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VI

Er wartete einen Augenblick, bis die Insassen des Autos, das vor dem Tismarschen Hause vorgefahren war, ausgestiegen waren, ein Herr und eine Dame, die er nicht kannte, dann erst ging er weiter, und trat in den hell erleuchteten Flur ein, wo zwei Diener seine Sachen in Empfang nahmen.

Vor dem Spiegel lagen auf einem silbernen Tablett noch eine ganze Anzahl der kleinen geknifften Karten, deren Namen er rasch überflog. Sie kamen alle. Er sah die Namen von Hellesen, Illgen, Seveke, Mandy, Ivers und dann seinen eigenen.

Er hatte gedacht, daß er die Hausfrau zu Tisch führen würde, und war sehr enttäuscht, als er auf seinem Kärtchen den Namen: Frau Beate Mochow las. Also doch Frau Beate, wie sie das gewünscht hatte.

Es war immer noch die Möglichkeit, daß er neben der Hausfrau saß. Das war anzunehmen, da er zum ersten Male im Hause war, nur daß irgend ein anderer wohl dem Alter und dem Range nach das Vorrecht hatte, die Wirtin zu Tisch zu führen, – vielleicht ein Onkel oder sonst wer, dem er nachgeben mußte.

Er stand noch vor dem Spiegel und richtete sich die Krawatte, als er in dem Glase Wiluda sah. Der war also auch geladen. Das halbe Dutzend war also wieder voll, – der Kometenschweif, wie Frau Beate sagte.

Ach so: Natürlich, daß der Justizrat sie zu Tisch führte. Das tat er gewiß, auch wenn sie einen anderen Gast zum ersten Male im Hause hatte. Gegen ihren ältesten und offensichtlich besten Freund mußte er natürlich zurückstehen. Das ergab sich von selbst.

Eine einzelne Dame kam herein, und wurde von dem Mädchen in das Garderobenzimmer geführt, und mit Eugen Wiluda, der ihm voranging, schritt Kurt Laue nun nach rechts, in ein Zimmer, das er noch nicht kannte, und erst von dort in den Parterresaal, dessen Tür nach dem Flur geschlossen war.

Er sah sie gleich stehen, ehe er einen der anderen Anwesenden überhaupt bemerkt hatte, und schritt rasch auf sie zu, ehe Wiluda ihm zuvorkam, um sie zu begrüßen.

Schon am Morgen hatte er ihr einen Strauß Blumen geschickt mit einigen Zeilen, die ihm viel Kopfzerbrechen gemacht hatten. Jetzt kam er mit leeren Händen. Er wollte nicht aufdringlich scheinen, und hatte es deshalb vorgezogen, ihr schon am Morgen seine Glückwünsche zu übermitteln.

– Ich danke Ihnen auch für Ihren Gruß. Aber es sollte ja niemand wissen, daß ich heute wieder ein Jahr älter geworden bin.

Er wußte nicht, ob sie das sagte, um irgend ein Kompliment zu hören, aber er nahm es nicht an, und überhörte die Phrase, küßte ihr nur die Hand.

– Ich glaube, Sie kennen die meisten, sonst wird unser Freund Wiluda Sie vorstellen. Ich bin darin merkwürdig ungeschickt. Ich vergesse immer, daß manche Menschen sich noch nicht kennen, weil ich in einem Kreise lebe, in dem eben jeder von dem anderen alles, und manchmal noch mehr weiß. Also machen Sie sich nur ruhig selbst bekannt, oder rufen Sie Wiluda, dem das Spaß macht, und der Sie auch immer gleich orientieren kann. Und nun begrüßen Sie nur gleich Ihre Tischdame, die schon eifersüchtig unser Gespräch überwacht.

Damit gab sie ihm nochmals die Hand, und wandte sich einem alten Herrn zu, der lebhaft auf sie zukam.

Er hörte nachher den Namen, es war ein Professor, der nur zu Besuch in Berlin war, und mit Herrn Tismar einmal befreundet gewesen.

Wer war eigentlich dieser Herr Tismar? Die Frage quälte ihn ein wenig; und als er Beate begrüßt hatte, fragte er sie, und hätte vor allem gern ein Bild von ihm gesehen.

– Viel Bilder gibt es von ihm nicht in diesem Hause, sagte sie. Nur das eine große Porträt oben im Balkonzimmer. Wenn Sie wollen, können Sie das nachher unter meiner Führung sich ansehen. An Photos gibt es nichts. Schon zu seinen Lebzeiten haben die nicht hier herumgestanden. Eveline brauchte sie also nicht erst wegzustellen.

– Weshalb das? warum wegstellen?

– Nun, weil der gute Mann nicht gerade so gehandelt hat, wie eine Frau vom Range und dem Ansehn Evelines das verlangen konnte. Sie wissen scheints von nichts?

– Ich weiß nur, daß er bei einem Autounfall verunglückt ist.

– Aber nicht allein. Er hatte seine Freundin, eine sehr bekannte Schauspielerin, aber schon sehr bekannt, und in den weitesten Kreisen beliebt, bei sich. Die wurde aus dem Auto herausgeschleudert. Die Geschichte stand natürlich in allen Blättern recht ausführlich, als ob nicht auch noch eine Frau Tismar vorhanden war. Und Sie können sich wohl denken, daß ein derartiges Hervorzerren an die Öffentlichkeit einer Frau nicht gerade angenehm sein kann, die bis dahin alles getan hatte, um die Sache zu übersehen, weil sie doch nichts daran ändern konnte.

– Das alles wußte ich freilich nicht.

– Die Dame war an einen Baum geschleudert, und gleich tot. Tismar selber hat noch zwei Tage gelebt; aber Sie können sich denken, daß diese achtundvierzig Stunden für Eveline entsetzlich waren. Sie hat sich tadellos benommen, wie sich das für eine Frau gehört. Aber schrecklich war es, glauben Sie mir.

– Keine Ahnung hatte ich.

– Das alles hat natürlich mitgeholfen, daß sie darüber weggekommen ist, viel rascher als das sonst der Fall gewesen wäre. Haben Sie nie von Claire Fromont gehört, der eine Zeitlang ganz Berlin zuströmte? Das war sie. Eine kostspielige Freundin, dürfen Sie glauben. Und sie hat dem guten Tismar nicht nur Geld gekostet. Es wäre auch so oder so zu einem bösen Ende gekommen. Eveline hat sich als eine wahre Heldin erwiesen. Das ganze Geschäft hat sie seitdem wieder aufgebaut. Das wissen die wenigsten, eine wie zielbewußt energische Natur sie ist, die sich in alles hineinfindet.

– Ich bewundere das.

– Das dürfen Sie auch. Es ist mehr als bewunderungswürdig. Fragen Sie mal Direktor Mandler, was für eine gute Geschäftsfrau sie geworden ist, wie nichts geschieht, wozu sie nicht ihre Einwilligung geben muß, wie sie den Konferenzen beiwohnt, und wie alle Welt ihr entgegenkommt, weil sie sich gründlich in alles eingearbeitet hat. Ja, das hätten Sie natürlich nicht hinter der Weltdame gesucht. Oder vielleicht doch?

– Allerdings nicht. Eigentlich nimmt es einem ein Stück Illusion.

– Das ist so recht wieder Männer Art! ... Das gefällt euch gleich nicht, wenn wir nicht mehr die dummen Puten sind, wie ihr das so von früher her gewöhnt seid. Die Frau kann ja für euch alle gar nicht dumm genug sein. Mit einer klugen Frau wißt ihr nichts anzufangen, weil sie euch eben überlegen ist.

– Oh nein, ich habe für die Dummheit, selbst bei einer Frau, nie viel über gehabt. Freilich allzuklug darf eine Frau auch nicht sein. Wenigstens muß sie Momente haben, wo sie ebenso dumm ist, wie wir sind. Oder wenigstens muß sie sich so dumm stellen.

– Das läßt sich hören, und daraufhin könnte man einen Pakt mit Ihnen, Herr Doktor, schließen.

– Also schließen wir.

– Schön! ich will gern dumm scheinen; aber ich werde mich hüten, ohne weiteres Dummheiten zu machen.

– Oh, bitte, das gehört in erster Linie dazu. An was anderes habe ich überhaupt nicht gedacht.

– Nicht frech sein, das gibt es nicht, sagte sie lachend und nahm seinen Arm.

Man ging zu Tisch, und er hatte recht geraten: er saß zwar neben der Hausfrau, aber zu ihrer Rechten.

Ganz glücklich fühlte er sich; allein er hatte nicht viel davon, der Professor belegte sie völlig mit Beschlag, so daß er kaum dazu kam, das Wort an sie zu richten.

Justizrat Bröse war nicht anwesend. Er hatte am Morgen noch gemeint, daß er für den Abend von Hamburg extra herüberkommen könne, wie Frau Eveline erzählte, aber vorhin war ein Telegramm gekommen, daß es unmöglich sei.

– Mir fehlt damit sehr viel, sagte Eveline, denn Paul Bröse kann ich mir aus meinem Leben nicht fortdenken. Er gehört einfach zu mir bei allen wichtigen Angelegenheiten. Es ist eine Lücke heute, wo ich geh und stehe.

– Und ich weiß, daß ich mit meiner bescheidenen Person diese Lücke nicht ausfüllen kann, meinte Kurt Laue.

– Schwerlich, sagte sie lächelnd. Dazu gehört doch, daß man schon ein paar Körner Salz mehr zusammen gegessen hat, als wir das getan, obgleich der Fisch mir reichlich gesalzen erscheint. Der Koch scheint es gut gemeint zu haben, und die Frage zwischen uns beschleunigen zu wollen.

– Worüber ich wahrlich nicht böse wäre.

Aber schon wieder entzog der Professor sie ihm, und auf der anderen Seite meldete sich Frau Beate. Und so kam er nicht dazu, sich weiter mit ihr zu unterhalten.

Walter Mandy klopfte an das Glas und brachte in Vertretung des Justizrats die Glückwünsche der Tafelrunde dar. Und dann erhob man sich vom Tisch, ohne daß es Laue gelungen war, auch nur ein herzlicheres oder intimes Wort mit Eveline gewechselt zu haben. Beate störte ihn dabei zu sehr, die auf jedes Wort Obacht gab, das er mit seiner linken Nachbarin wechselte.

Seine gute Laune war dahin, und er ging auch nicht mehr so eifrig auf die Wortplänkeleien ein, in die Frau Mochow ihn zu ziehen versuchte. Er war froh, als er sich nun in das Rauchzimmer zurückziehen konnte, wo Seveke seine Meinung über die politische Lage in seinem breiten Ostpreußisch zum besten gab. Laue hörte geduldig zu, und ließ die anderen reden – ohne sich einzumischen, obgleich er sonst gewiß widersprochen hätte.

So aber lehnte er sich in den Klubsessel zurück, sah dem Rauche seiner Zigarre nach, und döste vor sich hin.

Er hörte nur das Wortgeschwirr, das den kleinen Raum erfüllte, sah die Menschen wie durch einen Nebel, und hatte das Gefühl, als sei er gar nicht in Wirklichkeit mitten unter ihnen.

Dann wurde er aufgeschreckt, als sich Seveke direkt an ihn wandte und ihn als Zeugen heranziehen wollte.

Dagegen wehrte er sich sehr heftig. Nein, da mußte er ihn aber doch mißverstanden haben. So hatte er das damals nicht gemeint.

Und nun war er doch gezwungen, sich an dem Gespräche zu beteiligen. Und er fuhr fort, als er Eveline auf der Schwelle sah, die näher kam, bald ein Wort einwarf, und ihm beipflichtete. Das gab ihm einen solchen Halt, daß er voller Eifer weitersprach und Seveke mit gewichtigen Gründen widerlegte, denen der nichts entgegensetzen konnte.

Dann aber war das Thema erschöpft, und Frau Eveline erhob sich. Rasch war er an ihrer Seite und verließ das Rauchzimmer mit ihr.

Auf der Terrasse waren zwei Sessel an der Ballustrade frei, und hier ließen sie sich nieder. Verschleierte Lampen warfen ihren farbigen Schein über die kleinen Tische, um die die Gesellschaft sich gruppiert hatte. Das Licht war so gedämpft, daß man weit in den Garten sehen konnte, von dem es feucht heraufstieg. Die dunkle Masse der Bäume hob sich scharf vom Himmel ab. In der Ferne bellte ein Hund. Es wurde hier nur mit gedämpfter Stimme gesprochen, und kleine Gruppen hatten sich abgesondert, die nicht wollten, daß man ihre Gespräche belauschte.

Nur Peter Illgen hatte sich in einen Streit über Expressionismus verbissen, und wurde zuweilen ein wenig lauter, da eine junge Dame mit wuscheligem Pagenkopf ihm heftig ihre Meinung aufdrängen wollte.

Einmal sah sich Eveline lächelnd nach dem streitenden Paare um. Dann widmete sie sich ganz Kurt Laue.

– Ich habe einen so netten Brief von Ihrer Schwester bekommen, den ich Ihnen am liebsten zu lesen geben würde, wenn nicht über Sie selbst verschiedenes drin stehen würde, was Sie nicht zu wissen brauchen.

– Ach, Else übertreibt gern ein wenig. Sie geht in allem leicht über die Grenze hinaus. Und von mir hat sie eine so gute Meinung, weil sie so wenig mit mir zusammen ist, und mich gar nicht richtig kennt.

– Wer sagt Ihnen denn, daß sie gut über Sie spricht? Vielleicht irren Sie sich doch.

– Ach, das sagt mir mein Gefühl, und eben, daß ich meine liebe Schwester viel zu gut kenne. Mir wäre es viel lieber, sie würde mir mehr über ihre Freundin Eveline schreiben, – aber da versagt sie ein wenig, die Gute.

– Wer weiß, sie hat über diese Dame wohl ihre eigene Meinung, die sie vor der Welt nicht offenbaren will.

– Zu gut oder zu schlecht? wie denken Sie selbst darüber?

– Nun, viel Schlechtes kann sie mir mit bestem Willen nicht nachsagen. Darauf bin ich nicht eingestellt. Und in einem Bade hat man auch gar nicht die rechte Gelegenheit, sich von seiner schlechten Seite zu zeigen.

– Ich finde im Gegenteil, daß die Menschen sich außerhalb ihrer gewohnten Umgebung manchmal von ihrer allerschlechtesten Seite zeigen – da fallen leicht die Hemmungen weg, die in der gewohnten Umgebung immerhin bremsen.

– Und ich finde, daß die Menschen, die man auf der Reise kennen gelernt hat, und die einem manchmal sehr gefallen haben, dann daheim sich als eine grenzenlose Enttäuschung entpuppen, die nur eine Maske getragen haben. Wenn sie in den Alltagstrott zurückfallen, werden sie einfach unleidlich.

– Auch das gibt es natürlich. Aber wozu sprechen wir eigentlich von fremden Menschen? Haben wir uns sonst so gar nichts zu sagen?

– Das weiß ich nicht, Herr Doktor. Wie soll ich erraten, ob Sie mir etwas besonderes zu sagen haben.

– Das hätte ich schon, nur ist unsere Bekanntschaft leider noch allzu jungen Datums, als daß ich es wagen könnte, schon alles zu sagen, was ich auf dem Herzen habe.

– So vorsichtig sind Sie?

– Gewiß, ich möchte eine schöne Frau nicht chokieren.

– Oh! ist es so gefährlich und so shoking, um was es sich geheimnisvoll handelt?

– Ganz so schlimm ist es nicht, – aber man weiß ja nie, wie man bei einer Frau daran ist, und man will sich doch nichts verschütten.

– So schlimm ist es mit mir nicht bestellt. Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr, und ungezogen wollen Sie doch gewiß nicht sein. Gefällt Ihnen an mir etwas nicht?

Er sah sie prüfend an, und schüttelte den Kopf.

Im Gegenteil, sie gefiel ihm sehr gut, aber er lächelte nur, weil er nicht wußte, ob sie nun eine Schmeichelei provozieren wollte, oder weshalb sie dem Gespräch eine so gefährliche Wendung gab.

Das Licht der verschleierten Lampe fiel auf ihr Gesicht und gab ihren Wangen eine so weiche Rundung, die Augen leuchteten ihm so klar entgegen. Das Haar schimmerte in einem Glanze, gegen den er früher immer ein wenig Mißtrauen gehabt hatte. Aber die Farbe schien doch echt zu sein. Dabei hatte kein Mittel nachgeholfen. Das sah man doch. Jetzt schlug sie die Augen zu ihm auf, und er senkte seinen Blick tief hinein, – aber sie hielt diesen Blick lange aus, und erst als er schwieg, und sich ein wenig vorbeugte, irrte das linke Auge wie fliehend zur Seite. Das war ihm gleich aufgefallen, wie dies eine Auge immer ein bißchen unsicher war, wie geniert und leicht ein wenig flackerte.

Aber darin lag gerade ein besonderer, pikanter Reiz, schien ihm. Und wie sie jetzt doch vor seinem eindringlichen Blicken die Augen erst niederschlug, und sie dann in den nachtdunklen Park richtete, ließ er sie nicht, sondern überflog alles an ihr, – von dem feinen Kopf, den sie ein wenig senkte, über die nackten Schultern, die mädchenhafte Büste, die schlanken, weißen Arme, über die Knie, die sich ein wenig aus dem weichen Stoff abhoben, der sich um ihre Beine schloß, und über die Füße, die sie gekreuzt etwas von sich streckte.

Er nahm, wie er sich sagte, Inventur bei ihr auf, er taxierte das alles mit so sicherem Kennerblick, und er sagte sich: Dies alles soll einmal dein sein, kann dir gehören! –

Bei dem Gedanken stieg eine heiße Flamme in ihm auf, und er wollte sie bitten, ihn anzusehen, daß sie in seinen Augen lesen möge. Aber dazu fand er doch nicht den Mut, aber er fühlte, wie der Strom, der ihn erregte, auch auf sie überging, wie sie unruhig wurde, und die Schultern in Abwehr hob, als wolle sie sich gegen den Einfluß wehren, den er auf sie auszuüben suchte.

In Gedanken schloß er sie schon in seine Arme, und sagte sich, daß es sich lohnte, diesen Preis zu erringen, und der feste Vorsatz verstärkte sich, daß er die Wette gewinnen mußte, die er ohne von ihr recht zu wissen, leichtfertig um Eveline eingegangen war.

Nun war es für ihn entschieden, – nun würde er alles daran setzen! Aber es würde nicht so einfach sein. Das scheue Wild mußte erst richtig eingekreist werden, sonst ging es ihm in heller Flucht davon. Und so schwieg er noch, und ließ die Gelegenheit vorübergehn, diese Lage auszunutzen. Die Festung war noch lange nicht sturmreif. Dazu bedurfte es einer längeren Belagerung. Seine Blicke umschlossen sie, seine Gedanken und Wünsche warben um sie, und er spürte, daß auch sie es empfand, – wie sie leise unter seinem Begehren, dieser Spannung, als wolle er die Hand nach ihr ausstrecken, erbebte.

Das genügte ihm vorerst. Weiter wollte er nichts.

Er hätte ja nach ihrer Hand greifen, hätte ihr sagen können, welchen Eindruck sie auf ihn machte, konnte ihr ein Wort über ihr Haar, ihre Augen sagen, – aber er schwieg; und dieses Schweigen, das eine fast beängstigende Stimmung zwischen ihnen schuf, schien ihm bedeutsamer, als jedes Wort, das diesen Augenblick mit seiner schwülen Stimmung nur zerrissen hätte, – wie das Klara Bessin tat, die mit Helmuth Ivers aus dem Park kam, ein wenig erregt, wie es schien, und sich wie schutzsuchend neben Eveline setzte, daß Kurt aufstand. Aber dann wurde er von den beiden Frauen zurückgehalten, während Ivers sich, angeblich, um sich etwas zu rauchen zu holen, hastig in das Innere begab.

Ein leiser Windhauch strich durch die dichten Wipfel, und der Duft der Blumen kam von unten herauf aus dem Garten.

– Wie angenehm kühl es doch ist. Mir war warm geworden, sagte Eveline. Man müßte doch wieder zum Fächer zurückkommen.

Oh! dachte Kurt: Also dir ist schon warm geworden? Sehr schön! Und laut sagte er:

– Der Fächer ist für eine Frau, mit der man plaudert, sogar eine Notwendigkeit. Vor allem ist er das beste Barometer für die Erkenntnis der Stimmung. Selbst die Frau, die sich ganz in der Gewalt zu haben glaubt, verrät sich durch die Bewegung des Fächers. Ich habe das früher oft genug beobachtet, wie man alles daraus erkennen kann. – Nicht nur der Mann, mit dem sie spricht, vermag das, sondern auch jemand, der gar nichts von dem Gespräche hört. Durch die ganze Entfernung eines Saales kann man erraten, was zwei Leute miteinander plaudern.

– Ach, sagte Eveline lachend, dann bin ich aber gegen die Einführung, wenn Sie meinen, daß der Fächer ein solcher Verräter ist.

– Das ist er bestimmt, aber er sagt einem auch, ob man auf dem rechten Wege ist. Er gibt das Warnungszeichen, wenn man zu weit geht, er weist einem die Direktion. Sehen Sie nur einmal, wenn eine Frau den Fächer handhabt, wie er anfangs leise und gleichmäßig hin und her schwingt, wie sein Rhythmus sich belebt, wie er zittert, wie sie, wenn sie empört ist, ohne aufzustehn, ohne Aufsehn zu erregen, den Fächer einfach zusammenklappt, und damit ist dann der Schlußpunkt gegeben für ein Gespräch, das sie nicht will.

– Sehr gut beobachtet.

– Und dann sehen Sie wieder, wie solch ein Fächer, – ich denke dabei in erster Linie an die alten, schönen, so dekorativen schwarzen Straußenfedern, – wie die Federn sich sanft und weich wiegen können, wie sie in immer größeren Schwingungen dem anderen näher kommen, wie sie sich neigen, und den Mann wie kosend berühren, ihn streicheln, – wie eine Frau mit dem Fächer einen sanften, schmeichelnden Schlag austeilt, einen kurzen, harten Schlag, wenn sie böse oder erzürnt ist, – einen so kosend weichen, wenn sie nur so tut, als sei sie böse, während ihr ganzes Innere vor Seligkeit schmilzt – und wie in einem so kosenden Schlage die ganze Hingabe einer Frau liegen kann.

– Sehr poetisch gesagt. Und wie denken Sie sich, hätte ich den Fächer gehandhabt, vorhin?

– Aber gnädige Frau! eine solche Frage hat etwas sehr Gefährliches in sich. Zudem war unser Gespräch so unpersönlich, daß ich wirklich nicht weiß ...

– War es wirklich so ganz unpersönlich?

– Was wir miteinander gesprochen haben? Gewiß! Was ich gedacht habe, weniger.

– Und Sie meinen, eine Frau empfindet das nicht? Sie reagiert nur auf das gesprochene Wort?

– Keineswegs! ...

Er sah dabei auf die Sängerin, die teilnahmslos dabei saß, und nicht zuzuhören schien, aber er wünschte sie jetzt zu allen Teufeln. Allein sie saß nun doch einmal mit dabei, und so sagte er nur rasch und leise:

– Ich glaube, daß der Fächer in dieser kleinen Hand, wenn es nach meinen Wünschen gegangen, ein wenig gezittert hätte, in Ungewißheit und Erwartung, aber nicht als Begleitung der gesprochenen Worte, sondern nur meiner Gedanken. Ich sage ausdrücklich meiner Gedanken und Empfindungen und spreche nicht davon, was im Innern meiner schönen Gegnerin sich abgespielt haben mag, weil sich das eben meiner Kenntnis noch entzieht.

– Sie ziehen sich sehr geschickt aus der Affaire.

– Ein Fächer würde mir mehr verraten haben, und ich hätte eine Handhabe, das Rätsel zu lösen. Aber ich glaube, manche Frauen haben sich so in der Gewalt, daß selbst der Fächer bei ihnen nicht zum Verräter wird.

– Mir scheint, Sie rechnen mich mit zu diesen Frauen?

– Ich glaube fast. Obgleich dem entgegensteht, daß die gnädige Frau mich heute direkt provoziert, und während ich noch ganz objektiv bleibe, nach Frauenart von der gegnerischen Seite das Thema mehr in das Persönliche hinübergespielt wird.

– Meinen Sie denn nicht, daß eine jede Frau immer in erster Linie sich selbst und ihre Erfahrungen zum Prüfstein einer aufgeworfenen Behauptung macht? ... Ist das nicht einfach Frauenart?

– Freilich ist es das. Aber das erschwert in so vielen Fällen den Verkehr, weil die Objektivität dann zu wünschen läßt. Im übrigen hätte ich sehr gern die Objektivität zum Teufel geschickt, aber ich fühlte noch nicht die Berechtigung dazu.

– Noch nicht, ist nicht nur sehr vielversprechend, sondern beinah gefährlich. Man kann sich also im Laufe der Zeit auf etwas gefaßt machen von Ihrer Seite? ...

– Das kann man, sagte er, halb im Scherz und doch mit einem vollen Unterton in der Stimme, daß sie aufhorchte und ihn prüfend ansah.

– Das kann man! wiederholte er leiser, fast nur mit den Lippen sprechend.

Und er sah sie dabei so fest an, daß ihr eine rasche Röte über das Gesicht glitt – und mit einem leisen, verwunderten, aber keineswegs ungehaltenen Oh! erhob sie sich, denn nun drehte sich Klara Bessin zu ihnen, und sagte:

– Entschuldige, aber ich habe nicht recht zugehört.

– Das schien mir so, erwiderte Eveline lachend. Und das war sogar sehr nett von dir. Denn ich hatte einen kleinen Strauß mit Doktor Laue auszufechten, der mir so voller Hinterhältigkeit schien, daß ein Dritter doch nicht viel dabei zu tun hatte.

Die Sängerin blickte verständnislos von einem zum anderen, und dann erhob sie sich, innerlich offenbar mit ganz etwas anderem beschäftigt. Und da ein Teil der Gesellschaft aufbrach, und Laue meinte, daß für heute genug gesagt und getan war, küßte er Eveline die Hand und nahm zum Abschied einen lächelnden Blick von ihr mit, in dem ebensoviel Freundlichkeit wie auch ein wenig überlegener Spott lag. Aber sie sollte nur nicht zu früh triumphieren. Er hatte ja einen ernstgemeinten Pfeil noch nicht abgeschickt. Diese Plänkeleien aber waren immerhin nicht zu verachten.

Sehr zufrieden mit sich ging er.

Er hatte keine Lust mit den anderen noch zusammen zu sein, sondern er benutzte einen günstigen Augenblick, um rasch davon zu gehen, so daß er den Weg nach Hause allein zurücklegen konnte, ganz beschäftigt mit dem Gespräche, das er eben mit ihr gehabt hatte, und das noch immer in ihm nachschwang.


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