Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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8
Der alte Lovell an seinen Sohn

London.

Ich schreibe Dir, indem ich mich eben von einer neuen Krankheit erholt habe, die nicht ohne Gefahren war. Itzt ist mir besser, nur leid ich von einer Schwermut, in welcher ich oft den trüben Gedanken nicht loswerden kann, daß ich Dich bei Deiner Abreise zum letzten Male gesehn habe. Ich rufe mir dann lebhaft Dein Bild zurück, und gäbe alles hin, um Dich in einem solchen Augenblicke zu sehn; ich bin schon oft im Begriffe gewesen, Dir zu schreiben, daß Du in der möglichsten Eile zurückkommen möchtest; aber nein, bleibe dort, wo Du Dich vergnügst und unterrichtest, lerne Menschen kennen und bilde Dich aus; ich will meine ganze Kraft aufbieten, dem Tode zu trotzen, dann will ich den geliebten Sohn desto inniger an mein Herz drücken, dann will ich mich am Anblicke seines Glückes laben und ruhig sterben. – Alle Freuden sind mir abtrünnig geworden, aber die Vaterfreuden werden bei mir aushalten. Dein Glück ist itzt die einzige Hoffnung, die mich an diese Welt fesselt, in ihrer Erfüllung will ich am Abende meiner Tage von allen Beschwerden und Mühseligkeiten der Reise ruhen. Ich habe viel erlitten, oh, William; lerne die Menschen kennen, wenn sie Dich nicht elend machen sollen: begegne nicht jedem mit Deiner heißesten Liebe, um nicht einst das ganze Geschlecht zu hassen; sei sparsam mit Deinem Vertrauen, um nicht einst in einem ewigen Mißtrauen zu verschmachten. Solltest Du in der itzigen Glut Deiner Phantasie solche Erfahrungen machen, wie ich aushalten mußte – wo wolltest Du itzt die Stärke hernehmen, um Deine Moralität, Deine Menschheit nicht untergehn zu lassen? Das Auflodernde in Deinen Gefühlen hat mich oft um Dich besorgt gemacht; ohne zu untersuchen, traust Du jedem Wesen, das Dir nicht mißfällt, alle Deine Gefühle zu, und findest sie auch in fremden Seelen wieder; aber wenn Du Dich nun in drei Freunden irrst, so wirst Du allen Glauben an Freundschaft verlieren; den edelsten Menschen kannst Du leicht mißverstehn, wenn jene aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den fühlenden Menschen vom kalten, den Guten vom Unwürdigen unterscheiden willst, zu einer stillen innern Glut zurückgesunken ist: unbesonnen vertraust Du Dich dem nichtigen Enthusiasmus eines andern, und findest Dich endlich in einer dunkeln, einsamen Gruft verirrt, in der Du ängstlich nach der Öffnung tappst. Charaktere wie Du können am leichtesten um die Freuden ihres Lebens betrogen werden, sie sind Maschinen in der Hand eines jeden Menschenkenners. – In meiner Krankheit hab ich mich in manche Szenen meines Lebens zurückgeträumt: vielleicht schick ich Dir nächstens kleine Bruchstücke aus meiner Geschichte, vielleicht lernst Du aus Beispielen mehr, als aus den bloß hingestellten Resultaten meiner teuer erkauften Erfahrungen. Ich war oft einem allgemeinen Menschenhasse nahe, allenthalben ward meine Liebe verraten; Menschen, die ich für hohe Seelen gehalten hatte, eröffneten mir plötzlich einen Blick in ihr Innres, und ich sahe mit Schrecken elenden, verächtlichen Eigennutz auf demselben Throne sitzen, auf welchem ich Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war schon im Begriffe, an meinem eignen Werte zu verzweifeln, aber ich rettete noch die Verehrung der Menschheit und die Achtung meiner selbst. –

Was mir itzt noch mehr als meine Krankheit unangenehm wird, ist, daß ich in einen weitläufigen Prozeß mit dem Baron Burton geraten werde. Du weißt, daß einer meiner Vorfahren die Güter von einem Ahnen Burtons kaufte; er zweifelt itzt, daß die Summen ausgezahlt und die Kontrakte vollzogen sind, so wie sie damals geschlossen wurden; der Prozeß ist schon eingeleitet und er wird mir vielleicht viele Sorge, wenigstens viele Mühe machen. Ich habe schon Advokaten angenommen, welche behaupten, kein vernünftiger Mensch könne an der Rechtmäßigkeit meiner Sache zweifeln. Es tut mir weh, mich auch noch itzt von ihm verfolgt zu sehn, da er einst, in den glücklichsten Tagen meiner Jugend, mein Freund war; es ist eine traurige Empfindung, wenn ich mit meinem Gedächtnisse jene Zeiten zurückrufe, und sie mit den gegenwärtigen vergleiche. Die Aussicht Deiner künftigen, gewiß festen Freundschaft mit Eduard Burton tröstet mich etwas. Eduard ist ein edler Jüngling, er hängt fest an Dir, ihm darfst Du Dich ungescheut vertrauen, oder ich kenne auch noch itzt die Menschen nicht. –

 

9
Louise Blainville an Rosa

Paris.

Welche Ursache in der Welt kann es geben, daß ich Sie so lange nicht gesehn habe? Sie fangen ja an, so kalt gegen mich zu werden, wie es sich mein verstorbener Mann kaum erlaubte; wenn ich nun zur Strafe meine Neigung auf den jungen reizenden Engländer würfe und Sie völlig verabschiedete? Oder sind Sie vielleicht gar schon eifersüchtig auf ihn? – Wenn dies der Fall wäre, so würden Sie sich unnötige Mühe machen, denn es scheint mir, als hielte eine langweilige Duegna von erster Liebe unerbittliche Wache vor seinem Herzen.

Der alte Graf Melun muß irgendeinen Anschlag im Schilde führen, er hat vielleicht gar die Idee, mich von neuem zu einer Heirat zu bereden – und zwar – so glaub ich wenigstens, und Sie werden gewiß mit mir lachen – zu einer Verbindung mit ihm selbst! – Doch davon mündlich, nur machen Sie, daß ich Sie bald sehe, sonst sollen Sie zur Strafe von diesen Vorfällen nichts erfahren. – Adieu. –

 

10
Rosa an die Comtesse Blainville

Paris.

Wenn ich einen Hang zur Eifersucht hätte, so würde ihn Ihr Brief wahrlich nicht vermindern; ich bemerkte schon neulich, daß Ihnen Lovell nicht mißfiel. Doch – warum ich Sie so lange nicht besucht habe? – Eine Unpäßlichkeit – eine Bekanntschaft – sehen Sie, wie ich mich zu rächen weiß – doch, auch davon mündlich.

Wenn Sie den seltsamen Lovell bekehren können, so wünsch ich Ihnen und ihm Glück; mir scheint es fast unmöglich, denn seine Vorurteile sind zu tief mit ihm verwachsen – doch, was ist den Weibern unmöglich? Sie lösen die schwersten Probleme, und auf die leichteste und einfachste Art von der Welt. Ich werde mich freuen, mit dem jungen Engländer an einem Siegeswagen zu ziehen; dulden Sie es nicht, daß er ein so schwerer Verbrecher an Ihrer Schönheit wird, strafen Sie seine Kälte, sie mag nun erzwungen oder natürlich sein, auf eine exemplarische Art, und ich werde noch mehr sein

der innige Verehrer Ihres Verstandes und
Ihrer Reize.

11
William Lovell an Eduard Burton

Paris.

Ja Eduard, auch in meiner Seele haben sich nun schon so manche Träume entwickelt, wie ich einst glücklich, mit Dir glücklich leben will. – So nahe bei Dir – vielleicht an Amaliens Seite, im Schoße einer ländlichen Einsamkeit – ich verliere mich seit Deinem lieben Briefe so oft in diesen Traum und tausend Vorsätze spinnen sich dann leise in meiner Seele aus. – Mit einem kindischen Wohlbehagen verweil ich bei meinen Planen und wünsche die Zukunft schon herbei, um sie wirklich zu machen.

Es ängstigt mich, Eduard: mein Vater ist krank und hat mir einen sehr melancholischen Brief geschrieben; er liebt mich gewiß mit der innigsten Zärtlichkeit, aber ich kann nicht an Amalien denken, ohne mich mit Wehmut meines Vaters zu erinnern: sooft mir sein Bild vorüberschwebt, werf ich einen schwermütigen Blick auf Amaliens schnell nachfolgendes; diese nebeneinandergestellten Ideen zerschneiden meine Seele. Ich hasse mich, Eduard, wenn ich daran denke, daß durch Amaliens Besitz meines Vaters Tod weniger schmerzen könnte – aber ich schwöre Dir, es soll, es wird nicht sein. Zu diesem unedlen Eigennutze wird Dein Freund nie hinabsinken. –

Ein böser Dämon verfolgt mich in der Gestalt eines Engels, um Amaliens Bild aus meinem Herzen zu reißen; aber dieser Versuch wird in Ewigkeit nicht gelingen, ich bleibe ihr und meinen ersten, meinen schönern Gefühlen treu. – Ich spreche von der Comtesse Blainville, der Nichte des Grafen Melun; sie ist das Modell einer griechischen Grazie, ein Zauberreiz begleitet jede ihrer Bewegungen, sie darf nur lächeln, um die Göttin der Liebe zu sein – ein sanfter Blick ihres Auges – und sie ist das schönste Bild der Schwermut. – Ich kann sie nicht betrachten, ohne zu erröten, und sooft ihr Blick dem meinigen begegnet, schlägt sie ihn sogleich furchtsam nieder, sie sucht meine Gesellschaft und scheint sie doch vermeiden zu wollen; so viel Herzensgüte, Sanftmut und Verstand hab ich noch bei keinem Mädchen gefunden. Ihre Schönheit ist auffallender, ihr Auge größer und sprechender, und ihr ganzes Wesen hat, möcht ich sagen, einen gewissen Zauber durch Bizarrerie und Pracht, wogegen Amaliens stille Schönheit für die Phantasie gleichsam in den Schatten tritt. Nie wird sie aber in meinem Herzen auch nur den kleinsten Sieg über jene himmlische Erscheinung davontragen; aber darum kann ich mir ja doch gestehn, daß sie liebenswürdig ist, daß sie zu den Ersten ihres Geschlechts gehört. Auch empfindet sie wirklich tief, ihre zarte Seele ist nicht durch jenen witzigen Weltton der Franzosen verdorben; sie ist ein einfaches Kind der Natur, ohne alle Prätension und Verstellung, ich habe sie beim Anblicke des Elends gerührt gesehn.

Ich schließe; Mortimer bringt mir soeben einen Brief. – O Eduard, er ist von Amalien! – Nein, ich bin ein Elender, wenn ich sie vergessen könnte! – Welche Freude hat dann noch der Garten aufzuweisen, wenn dieser schönste Baum in mir verdorrt? – Ich bleibe ewig der ihrige, so wie der Deinige.


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