herrn richtete, der erst vor kurzem in unseren Kreis getreten ist; aber nun weiß ich, daß ich mich geirrt habe, und daß von der Seite nichts zu befürchten ist, nichts mehr.

– Ich verstehe Sie wirklich nicht.

– Um so besser – liebe Eveline!

Wie er das so sagte: Liebe Eveline! tat es ihr fast körperlich weh. Es klang so abscheulich, daß sie in diesem Augenblicke ihren Namen haßte. Liebe Eveline! ...

Sie schüttelte sich. Und was wollte er damit sagen, daß er nun nichts mehr zu befürchten habe?

Gegen wen? von wem denn?

Das verstand sie wirklich nicht.

*

Am Abend saßen sie um den offenen Kamin. Das war für sie immer die schönste Zeit, wenn man im Dämmer des Jagdzimmers saß, nur eine schwache Kerzenbeleuchtung, und aus dem Kamin fiel die helle rote Glut, und warf ihren tanzenden Schein über die Gesichter aller, die in den bequemen Ledersesseln ruhten.

Und wie sie so vor sich hinträumten, sagte Hellesen:

– Wissen Sie Justizrat, ich glaube der Doktor Laue ist ein ganz eminent tüchtiger Kerl. Der Mann gefällt mir. Ein hochanständiger Charakter. Aber bis in die Wurzelfasern anständig.

Bröse nickte nur.

– Das Rebhuhnessen war doch gediegen. Na, und der Sekt war auch nicht von schlechten Eltern. Das kann sich die notleidende Landwirtschaft doch nicht gestatten.

– Wieso gab es Sekt? fragte Magda.

– Ja, liebes Kind, den gab es, und das reichlich. Aus ganz besonderem Anlaß.

Und dabei schmunzelte er sehr geheimnisvoll.

Der Justizrat warf warnend den Kopf hoch. Und Hellesen rief:

– Nein, nein! ich verrate schon nichts. Ich werde mich schwer hüten. Aber das kann man doch sagen, daß es einer verlorenen Wette galt.

– Eine verlorene Wette? fragte Frau Magda.

– Ja, liebes Kind. Und da hat der Laue sich wieder mal als höchst anständiger Kerl erwiesen. Hat seine Wette vorher schon verloren gegeben, ehe er dazu verpflichtet war. Ich glaube, er wollte wohl auch die Rebhühner nicht länger hängen lassen. Das hat mitgesprochen. Aber gut war beides. Solche Hühner haben wir hier in der Gegend doch nicht, da ist uns Schlesien über.

– Lassen Sie doch Hellesen, sagte Bröse hastig. Wir sollten gar nicht über die dumme Geschichte reden. Ist es ja nicht wert.

– Na, von Wert wollen wir man nicht reden. Die Sache hat ihm entschieden eine Stange Gold gekostet. War alles exquisit.

Eveline sah von einem zum anderen, und sie sah, wie Magda verständnisvoll lächelte, und sie dabei ansah, und ihr mit den Augen zuwinkte, als wisse sie genau, um was es sich handelte.

Sie selbst aber hatte das bange Gefühl, daß da etwas Geheimnisvolles im Hintergrunde schlummerte, und suchte sich krampfhaft vorzustellen, ob und wie diese Wette mit ihr in Verbindung stand.

Aber das konnte doch nicht sein. – –

Er gab doch ein Essen mit Sekt, weil er eine Wette verloren hatte.

Sie starrte in die Glut, sah sich wieder in ihrer stillen Straße, wie sie ihm den Handschuh ins Gesicht schlug, und am gleichen Abend hatte er seine Freunde bei sich und zahlte eine verlorene Wette? ...

Ihre Gedanken züngelten in ihrem Hirne, wie die roten Flammenzungen im Kamin an den dicken Birkenscheiten aufwärts krochen, daran leckten, wie das Holz knackte, wenn die Glut an einen Knorren kam, wie die Scheite zusammenfielen, und die Flamme hoch aufloderte, und das Zimmer plötzlich ganz hell wurde, um dann wieder in das Halbdunkel zurückzufallen, das zuvor darin geherrscht hatte.

Und sie streckte die Füße von sich und schloß die Augen, – aber sie sah doch, wie Hellesen erst den Justizrat ansah, dann einen Blick zu ihr hinüber warf, und dann eine Bewegung mit dem Kopfe machte, die deutlich besagte: Sehen Sie nur, wie sie keine Ahnung hat!

Also handelt es sich um sie? Doch um sie? ...

Und nun verstand sie, was Bröse damit hatte sagen wollen, daß er einen ganz besonderen Anlaß habe, ihr gerade heute mit seinem Antrag zu kommen, gerade heute! Und er ahnte nicht, was er ihr damit tat. –

Sie schloß die Augen ganz fest, um zu verhindern, daß ihr die Tränen kamen. Denn ihr war unendlich weh zu Mute.

Sie wußte nicht, was sie davon denken sollte, daß der andere sich so vor seinen Freunden erniedrigt hatte, daß er doch wohl um ihretwillen so getan, als ob ...

Und sie hatte ihn ins Gesicht geschlagen! – – –

Sie machte die Augen weit auf, und sah in die helle Flamme, daß ihr die Augen schmerzten, und nun konnte sie das Tuch nehmen und sich über das Gesicht fahren.

– Setz' dich doch hierher, dreh' den Sessel ein wenig, sagte Magda Hellesen. Dir tränen ja die Augen.

Und ihr Gatte sprang auf, aber sie wehrte ab und blieb sitzen, wie sie saß.

– Nein, es ist wohl nur der Rauch, der eben aufgegangen ist, sagte sie. Ich habe die tanzenden Flammen so gern, auch wenn sie weh tun.

Und sie starrte weiter in die Glut und hörte nicht, was die andern weiter miteinander sprachen, sondern dachte immer nur das eine: Er hatte sie nicht verraten.

Im Gegenteil! – Und nun glaubte der alte Freund da drüben mehr als je an sie, und wollte ihr durchaus seine Hand anbieten, die sie nun um so mehr zurückweisen mußte.

Jetzt war das für immer ausgeschlossen. Sie hatte sich das für ewig verschüttet. Und Kurt Laue hatte sie sich auch für alle Zeit entfremdet.

Das konnte kein Mann jemals vergeben. –

Sicher nicht. –

Schließlich mußte sie sich doch an den Gesprächen der anderen mit beteiligen. Und als Hellesen aufstand und Bröse mit in das Bibliothekzimmer nahm, weil sie im Lexikon etwas nachschlagen wollten, sagte Magda leise:

– Hast du denn nicht verstanden? Ich gratuliere dir. Es hat sich doch dabei um dich gehandelt. Das heißt, ich weiß es nicht, ob man einer Frau Glück wünschen soll, wenn sie einem Manne gegenüber die Siegerin bleibt. Vielleicht ist es viel schöner und jedenfalls amüsanter, wenn man der unterliegende Teil ist. Aber mein guter Fritz kann nun mal ein Geheimnis nur schlecht bewahren. Er glaubt, die anderen merken nichts, wenn er was erzählt. Und ich meine, nach den ersten drei Worten, weiß alle Welt oft schon, um wen es sich dreht. Diesmal unterlag es für mich von Anfang an keinem Zweifel. Und was ich dir vorgestern schon andeutete, ist also richtig, daß sie dich irgendwie zum Gegenstande einer Wette gemacht haben. Eine schöne Gesellschaft das ...

– Und Paul sollte selbst mit dabei im Spiel sein?

– Sicher! sonst wäre er doch an dem Abend nicht bei dem Gelage mit dabei gewesen. Ich glaube fast, daß er es zuerst gewesen, der diese ganze Wetterei verursacht hat. Aber das weiß ich nicht gewiß, werde ich auch schon herauskriegen. Darauf kannst du dich verlassen. Fritzchen wird das schon beichten, ehe er eine Ahnung hat, daß er sich verrät.

Eveline schüttelte den Kopf, und sagte:

– Du meinst wirklich? mein Freund Paul?

– Ich wüßte sonst nicht, weshalb Bröse mir heute früh am See gesagt hat: Nun sei er deiner ganz sicher. Nun könne kommen, was wolle. Er wisse nun ganz genau um dich Bescheid.

– Hat er das gesagt?

– Ja, mein Herz, das hat er gesagt. Und mit einer solchen inneren Überzeugung, daß es geradezu etwas Rührendes hatte. Er muß also wohl sehr triftige Beweise dafür haben. Und das hängt dann sicher mit dem Abend bei Laue zusammen.

– Meinst du? ...

– Das meine ich nicht nur, – dessen bin ich sicher. Es kann nicht anders sein. –

Die Herren kamen zurück, und stritten weiter, und die Frauen rückten ihre Sessel zusammen, und plauderten nun von anderen Dingen. Magda sprach und Eveline hörte zu. Sie sagte zuweilen: So? oder Ja!! auch wohl: Ist nicht möglich?

Aber Magda hatte die Empfindung, daß Eveline kaum darauf hinhörte, was sie ihr erzählte.

Die Glut im Kamin sank langsam in sich zusammen, das letzte Scheit aus dem Korbe war aufgelegt, und die Uhr schlug elf, als sie sich erhoben. Magda begleitete die Freundin hinauf, und beim Gute-Nachtkusse fragte sie:

– Also Bröse hat gar keine Hoffnung? ... gar keine?

Einen Augenblick schwieg Eveline, dann sagte sie:

– Ich glaube, nun weniger als je. Wenn er auch nur im entferntesten mit dabei im Spiel ist, dann ... Weißt du es denn gewiß?

– Aber Kind ich kann mich ja furchtbar irren. Ich weiß ja von nichts. Ich habe doch nur meine Vermutungen so.

– Ganz gleich! Damit hat ja auch mein Entschluß im Grunde gar nichts zu tun. Ich mag einfach nicht.

– Er ist ja nicht gerade besonders repräsentabel, – aber denk nur das Ansehn, das er überall genießt, – und dann seine Stellung überhaupt, und nun gar jetzt. Du könntest doch ein Leben führen, wie du nur wolltest.

– Ich habe genug zum Leben. Mir fehlt nichts. Also wozu soll ich mich da belasten? Weiß ich denn, wie es ausgehn kann? Ein Mann ist eine gefährliche Geschichte.

– Du mußt nicht immer an deinen denken. Das war freilich alles wenig schön. Aber es gibt eben auch andre. Und einen Ehrenmann wie Paul Bröse kannst du dir suchen.

– Ich weiß nicht, wie das mit den Ehrenmännern bestellt ist, die die Welt dafür hält. Es gibt Dinge hinter den Kulissen, – da sieht so manches ganz anders aus, als die Leute denken.

– Möglich, liebes Kind. Ganz so einfach sind die Männer ja nicht. Man muß es nur verstehn, sie zu nehmen. Ich würde mir aus Bröse auch nicht viel machen, aber da ich ihm versprochen hatte, mit dir darüber zu reden, wollte ich mein Wort jedenfalls halten. Und das habe ich nun hiermit getan. Und nun: Gute Nacht, liebes Herz! ... und schlaf gut, und denk' nicht an unangenehme Dinge, wenn es dir nicht paßt. Du hast recht: man kann auch so leben. Und das mit der Liebe hat auch so seine verschiedenen Seiten. Und damit geh ich zu meinem Fritzchen – der freilich keine Rätsel zu raten gibt und überhaupt kein Problem ist. Mit dem läßt sich leicht fertig werden.


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