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X

Der Wind war völlig eingeschlafen. Kein Hauch regte sich mehr, und es war keine Aussicht, daß sie bis nach Wannsee zurückkamen.

Sie waren bis dicht an Schwanenwerder gekommen, das Tismarsche Haus lag unmittelbar vor ihnen, und so entschlossen sie sich, hier an Land zu gehn.

Vor allem booteten sie erst einmal Frau Eveline und Laue aus. Sie wollten dann das Segelboot noch bis in die Bucht am Badestrande bringen, um es dort vor Anker zu legen, und dann nachkommen. Peter Illgen mußte in die Stadt zurück.

So wurden denn Doktor Laue und Frau Tismar mit dem Beiboote an Land gebracht, und die anderen stakten in dem flachen Wasser die »Eveline« bis zu dem Bootsplatze in der Breite.

– Vor allem werde ich jetzt erst einmal dafür sorgen, daß Sie mir nicht verhungern, sagte Frau Eveline. Also müssen Sie mich schon eine Weile entschuldigen. Sie können ja im Garten spazieren gehn oder sich auf die Terrasse setzen, bis ich mich Ihnen wieder widmen kann.

Sie schritten vom Bootssteg rasch den Hang hinauf zu dem Hause, das sich breit weiter oben lagerte.

Eveline winkte mit der Hand und sagte:

– Warten Sie einen Augenblick, ich schicke Ihnen gleich das Mädchen, wenn Sie sich die Hände waschen und sich ein wenig in Ordnung bringen wollen. Ich muß uns nur erst mal anmelden, damit die Leute Bescheid wissen.

Damit nickte sie ihm zu, und eilte die Stufen hinauf.

Er ging ihr langsam nach, warf einen Blick in das große Zimmer, das ganz ähnlich wie in dem Berliner Hause den Mittelteil des Parterres einnahm, und setzte sich dann in einen der Stühle, besah seine Hände, die ein wenig Wasser sehr wohl nötig hatten, und wartete, bis nach kurzer Zeit ein Mädchen kam, wie ihm schien, eines der Mädchen, das bei der letzten Gesellschaft in Berlin mitserviert hatte. – Sie war ihm durch den wiegenden Gang aufgefallen, den sie an sich hatte, und der ihm eigentlich ein wenig komisch vorkam.

Nun führte sie ihn in den Waschraum, wo er alles fand, um sich wieder frisch zu machen.

Dann ging er in den Garten hinunter, um die Ankunft der anderen Herren abzuwarten. Es dauerte doch eine ganze Weile, ehe sie wieder erschienen. Sie kamen von der Straße her, die als Ring durch die kleine Insel führte, während Laue gedacht hatte, daß sie vom Wasser kommen würden.

Das Mädchen hatte inzwischen auf der Terrasse gedeckt, und Frau Eveline war hin und her gegangen, um die Arbeit zu überwachen. Aber er hatte getan, als bemerke er es nicht, um sie nicht zu stören.

Jetzt kam sie herab, als auch Wiluda und Seveke erschienen, und entschuldigte sich:

– Ich kann Ihnen nur eine kalte Schüssel vorsetzen, was so in einem bescheidenen Haushalte aufzutreiben ist. Sie müssen sich mit der Improvisation begnügen. Da hilft es nun mal nicht. Mitgefangen – mitgehangen! –

Aber es war natürlich viel reichhaltiger, als sie erwartet hatten.

Und was etwa gefehlt hatte wurde durch die Güte des Weins ersetzt, den Frau Eveline aus dem Keller hatte heraufholen lassen. Das war eine sehr schätzenswerte Hinterlassenschaft des seligen Herrn Tismar, wie sie feststellten.

So kamen sie bald in Stimmung und hatten vergessen, daß sie hier nur unfreiwillig waren, weil die Windstille sie gefangen hielt.

Wiluda und Seveke hatten sich in ein politisches Gespräch verbissen, und als Eveline aufstand, sprang auch Kurt sofort auf, und Wiluda rief:

– Ja, ich kann mir denken, daß Sie unser Streit nicht interessiert, aber lassen Sie mir den Baumeister noch eine Weile, er soll mir nicht wieder entschlüpfen, wie er das sonst immer tut. Ich halte ihn fest.

Dabei nickte er Laue zu, daß der ganz verwundert war. Es sah ja gerade so aus, als wolle er ihm Gelegenheit geben, mit Frau Tismar allein zu sein.

Aber er ließ es sich nicht zum zweiten Male sagen, sondern war schon neben ihr, und so schritten sie die Stufen hinunter und lehnten sich unten am Wasser, wo ein kleiner Pavillon stand, an die Steinbalustrade, und blickten eine Weile schweigend auf das dunkle Wasser, das nur von einzelnen Lichtern belebt war, kleine helle, rote und grüne Punkte, die Positionslaternen der Dampfer und Motorboote, und die schwankenden Lichter der Segler, die gerudert oder geschleppt noch den Liegeplatz zu erreichen suchten.

Der Himmel war voller Sterne, aber sie lagen so im Dunst, daß sie nicht viel davon sahen, und der Mond stand hinter einer Wolke, die sich langsam vom Westen her heraufschob.

Die Wellen plätscherten leise an das Ufer, und in dem dürren Schilf, das sich hier breit zur Linken vorlagerte, klang zuweilen der verspätete dumpfe Schrei eines Frosches.

Sie lehnte dicht neben ihm, daß sein Ellbogen sie fast berührte. Aber er machte keine Bewegung, fühlte nur die Wärme ihrer Gegenwart.

Und ganz leise sagte er:

– Ist es nicht wie in einem Traum? Möchte man solch einen Augenblick nicht verlängern bis in alle Ewigkeit?

– Würde das auf die Dauer nicht doch ein wenig langweilig werden? Ich bin mehr für Abwechslung.

– Und ich habe für die Dauer viel mehr übrig. Ich glaube, wir Männer sind doch mehr zur Treue geschaffen als es die Frauen sind.

– Wenn das auf mich mit gehen soll, so täuschen Sie sich doch in mir. Ich bin sehr konservativ in bezug auf die Menschen, weit weniger auf die Geschehnisse. Die liebe ich freilich ein bißchen mannigfaltiger. Da bin ich für Abwechslung. –

Sie schwiegen beide, und er verlängerte diese Pause mit Absicht, und ließ sie gewähren, ob sie etwas sagen würde; denn er wollte die Stimmung mit Worten nicht unterbrechen, er fand es so banal, jetzt Konversation zu machen.

Was er dachte, konnte er ihr doch nicht sagen. Aber es kitzelte ihn, ihr wenigstens eine Andeutung zu machen, nur suchte er vergeblich nach den rechten Worten, damit er sie nicht erschreckte. Und da er nichts fand, schwieg er lieber. Aber er dachte an sie, und stellte sich vor, daß sie es auch so verstehn würde, wie er sie in diesem Augenblicke begehrte, wie alle seine Wünsche sie umfingen.

Denn er begehrte sie. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, aber das ging doch nicht, denn hinter ihnen saßen die beiden Herren, und sie hörten die Stimmen laut zu sich herübertönen, wie sie sich ereiferten, wie vor allem Seveke voll Eifer in seinen breiten ostpreußischen Dialekt verfiel. – Das klang abscheulich in die tiefe Stille, die so schmeichelnd über dem See ruhte.

Ein ganz feiner Nachthauch hatte sich aufgetan, und wie Gespenster glitten die weißen Segler jetzt durch die Nacht dem heimatlichen Hafen zu. Groß und geisterhaft schwebten sie über das Wasser; und der Mond, der hervorgekommen war, gab dem Ganzen ein noch blasseres Aussehn, daß es wie unwirklich aussah, eine Traumlandschaft, die nur schemenhaft die Konturen wiedergab und ohne Leben schien.

Das Röhricht bewegte sich wie ein Kornfeld im Winde, die Halme raschelten ganz fein und leise; und alles kam zusammen, um das Kulissenhafte noch zu verstärken.

Aber er hatte die deutliche Empfindung, daß sie jetzt nicht in irgend einer Stimmung für Zärtlichkeiten war. Dafür hatte er immer ein sicheres Gefühl und er fand es nicht angebracht, daß er jetzt versuchte, ihr näher zu kommen, wo die Stimmen der beiden Streitenden beständig zu ihnen herabklangen.

Die würden ja ihres Themas auch bald überdrüssig werden, und dann kamen sie zu ihnen, und es war schwer, die Stimmung aufrecht zu erhalten. Es wäre nur ein Anlauf gewesen, der zu nichts führte. Und vergeudete Versuche waren das Entmutigendste, was es gab. Dann lieber sich bescheiden, und hübsch warten. Es hatte ja Zeit. Bei Frauen mußte man vor allem den rechten Augenblick erfassen, und der war noch nicht gekommen, wie er meinte.

Aber vorbereiten konnte man immerhin; und so fing er an, ganz leise zu sprechen, von Freundschaft und Zuneigung, und wie man eigentlich vom ersten Augenblicke, da man mit einem Menschen zusammenkam, die Sicherheit und das Gefühl habe, ob der andere einem mehr werden konnte oder nicht.

Mancherlei Enttäuschungen gab es freilich, aber im allgemeinen hatte er sich nie dabei geirrt, sondern war seiner Sache immer sehr sicher gewesen, vom ersten Sehen an.

Sie schwieg, und ließ ihn sprechen, und hörte mehr dabei auf den Klang seiner Stimme, die es versuchte, sie einzulullen. Seine tiefe Stimme hatte ihr vom ersten Momente ab so gefallen. Sie hörte Seveke mit seinem harten Ostpreußisch sich ereifern, und sie sagte sich, daß selbst das zärtlichste Wort in diesem Dialekte für einen, dem der Klang von Jugend an nicht vertraut war, einen zu befremdlichen Beigeschmack haben mußte.

Und Wiludas manchmal so rollende Rs waren auch nicht dazu angetan, ihrem Ohre zu schmeicheln.

Laues Stimme aber war ihr sympathisch, das gestand sie sich ohne weiteres zu.

Er hatte eine so nette Art, mit ihr umzugehn. Sah sie in seiner offenen Weise manchmal sehr keck an; und sie hatte das Gefühl, als liege Wärme in seinen Augen, die wiederum sehr kühl blicken konnten, wie sie schon beobachtet hatte.

Nun kamen die beiden anderen zu ihnen, und da war es mit einem Male ganz anders.

Die Stimmung verflog; und es war das Gespräch dreier Herren der Gesellschaft, die in Gegenwart einer Dame das Thema so wählten, daß auch sie Interesse daran haben konnte. Aber eigentlich war es banal geworden, und sie hatte das Schweigen mit Kurt Laue viel beredter gefunden.

Es war noch nicht spät, als sie aufbrachen. Zu dreien konnten sie ganz gut durch den Wald gehen, und verzichteten darauf, daß der Dogcart angespannt wurde, das Geschaukel war auch kein besonderer Genuß. Der halbstündige Spaziergang würde ihnen nicht schlecht bekommen. Und so brachen sie bald auf.

Frau Eveline geleitete sie noch bis an das Gartentor, dann schritten sie rasch aus, erst den Fahrweg zwischen den Villen hin über den Damm, der die Insel mit dem Lande verband, dann durch den tiefen Hohlweg und nun durch den dunklen Wald, dessen Stämme sich so schwarz gegen den Himmel und den See abhoben, so lange sie noch am Rande hingingen. Endlich sahen sie nur noch die dunkle Schneise, die der gepflasterte Weg durch den Wald schnitt.

– Na, sagte Seveke, wir haben Ihnen doch nun heute, dächte ich, Gelegenheit genug geboten, aber recht ausgenutzt haben Sie es nicht.

– Was für eine Gelegenheit?

– Mit unserer Freundin allein zu sein.

– Nun, und?

– Ja, was ist denn? ... Haben Sie denn ganz vergessen? – Sie haben nur noch zehn Tage, dann ist es aus damit.

– Ach so! ... Da haben Sie mir wohl schon mit der Segelpartie eine goldene Brücke bauen wollen?

– Nu selbstredend, Mannchen, sagte Seveke. Sind wir nicht nett? Sie sollen sich nicht beklagen können, daß Sie etwa keine rechte Gelegenheit hatten. So was lassen wir uns nicht nachsagen.

– Wäre aber gar nicht nötig gewesen. Ich denke nicht mehr daran.

– Das gibt es nicht.

– Doch! ... Denn damals habe ich Frau Eveline noch nicht gekannt, und heute ist das ganz anders.

– Ach? – und da geben Sie das Rennen auf, wollen Reuegeld zahlen, um sich nicht der sicheren Blamage auszusetzen? Nein, mein Lieber, das gibt es nicht. Die Geschichte wird bis zu Ende geführt. Aber sehr! Und dann eine Erklärung so klipp und klar, wie nur möglich.

– Die gebe ich Ihnen, wenn Sie wollen, schon heute.

– Nee, nee! wir lassen uns auf nichts ein. Noch haben Sie ja Zeit, und werden es sich auch überlegen. Einfach sich in die Büsche schlagen, – damit ist uns nicht gedient. Sie haben eine Behauptung aufgestellt, und nun müssen Sie auch dafür einstehn. Ein ehrlicher Kampf, aber keine Drückebergerei.

– Ja, sagte Wiluda, da hat Seveke recht. Die Flinte schon jetzt ins Korn werfen, das gibt es nicht, zumal Sie ersichtlich Chancen haben, die nicht zu verachten sind. Jedenfalls haben Sie vor uns allen eine Masse voraus, wie mir scheint. Also da wird fein ausgeritten und ehrlich gekämpft.

Laue schwieg und sog an seiner Zigarre.

Die beiden hätten auch was besseres tun können, als gerade jetzt mit dieser dummen Geschichte anzufangen.

Er hatte sich bald gedacht, daß diese Segelpartie nicht ohne Absicht zustande gekommen war, denn sie hatten ihm vorher kein Wort gesagt, daß Frau Eveline mit dabei sein würde, und wahrscheinlich hatten sie ihr wieder nichts davon gesagt, daß auch er mit eingeladen war.

Bisher war ihm das ganz recht gewesen.

Aber, daß sie beide sich jetzt ihrer Heldentat, als sei sie was besonderes, in so unzarter Weise rühmten, gefiel ihm gar nicht.

Das war höchst überflüssiges Gerede.

Und so schwieg er, ging still für sich durch den Wald, hatte auch genug zu tun, daß er nicht vom Wege abkam, und war froh, als sie auf die große Chaussee stießen, wo der Bahnhof schon zu sehen war. –

Im Coupé kamen sie nicht weiter auf das Gespräch zurück. – Sie merkten wohl, daß es ihm unangenehm war. So ließen sie ihn, denn sie wußten, daß er recht unangenehm werden konnte, wenn ihm etwas nicht paßte.

Sie waren alle drei auch ein wenig abgespannt, und so setzte sich jeder still in seine Ecke, – und über Frau Eveline Tismar fiel kein Wort weiter.


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