Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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8
William Lovell an Rosa

Paris.

Ich bin nun wieder in Paris, das zuerst die Bühne meiner Irrtümer war.

Ob Amalie noch lebt, und wie sie leben mag! – Mir kömmt alles frisch und neu in die Erinnerung, was ich ehemals für sie empfand.

Die Blainville ist mit einem Chevalier de Valois von hier fortgegangen, der sich nach einigen Erzählungen in England erschossen hat. Was aus ihr geworden ist, weiß man nicht.

In wenigen Tagen reise ich von hier ab. – Alle Straßen und alle Gesellschaften sind mir zuwider.

Ich wünsche und fürchte das englische Ufer. – Doch kalt und phlegmatisch dehnt sich die Zeit weiter und kümmert sich nicht um unser geängstigtes, pochendes Herz – es muß doch endlich alles und selbst das Leben vorüber sein.

 

9
Willy an seinen Bruder Thomas

Kensea.

Lieber Bruder, ich schreibe Dir heute einen Brief und in wenigen Tagen mache ich mich auf, um zu Dir zu kommen; denn ich habe keine Ruhe, ich habe keine Rast, es treibt mich weg und ruft mir in die Ohren, daß ich Dich vor meinem Tode noch einmal sehen soll, daß ich unter Deinen Augen sterben soll.

Schon seit einigen Tagen ist mir so gar heimlich und einsam zumute, die Fahne des Kirchturms knarrt so betrübt, und wenn ich am Abend am Fenster stehe, ist es, als wenn ich auf dem Kirchhofe schwarze Männer stehen sehe, die mit den Fingern nach mir hinweisen. Ich habe im stillen geweint und gebetet, und bin mir dabei hier so verlassen vorgekommen, und so auch alle Menschen um mich her, sie waren mir alle fremd. – Der Tod treibt sich hier im Hause herum; das ist nicht anders, lieber Bruder, und nach mir sucht er, das ist gewiß, und darum will ich fort von hier und zu Dir hin.

Sieh, ich habe so an Dein altes freundliches Gesicht gedacht und an Deine Art zu reden, und an alles, was Du an Dir hast und was mir immer so gefällt und das Dein Name Thomas so recht ausdrückt und beschreibt. Und da hab ich geweint und mir die weite Reise von neuem vorgenommen. Diese Nacht ist es aber erst recht gewiß geworden.

Sieh, mir träumte, als stünde ich in einer wüsten, schwarzen Gegend, rund mit Bergen eingefaßt. Und oben von den Bergen guckte ein Kopf herüber, und das war mein Herr Lovell, ich kannte gleich das alte, blasse Gesicht. Da fing ich vor Freude laut an zu schreien, und ich glaubte, mir hätte nur immer geträumt, daß er gestorben sei, und jetzt käme es nun heraus, daß es nur eine Einbildung von mir wäre. Er sagte ganz freundlich: Guten Tag, lieber Willy! – Ich wollte gleich munter die Berge hinaufklettern und ich nahm mir vor, mich nicht zu schämen, sondern ihm dreist um den Hals zu fallen. Er mußte es merken, denn er sagte: Bleib nur, Willy, wir sehn uns bald. Und in demselben Augenblicke wurde sein Gesicht ganz jämmerlich, noch eingefallener und beinahe wie ein Totenkopf. Ich fing an zu weinen, als ich das sah, und streckte die Arme nach ihm aus, aber er schüttelte stillschweigend mit dem Kopfe, und es war nun, als würd er ordentlich recht mit Gewalt heruntergezogen. Da konnt ich's nicht lassen, sondern ich wollte nachsehn, was aus ihm geworden wäre; ich fing an zu laufen, um die Berge hinaufzuklettern; aber sieh, da liefen sie vor mir weg, und ich wurde ungeduldig und rannte immer schneller, und die Berge fuhren weg vor mir, geschwinder wie das beste Pferd im Wettrennen. Jetzt standen sie ganz weit weg, so daß sie nur noch so groß aussahen, wie Kinderköpfe, das war mir bedenklich; ich kehrte mich um, und hinter mir waren die übrigen Berge ebenso weit weggelaufen. Es war alles um mich her so weit, eben und schwarz, wie die See. – Da kam mir ein großer Schwindel in den Kopf, und ein schreckliches Grausen auf den ganzen Körper, denn ich merkte nun, daß ich den Herrn Lovell als einen Geist gesehen hatte. Es war mir immer, als wollte ein schwarzes Ungeheuer aus dem Himmel herunterschießen, um mich zu verschlingen, oder als wenn der Himmel selber brechen wollte. Ich vergaß alles Vorhergehende beinahe und fürchtete mich doch noch immer fort; meine ganze unsterbliche Seele krümmte sich in mir zusammen und ich rief den allmächtigen Gott um Hülfe an.

Da wacht ich mitten in der dunkeln Nacht müde und ermattet auf, und es war mir noch immer, als stünde ich noch in der schwarzen Wüste. –

Siehst Du, Bruder, der verstorbene Herr hat mich gerufen, ich muß kommen und nun will ich nur noch von Dir Abschied nehmen. Es ist ja so nur noch so wenige Zeit übrig, in der wir uns lieben und gut sein können, wir wollen also das wenige noch mitnehmen.

Gott segne meinen Herrn William, ich wünschte, ich könnte auch von dem noch Abschied nehmen, und daß er mir noch zur völligen Versöhnung die Hand drückte, daß ich doch ganz als ein guter Freund von ihm zu seinem Herrn Vater in den Himmel ankommen könnte und einen Gruß von ihm bestellen.

Wie gesagt, in etlichen Tagen bin ich bei Dir, und wenn Du mich auch wieder für etwas närrisch hältst, lieber Bruder, so mache mir doch ein freundliches Gesicht, wenn ich komme.


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