Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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24
William Lovell an Rosa

Chambery.

Es ist gelungen, Rosa, es ist gelungen, und ich bin wieder mutiger. Ich Tor! daß ich nun schon seit lange die Menschen kenne, und diese Kenntnis doch noch nicht benutzte! Nein, ich will nicht mehr ruhig neben ihnen, sondern durch sie leben; Sie haben unrecht, Rosa, offenbar unrecht, denn unser Verstand, die Notwendigkeit, alles fordert uns dazu auf. Sie haben mir müssen standhalten, das Glück hat mir gehorchen müssen, und alles ist nun wieder gut.

Schon seit lange waren mir durch eine zufällige Bekanntschaft einige Spielerkniffe geläufig geworden, die ich albern genug war, niemals anzuwenden. Ich Narr saß immer mit meinen ehrlichen Händen da, und hob tölpisch und unbeholfen die Karten ab, indes mein Geld und mit ihm die Achtung der Menschen, aller Lebensgenuß, jede Freude von meiner Seite schwanden. Wenn ich mir jetzt nicht als der größte Dummkopf vorkomme, Rosa, so sollen Sie mich nie wieder Ihren Freund nennen: ich tat in meiner Einfalt mehr, als je die berühmtesten Philosophen, zusammengenommen, getan haben, ich war ehrlich, in der schlimmsten Situation meines Lebens, ich verschenkte mein Geld, wenn ich gewonnen hatte, und war die Großmut selbst, ich übte die größte Selbstverleugnung aus, indem ich beim verdrüßlichsten Verluste, der mich elend machte, kalt blieb, und ganz vergaß, daß ich ein Betrüger sein konnte. O der dummen, ungehirnten Ehrlichkeit! Nachher lag ich mit meiner Ehrlichkeit auf den Marktplätzen und bettelte, statt zu morden, ich flehte das Wohlwollen der Menschen an, statt ihnen ihr Eigentum mit Gewalt zu entreißen; o Himmel! es waren oft dieselben Menschen, die durch mich waren reich geworden und die nun so kalt und mit so vieler Verachtung an mir vorübergingen, als wenn ich der unbekannteste und verworfenste Gegenstand wäre! Und doch hatten sie mich wahrscheinlich, ja gewiß, um mein Geld betrogen, und sie fuhren jetzt durch ihren Diebstahl in Kutschen, und ich lag mit meiner Ehrlichkeit am Wege und bettelte! – Das empört jeden Menschen, und auch mein Blut ward endlich erhitzt. Ich schwur mir selbst, daß es anders werden sollte, und wahrhaftig, es ist nun auch anders geworden. Ich tat nichts weiter, als daß auch ich meinen Beitrag zum allgemeinen Betruge lieferte, daß ich die Künste spielen ließ, die in meiner Gewalt waren. – Warum gab es Narren, die sich mit mir einließen? Sie haben mir nur meine verlorne Zeit und die Niederträchtigkeit ihrer Brüder bezahlt: jetzt ist nun alles wieder von allen Seiten richtig; ich bin sogar mit den Menschen auf eine gewisse Art wieder ausgesöhnt, soviel man sich mit ihnen wieder aussöhnen kann, wenn man sie einmal gekannt hat, und wär es auch nur in dem kleinen Raume einer Stunde.

Ich spielte anfangs nur niedrig, und nach und nach höher und immer höher. Sie hätten sehn sollen, Rosa, wie alle die Menschen sich wieder um mich versammelten, und mir schmeichelten, und herzlich gegen mich waren, die mich noch vor wenigen Tagen auf der Straße hatten liegen und hungern lassen. Ihrer aller Leben, aller Vermögen stand mir zu Gebote; man bewunderte die seltsame Laune des kühnen Engländers, der sich so gut habe verstellen können, um sich auf einige Zeit mit dem Elende der menschlichen Natur recht bekannt zu machen. Ich hätte jedem ein Pistol vor den Kopf schießen mögen, wenn ich nicht gehofft hätte, von ihnen zu gewinnen und mich so zu rächen. Es geschah; mein eignes schönes Geld floß in meine Börse zurück, und je reicher ich wurde, je mehr Freunde bekam ich wieder. Die ganze Welt mit allen ihren Freuden war mir nun wieder aufgeschlossen. – O Gold! allmächtiges Gold! Ich will deinen Besitz künftig nicht wieder so gutmütig fahrenlassen, ich habe dich nun erst kennen und schätzen gelernt, ich verehre deine Allmacht! –

Ich möchte in manchen Stunden anfangen, meine eigne Geschichte und meine Empfindungen über mich und die Menschen niederzuschreiben. Wenn ich mich so mancher Bücher erinnere, die ich ehedem gelesen habe, und in denen uns die tugendhaften Menschen so viele Langeweile machen, indes die Lasterhaften wie Vogelscheuchen dastehn, um die Leser scharenweise, wie Sperlinge, von der Bahn des Bösen zurückzuschrecken – und mir dann einfällt, daß irgendein eingebildeter Dummkopf sich hinsetzen könnte, um meine Geschichte, die er stückweise durch die dritte oder vierte Hand erfahren hat, bedächtig aufzuschreiben: so möchte ich lachen, und selbst die Feder nehmen, nicht zu meiner Rechtfertigung, denn diese brauche ich nicht, sondern bloß um zu zeigen, wie ich bin und wie ich denke. Meilenweit stehn jene Armseligen, die in drei Büchern die Menschen studiert haben und die sie nun schildern wollen, von der Menschheit zurück. Sie haben nichts erfahren und nichts geduldet, sie sind nur von den kleinlichsten Leidenschaften gestreift, kein Sturm ist an ihrem Herzen vorübergefahren, und voll Vertrauen setzen sie sich nieder und maßen sich an, die Herzen der Menschen zu richten und ihre Gefühle darzustellen. Wie jämmerlich würde ich mich in einem solchen Buche ausnehmen! Wie würde der Verfasser unaufhörlich meine guten Anlagen bedauern und über die Verderbtheit meiner Natur jammern, und gar nicht ahnden, daß alles ein und eben dasselbe ist, daß ich von je so war, wie ich bin, daß von je alles berechnet war, daß ich so sein mußte.

Jetzt will und kann ich zu Ihnen zurückkehren; ich bin schon auf dem Wege. Ich habe alles vergessen, Rosa, und Sie dürfen mir ohne Scheu oder Zurückhaltung näherkommen; ich hoffe, auch Sie haben alles das von mir vergessen, was mich in Ihrer Gesellschaft in Verlegenheit setzen könnte: für vernünftige Menschen muß nie eine Verlegenheit entstehen können, denn das Höchste, was sie tun können, ist, daß sie gestehn, daß sie irgendeinmal Narren waren, und das versteht sich ja immer von selbst, und sie sind von neuem Narren, indem sie es gestehen. Also können wir beide darüber ganz ruhig sein. – Grüßen Sie vor allen Dingen Andrea; er wird doch nicht krank sein, da Sie ihn damals so lange nicht gesehn hatten? – Leben Sie wohl, bald seh ich Sie wieder. –

 

25
Ralph Blackstone an Mortimer

Bondly.

Wie befinden Sie sich, lieber Freund, wenn ich Sie so nennen darf? – Doch, warum sollte ich es nicht dürfen? Sie sind ja mein bester und mein aufrichtiger Freund; ohne Ihre Hülfe wäre ich ja damals schon mit meiner Tochter Todes verblichen. Ach, ich glaubte damals nicht, unter den Menschen noch Hülfe und Erbarmen anzutreffen, und da kamen Sie gerade und fanden mich durch einen glücklichen Zufall. Was wäre aus mir geworden, wenn Sie mich nicht angetroffen hätten? Ich kann es immer noch nicht vergessen. Manche Menschen wissen gar nicht, was Elend heißt, sie können sich daher die große menschliche Not, aber auch die menschliche Dankbarkeit nicht vorstellen, und es ist ihnen nicht zu verargen, wenn sie glauben, es gäbe gar keine dankbare Menschen. Es gibt auch viele undankbare Leute in der Welt, aber ich denke, daß ich nicht zu diesen gehöre; nachher gibt es solche, die, wenn sie aus der Armut in einen gewissen Wohlstand versetzt sind, sich nachher ihrer ehemaligen Armut schämen, und wünschen, daß alle Menschen die Wohltaten und Unterstützungen vergessen möchten, die sie ihnen in schlimmern Zeiten erwiesen haben, ja sie suchen sie sogar selbst zu vergessen, und daraus entsteht wieder eine andre Art von Undankbarkeit, die aus einer falschen Scham herrührt; man kann nicht sagen, daß die Ursache ganz schlecht sei, aber der Erfolg davon wird oft recht niederträchtig. Ich glaube, daß der Mensch auf recht verschiedenen Wegen schlimm werden kann, aber dafür hat der Mensch auch seinen Verstand, um sich vor solchen Abwegen zu hüten. Nehmen Sie mir mein weitläuftiges Geschwätz nicht übel, denn es kommt wirklich aus dem Herzen. – Ich lebe hier sehr froh und vergnügt, wie ein Vogel in den Lüften und in den grünen Baumzweigen. Ich suche, soviel es mir in meinem Alter noch möglich ist, meinem Schwiegersohne auf irgendeine Art nützlich zu sein, ich führe daher eine fleißige Aufsicht über den Garten, und mit meinen Augen bessert es sich täglich und zusehends, so daß ich diesem Geschäfte mit Bequemlichkeit vorstehen kann. Mit dem Gärtner, der ein etwas eigensinniger, aber sonst ganz guter Mann ist, habe ich manchen Streit, er bildet sich ein, einen gewissen guten Geschmack zu haben, und will mir den Garten immer viel zu künstlich machen. Man muß aber bei einem Manne eine Schwäche übersehn, wenn er sonst gute und lobenswürdige Eigenschaften hat, und die kann man wirklich dem alten Thomas nicht so ganz und geradezu abstreiten: nur hat er ein Unglück, welches vielen ältern Leuten begegnet, daß er sich für klüger hält, als er wirklich ist, er macht mir daher oft mit seinen langwierigen Gesprächen eine ziemliche Langeweile. Er wurde neulich sehr böse, als er manches, was er eingerichtet hatte, wieder einreißen mußte, aber die Ordnung machte es nötig. Die Jagd hatte mein Schwiegersohn und sein seliger Vater fast ganz eingehn lassen, aber ich denke sie noch mit Gottes Hülfe wieder in Flor zu bringen. Es wäre sonst wirklich um das schöne und herrliche Revier schade.

Meine Tochter ist immer munter und vergnügt, dabei ist sie außerordentlich gesund, und liebt ihren Mann ungemein; und wie sollte es auch möglich sein, daß sie ihn nicht liebte? Jedes Kind muß ihm gut sein, und ich habe hier auch noch keinen Menschen getroffen, der ihn nicht leiden möchte; selbst die schlechten Menschen mögen ihn gern. Nur von einem gewissen Lovell habe ich hier unter der Hand manches gehört, der sein unversöhnlicher Feind sein soll, dieser muß dann gewiß ein äußerst schlechter Mensch sein. Er ist aus Italien hiehergekommen, und hat hier die italienische Mode mit Vergiften einführen wollen, aber das geht in unserm England nicht so, wie er vielleicht gedacht hat, und darum hat er auch heimlich wieder abreisen müssen. Man sagt, er sei in der Fremde gestorben, und ein solcher Mensch verdient auch nicht, daß er lebt, denn er wendet sein Leben nur zum Schaden und zur Ärgernis seiner Nebenchristen an, und das ist auf keinen Fall recht und löblich. – Ich habe diesen ganzen Brief meiner Tochter diktiert, weil sie schneller und fertiger schreibt, als ich. Leben Sie recht wohl und glücklich; ich nenne mich

Ihren aufrichtigen Freund
Ralph Blackstone.

26
Betty an Amalie

Bondly.

Wie befinden Sie sich, teuerste Amalie? Wenn Sie ebensoviel an mich denken, wie ich an Sie, so denken Sie recht oft an mich; doch das darf ich nicht hoffen. Sie sind immer so gut und Ihre Briefe sind so gut, daß ich glaube, ich könnte auf Erden keine bessere Freundin finden. Nach Eduard liebe ich Sie und meinen alten lieben Vater am meisten, der zwar zuweilen etwas viel spricht, es aber doch immer herzlich gut meint. Manche Leute haben ihm daraus zuweilen einen Vorwurf gemacht, aber man lasse doch den alten Mann, wenn es ihm nur Vergnügen macht. Sehn Sie, in seinem Elende konnte er sich manchmal recht gut trösten, wenn er selbst lange Reden über das Unglück, oder über seine Standhaftigkeit hielt; er sagte selbst, daß im Sprechen eine große Erleichterung stecke. Freilich wird mein Vater keinem andern Menschen so liebenswürdig vorkommen, wie ich ihn sehe, indessen wird ihn doch gewiß jeder für einen guten und rechtschaffenen Mann halten, und das ist für mich weit mehr, als die Liebenswürdigkeit. Mich freut es immer von neuem, daß er sich jetzt so glücklich fühlt, da er wieder Bedienten befehlen und ausreiten, und Anordnungen über die Jagd treffen kann, und Eduard tut ihm alles Ersinnliche zu Gefallen.

Mir ist oft recht sonderbar zumute, wenn ich jetzt unter Eduards Büchern manche wiederfinde, die ich in meiner unglücklichen Lage las, und die mich oft trösteten; ich habe sie von neuem und mit einer unbeschreiblichen Sehnsucht durchgelesen, sie haben mich wieder gerührt und ich halte sie in großen Ehren. Von je hab ich unsern armen Otway recht innig bemitleidet, der so großen Mangel litt, um den sich niemand kümmerte, und aus dem doch so oft ein recht himmlischer Engel schreibt: wie konnten die Menschen so wenig für ihn sorgen! Sie verdienen es gar nicht, daß sie ihn lesen dürfen. – Ich möchte alle jene Bücher wieder zurückhaben, mit denen ich im trüben Wetter so vertraut ward, die ich mit verweinten Augen und mit einem mattklopfenden Herzen las: ich kann mich in manchen Stunden so in jene Zeit zurückfühlen, daß ich noch jetzt über manche Vorfälle von neuem weinen muß, und wenn ich dann meine Tränen auf den Wangen fühle, so ist mir oft plötzlich, als wäre alles noch ebenso, als wären alle bisherigen Freuden nur ein leichter Schlummer gewesen. Wenn man erst über das Unglück hinüber ist, so erinnert man sich seiner mit einer gewissen stillen und unbeschreiblichen Freude.


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