Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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William Lovell an Eduard Burton

Florenz.

Mein Eduard, ich schreibe Dir nun schon aus dem Mittelpunkte von Italien, aus der freundlichsten Stadt, die ich bis jetzt gesehn habe, die in der fruchtbarsten Ebne und unter den anmutigsten Hügeln und Bergen liegt. Hier, wo die Kunstwerke der größten Genien um mich versammlet sind, bespreche ich mich im stillen Anschauen mit den erhabenen Geistern der Künstler, die Natur erquickt meine Seele mit ihrer unendlichen Schönheit. Ich fühle mein Herz oft hoch anschwellen, wenn mich die tausendfältigen Reize der Natur und Kunst begeistern; o wie sehr wünsche ich Dich dann an meine Seite, um mit Dir zu genießen, um in Deinen trunkenen Augen den Spiegel meiner eigenen Freude zu sehn. Ich vermisse Dich so oft und gerade dann am meisten, wenn ich die übrige Welt umher vergesse. So wird denn nun endlich mein Trieb zu Reisen, zu wunderbaren Fernen befriedigt. Schon als Kind, wenn ich vor dem Landhause meines Vaters stand und über die fernen Berge hinwegsah und ganz am Ende des blauen Horizonts eine Windmühle entdeckte, so war mir's, als wenn sie mich mit ihrer Bewegung zu sich winkte, das Blut strömte mir schneller zum Herzen, mein Geist flog zur fernen Gegend hin, eine fremde Sehnsucht füllte oft mein Auge mit Tränen. – Wie schlug mir dann das Herz, wenn ein Posthorn über den Wald ertönte und ein Wagen vom Abhange des Berges fuhr! Am Abend ging ich traurig und mit trüber Seele in mein Zimmer zurück; meine Gedanken kehrten ungern aus den fernen, fremden Gegenden wieder, die bekannte Heimat umher drückte meinen Geist zu Boden. Wenn ich an jene Empfindungen meiner Kindheit zurückdenke, so empfind ich meine itzige glückliche Lage um so lebhafter.

Ich muß Dir einen kleinen Vorfall erzählen, der wenigstens in meiner Reise, die bisher an Begebenheiten so leer gewesen ist, einem Abenteuer noch am meisten ähnlich sieht. Rosa hat aus Paris einen kleinen Bedienten mitgenommen, einen jungen Burschen, der sich fast seit dem ersten Tage unsrer Reise an mich vorzüglich attachiert hat; er ist sehr freundlich, willig und gutgeartet, so daß ich ihn sehr gern um mich leiden mag. Von Chambery habe ich den größten Teil der Reise zu Pferde gemacht, und der muntre Ferdinand war sehr oft mein Begleiter, vorzüglich, als wir die piemontesischen Alpen passierten, wo ihn die rauhe Gegend und die so plötzlich abwechselnden Aussichten ebensosehr als mich entzückten. Wir verließen an einem trüben neblichten Morgen ein Dorf, das tief im Grunde lag; Rosa und Balder fuhren langsam die Anhöhe hinauf, und ich und Ferdinand folgten zu Pferde. Oben auf dem Berge gab uns die Natur einen wunderbaren Anblick. Wie ein Chaos lag die Gegend, so weit wir sie erkennen konnten, vor uns, ein dichter Nebel hatte sich um die Berge gewickelt, und durch die Täler schlich ein finstrer Dampf; Wolken und Felsen, die das Auge nicht voneinander unterscheiden konnte, standen in verworrenen Haufen durcheinander; ein finstrer Himmel brütete über den grauen, ineinanderfließenden Gestalten. Itzt brach vom Morgen her durch die dämmernde Verwirrung ein schräger roter Strahl, hundertfarbige Scheine zuckten durch die Nebel und flimmerten in mannigfaltigen Regenbogen, die Berge erhielten Umrisse und wie Feuerkugeln standen ihre Gipfel über dem sinkenden Nebel. – Ich hielt, und betrachtete lange die wunderbaren Veränderungen der Natur, die hier schnell aufeinander folgten; ich hatte es nicht bemerkt, daß der Wagen indes vorangefahren war: als ich wieder aufsahe, erblickte ich fünf Menschen, die aus dem nahen Walde auf uns zueilten. Ferdinand machte mich zuerst auf ihr zweideutiges Äußere aufmerksam, und als wir noch darüber sprachen und eben im Begriffe waren, unsre Freunde wieder einzuholen, ergriff der eine von diesen Kerlen plötzlich den Zügel meines Pferdes, indem ein anderer in eben dem Augenblicke nach Ferdinand schoß, ihn aber glücklicherweise verfehlte. – Ich fühlte mich kalt und wenig verlegen, doch meine beiden Pistolen versagten; Ferdinand aber erschoß sogleich den einen dieser Räuber und stürzte auf die beiden andern mit einem Mute mit seinem Hirschfänger zu, den ich ihm nie zugetraut hätte. Ich verwundete itzt einen zweiten, der sogleich die Flucht ergriff: kaum sahen die beiden übrigen, daß die Kämpfenden nun gleich und wir zu Pferde ihnen selbst überlegen waren, als sie sich schnell in den Wald zurückzogen. Rosa und Balder, die die Schüsse hatten fallen hören, kamen itzt herbeigeeilt und bewunderten den Mut Ferdinands, vorzüglich Rosa; Ferdinand schien sich darin sehr glücklich zu fühlen, daß er mich gerettet habe; er sagte, für sich selbst sei er nicht besorgt gewesen, aber die Gefahr, in welcher er mich gesehn, habe ihn anfangs erschreckt. Auch der alte Willy keuchte itzt den Berg wieder herauf und bedauerte nichts herzlicher, als daß die Spitzbuben schon davongelaufen wären, er hätte sich sonst mit ihnen herumschlagen wollen. – Der Tote ward in das Dorf geschafft, das wir erst kürzlich verlassen hatten; und so endigte sich dieser Unfall mit einer allgemeinen Freude über unsre Rettung.

Der fruchtbare und heitre Herbst gibt den Gegenden hier eine eigentümliche Schönheit; die üppige Natur prangt mit allen ihren Schätzen; das frische Grün, der blaue Himmel, erquicken das Auge und die Seele. Ich habe schon Vall' ombrosa gesehn, die reizendste Einsamkeit, ich bin oft oben auf Fiesola, und gehe über die Gebirge hinweg und zur lachenden Stadt hernieder; ich besuche die anmutigen Haine, oder ich durchwandle die Tempel und ergötze mich an den Denkmalen alter Kunst. Täglich fühl ich mich entzückt, alles ist mir schon bekannt und der Reiz des Fremdartigen verbindet sich mit dem Gefühl des Heimischen.

Aber was ist es, (o könntest Du es mir erklären!) daß ein Genuß nie unser Herz ganz ausfüllt? – Welche unnennbare, wehmütige Sehnsucht ist es, die mich zu neuen ungekannten Freuden drängt? – Im vollen Gefühle meines Glücks, auf der höchsten Stufe meiner Begeisterung ergreift mich kalt und gewaltsam eine Nüchternheit, eine dunkle Ahndung – wie soll ich es Dir beschreiben? – wie ein feuchter nüchterner Morgenwind auf der Spitze des Berges nach einer durchwachten Nacht, wie das Auffahren aus einem schönen Traume in einem engen trüben Zimmer. – Ehedem glaubt ich, dieses beklemmende Gefühl sei Sehnsucht nach Liebe, Drang der Seele, sich in Gegenliebe zu verjüngen – aber es ist nicht das, auch neben Amalien quälte mich diese tyrannische Empfindung, die, wenn sie Herrscherin in meiner Seele würde, mich in einer ewigen Herzensleerheit von Pol zu Pol jagen könnte. Ein solches Wesen müßte das elendeste unter Gottes Himmel sein: jede Freude flieht heimtückisch zurück, indem er darnach greift, er steht, wie ein vom Schicksale verhöhnter Tantalus in der Natur da, wie Ixion wird er in einem unaufhörlichen martervollen Wirbel herumgejagt: auf einen solchen kann man den orientalischen Ausdruck anwenden, daß er vom bösen Feinde verfolgt wird. – Man fühlt sich gewissermaßen in eine solche Lage versetzt, wenn man seiner Phantasie erlaubt, zu weit auszuschweifen, wenn man alle Regionen der schwärmenden Begeisterung durchfliegt – wir geraten endlich in ein Gebiet so exzentrischer Gefühle – indem wir gleichsam an die letzte Grenze alles Empfindbaren gekommen sind, und die Phantasie sich durch hundertmalige Exaltationen erschöpft hat – daß die Seele endlich ermüdet zurückfällt: alles umher erscheint uns nun in einer schalen Trübheit, unsre schönsten Hoffnungen und Wünsche stehn da, von einem Nebel dunkel und verworren gemacht, wir suchen mißvergnügt den Rückweg nach jenen Extremen, aber die Bahn ist zugefallen, und so befällt uns endlich jene Leerheit der Seele, jene dumpfe Trägheit, die alle Federn unsers Wesens lahm macht. Man hüte sich daher vor jener Trunkenheit des Geistes, die uns zu lange von der Erde entrückt; wir kommen endlich als Fremdlinge wieder herab, die sich in eine unbekannte Welt versetzt glauben, und die doch die Schwingkraft verloren haben, sich wieder über die Wolken hinauszuheben. Auch bei den poetischen Genüssen scheint mir eine gewisse Häuslichkeit notwendig; man muß nicht verschwenden, um nachher nicht zu darben – sonderbar! daß ich alles dies vor wenigen Monaten von Mortimer schon hörte und es doch damals nicht glauben wollte! Seit ich es aber selbst erfunden zu haben glaube, bin ich vollkommen davon überzeugt. – Ist dies nicht ein ziemlich kleinlicher Eigensinn?

Doch ich vermeide itzt jene hohen Spannungen der Einbildungskraft, und sie sind auch nicht immer die Ursache, die jenes niederschlagende Gefühl in mir erzeugen, das mich zuweilen wider meinen Willen verfolgt. Keiner, als Du Eduard, kennt so gut den seltsamen Hang meiner Seele, bei fröhlichen Gegenständen irgendeinen traurigen, melancholischen Zug aufzusuchen und ihn unvermerkt in das lachende Gemälde zu schieben; dies würzt die Wollust durch den Kontrast noch feiner, die Freude wird gemildert, aber ihre Wärme durchdringt uns um so inniger; es sind die Ruinen, die der Maler in seine muntre Landschaft wirft, um den Effekt zu erhöhen. Dieser Art von feinstem Epikureismus habe ich manche Stunden zu danken, die zu den schönsten meines Lebens gehören – aber itzt gewinnen die traurigen Vorstellungen zuweilen so sehr die Übermacht in meiner Seele, daß sich ein düstrer Flor über alle andere Gegenstände verbreitet. Die Reise von Lyon durch Frankreich war die reizendste; allenthalben frohe und singende Winzer, die ihre Schätze einsammelten – aber viele Meilen beschäftigte meine Phantasie ein weinender Bettler, den ich am Wege hatte sitzen sehn und dem ich im schnellen Vorüberfahren nichts hatte geben können. Mit welchen Gefühlen muß er den Frohsinn seiner glücklichen Brüder angesehn haben, da er gerade sein Elend so tief empfand! Mit welchem Herzen muß er dem schnell dahinrollenden Wagen nachgeseufzt haben! – Dann so manche kleine Szenen der Feindschaft und Verfolgung, einer kläglichen Eitelkeit, in der so viele Menschen den kleinen Winkel, in dem sie vegetieren, für den Mittelpunkt der Welt halten – ach, hundert so unbedeutende Sachen, die den meisten Reisenden gar nicht in die Augen fallen, haben mir in sehr vielen Stunden meine frohe Laune geraubt.

Wohl mag dies übertriebne Reizbarkeit sein, die Abspannung notwendig macht und wohl in Hypochondrie ausarten kann. So quälte mich in manchen Stunden auf der Reise eine andre seltsame Vorstellung. Es war mir nämlich oft, als hätte ich eine Gegend oder eine Stadt schon einmal und zwar mit ganz anderen Empfindungen und unter ganz verschiedenen Umständen gesehn; ich überließ mich dann dieser wunderlichen Träumerei und suchte die Erinnerungen deutlicher und haltbarer zu machen und mir jene Gefühle zurückzurufen, die ich ehemals in denselben Gegenden gehabt hatte. – Oft wehte mich wohl auch aus einem stillen Walde, oder aus einem Tale herauf das schreckliche Gefühl an: »daß ich eben hier wieder wandeln würde, aber elend und von der ganzen Welt verlassen, das Abendrot würde über die Berge ziehn, ohne daß ich auf die Umarmung eines Freundes hoffen dürfte – das Morgenrot würde wieder aufdämmern, ohne daß meine Tränen getrocknet würden.« Ich betrachtete dann die Gegend genauer, um sie in diesem unglücklichen Zustande wiederzuerkennen und oft trat mir unwillkürlich eine Zähre ins Auge. –

Aber wie komme ich zu diesen Vorstellungen? Du hast recht, die Melancholie ist ein ansteckendes Übel und ich glaube, daß sie bei mir nur eine fremdartige Krankheit sei, die mir Balder mitgeteilt hat. Er macht mich itzt sehr besorgt, denn er ist verschlossener und trauriger als je; zuweilen begegne ich einem seiner verirrten Blicke und ich erschrecke vor ihm. Ich habe schon einigemal in ihn gedrungen, mir deutlicher von der Ursache seines tiefen Grams zu sprechen, aber vergebens. Sollte die Freundschaft keinen Trost für seine Leiden haben? –

Lebe wohl, Du erhältst meinen nächsten Brief aus Rom. –

 

8
William Lovell an Eduard Burton

Rom.

Lieber Eduard, ich bin heut noch zu voll von den mannigfaltigen Eindrücken, die alles umher auf mich macht, um Dir einen langen Brief schreiben zu können. Die Asche eines Heldenalters liegt unter meinen Füßen, mit ernster Größe sprechen mich die erhabenen Ruinen der Vorzeit an, die Kunstwerke der neuern Welt erzwingen meine Anbetung. Ich lebe hier wie in einem unendlich großen Tempel, der heilige Schauer auf mich herabgießt; bei jedem Schritte betret ich eine Stelle, wo einst ein verehrungswürdiger Römer ging, oder wo eine große Handlung vorfiel. Ein Drang zu Taten weht mich aus jeder Bildsäule an, begeisternde Schauder wohnen in den Trümmern aus der großen Heroenzeit; in der Abenddämmerung denk ich oft, es müsse hinter dem Bogen des Janus, oder bei der Quelle der Egeria mir der Geist eines alten Römers erscheinen, und ich vertiefe mich dann so sehr in meinen Gedanken und den Erinnerungen der alten Zeit, daß es mir oft schwer wird, mich nachher wieder zurechtzufinden.

Als ich ins Tor hineinfuhr und schon lange vorher den Vatikan und die Peterskirche gesehn hatte, war meine Empfindung so hoch gespannt, daß mir der erste Anblick des Platzes Popolo und der drei großen Straßen, samt dem Obelisk nicht den Eindruck machten, den ich erwartet hatte. Ich stieg in meinem Quartiere auf dem Spanischen Platze ab, und verirrte mich auf meinem Spaziergange in der unbekannten Stadt, indem die Sonne unterging. So geriet ich an das Pantheon, ich ging hinein und ein heiliger Schauer umfing mich, ich wartete bis der volle Mond über der Öffnung der Kuppel stand und sah nun das herrliche Rund vom wunderbarsten Glanze erleuchtet.

Wie kann man sich in Rom allen seinen trüben und kränkelnden Empfindungen so überlassen, wie Balder tut? – Wie ist es möglich, daß nicht ein verzehrend Feuer durch alle Adern brennt und den Lebensgeistern zehnfache Kraft gibt? Rosa ist ein vortrefflicher Mensch, er ist ein geborner Römer und stolz auf seine Vaterstadt; erst seit wir hier sind, fängt sich an, seine Seele in ihrer ganzen Herrlichkeit zu entwickeln, er ist hier wie neubelebt, ich entdecke in ihm täglich neue Vorzüge und Talente, die ich vorher nicht erwartet hatte. Er scheint mir ein Muster zu sein, nach dem man sich bilden kann; dieser allesumfangende Geist mit diesem zarten Gefühle und diesem richtigen Verstande, verbunden mit einem großen Reichtume von Kenntnissen – alles dies kann gewiß nur das Eigentum einer großen Seele werden. –

Die Sonne geht unter, ich eile die große Treppe hier am Platze hinauf, um die Kuppel der Peterskirche, des Vatikan und die ganze Stadt unter mir in Gold und Purpur brennen zu sehn.


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