Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Siebentes Buch

1795

1
Karl Wilmont an Mortimer

London.

Du vermutest mich vielleicht noch in Bondly und wunderst Dich, den Brief von London datiert zu sehn? Nein, Mortimer, ich wünschte nicht, daß Du lange in Deinem Erstaunen bleiben mögest, denn ich fühle es, daß ich hiersein muß.

Ich habe vier glückliche Tage in Bondly an Emiliens Seite verlebt, und bei Gott, es hat mich noch nicht einen Augenblick gereuet, daß ich wieder so schnell abgereist bin. Ich sollte unwürdig genug sein, sie sogleich mit ihrer reichen Aussteuer zu heiraten und dann gemächlich von ihrem Vermögen zu leben? Es kam bloß auf mich an, aber bei der ersten Nachricht von Burtons Tode ging mir der Gedanke durch den Kopf, daß ich ein unwürdiger Mensch wäre, wenn ich es täte. Du weißt, daß ich mehrere gute Empfehlungen an den Minister hatte, und er nahm mich freundlicher auf als ich erwarten konnte: bei ihm arbeite ich jetzt. Ich teilte Emilien sogleich, als ich in Bondly ankam, meinen Plan mit, und sie konnte ihn auf keine Weise mißbilligen. Das Bewußtsein ihrer Liebe begleitet mich an meinen Arbeitstisch und die schwersten Geschäfte lächeln mich an; wir sind beide jung, und so mag unsere Vereinigung noch immer ein Jahr oder etwas länger aufgeschoben bleiben; in dieser Zeit denke ich befördert zu werden und ihr dann doch mit einem kleinen Glücke entgegenzukommen.

Ich lächle über mich selber, wie ich bisher alles ernstere, festere Leben verabsäumt habe, sie nur so oft als möglich zu sehn suchte, und daß ich jetzt hier sitze, freiwillig von ihr verbannt und mir noch aus meinem kältern Sinn ein großes Verdienst mache. Aber bisher war sie mir ungewiß.

Zuweilen mache ich mir Vorwürfe darüber, daß ich innerlich so froh bin. Die Menschen, (und ich mit eingerechnet,) sind ausgemachte Narren. Einen trüben, verkehrten Sinn, in dem sich alle Gegenstände dunkel und unkenntlich abspiegeln, halten sie viel leichter für den Rahmen der Tugend, als die frohe Gemütsstimmung. Ich freue mich ja nicht über Burtons Tod, nicht daß er mir aus dem Wege gegangen ist – o nein, nur über die Ebene, die plötzlich, ohne mein Zutun, vor meinen Füßen liegt. Die Menschen sind darin ganz gute Geschöpfe, und wohl mir, daß auch ich mir jetzt so recht wichtig und bedeutend vorkomme, daß ich alle Vorstellungen auf mich und mein künftiges Glück beziehe! Man lasse doch alle große kosmopolitische Plane, allen Kummer über Weltbegebenheiten fahren, und liebe sich und die Menschen recht innig, die der gütige Himmel dicht um uns angepflanzt hat! Dieser Empfindung, diesem Vorsatze will ich folgen, und Du, mein lieber Mortimer, bist mit unter meine Geliebten eingeschlossen; aber auch meine Schwester, die Du grüßen sollst, und jeden, der sonst im Hause nach mir frägt, selbst die häßliche Charlotte nicht abgerechnet, die Dir so zuwider ist.

 

2
Mortimer an Karl Wilmont

Roger Place.

Deinen Gruß an Charlotten magst Du bei der ersten Gelegenheit selbst bestellen, denn ich spreche nur ungern mit ihr, die übrigen sind besorgt und alle sagen von Herzen Dank, daß Du Dich ihrer mit einem so fröhlichen Wohlwollen erinnerst. Dein Brief, Karl, hat mir sehr gefallen, denn eine liebenswürdige Menschlichkeit führt darin das Wort; wir sollten alle so empfinden, und die Menschen würden sich aus dieser dürren Erde einen Garten machen.

Nein, Du brauchst Dir keine Vorwürfe zu machen, lieber, unbefangener Mensch. Liegt es denn nicht in unserer Natur, daß wir das Glück willkommen heißen, wo wir es finden? Deine Seele hat ihre Unschuld behalten und Du wirst nie schlecht empfinden, und wenn auch bei der Betrübnis andrer Dein Mund sich zum frohsten Lachen zieht.

Mit Deinem Plane bin ich ebenfalls sehr zufrieden, die Tätigkeit wird Dich zum Manne machen, denn das ist der große Vorteil der Beschäftigung, daß sie unsern Geist reift, wenn sie gleich in sich selbst oft keinen großen Wert hat. Die meisten Menschen wissen immer nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen, wenn sie nicht von einer geordneten Tätigkeit mitgenommen werden; sie werden dann nur gar zu leicht auch im Geiste müßig und faul und sind nachher für jede Arbeit unbrauchbar, wenn sie auch gerne arbeiten wollten, ihr Dasein wird dann durch ewige unbedeutende Zerstreuungen zerschnitten und sie werden sich selbst zur Last. Du wirst bald fühlen, wie Dein Geist durch eine nicht übertriebene und verworrene Tätigkeit elastischer wird und Emilie wird mehr als einen Gewinn davon haben.

Alle Deine Wünsche mögen in Erfüllung gehn, nur erliege nicht unter Deinen Vorsätzen.

 

3
Bianca an William Lovell

Rom.

Ich sehe Dich jetzt nur so selten, Du eigensinniger Träumer! und dann nur auf einzelne flüchtige Augenblicke! Umsonst werden alle Scherze und jeder Mutwille wach, wenn Du bei mir bist; Du bleibst in Deiner Verschlossenheit, und lächelst nur zuweilen halb mitleidig, halb erzwungen, um mich nur nicht rasend zu machen. – Ist das derselbe Lovell, den sich vor einem Jahre mein lüsternes Auge wünschte?

Laura ist bei mir und wir haben eben von Deiner unerträglichen Laune gesprochen. Daß wir uns so an Dich gewöhnt haben, ja daß wir Dich so lieben, ist um zu verzweifeln! Es fehlt nicht viel, daß wir Sonette auf Dich machten; aber nimm Dich in acht, daß es nicht Satiren werden!

O ihr Männer! seid ihr nicht unbegreifliche Toren, daß ihr erst mit so vielen Erniedrigungen um unsre Gunst bettelt, und sie verachtet, wenn ihr endlich erhört seid! Müßtest Du Dich nicht hoch glücklich schätzen, daß zwei römische Mädchen, ich und meine Freundin, Dich so lieben? nicht für Dein Geld, sondern weil Du Lovell bist. Aber Du bist ein kalter, nördlicher Teufel, der mich martert und mich mit meiner innigen Liebe verächtlich stehnläßt und vorübergeht! – Ich will auch nicht mehr an Dich denken!

Hast Du Verdruß, Händel und Prozesse vielleicht in Deinem Vaterlande? – O laß alles fahren und freue Dich des Lebens und der Liebe! Was ist alles übrige? – Nicht der Mühe wert, um davon zu reden. – O das habe ich Dich so oft an meinem Busen beschwören hören, Du Ungetreuer! Komm und sei jetzt nicht meineidig, sondern wiederhole Deinen Schwur.

Sehr närrisch macht sich die Feder in meinen zum Schreiben ungelenken Fingern, aber möchten die ungeschickten verwirrten Striche doch Zaubercharaktere sein, die Dich unaufhaltsam herbannten!

 

4
Francesco an William Lovell

Rom.

Sie waren gestern ganz ohne Zweifel böse auf mich, weil ich Sie mit Adriano bei Ihrer Bianca störte, aber ich hoffe, ich habe mich doch schnell genug wieder entfernt, daß Sie nicht unversöhnlich sein werden. Ich reiche Ihnen mit aller meiner Gutmütigkeit die Hand zum Frieden, denn es wäre unverzeihlich, wenn wir beide noch vor Ihrer Abreise Feinde werden sollten.

Wenn ich nicht etwas zu fett wäre, so würde ich Sie begleiten und bei der Gelegenheit auch einmal andre Länder, als Italien zu sehn bekommen; aber so bin ich in mir selber gefangen, denn das Reisen bekömmt mir nie. Sonderbar, daß wenn man es sich gut schmecken läßt, man es nachher mühsam findet, einen Berg zu erklettern. – Indessen es lassen sich nicht alle Genüsse und alle Vortrefflichkeiten verbinden.

Wenn ich mir meine neugierige Seele denke, die so in schweren unbeholfenen Fesseln sitzt, und doch gern manches Neue lernen und erfahren möchte, so bekomme ich ein wahres Mitleiden mit mir selber. Als ich noch zuweilen weit zu Fuße ging, nahm ich mir vor, den größten Teil der Welt recht genau zu betrachten, und jetzt habe ich nun alles im verjüngten Maßstabe, in Kupferstichen vor mir und muß mich daran begnügen. – Doch, was hat man von einer ganzen Reise, wenn man wiederkömmt?

Trinken Sie ja nicht gleich kalt Wasser, wenn Sie aus dem Wagen oder vom Pferde steigen, denn ich habe es aus eigner Erfahrung, daß das sehr schädlich ist.

Bleiben Sie einem Frauenzimmer zu Gefallen nie einen Tag länger an einem Orte; man hat nur Undank davon.

Lassen Sie fleißig nachsehn, ob keine Linse am Wagen fehlt, damit Ihnen nicht plötzlich ein Rad abläuft und Sie einen gewaltigen Stoß bekommen.

Nehmen Sie auf jeden Fall einige Flaschen vorzüglich guten Wein mit, man weiß sonst manchmal nicht, was man in den schlechten Wirtshäusern anfangen soll, wo man oft in den miserabelsten Speisen die Zähne bewegt, um nur mit dem Wirte keine Händel zu bekommen.

Die Postillione sind am besten, wenn sie halb betrunken sind.

Wenn Sie Ihren Freunden Naturseltenheiten mitbringen sollen, so ist es am bequemsten, daß Sie diese auf der letzten Station kaufen, und dann schwören, Sie hätten sie mit eigenen Händen aus dem oder dem Berge gebrochen; man kann manchen Leuten damit eine sehr fröhliche Stunde machen.

Nehmen Sie sich besonders vor dem Morgentau in acht; es ist widerwärtig, auf einer Reise krank zu werden.

Unterlassen Sie es nie, an die Aufwärterinnen einige Liebkosungen wegzuwerfen, Sie bekommen durch dieses Hausmittel allenthalben weit bessere Suppen.

Die Rechnungen der Wirte braucht man nie zu überrechnen, denn richtig addiert werden sie selbst vom Einfältigsten; man spart beim Einsteigen in den Wagen damit einige Zeit.

Ihren Bedienten behandeln Sie ja recht schlecht, sonst ist er auf der Reise Ihr Herr. In einem fremden Lande können Sie ihm am meisten bieten, weil er schon Gott dafür danken wird, wenn Sie ihn nur wieder zurückbringen.

Ich halte Sie für meinen wahren Freund, denn ich bin wenigstens der Ihrige, und darum habe ich Ihnen einige Kenntnisse mitgeteilt, die ich mir ehemals auf meinen Reisen abstrahiert habe. Der ganze Brief macht wenigstens, daß Sie auf der Reise vielleicht an mich zuweilen denken; damit habe ich schon genug und übergenug gewonnen, und gegen unsern Andrea will ich recht damit prahlen, daß ich Ihnen manchen vortrefflichen Rat auf den Weg gegeben habe.

Besuchen Sie mich aber noch morgen abend, Sie werden eine Gesellschaft von lustigen Freunden finden.

 

5
William Lovell an Rosa

Chambery.

Ich habe mich nirgend aufgehalten, und darum haben Sie bis jetzt noch keinen Brief von mir erhalten; hier aber will ich einige Tage von den Beschwerlichkeiten der Reise ruhn.

Ich hätte nicht noch jenen lustigen Abend bei unserm Francesco genießen sollen, denn die Einsamkeit, die Entfernung von Ihnen und allen unsern Freunden drückt mich nun um so schmerzhafter. Schon unter der Munterkeit, unter dem lauten Lachen sah ich in Gedanken meinen einsamen Wagen zwischen düstern Bergen fahren, und nun sitz ich hier in einer fremden Stadt, so ganz abgesondert, tief in Betrachtungen und Erinnerungen mancherlei Art versenkt.

Nichts ist für mich widriger und betrübter als jeder Abend vor einer Abreise, man ist ermüdet und verwirrt vom Einpacken und Anordnen, wobei endlich die Finsternis hereinbricht, und man mit dem Lichte bald in dieses, bald in jenes Zimmer wandert, um nur nichts zu vergessen; Koffer und Mantelsäcke werden dann zugeschlossen, und wir werden so recht darauf aufmerksam gemacht, wie unser ganzes Leben aus so elenden Bedürfnissen zusammengeflickt ist, wie wir mit einem Praß von unnützen Notwendigkeiten beladen, wie wir an uns selbst so wenig, ja fast nichts sind. Das ängstliche Herumtreiben der Aufwärter, die größere Leere der Zimmer, der Gedanke der Reise – alles gibt dann eine dunkle Allegorie von der widrigen Maschinerie des menschlichen Lebens, wo alle Räder und alle Getriebe so kreischend hervorschrein, wo das Bedürfnis die erste bewegende Kraft ist. Dann gehn Berge und Täler wie Schatten meinem Sinn vorüber, ich erwarte den Anbruch des Tages mit einer Ängstlichkeit, als wenn ich sterben sollte.

Mit dem ersten Ruck des Wagens hören gewöhnlich meine Beklemmungen auf, ich vergesse dann, daß ich den Ort, den ich verlasse, vielleicht nie, oder mit ganz umgeänderten Gefühlen wiedersehe.

In den wildesten Gegenden der Piemontesischen Gebirge fühlte ich mich oft auf eine seltsame Art glücklich, ich dachte an den Vorfall mit den Räubern, der mir vor mehr als zwei Jahren hier begegnete. Ich glaubte oft, daß Balder jetzt aus einem dunkeln Gebirgpfad heraustreten müßte, oder daß niemand anders als Amalie in der Kutsche vor mir fahren könne; oft hatten auch die Gesichter, denen ich begegnete, eine auffallende Ähnlichkeit mit jenen, die ich suchte.

    Mit trübem Auge
In finstrer Nacht,
Geht durch das Leben
Das Kind, geleitet
Vom ernsten Führer,
Den es nicht kennt.

    Im Tal, am lauten Wasserfall,
Stehn beide Wandrer still,
Der Führer spricht zum Horchenden:

    Sieh, hier blühen alle Blumen,
Alle Wünsche, alle Freuden,
Pflücke, denn wie fließend Wasser
Rauscht das Leben dir vorüber.

    Fort weicht die Gestalt
Und tiefbekümmert
Sieht ihr mit langem Blicke
Der einsam Verlassene schmachtend nach.

    Wind säuselt in den Blumen,
Wellen murmeln wie zum fröhlichen Tanz,
Da beugt sich der Fremdling
Und mäht mit raschen zitternden Händen
Die kleine Stelle,
Auf der er steht.

    Und Blumen und Gräser
Und giftiges Unkraut
Und stachlicht Gewürme
Fühlt zitternd die Hand.
Und halb erschrocken
Und halb entschlossen
Wirft Gräser und Unkraut,
Gewürme und Blumen
Das Kind mit Gewinsel
In die Fluten des lauten abrollenden Stroms.

    »Wo sind die Freuden?
Wo sind meine Wünsche?
Du hast mich betrogen,
Und einsam, verlassen,
Zittr' ich noch einmal
Die Hand nach den täuschenden Blumen zu strecken.«

    Da fließt des Mondes goldnes Licht
Durch Tal und Wies und über den Strom
Und rätselhaft steht rings die Gegend
Im Glanz des Abends.
»Wo find ich die Heimat?
Wo find ich Gefährten?
Ich sehe nur Schatten,
Die dunkel und dunkler
Vom Strom herüber,
Bald hierhin, bald dorthin
Wie Wolken gehn.
Liegt alles jenseits,
Was ich mir wünsche
Und herzlich suche?
Ich höre Töne –
Sind's ferne Wasser?
Sind's tönende Wälder?
Sind's Menschenstimmen?
So fremd und vertraulich,
So ernst und so freundlich
Klingt's fern herüber.
Ach wie trotzig braust der Strom sein Lied fort,
Ziehende Vögel spotten meiner in der Ferne,
Wolken sammeln sich um den Mond und nehmen ihn mit sich,
Ach kein Wesen, das meiner sich erbarmte.«

    »Ist dies das Leben,
Voll Lieb und Freude?
Wo find ich die schöne,
Verlassene Heimat?« – –

Wie mag sich in meinem Vaterlande jetzt alles verändert haben? – Wie habe ich mich selbst verändert! –

Das Wetter ist sehr trübe und ich will mich niederlegen, um zu schlafen.


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