Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Geheime Gesellschaft

Als ich etwas älter geworden war, fand ich mich damit nicht beruhigt, daß mich die Menschen nicht betrügen konnten. Jeder Mensch hat irgendein Spielwerk, ein Steckenpferd, dem er sich mit ganzer Seele hingibt, und da jetzt bei mir der Trieb zur Tätigkeit erwachte, so wünschte ich mir auch irgend etwas einzurichten, worin ich mit Vergnügen arbeiten könnte. Ich hatte von je einen großen Hang zu Seltsamkeiten in mir verspürt, und so war es auch jetzt die Idee eines geheimen Ordens, die mich vorzüglich anlockte. Man hatte mir so viel davon erzählt, ich hatte so oft behaupten hören, daß es ein außerordentlicher Mann sein müsse, der an der Spitze einer solchen Gesellschaft stehe, daß ich den Wunsch nicht unterdrücken konnte, mich selbst zu einem ähnlichen Oberhaupte aufzuwerfen. Die Menschen erschienen mir in einem so verächtlichen Lichte, daß ich es für die leichteste Sache von der Welt hielt, sie zu beherrschen, kurz, ich nahm mir vor, den Versuch anzustellen, möchte er gleich ausfallen, wie er wollte.

Ich hielt mich in Rom auf, und man hielt mich für einen eingebornen Italiener. Mein seltsames, eingezogenes Wesen hatte schon die Aufmerksamkeit mancher Leute auf sich gezogen, man konnte aus mir nicht recht klug werden, und es geschah daher sehr bald, daß ich für einen interessanten, ja für einen äußerst interessanten Menschen ausgeschrien wurde, im Grunde nur, weil man nicht ausfindig machen konnte, in welcher Gegend ich geboren war und wovon ich lebte. Ich ward nach und nach mit manchen jüngern und ältern Leuten bekannter, und es ward mir nicht schwer, sie um mich zu versammeln. Ich sah jetzt erst ein, wie leicht man die Menschen in einer gewissen Ehrfurcht erhalten könne, alles was sie nicht recht verstehen, halten sie für etwas ganz Außerordentliches, eben deswegen, weil selbst sie es nicht begreifen können.

Ich ließ nur einige, die ich für die Klügeren hielt, mit mir vertrauter werden, die übrigen blieben stets in einer demütigen Abhängigkeit. Unsere Gesellschaft breitete sich bald in mehrern Städten aus, und bekam entfernte Mitglieder, und jetzt war es die Zeit, etwas durchzusetzen, denn sonst wäre sie immer nur ein albernes Possenspiel geblieben. Es war mein Zweck, das Vermögen andrer Leute auf ein oder die andre Art in den Schatz der Gesellschaft zu leiten, und es glückte mir mit manchem. Derjenige, der mehrere Grade bekommen und viel zum Vorteile der Gesellschaft gewirkt hatte, konnte dann auf die Teilnahme an dieser allgemeinen Kasse Ansprüche machen. So wurden alle mit Hoffnungen hingehalten, und jeder einzelne war zufrieden; nur wenige wußten um den Zweck des Meisters, und selbst diese durften nur mehr ahnden, als sie überzeugt sein konnten.

Ich fürchtete anfangs, daß klügere Menschen meinem Plane auf den Grund sehn möchten, allein diese Besorgnis fand ich in der Folge sehr ungegründet. Sobald man sich nur selbst für gescheiter hält, als die übrigen Menschen, sind diese auch derselben Meinung. Man muß sich nur nicht hingeben, sondern sich kostbar machen, nie ganz vertraut werden, sondern immer noch mit tausend Gedanken zurückzuhalten scheinen, so gerät jeder Beobachter in eine gewisse Verwirrung, sein Urteil ist wenigstens nicht sicher, und damit ist schon alles gewonnen. Jeder wird suchen, einem solchen wunderbaren Menschen näherzukommen, und um ihn zu studieren wird man es unterlassen, ihn zu beobachten: selbst der scharfsinnigste Kopf wird besorgt sein, daß jener schon alle seine Ideen habe, und jede Widerlegung bei ihm in Bereitschaft stehe. Alle werden auf die Art die Eigenschaften zu besitzen streben, die sie jenem zutrauen, und so werden sie am Ende selbst die Fähigkeiten verlieren, eine vernünftige Beobachtung anzustellen. – Den meisten Menschen tut es ordentlich wohl, wenn man ihnen imponiert, und sie kommen selbst auf dem halben Wege entgegen. Es waren auch gar nicht die scharfsinnigen Köpfe, die mir auf die Spur kamen, sie bemerkten die Blößen gar nicht, die ich gab, als ich mich etwas zu sehr gehnließ, als mich Dein einfältiges Benehmen in England aufbrachte und eine Krankheit mich verdrüßlich machte; sondern die Einfältigsten reichten mit ihrem kurzen Sinne gerade so weit, um auf meine Schwäche zu treffen.

 

Hang zum Wunderbaren

Dieser war es vorzüglich, der die Menschen an mich fesselte, weil alle etwas Außerordentliches von mir erwarteten. Die meisten Leute glauben über den Aberglauben erhaben zu sein, und doch ist nichts leichter, als sie von neuem darein zu verwickeln. Es liegt etwas Dunkles in jeder Brust, eine Ahndung, die das Herz nach fremden unbekannten Regionen hinzieht. Diesen Instinkt darf man nur benutzen, um den Menschen aus sich selbst und über diese Erde zu entrücken. Ich fand, daß ich gar nicht nötig hatte, feine Sophistereien, oder seltsam schwärmerische und doch vernünftig scheinende Ideen zu gebrauchen, die den gesunderen Verstand nach und nach untergrüben: der Sprung, den diese Menschen immer zu tun scheinen, ist wirklich nur scheinbar. Deswegen, weil nichts die Unmöglichkeit der Wunder beweisen kann, glaubt jedes Herz in manchen Stunden fest an diese Wunder.

So ist dieses seltsame Gefühl eine Handhabe, bei der man bequem die Menschen ergreifen kann. Ich habe dadurch mehr wirken können, als durch das klügste Betragen. Es war mein Grundsatz, daß wenn man die Menschen betrügen wolle, man ja nicht darauf ausgehn müsse, sie recht fein zu betrügen. Viel Feinheit würde voraussetzen, daß die andern auch einen feinen Sinn haben, dann wäre sie angewandt: aber eben darum verderben recht viele gute Plane, weil sie viel zu sehr kalkuliert waren; die nahe, unbeholfene Einfalt tritt dazwischen und zerreißt alle Fäden, die zum leisen Gefangennehmen dienen sollten. Wer recht vorsichtig und vernünftig ist, dem wird auch bei der feinsten Machination der Gedanke naheliegen, daß man wohl darauf ausgehn könne, ihn zu täuschen, und so ist diese Feinheit in jedem Falle verlorne Mühe. Das Unwahrscheinliche und Grobe glauben die Menschen eben darum am ersten, weil es unwahrscheinlich ist, sie meinen, es müsse denn doch wohl irgend etwas Wahres dahinterstecken, weil sich ja sonst kein Kind dadurch würde hintergehn lassen.

Haben die Menschen in die Wissenschaft des Glaubens erst einen Schritt hineingetan, so ist nachher kein Aufhalten mehr; sie fühlen sich nun über die aufgeklärten Menschen erhaben, sie glauben über den Verstand hinweggekommen zu sein, und jedes Kindermärchen, jede tolle Fiktion hat sie jetzt in der Gewalt.

 

Rosa

Schon früh suchte ich einen Schildknappen zu bekommen, der mir meine Waffen nachtrüge, damit ich es um so bequemer hätte. Jedermann wird, wenn er sich einige Mühe gibt, einen Menschen antreffen, der es über sich nimmt, auf die Worte seines Meisters zu schwören, ihm jeden Gedanken auf seine eigene Weise nachzudenken, diese dann wie Scheidemünze auszugeben, und so den Ruf seines Herrn mit seinem eigenen zugleich zu verherrlichen. Man trifft allenthalben Menschen, die nichts so gern tun, als sich an einen andern hängen, den sie für klüger halten. – Ich fand bald einen jungen Menschen, der bei seinen armen Eltern in einer sehr drückenden Lage lebte; er schien nicht ohne Kopf, er konnte schnell etwas auffassen, dachte aber nie weiter, als es ihm vorgeschrieben war. Diese schnelle Langsamkeit schien mir gerade zu meinem Endzwecke am dienlichsten. Ich nahm ihn zu mir, und lehrte ihn den Genuß eines freieren Lebens kennen; er ward nach und nach meine hauptsächlichste Maschine, denn man darf solchen leichtsinnigen lebhaften Menschen nur die Aussicht auf ein angenehmes, untätiges Leben geben, so kann man sie zu allem bewegen. Rosa ist ein ganz erträglicher Mensch, sein größter Fehler ist, daß er seinen Leichtsinn für Verstand hält; er hat gerade so viel Scharfsinn, um einzusehn, daß er eine Stütze bedarf, an der er sich festhalten kann. Ich konnte ihn recht gut gebrauchen, nur war er töricht genug, daß er zuweilen seine Aufträge zu gut besorgen wollte. So hatte er den Gedanken, den jungen Valois in unsre Gesellschaft zu ziehn, um das Vermögen der Blainville hieherzubekommen; er hatte sich mit einem Narren eingelassen, der mit sich selbst nicht fertig werden konnte, noch weniger mit der Welt, und der sich am Ende erschießen mußte, um nur irgendeinen Schluß, eine Art von vollendeter Handlung in seinen Lebenslauf zu bringen.

Das Gefühl hat dieser Rosa nie gekannt, ebensowenig die eigentliche Denkkraft, er hat immer nur gesprochen, und sich dabei ganz wohl befunden. Für seine treuen Dienste habe ich ihm das Gut in Tivoli geschenkt. Ich hätte ihn leicht betrügen können, aber irgendeinem Menschen muß ich ja doch mein Vermögen hinterlassen; ich hoffe immer noch, er soll es sehr bald verschwenden.

 

Balder

Mit Dir kam dieses seltsame Geschöpf nach Italien, an das Du anfangs sehr attachiert warst. Er war mir wegen seiner Originalität interessant. Es war eine schöne Anlage zur Verrücktheit in ihm, um die es sehr schade gewesen wäre, wenn sie sich nicht entwickelt hätte. Da aber die meisten Menschen selber nicht wissen, was in ihnen steckt, so nahm ich mir vor, den Funken aus diesem seltsamen Steine herauszuschlagen. So unterhielt es mich denn, daß ich ein paarmal als ein Gespenst durch seine Stube ging, und er nachher nicht begreifen konnte, wo ich geblieben sei. Ich habe ihn nachher fleißig beobachtet, und ich fand zugleich, daß diese Vorfälle meine künftige Bekanntschaft mit Dir sehr gut präparierten. Nachher wurde mir dieser Mensch gleichgültig und langweilig, weil er sich immer zu ähnlich blieb, und er tat recht wohl daran, fortzulaufen.

 

Herr William Lovell

Ich muß fast lachen, indem ich Deinen Namen niederschreibe und nun von Dir die Rede sein soll. Soll ich weitläuftig von Dir sprechen, der Du fast nichts bist?

Ich hatte Nachrichten von Dir und wußte um Deine Reise nach Italien. Rosa kam Dir bis Paris entgegen. Mein alter Haß gegen Deinen Vater, gegen Dich, eine Erinnerung an Marie, eine Wut, die sich immer gleichgeblieben, wachte jetzt gewaltig in mir auf, ich glaubte jetzt die beste Gelegenheit gefunden zu haben, mich an ihm und an Dir zu rächen. Dich selbst wollt ich gegen den Vater empören; Du solltest von ihm und von Dir selber abfallen, dann wollt ich Dich zurückschicken. So ließ ich Dich durch alle Grade gehen, um Dich zu einer seltsamen Mißgeburt umzuschaffen. Du kränktest Deinen Vater, und er starb nun weit früher, als ich es geglaubt hatte. Ich fuhr indessen mit meinen Künsten fort, weil die Maschinen einmal in den Gang gebracht waren und ich mich daran gewöhnt hatte, Dich als mein gehegtes Wild zu betrachten. Du wirst hier nicht von mir verlangen, daß ich Dir weitläuftig auseinandersetze, auf welche plumpe Art Du Dich hintergehen ließest, es würde Deiner Eitelkeit nur zu wehe tun. Es gelang mir, Dich immer in Spannung zu erhalten; ein Zustand, der am leichtesten die Vernunft verdunkelt. Jetzt hörte ich, daß der alte Burton gestorben sei, und ich schickte Dich mit Aufträgen nach England, die Du so ungeschickt wie ein unwissender Knabe ausrichtetest. Wenn Eduard nicht mehr lebte, und seine Schwester auch aus dem Wege geschafft war, so hatte ich die nächsten Ansprüche auf das ansehnliche Vermögen dieser Familie, Du hättest dann Deine verlornen Güter wieder zurückbekommen, und alles wäre in einem ganz guten Zustande gewesen. Weil ich Dir aber damals noch nicht sagen mochte, daß ich Waterloo sei, so hast Du Dich wie ein wilder, unsinniger Mensch in Frankreich und England herumgetrieben, hast da manches fühlen und seltsame Dinge denken wollen, die für Dich gar nicht gehören. – Nun wirst Du zurückkommen und Dich selbst darüber wundern, daß es nicht so gegangen ist, wie Du es Dir vorgenommen hattest.

Du hast Dich bis jetzt überhaupt für ein äußerst wunderbares und seltenes Wesen gehalten, und bist doch nichts weniger; Du verachtest jetzt die Menschen mit einer gewissen Großsprecherei, die Dich sehr schlecht kleidet, weil Du nie imstande sein wirst, sie zu kennen, und wenn Du sie auch kennst, sie zu beurteilen und in das wahre Verhältnis gegen Dich selbst zu stellen. Du hast Dir seit lange eine unbeschreibliche Mühe gegeben, Dich zu ändern, und Du bildest Dir auch ein, gewaltsame Revolutionen in Deinem Innern erlitten zu haben, und doch ist dies alles nur Einbildung. Du bist immer noch derselbe Mensch, der Du warst; Du hast gar nicht die Fähigkeit, Dich zu verändern, sondern Du hast aus Trägheit, Eitelkeit und Nachahmungssucht manches getan und gesagt, was Dir nicht aus dem Herzen kam. Deine Philosophie war Eigensinn, alle Deine Gefühle nichts weiter, als ein ewiger Kampf mit Dir selber. Du hättest ein recht ordentlicher, gewöhnlicher, einfältiger Mensch werden können; auf einem Kupferstich in einer Waldgegend, neben einer jungen Frau sitzend, würdest Du Dich ganz gut ausgenommen haben, aber nun hast Du alles darangewandt, um ein unzusammenhängender philosophischer Narr zu werden. – Ich bin neugierig, Dich zu sehn, und so magst Du denn hereinkommen. – Wahrhaftig, ich kann aufhören, Dich zu beschreiben, denn da stehst Du ja nun leibhaftig vor mir. –

Zum Schluß

 

Einige Worte über mich selbst

Und wer bin ich denn? – Wer ist das Wesen, das hier so ernsthaft die Feder hält, und nicht müde werden kann, Worte niederzuschreiben? Bin ich denn ein so großer Tor, daß ich alles für wahr halte, was ich gesagt habe? Ich kann es von mir selbst nicht glauben. – Ich setze mich hin, Wahrheit zu predigen, und weiß am Ende auch nicht, was ich tue. – Ich habe mich auch in manchen Stunden für etwas recht Besonderes gehalten – und was bin ich denn wirklich? War es nicht sehr närrisch, mich unaufhörlich mit abenteuerlichen Spielwerken zu beschäftigen, indes ich in guter Ruhe hätte essen und trinken können? Ich freute mich sehr, das Haupt einer geheimen, unsichtbaren Räuberbande zu sein, ein Gespenst zu spielen, und andre Gespenster herbeizurufen, die ganze Welt zum Narren zu haben, und jetzt fällt mir die Frage ein, ob ich mich bei dieser Bemühung nicht selber zum größten Narren gemacht habe. – Ich bin vielleicht jetzt ernsthafter als je, und doch möchte ich über mich selber lachen.

Und daß ich mit solcher Gutmütigkeit hier sitze, und noch kurz vor meinem Tode mich mit Schreiben abquäle, um eine jämmerliche Eitelkeit zu befriedigen, ist gar unbegreiflich und unglaublich. – Wer ist das seltsame Ich, das sich so mit mir selber herumzankt? – Oh, ich will die Feder niederlegen, und bei Gelegenheit sterben.


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