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XI

Als er in die Untergrundbahn am Wittenbergplatze steigen wollte, stieß Laue auf Beate Mochow, die ihn festhielt und sagte:

– Man sieht Sie ja gar nicht mehr. Natürlich haben Sie auch jetzt wieder solche Eile wie immer und keinen Augenblick für eine arme Verlassene über. Ja, ich bin seit Tagen ganz vereinsamt. Eveline ist noch immer draußen in Wannsee. Übrigens! wie wäre es denn, wenn wir uns einmal bei ihr draußen träfen? Fein! das arrangiere ich. Da hat man dann doch was von Ihnen, und Sie können einem nicht so rasch entschlüpfen. Einverstanden?

Er kam erst gar nicht zu Worte und war festgelegt, ohne daß er ein Wort erwidern konnte. Aber es war ihm recht.

Also nickte er nur und lachte, wie sie ihn losließ, weil der nächste Zug schon wieder einfuhr, und sie rief ihm nur noch zu:

– Sie bekommen telephonischen Bescheid, zu wann. Ich mag den Sonntag nicht recht. Aber es wird wohl nichts anderes werden. Ist auch wohl der einzige Tag, wo Sie selber den ganzen Nachmittag frei haben, um den Ausflug zu unternehmen. Wir treffen uns am Bahnhof Zoo. Abgemacht!

Damit winkte sie ihm zu, und er beeilte sich, daß er noch in den Zug kam. Da erst fiel ihm ein, daß er ja gar keine Eile gehabt hatte. Nur sie hatte so getan, als habe er keine Sekunde Zeit zu verlieren.

Er mußte lachen, während er sich auf die Lederpolster niederließ, wie geschäftig sie getan und ihn in den Zug getrieben hatte, mit einer Hast, die ganz gegen seine Gewohnheit war.

Ihm sollte es sehr recht sein, wenn er schon so bald wieder nach Schwanenwerder hinauskam. Er konnte sich ohne Grund nicht gut ansagen; aber er hatte schon ein Anliegen gehabt und sie am Nachmittage anklingeln wollen. Eine geschäftliche Sache, von der sie ihm gesprochen, und in der Paul Bröse ihr nicht recht beistehen wollte und konnte.

Nun ließ sich das sehr gut vereinen.

*

Am anderen Tage schon wurde er angerufen. Es war Beate Mochow, die ihn bestellte.

– Also alles ist abgemacht. Eveline erwartet uns morgen, spätestens um vier Uhr? Können Sie? ... Fein! Wollen wir zusammen hinausfahren? Dann seien Sie um drei Uhr unten an der Uhr am Bahnhof Zoo.

– Ich will sehen, daß ich es machen kann.

– Was heißt das: Ich will sehen? Da gibt es kein Wenn noch Aber. Sie werden einfach pünktlich da sein, mein verehrter Herr. Verstanden! Keine Widerrede. – Abgemacht!

– Schön! wenn Sie so befehlen, muß man ja wohl gehorchen. Also ich werde präzise drei mich an der Bahnhofsuhr einfinden. Aber wird eine gewisse schöne Dame auch pünktlich erscheinen?

– Erlauben Sie! Auf mich können Sie bauen, wie auf einen Felsen.

– Schön, dann bin ich beruhigt. Also dann auf Wiedersehn morgen!

Damit hängte er ab. Aber nun konnte er sich in die Arbeit nicht wieder hineinfinden, die vor ihm lag und über der er schon eine ganze Weile saß.

Er ging im Zimmer auf und ab, und fühlte, wie sein Herz schneller schlug als gewöhnlich. Das war ihm doch sonst nicht geschehn, daß ihn ein Gespräch so beunruhigte. Die Aussicht, Eveline Tismar wieder zu sehn, brachte ihm ersichtliche Unruhe.

Sollte er sich doch mehr für sie interessieren, als er bisher gedacht?

Er sah sie vor sich, wie sie ging, wie sie ihn zuweilen angesehen hatte. Ganz entschieden, sie gefiel ihm sehr, und es lag nicht an ihm, daß er neulich erklärt hatte, er wolle von seiner Wette zurücktreten. Aus dem Anstandsgefühl, das er nicht unterdrücken konnte, erwuchs ihm allein das Bedürfnis, es den anderen gegenüber zu betonen.

Seinem Gefühl nach wünschte er nichts sehnlicher, als daß er die Wette gewinnen würde. Aber es war ja nicht daran zu denken.

Und im Grunde fürchtete er sich davor, empfand das Unrecht, das darin lag, mit dem Schicksal einer Frau so zu spielen, die nichts davon ahnte, wie man um sie eine Wette eingegangen war.

*

Ihre Freunde hatten es ja gewollt, hatten ihn fast gegen seinen Willen in die Geschichte hineingetrieben, wollten sehen, wie auch er bei ihr einfach abfiel.

Er mußte an die anderen denken, die Eveline schon umworben hatten.

Den guten Seveke mit seinem unmöglichen Ostpreußisch und seinem allzu harten Lachen und lauten Wesen hatte sie wahrscheinlich einfach ausgelacht. Sie fand seinen Dialekt immer unmöglich.

Helmuth Ivers hatte sich gar nicht sehr um sie beworben, und den hätte sie auch wohl nie ernst genommen. Mit seinen ausgesprochenen Lebemannsmanieren konnte er ihr nicht imponieren, sie kannte die Wandelbarkeit seiner Neigungen nur zu gut.

Peter Illgen war wahrscheinlich bei einer der Ateliersitzungen frech geworden, und da war sie ganz große Dame gewesen. Er wußte, das imponierte dem Maler so, daß er rasch die Finger davon ließ. Er versuchte es immer mit dem schmalzigen Augenaufschlag und mit einem Programm, das so abgebraucht war, daß eine Frau wie Eveline sicher nicht darauf hineinfiel.

Wiluda mit seinem stürmischen Temperament schreckte sie von vornherein. Seine Art lag ihr doch wohl nicht, und seine strähnig blonden Haare übersah sie wohl nur um seiner Kunst willen. Er hatte sonst schwerlich persönlichen Reiz für eine Frau.

Gefährlich schien ihm Walter Mandy, aber er war ihr zu frivol in seinen Reden, und sie fröstelte immer ein wenig, wenn er ironisch oder leichtfertig wurde. Sie las seine Sachen nicht ungern, aber spürte keine Neigung, diese Leichtfertigkeit auf irgend eine Art in ihr Leben zu übertragen.

Das lag ihrer Natur gar nicht. Dazu war sie doch zu tief und ernst veranlagt, um aus der Empfindung ein Spiel mit koketten Worten zu machen, und sich als Modell zu einer Geschichte von ihm herzugeben.

Ernsthaft war nur Paul Bröse; aber das schien wirklich eine lange ehrliche Freundschaft, bei der von besonderer Sinnlichkeit nicht gut die Rede sein mochte, wenn nicht alles täuschte.

Das waren seine Konkurrenten, seine Vorgänger bei den Versuchen um Eveline.

Zu fürchten hatte er keinen von ihnen mehr, sie waren insgesamt erledigt und sprachen, außer Bröse, nicht mehr mit.

Die Bahn für ihn war also frei, denn von anderen wußte er nicht, die in Betracht kamen.

Und bessere Gelegenheiten als ihm jetzt, waren den anderen sicher nie geworden. In kurzer Frist sollte er schon wieder mit ihr zusammen sein. Also! ...

*

Er war pünktlich am Nachmittage unter der Uhr am Bahnhofe Zoo. Aber er wartete vergebens, – zehn Minuten, – eine Viertelstunde, – bald eine halbe, und da entschloß er sich endlich bei Beate Mochow anzurufen. Das Mädchen war am Apparate und bestellte ihm, die gnädige Frau sei in die Stadt gegangen, und habe eben telephoniert, daß sie nicht mit Bestimmtheit sagen könne, wann sie nach Wannsee hinausfahren werde. Der Herr Doktor möchte doch vorläufig allein abfahren, sie würde später nachkommen.

Rasch eilte er den Bahnsteig hinauf und kam gerade noch in einen Zug, der nach Potsdam ging. Also hatte er durch das Warten nicht allzuviel Zeit verloren, und eigentlich war er gar nicht böse, daß er vorerst einmal mit Frau Eveline allein blieb. Das war sogar eine höchst erfreuliche Aussicht.

Im Abteil waren nur zwei Herren, die auf den Sitzen Papiere ausgebreitet hatten und eifrig eine geschäftliche Angelegenheit besprachen, bei der sie sich lebhaft erregten, ohne dabei aus dem Flüstertone zu fallen.

Ihn interessierte es nicht, was die beiden da ersichtlich verschieben wollten, und er sah zum Fenster hinaus, in den dürren Föhrenwald, dessen gleichmäßige Stämme sich wie die Streichhölzer aus dem Boden erhoben, der im Laufe der Jahre all sein Unterholz verloren hatte. Es sah hier immer trostloser aus, und das Grün schwand immer mehr, weil der Boden völlig ausgetrocknet war.

Im Grunewald stieg ein Pärchen ein, das sich Hand in Hand ihm gegenüber setzte. Das war auf die Dauer nicht zum Ansehn, wie die miteinander zärtlich taten. Ekelhaft ...

Nein! Verliebtheit vertrug keine Zuschauer. Es kribbelte ihn in den Fingerspitzen, dazwischen zu fahren, und sich solch kindisches Benehmen in seiner Gegenwart zu verbitten. Er sah ostentativ zum Fenster hinaus, und war froh, als er in Nikolassee am Ziel angekommen war.

Ein Dogcart stand am Bahnhofe, und der Kutscher sah ihn fragend an, aber dann blickte er weiter nach den anderen Ankommenden.

Allein Laue war noch nicht bis zu den Wasserwerken gekommen, als der Kutscher ihm mit dem kleinen Wagen nachkam und fragte, ob er vielleicht Herr Doktor Laue sei? – Er hatte den Auftrag, Frau Mochow und den Herrn abzuholen und wartete schon den dritten Zug ab. Aber da der Herr allein war, wußte er nicht, ob es richtig sei.

– Ich bin allein gekommen, sagte Laue. Frau Mochow wußte noch nicht, wann sie nachkommen würde.

– Wenn der Herr dann nur aufsteigen möchte, ich kann gleich wieder zurückfahren. Warten hat wohl jetzt wenig Zweck? Ich bin zum nächsten Zug wieder da.

So stieg er denn auf den kleinen Wagen, und das Pferd griff, als sie bei Beelitzhof in den Wald kamen, rasch aus. Ein paar Minuten nur, und das Seglerhaus mit seinen blauen Fensterläden tauchte zwischen den Bäumen auf. Man sah nach beiden Seiten über den See, dann kam der schmale Verbindungsdamm zur Insel, der Wasserturm links ragte auf, und unter den jungen Eichbäumen, die den Rundweg beschatteten, waren sie schon an der Villa. Das Tor stand weit auf und der Wagen fuhr in den Park ein, und hielt an der Seitenfront des Hauses.

– Wenn der Herr so gut sein wollte, der gnädigen Frau zu bestellen und zu fragen, was wegen Frau Mochow geschehen soll, sagte der Kutscher, die Hand an der Mütze.

Laue war abgesprungen, und da er suchend stand, sagte der Mann:

– Gnädige Frau wird auf der Terrasse sein, aber dort kommt auch schon die Klara, die wird den Herrn führen.

– Sie können abspannen, Franz, sagte sie nach der Begrüßung des Besuches. Die gnädige Frau kommt wohl erst zum Abend. Sie erhalten später noch Bescheid.

Laue war dem Mädchen gefolgt und fand Eveline hinter dem Hause mit einer Gartenschere, um die welken Zweige der Büsche zu beschneiden.

– Sie müssen vorläufig mit mir allein vorlieb nehmen, sagte sie. Beate, die den ganzen Besuch angeregt hat, läßt sich telephonisch entschuldigen. Sie kann erst gegen Abend herauskommen. Was sie so Wichtiges abhält, kann ich nicht sagen. Aber mich läßt sie sonst nicht im Stiche. Ihnen hatte sie also auch nicht rechtzeitig abgesagt, nicht wahr?

– Mir soll es sehr recht sein, sagte er lachend. Nur im ersten Augenblicke wußte ich nicht, was ich tun sollte, und wartete ungeduldig am Bahnhofe. Und wenn mir nicht eingefallen wäre, anzurufen, stände ich wohl jetzt noch dort.

– Ich hatte Ihnen ja gesagt, daß auf Beate kein sonderlicher Verlaß ist. Da haben Sie gleich den Beweis gehabt. Wenn Sie wollen, können Sie mir ein wenig helfen, und die Zweige abschneiden, die mir zu hoch sitzen, wenn Sie sich überhaupt für solch eine Arbeit eignen.

– Als Junge habe ich das wohl getan, und es war mein größtes Vergnügen im Garten meines Onkels. Aber das ist schon so lange her, daß ich inzwischen wohl alles wieder verlernt habe.

– Daran ist weiter nichts zu lernen und zu verlernen. Sehen Sie: so!

– Dann geben Sie die Schere her, für Ihre Hände ist sie doch zu schwer.

– Glauben Sie nur nicht, daß ich eine solche Zierpuppe bin. Ich bin an andere Sachen gewöhnt, und greife sehr gern einmal zu, ohne mich zu genieren. Es gibt für mich kein größeres Vergnügen, als die Wege zu harken. Das ist hier mein tägliches Morgenvergnügen; ich finde, es bekommt mir sehr gut, es macht elastisch und ist entschieden gesund. Tut den Schultern wohl. Ich finde überhaupt, daß Arbeit viel besser als wie Sport ist. Die praktische Seite kommt dabei zur Geltung.

– Sind Sie so praktisch veranlagt?

– Leider viel zu wenig. Wir müßten weit mehr dafür erzogen werden. Übrigens: können Sie rudern?

– Zu dienen, ja! Ich war schon auf der Penne ein eifriges Mitglied unseres Ruderklubs. Und das verlernt sich nicht.

– Das freut mich, – dann können wir nach dem Kaffee, denn den soll es zuvor erst geben, eine kleine Fahrt um die Insel machen, – wenn es Ihnen recht ist. Zum Abend kommen noch Herr und Frau Hellesen, die ich lange schon einmal hier haben mußte. Sie kennen Sie ja beide schon länger als mich, und ich denke, Sie passen gut zusammen.

– Aber gewiß.

– Im kleinen Kreise kann man sonst nicht vorsichtig genug sein, die rechten Leute zusammenzubringen. Das ist eine schwierige Kunst, dazu muß man die Menschen erst ordentlich kennen. Und ich bin mir über Ihre Sympathien und Antipathien noch nicht klar. Ich weiß zu wenig von Ihnen.

– Bitte, das läßt sich nachholen.

– Aber da ich Sie ja beim ersten Male bei Hellesens getroffen habe, und Beate mir gesagt hat, daß Sie schon seit Jahren dort verkehren, nahm ich an, es werde Ihnen recht sein.

– Mir ist alles recht, was Sie bestimmen.

– So weit wollen wir doch nicht gehen. Sie kennen mich nicht, und würden sonst ein so leichtfertiges Wort nicht aussprechen. Aber nun kommen Sie erst, Klara zeigt sich auf der Terrasse, und wir wollen den Kaffee nicht kalt werden lassen.

Damit legte sie die Gartenschere auf den Tisch unter dem Pilzschirm, zog die derben Handschuhe aus, offenbar alte Fahrhandschuh, die arg vertragen waren, und die sie ihm lachend hingehalten hatte, wobei sie ihm zur Begrüßung die Warnung zugerufen hatte:

– Aber bitte, nur nicht küssen! Die sind schier dreißig Jahr schon alt, und riechen nach Pferden und sonst was.

Und dann ging sie vor ihm her, mit ihrer raschen jugendlichen Bewegung, die sie zuweilen an sich hatte.

Ein deutscher Schäferhund kam ihnen plötzlich entgegengesprungen, rieb sich an ihrem Kleide, hob den Kopf und umkreiste dann mißtrauisch den fremden Besucher, bis sie die Hand auf seinen Kopf legte, sich zu ihm herabbeugte und ihm leise sagte:

– Du dummer Harras! das ist doch ein guter Freund von Frauchen. Sei brav.

Und der Hund ging dicht an Laue heran und nahm Witterung von ihm und trottete dann still hinter den beiden her.

– Sie wundern sich wohl, daß nun doch ein Hund da ist?

– Gar nicht weiter. Ich finde das hier draußen nur selbstverständlich.

– Und dabei ist er eigentlich sehr gegen meinen Willen hier. Schließlich mußte ich aber nachgeben, denn mein Freund Bröse bestand darauf, und auch der Gärtner drang auf mich damit ein. Da habe ich zum Schlusse Ja sagen müssen.

– Sehr vernünftig.

– Ich fange sogar schon an, mich ein wenig an ihn zu gewöhnen, weil er wirklich sehr brav und gut ist. Er darf sogar dicht an mich herankommen, ohne daß ich mehr die Hände hebe. Aber so recht wage ich es nicht, ihn anzufassen. Ich habe immer die Empfindung, daß er ein Wolf ist, ein wildes Tier, dem man nicht trauen darf, der mit einem Male doch die Zähne zeigt und einen anfällt.

– Sie werden sich schon an ihn gewöhnen. Sehen Sie nur wie zutunlich er ist. Ja, Harras, du bist ein guter Hund!

Und das Tier rieb sich an seinem Knie und wedelte mit der Rute und ließ sich den Nacken krauen, indem es sich liebebedürftig anschmiegte.

– Ich bin fest überzeugt, eines Tages entdecken Sie Ihr Herz für das prächtige Tier und werden es nicht mehr verstehen, wie Sie sich je vor ihm haben fürchten können.

– Ich fürchte mich gar nicht. Es ist mir nur unangenehm, wenn er zu dicht an mich herankommt. Ich liebe nun einmal die Distance.

– Das ist mir bei Ihnen gleich aufgefallen, und im Grunde genommen stimme ich Ihnen darin voll zu. Ich mag die unmittelbare Nähe der meisten Menschen noch weniger. Aber dabei möchte ich denn doch einige recht erhebliche Ausnahmen machen. Also mit entsprechender Einschränkung gemeint, vor allem was die Frauen anlangt.

Er hatte das lächelnd gesagt, mit einem etwas anzüglichen Tone in der Stimme, einem Unterton, der nicht zu verkennen war.

Aber sie hörte darüber hinweg, als wisse sie gar nicht, worauf er abzielte.

Das verstand sie ausgezeichnet, etwas, was ihr nicht behagte, zu überhören. Da gab es dann keine Möglichkeit, sie zu einer Erwiderung zu bewegen. –

Der Hund ließ sie nicht aus den Augen, als ob er verstehe, daß von ihm die Rede war.

Er sah zu ihr auf und bettelte mit den Augen um ihre Freundschaft, aber er spürte wohl die leise Abwehr von ihrer Seite, und so unterließ er jede Aufdringlichkeit, als wisse er, daß auch seine Zeit einmal kam.

Und ebenso dachte Kurt Laue, daß auch seine Zeit kommen würde, und beide sahen Eveline an, die stehen geblieben war, und auf das Wasser sah und ihre Blicke in die Weite schickte, als seien nicht zwei Wesen neben ihr, die bescheiden und stumm um ihre Liebe bettelten.

Sie nahmen den Kaffee auf der Terrasse. Der Hund lag still zu ihren Füßen, und regte sich nicht, knurrte nur einmal leise im Traum, bis er plötzlich den Kopf hob, und dann um das Haus herumschoß, ohne daß er auf ihren Ruf hörte. Nach einer kleinen Weile schon kam er wie beschämt zurück, daß er sich von einem falschen Alarm in seiner Ruhe hatte stören lassen.

Dann standen sie auf, und indem sie Laue zulächelte, sagte sie:

– Nun können wir also zum zweiten Teile unseres Programms übergehn. Aber erst werden Sie noch Ihre Zigarette ausrauchen, und ich springe ins Haus und hole mir was zum Umnehmen.

Und tatsächlich eilte sie davon; rasch wie ein junges Mädchen lief sie davon, daß er ihr mit Vergnügen nachsah, wie so gar nicht damenhaft sie sein konnte.

Er ging an das Ufer hinunter, wo das Boot lag. Die Riemen lagen am Ufer, und der Gärtner kam und kettete das Boot los. Er blieb in der Nähe, um zur Hilfe bereit zu sein.

Schon kam sie zurück. Eine Mütze auf den Haaren und ein Tuch über dem Arme.

– Also können wir abfahren. Eben hat Beate ganz abgesagt. Weshalb weiß ich nicht. Wir haben also den Nachmittag ganz für uns.

Ohne sich auf seine Hand zu stützen, mit gewohnter Sicherheit, stieg sie in das Boot, das nicht unter ihr schwankte, so gut verstand sie das Gleichgewicht zu halten.

Dann stießen sie vom Lande ab, und sie sah gleich, daß er mit den Riemen umzugehn verstand.

Langsam ruderte er sie um die Insel.

Sie saß am Steuer und sagte:

– Ich möchte erst in die Bucht vom großen Fenster, denn zu weit auf den See mag ich nicht. Ich bin nicht weiter ängstlich, glauben Sie mir; aber die Segler sind hier doch manchmal ziemlich rücksichtslos, und am Ufer ist es immer am ruhigsten und schönsten – man sieht doch wenigstens was.

Damit lenkte sie in die Bucht der klaren Lanke hinein, wo die Ufer so steil abfielen, oben mit den phantastisch gekrümmten alten Föhren bestanden, die ihre knorrigen Äste so wild verbogen gegen den blauen Himmel streckten.

Am steilen Ufer saßen vereinzelt ein paar Leute unter den Bäumen, und am Ufer plätscherten Kinder in dem seichten Wasser. Auf einem Segelboote, das hier vor Anker gegangen war, standen ein paar Gestalten in Badekostümen, von denen man noch nicht sehen konnte, ob es Männer oder Frauen waren, die hier vom Boot aus ins Wasser sprangen.

Auf der Marschwiese mühten sich ein paar Leute ab, ein Pferd anzutreiben, das einen mit Heu vollbeladenen Wagen nach der Chaussee hinaufziehen sollte.

Kein Laut war zu hören, wie er in der Bucht jetzt die Riemen schleifen ließ, bis das Boot still stand, als das Hüh! und Hott! der das Pferd antreibenden Leute.

Eine Möve strich dicht über ihnen hin und schwang sich dann wieder hoch in die Luft. Sie hatte ins Wasser stoßen wollen, aber dann den Versuch wieder aufgegeben.

Die langen Wellen eines Dampfers kamen als Ausläufer in die Bucht, daß der Kahn ganz fein gehoben wurde und hin- und herschwankte.

Sie hatte den Kopf erhoben, denn von dem Ufer oben klang das Schäckern einer Elster, dieser häßliche Lachton, der einen erschrecken konnte, wenn man allein durch den Wald ging. Hier klang es nur häßlich. Er folgte ihrem Blicke, und dann sah er sie wieder an, wie sie dicht vor ihm saß, die Füße, in weißen Schuhen, gegen das Fußbrett des Bootes gestemmt, die Knie ein wenig auseinandergenommen, daß sie die Form ihrer schlanken Beine zeigte, ohne daß sie den Rock tiefer ziehen konnte.

In dem hellen Lichte, das hier auf dem Wasser herrschte, sah er, was für eine frische Hautfarbe sie hatte, wie nichts an ihr war, das nicht voller Natürlichkeit war. Und ein zufriedenes Lächeln spielte um seinen Mund, so daß sie sagte:

– Sie scheinen ja überaus zufrieden zu sein!

– Bin ich auch, denn es wäre im höchsten Grade undankbar, wenn es anders um mich bestellt wäre, wo ich Ihnen so gegenüber sitzen kann.

– Also das macht Sie glücklich?

– Das ganz allein.

Und nun lächelte sie ihm ein wenig ironisch zu:

– Sie scheinen ja ein sehr genügsames Gemüt zu sein.

– Vielleicht täuschen Sie sich doch darin. Ganz so bescheiden bin ich nicht. Ich kann auch meine Forderungen stellen.

– So Ihre Ibsenschen Forderungen an das Leben, wie?

– Meine sehr realen an meine lieben und geliebten Mitmenschen. Vor allem an die, die ich liebe.

– Mein Gott! Das klingt ja ziemlich gefährlich. Da muß man sich wohl vor Ihnen in acht nehmen?

– Das könnte immerhin nichts schaden. Denn wer weiß, man kann gar nicht vorsichtig genug mit seinen Mitmenschen umgehn. In uns allen lebt eine gefährliche Bestie.

– Danach sehen Sie nun doch nicht aus. Lassen wir die bête humaine in Frieden. Wir wollen sie nicht wecken und nicht reizen. Ich liebe die Gitterstäbe der gesellschaftlichen Konvention, hinter der solch eine allzu wilde Bestie sich wohl fühlen mag.

– Und ich breche ganz gern einmal ein bißchen aus, wenn der Wächter den Rücken kehrt, oder die Tür nur ein ganz klein wenig aufgelassen ist.

– So, so! Das sind ja erfreuliche Geständnisse. Gut, daß man das weiß, um sich danach richten zu können. Aber nun wollen wir aus dieser Bucht, in der wir schon allzulange träumen, wieder hinaus. Aus dem trägen Brackwasser in die frische See, wo uns der Wind um die Nase streichen mag.

Er griff nach den Riemen, sie hatte die Steuerleinen genommen, und am Ufer hin, um die verankerten Boote herum, steuerte sie nun auf Lindwerder zu, über dem der rote Kaiser-Wilhelms-Turm mit seiner klobigen Form aufragte und die ganze Landschaft verdarb.

Sie sprachen kaum mehr miteinander, er legte sich voll Eifer tüchtig in die Riemen, daß sie endlich lachend sagte:

– Es sieht fast so aus, als wenn Sie Ihren Ärger an dem Wasser auslassen, daß Sie so toll darauf losrudern. Es hat Ihnen doch kein Mensch was getan.

– Nein, das ist es nicht. Und wenn ich ein wenig grimmig ausgesehn, so hat das nichts zu bedeuten. Ich fresse die Menschen nicht gleich. Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben.

– Habe ich auch nicht. Da bin ich ganz unbesorgt.

– Nun also, dann ist alles wieder gut.

In der Höhe von Lindwerder kehrten sie langsam um und traten die Rückfahrt an.

Die Schleppzüge wühlten hier das Wasser auf, aber das brachte gerade ein wenig Leben in das sonst so glatte Gewässer, und sie ließen sich von den Wellen treiben und schaukeln.

Zwei kleine Motorboote machten eine Wettfahrt, und ihr Gepuff klang noch lange durch den stillen Nachmittag. Ihr Kielwasser aber rauschte bis an das Ufer, wo die Kinder vor den ankommenden Wellen vor Vergnügen sprangen und aufjauchzten.

*

Als sie gegen Abend wieder an dem Landungssteg anlegten, kam das Mädchen herab und meldete, daß Herr Hellesen angerufen hatte. Es tat ihnen sehr leid, aber seine Frau befand sich nicht gut, sie mußte wohl zu Tisch etwas Unrechtes gegessen haben, sie bedauerten sehr, aber es sei unmöglich, zu kommen.

– Ja, sagte Frau Eveline, da sind Sie nun mein einziger Gast. Ich kann Ihnen so spät niemand mehr zur Gesellschaft bitten.

– Da störe ich doch gewiß, und ...

– Aber ich glaube gar! – Sie wollen mich doch nicht auch noch verlassen? ... Das wäre ja noch schöner. Oder fürchten Sie sich etwa, mit mir allein zu sein? ...

– Nicht so ganz! – Wenn es Ihnen nur nicht zu langweilig mit mir wird. Ich bin kein so amüsanter Gesellschafter.

– Nun, so werden Sie sich eben Mühe geben, es zu werden. Lassen Sie es auf den Versuch ankommen. Also da wären wir dann ganz en petit comité. In einer halben Stunde erwarte ich den Herrn Doktor zur Tafel. Denn ich kann so, wie ich bin, nicht bleiben, auch wenn wir nur zu zweien sind. Ein wenig muß ich mich doch hübsch machen dazu.

Damit machte sie ihm eine kurze Verbeugung und überließ ihn dem Mädchen, das ihn in das Haus führte.

Also ganz allein mit ihr? ...

Sehr schön! sagte er sich.

Und er ging hinunter in den Salon, um sie zu erwarten. Langsam schritt er auf den weichen Teppichen auf und ab. Sein Blut war in Erregung von der körperlichen Anstrengung des Ruderns. Er war das doch nicht mehr gewöhnt. Aber es hatte ihn so unternehmungslustig gemacht. Hatte alles in ihm durchgeschüttelt.

Er hätte am liebsten laut gepfiffen, wie er das in seiner Studentenzeit zu tun pflegte. So wohl war ihm zumute. Aber er begnügte sich, ruhelos auf und ab zu gehn.

Rauchen! Aber das schickte sich nicht, daß er sich jetzt vor dem Abendessen seine eigne Zigarre anzündete. Damit mußte er warten.

Er sah in das Nebenzimmer, und an der einen Wand hing das Bild des Herrn Tismar, von dem Beate ihm einmal gesprochen. Er hatte sie damals ausgefragt, und sie hatte ihm geantwortet, indem sie den Kopf schüttelte:

– Nein, das kann man mit bestem Willen nicht sagen: ein besonders sympathischer Mensch war der selige Tismar wahrlich nicht. Ganz stattlich anzusehn, aber ein krasser Egoist, und nicht eben sehr feinfühlig.

– Wie ist dann aber Frau Eveline dazu gekommen, ihn je zu nehmen? hatte er gefragt.

– Das ist uns allen eigentlich immer ein Rätsel gewesen. Sie paßten wirklich nicht zusammen. Aber ich glaube, sie hat kaum sonst einen Mann vorher kennengelernt. Der Vater war ein mißtrauischer, eigenbrödlerischer Herr, der niemand in sein Haus ließ. Die Mutter eine schwache Frau, die alles tat, was der Herr Moegelin wollte. Ich habe sie noch gekannt, sehr weltfremd, die es nie begriffen hat, warum Eveline nicht restlos glücklich geworden ist. Für sie beruhte das ganze Glück in der angenehmen Lebensführung, im Reichtum. Nun, und reich genug war ja der Herr Tismar, das muß man ihm lassen. Frau Eveline konnte in der Beziehung schalten und walten wie sie wollte. Brauchte nie zu überlegen, – das gab es gar nicht.

– Ich denke, die alten Moegelins waren auch schon sehr wohlhabend, hatte er gefragt.

– Freilich, und daher hätte Eveline ganz nach ihrer Wahl sich den Lebensgefährten aussuchen können. Auf Geld brauchte sie nicht zu sehn. Aber der Alte sah wohl um so mehr darauf, und auch die Mutter sah darin das ganze Glück, und da haben sie ihr wohl ihre Anschauung von Glück und Ehe so beigebracht, wie sie das nicht anders und besser verstanden. Und Eveline hat erst hernach ihre bittere Erfahrung machen müssen, daß Gold allein ... Er war eben nicht der Mann für sie, hatte nur Sinn für sein Geschäft und für ziemlich banale Vergnügen; aber weiter ging es nicht. Mir hat er nie gefallen können, und leicht hat es die liebe Eveline in ihrer Ehe nicht gehabt. Das können Sie mir glauben. Das wäre ja nie gut ausgegangen. Und es ist für beide Teile ein Glück gewesen, daß es auf so gewaltsame Art zu Ende gegangen ist, sonst hätte Eveline noch einen bösen Weg vor sich gehabt. Mit dem Herrn Tismar war nicht zu spaßen.

Er hatte nur stumm dazu genickt und gedacht, wie es möglich war, daß sie schon so mancherlei hinter sich hatte. Man sah es ihr nicht an. Im Gegenteil meinte man, daß sie ein Leben in aller Ruhe und ohne jede Aufregung geführt haben mußte, und vom Leben weniger als eine andere kannte.

Die Erinnerung an den Mann aber hatte man jedenfalls nicht zu fürchten.

Das war auch von Wert.

Und noch immer erregt, ging er wieder in den Salon zurück, um auf sie zu warten.

Endlich kam sie wieder und sagte:

– Noch einen kleinen Augenblick, und es wird serviert sein.

Sie hatte sich zum Abend umgezogen, aber nur ein leichtes, ausgeschnittenes Sommerkleid, weil er doch auch im Jackettanzuge war, noch vom Nachmittage her.

Sie setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel und sah ihn lächelnd an, indem sie sagte:

– Wer uns das vor vierzehn Tagen prophezeit hätte, daß wir uns so im Tete-a-tete hier gegenüber sitzen würden.

– Nun, sagte er, ich würde der Voraussage schon damals nur zu gern geglaubt haben.

– Sehr freundlich von Ihnen. Ich hätte es mir nicht recht vorstellen können. Aber ich habe auch nichts dagegen einzuwenden.

– Das ist nun wieder sehr freundlich von Ihnen.

– Wollen wir das Gespräch etwa so nach chinesischem Muster den ganzen Abend fortsetzen? fragte sie sehr vergnügt.

– Gewiß nicht, mir scheint, wir können es jetzt schon abbrechen. Darf ich der gnädigen Frau den Arm reichen.

Das Mädchen war auf der Schwelle erschienen, und so nahm sie seinen Arm, und er führte sie mit übertriebener Grandezza in den Speisesaal, wo der Tisch nur für zwei Personen gedeckt war.

– Anfangs, sagte Eveline während sie die Serviette entfaltete, wollte ich die anderen drei Gedecke liegen lassen, damit wir uns nicht gar so allein vorkommen mochten; aber dann schien es mir doch nicht angebracht. Es sieht dann aus wie im Wartesaale eines Bahnhofs ... Und wir wollen es doch etwas gemütlicher haben. Nicht wahr?

Ein Gläschen Sherry stand schon eingegossen neben dem Suppenteller.

– Ich hatte mich auf ein feierliches Abendessen eingerichtet, wie Hellesen das liebt, mit schweren, wechselnden Weinen zu einem jeden Gange. Nun ist das alles ins Wasser gefallen. Aber sie sollten doch auch sehen, daß Küche und Keller mehr bieten können, als nur kalten Aufschnitt wie neulich.

– Aber das war im Gegenteil sehr nett. Gerade das Improvisierte hat seinen besonderen Reiz.

– Nun, heute ist ja unser Beisammensein auch eine volle Improvisation. Also müssen Sie doch sehr zufrieden sein.

– Bin ich auch!

Und damit hob er sein Glas und stieß mit ihr an, indem er ihr fest in die Augen sah. Und ohne daß ihr Auge abirrte, erwiderte sie seinen Blick.

Eine gewisse Befangenheit blieb trotz aller Munterkeit zwischen ihnen. Dafür sprachen sie beide dem Wein um so reger zu. Und nun wurden sie auch freier.

Und als sie vom Tisch aufstanden, war jede Verlegenheit geschwunden, und er nahm ihre Hand, um sie nach Tisch zu küssen, und behielt sie eine ganze Weile an seinen Lippen, nicht mit einem flüchtigen Mahlzeitkusse, sondern mit einem festen Drucke, ohne daß sie ihm die Finger entzog oder darüber ungehalten war, sondern ihm die Hand ruhig ließ.

– Es ist so schön warm draußen. Ist es Ihnen recht, wenn wir den Kaffee auf der Terrasse nehmen?

– Aber selbstverständlich!

– Also Klara, draußen.

Dann bot sie ihm eine Zigarette an und sagte:

– Und mir dürfen Sie auch Feuer geben, ausnahmsweise einmal.

Als das Mädchen den Kaffee serviert und die Flaschen mit Schnaps und Likören hingestellt hatte, fragte Eveline:

– Ich glaube, Sie nehmen gern einen kräftigeren, nicht wahr? Ein guter alter Kognak.

Sie schenkte ihm ein, und dann goß sie sich selbst auch einen Cherrybrandy ein, indem sie lachend sagte:

– Heute will ich einmal ganz leichtsinnig sein. – Die Gelegenheit ist günstig, und es sieht niemand sonst. Sie werden mich doch hoffentlich nicht verraten?

– Gewiß nicht! –

Und er nahm aufs neue ihre Hand, aber diesmal entzog sie ihm die Finger und sagte:

– Damit ist es aber nun genug. – Ich schenke Ihnen Ihre ferneren Bemühungen.

– Aber weshalb denn? Ich will ja viel weniger Ihnen eine Freude machen, als wie mir selbst.

– Auch Ihnen kann allzuviel schaden. Lassen wir es also dabei bewenden, was schon gewesen.

– Ganz wie gnädige Frau befehlen.

Damit machte er ihr eine zeremoniöse Verbeugung, und dann folgte er ihr in den Garten hinunter, der im Mondenlichte lag, ein ruhiger Vollmond, der seinen warmen Schein über das Wasser legte, die Schatten der Bäume und Sträucher so scharf auf dem Kies der Wege und auf dem Rasen abzeichnete, als seien die Konturen mit der Schere geschnitten.

Langsam schritten sie nebeneinander hin. Dann setzte sie sich unter den großen mit Stroh bedeckten Pilz, unter dem ein paar Korbsessel um den Rundtisch standen, der sich um den Stamm schmiegte.

Das Wasser schlug dumpf an das Ufer, und eine breite Silberbahn des Mondes führte bis zum Ufer des Kartz hinüber, dessen Wald sich schwarz vom Himmel abhob.

Er hatte sich seinen Sessel dicht neben den ihren gerückt, – daß er mit auf das Wasser sehen konnte, wo ein paar dunkle Flecke sich bewegten, die sich nun, da sie in die Bahn des Mondes kamen, als Ruderboote erwiesen.

Schweigend saßen sie nebeneinander, und sahen in die Nacht hinein, zu dem lebhaft gestirnten Himmel auf, der sich lichtklar über ihnen wölbte.

Und dann fing er an, leise auf sie einzusprechen.

Ob es denn nicht schwer sei, als Frau so allein durchs Leben zu gehn? wenn auch von Freundschaft umhegt, doch gewiß ohne Liebe, eine Liebe, wie sie jeder nötig hatte, – die einem mehr gab, als nur herzliche Freundschaft.

Ein junges Mädchen kannte das wohl nicht, aber eine Frau, die verheiratet gewesen, mußte das doch als Entbehrung empfinden. Und er malte ihr das aus, wie er sich das dachte.

Sie rührte sich nicht, schwieg zu allem, was er sagte; aber sie wehrte ihm auch nicht, als denke sie nach, als ob sie versuchte, sich klar zu machen, was er ihr da mit schmeichelnden Worten sagte, als habe er vielleicht recht, nur daß sie es nie vor sich selbst ausgesprochen hatte.

Oder, fuhr er fort, war eine Frau so ganz anders geartet, daß sie das nicht so schwer empfand, wie ein Mann, der doch ohne reale Liebe nicht leben konnte? Die mußte er sich dann manchmal suchen, wo er sie gerade fand, wie der Zufall sie bot.

War das für eine Frau so leicht zu ertragen? Galt es so gar nichts in ihrem Leben?

Sie erwiderte ihm nichts, sondern sah nur zum Himmel auf, wo jetzt eine Sternschnuppe fiel.

Und dann sagte sie:

– Ich hätte mich schon mehrfach wieder binden können, aber ich habe es nicht getan. Wozu? ... Ich lebe ja auch so ganz behaglich. Ich entbehre nichts, aber auch nicht das geringste.

– Sind Sie so empfindungsarm? sind Sie von Natur so kühl, um nicht einmal das Verlangen nach Wärme und Anschmiegen zu haben? Haben Sie nie die Empfindung in den Armen gespürt, von einer ziehenden Leere, daß man seinen Arm um den Körper eines anderen legen möchte, nur um zu fühlen, man ist nicht allein. Haben Sie nie Grauen in der Nacht, wenn man aufwacht, und alles ist still um einen, als sei man allein auf der Welt, als sei die Erde ausgestorben, und niemand mehr da, als man selbst ganz allein. Das dumpfe Angstgefühl, unter dem so viele Menschen leiden, weil man ja nun einmal ein geselliges Tier ist. Diese innere Leere, die einen dazu führt, daß man die größten Dummheiten macht, nur um nicht einsam durch das Leben zu gehn, nur daß man einen Menschen hat, dem man sich voll vertrauen kann.

Sie schwieg – und dann sagte sie:

– Aber das sind doch nur Schwächeanwandlungen, die vorüber gehen, ebenso rasch, wie sie gekommen sind. Das muß man eben bekämpfen.

– Sind Sie so stark, um das zu können? Dann beneide ich Sie wahrlich. Aber vielleicht sind Sie auch nur beklagens- und bedauernswert, – denn ein ganzer Mensch sein, heißt, auch alle Schwäche des Menschen zu haben.

– Schwach bin ich natürlich auch, wie jede Frau, das ist selbstverständlich. Aber man muß sich seiner Schwäche doch nicht so hingeben. Dann verdiente man ja noch viel weniger den Namen Mensch.

– Glauben Sie wirklich, daß man sich mit der Stärke der Gesinnung das Leben gehaltvoller macht?

– Das wohl nicht, eher das Gegenteil. Aber der Mensch muß doch ...

– Nein, damit dürfen Sie mir nicht kommen, sagte er rasch. Ich wenigstens will nichts davon wissen, was der Mensch soll und muß. Man sollte immer nur das möglichste an Glück sich holen.

– Glück! was ist das? ... Ist es vielleicht nichts anderes als eine Illusion?

– Und wenn auch! Man muß daran glauben.

– Sehen Sie: Man muß! ... da haben wir es wieder, das Muß. Um das ewige Muß kommen wir nicht herum. Es kehrt immer wieder. Aber weshalb verderben wir uns den schönen Abend mit solch nutzlosen Reflexionen. Das hat doch gar keinen Zweck.

– Muß alles einen Zweck haben? Ist es doch Glücks genug, daß ich hier so bei Ihnen sein darf, als wenn die ganze Welt nicht vorhanden wäre, als säße ich hier mit Ihnen, von allen verlassen, auf einer einsamen Zauberinsel. Und das ist dieses Eiland wirklich. Man könnte sich weit drunten im Süden auf irgendeiner Insel des Meeres dünken, die fernab liegt von aller Kultur.

– Und dabei sind wir beide mitten drin in einem Gespräche gerade über Kultur. Und haben die einfache, schöne Natur vor uns.

Sie hatte sich erhoben und war an die Balustrade getreten, an deren Fuß der See mit leisem Geplätscher seine Wellen warf.

Die schwachen Kämme der Wellen glitzerten silbern im Lichte des Mondes. Er trat zu ihr und stellte sich ganz dicht neben sie, und wie sie ihren Arm auf der Brüstung liegen hatte, legte er seine Hand ganz vorsichtig darauf, daß er ihr Handgelenk faßte, ohne daß sie den Arm zurückzog. Sie sah ihn an, und öffnete die Lippen, als wolle sie ihm wehren, – aber dann ließ sie es, denn es lag in seiner Bewegung nichts, was sie ihm eigentlich verbieten mußte.

Sie fühlte seinen Pulsschlag, anfangs noch im Widerstreite zu dem ihren, aber dann holte der ihre ihn ein, und nun war es ein Gleichklang, und wurde derselbe rasche Schlag ihrer Pulse, daß sie fast ein Vergnügen fand, als sie das feststellte.

So standen sie eine ganze Weile, bis sie ihm endlich langsam den Arm entzog und nun am Ufer hinschritt, während er neben ihr herging, – und als sie einen Augenblick stockte und er gegen sie stieß, schob er seinen Arm unter den ihren, wie selbstverständlich, und führte sie. Er hatte ihr ja auch den Arm im Salon schon gegeben, und es war nichts dagegen zu tun.

Sie fühlte seine Hand auf ihrem Unterarm ruhen, den sie wie gehorsam gebogen hatte, und von Zeit zu Zeit spürte sie seine Schulter gegen die ihre.

Das war ihr gar nicht unangenehm. Ein leises Wohlgefühl durchströmte sie dabei. Die körperliche Nähe eines Mannes war ihr noch nie so sympathisch gewesen. Es war alles so selbstverständlich, daß sie ganz wehrlos war.

Und mit Vergnügen gab sie sich der Empfindung hin, die sie nicht kannte, eine Wohligkeit, wie sie sie nur manchmal in der Musik empfunden hatte. –

So ging sie neben ihm her, und wenn sie ihrem Impulse hätte folgen wollen, würde sie sich an ihn geschmiegt haben; aber so blieb sie ganz Dame und ließ sich von ihm leiten, behielt ihre steife Haltung bei, indem sie ganz kerzengerade ging, und sich nur durch den Druck seiner Hand leiten ließ, wenn er einen anderen Weg einschlug.

Und nun nahm er den Weg zum Hause, und langsam stiegen sie die fünf Stufen zur Terrasse hinauf, die im Schatten lag, – nur in das Zimmer fiel der Mondschein, und erleuchtete schwach die eine Seite.

Er hatte ihren Arm nicht losgelassen, wie sie jetzt durch die weit geöffnete Tür eintrat, und sie die Hand ausstreckte, um das Licht einzuschalten. Aber er wehrte ihr, hielt ihren Arm, hielt sie an seiner Brust, und sie war so überrascht, wie er sie an sich zog, und ihren Nacken küßte, daß sie keine Bewegung der Abwehr machen konnte. Sie atmete nur hastig und wollte ihn von sich stoßen, aber ihre Hand war wie kraftlos, und dann fühlte sie seine Lippen auf den ihren, und schloß die Augen, und wie im Traum, als sei das alles keine Wirklichkeit, wehrte sie ihm nicht. Bog nur den Kopf zurück, daß er sie halten mußte, sie enger an sich zog, daß sie nicht fiel, während sie die Hand in seine Schulter krampfte und das Gefühl hatte, daß alles um sie herum versank.


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