Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Haß

Ich stand einsam da. Ich hatte nur eine Empfindung in meiner Brust, die mein Herz zu zerreißen drohte; ein tiefer, unversöhnlicher, brennender Haß gegen Lovell. Mein ganzes Leben hätte ich daransetzen mögen, um das seinige zu verbittern. Ich konnte nicht an seinen Namen denken, ohne vor Wut zu zittern: mein Innres bewegte sich auf die gewaltsamste Weise, wenn ich an alle Vorfälle dachte, und ich dann sein Vorhaben gekrönt, ihn glücklich sah. Ich schwur es mir, ihn ewig nicht zu vergessen, mich nie im Herzen mit ihm auszusöhnen. Mein Leben hatte nun einen Faden gefunden, an dem es sich hinunterspinnen konnte.

Ich wußte es zu bewerkstelligen, daß er Gift bekam, allein er wurde wiederhergestellt. Ich erstaunte, als ich inneward, daß mein Haß einen noch höhern Grad erreichen könne. Marie starb im ersten Wochenbette, und nun fühlte ich erst ganz, wie ich sie geliebt hatte, wie ich sie hätte lieben können. Ihr Kind, an welchem der Vater sich freute, war mir der Mörder alles meines Glückes, mein Herz brannte an diesem Rache zu nehmen. In diesem Gefühl zehrte ich fort, es erhielt mich, alle mein Sinnen war darauf gerichtet, diese Rache einmal zu schmecken, mich in ihr zu sättigen.

 

Elend

Es war jetzt die Zeit gekommen, daß ich die Menschen wirklich sollte kennenlernen. Der Mensch ist nichts, wenn ihm seine Nebengeschöpfe fremd bleiben, und indem er sie kennenlernt, verliert er alles, was ihm Wert gab: es ist ein klägliches und wieder lächerliches Rätsel.

Alle Menschen entfernten sich nun von mir, ich war von allen Gesellschaften ausgeschlossen, ich suchte Hülfe oder nur Mitleid, aber ich ward kalt und höhnisch zurückgewiesen. Man hatte mich gesucht und an sich gezogen, und jetzt verachtete mich jeder Dummkopf, ohne daß er sich einen auch nur halbklugen Grund anzugeben wußte. Ich ärgerte mich innig über diese Menschen, die mich vorher ohne alle Ursache geschätzt hatten, und mich nun so plötzlich fallenließen, und sich dabei so hoch über mir erhaben dünkten. Ich war gebrandmarkt, und jedermann vermied mich als einen Angesteckten; sie hatten sonst einmal etwas von Tugend und Rechtschaffenheit gehört, und nun meinten sie, die Leute könnten wohl gar denken, sie hielten nicht viel von diesen hohen Dingen, wenn sie sich mit mir abgäben. Es waren Menschen darunter, die nicht ihre einfältigsten Gedanken mit der Sprache von sich zu geben wußten.

Die weite Welt lag jetzt vor mir, aber ich begriff nicht, wie ich darin leben wollte. Mein ganzes Vermögen war verloren, ich hatte keine Freunde und keine Aussichten, keinen Mut, mir selber zu vertrauen, um das Verlorne wiederzugewinnen. Ich hätte in London eine Zeitlang bleiben können, aber ich war es müde, Anekdoten zu erzählen, oder hin und her zu schwatzen, und mich abzuquälen, um einen witzigen Einfall zusammenzubringen. Die Menschen hatten mir selbst den Mut genommen, zu schmeicheln, um damit ein kümmerliches Dasein durchzuschleppen.

So tief war ich gesunken. Ich sah zurück, wer ich war, wer ich in Mariens Armen geworden wäre. Besser zurückgekehrt zu allem Hohen, mein Herz wäre dann aufgeblüht, mein Geist erschlossen. Ewig hinter mir war dies Paradies verriegelt, und mir selber und der leeren Welt preisgegeben, ich sah einem ewigen Schmachten, einer unendlichen Dürre entgegen, in der der einzige arme Trost keimte, daß ich mich vielleicht zerstreuen, mich vergessen, mich mir selbst entfremden könne.

Ich reiste wieder nach Frankreich, und vermied die Gesellschaft der Menschen soviel als möglich. Im Schatten von rauschenden Wäldern überlas ich oft alle die Erfahrungen, die ich in meinem Gedächtnisse aufbewahrt hatte, es taten sich viele Lichter da hervor, wo bis jetzt in meiner Seele dickes Dunkel, oder verworrene Dämmerung geherrscht hatte. Nichts lehrt uns so sehr die Menschen verachten, als die Einsamkeit, jede Armseligkeit dieses Geschlechts erscheint noch ärmer, wenn man sich im einsamen Forste ihrer erinnert, indem ein Gewitter rabenschwarze Schatten hinunterwirft, und der Donner ungewiß über die zitternden Baumwipfel geht.

Ich suchte endlich Hülfe bei Menschen, die sonst meine vertrauten Freunde gewesen waren, und denen ich aus schlecht angebrachter Gutherzigkeit sonst tausend Dienste, selbst mit meinem Schaden, geleistet hatte. Keiner kannte mich wieder, einige wurden sogar auf meine Unkosten witzig; ich sah jetzt ein, daß Achtung und Freundschaft nur so lange dauern können, als jeder der sogenannten Freunde ohngefähr gleich viel Geld in der Tasche hat; sie verhalten sich wie Waageschalen, die nur im Gleichgewichte stehn, wenn in jeder ein gleiches Gewicht liegt.

Eine Krankheit überfiel mich. Ich mußte zum Schmählichsten meine Zuflucht nehmen; auf mein inständiges, wiederholtes Bitten nahm man mich in einem Hospitale auf. Ich kann nicht sagen, daß man für mich sorgte, denn selbst der trägste Gärtner behandelt die Blumen, die schon verwelken wollen, liebreicher und mit mehr Aufmerksamkeit, als hier die kranken, mit dem Tode ringenden Menschen gehandhabt wurden. Manche werden dennoch wieder gesund, und zu diesen gehörte auch ich. Man entließ mich, ein Geistlicher gab mir sogar fromme Wünsche mit, und die Sonne schien mir nun wieder auf der freien Straße entgegen. Ich war noch sehr schwach, abgefallen und bleich, aber dennoch ward niemand zum Mitleiden bewegt. Es gibt gar zu viele Elende! rief man mir von allen Seiten entgegen, weil selten ein Mensch so gewissenhaft ist, es aufrichtig zu gestehn, daß er sich nicht berufen fühle, die Not der Menschen zu erleichtern. Ich bettelte gleich dem Verworfensten, aber mein Anzug war noch zu gut, um das flüchtige Mitleid gefangenzunehmen: wer mir einen Sous gab, hielt sich zugleich für berufen, mir tausend Bitterkeiten zu sagen, die mich noch mehr schmerzten, als Hunger und Krankheit, ja manche taten es gewiß nur, um eine Gelegenheit zu haben, ihre guten Lehren an den Mann zu bringen.

Ich ward meines Lebens überdrüssig, das wie eine Kette um mich lag. Ich saß auf Pont neuf, und hatte schon seit Sonnenaufgang das Mitleid der Vorübergehenden angefleht. Hunger und Durst zehrten mich auf, ich erinnerte mich der Märchen von wohltätigen Zauberern und Kobolden, und sah jedem Vorübergehenden ins Gesicht, aber alle sahen zu sehr den Menschen ähnlich, als daß ich etwas hätte hoffen können. Die Sonne ging unter, und die roten Wellen winkten mir, der Fluß schien mir ein goldenes Bette, in dem ich endlich alle Sorgen und allen Verdruß verschlafen könne. Immer gingen noch Menschen vorüber, und keiner von allen warf mir nur auch die kleinste Münze zu. Ich beschloß noch zwölf Vorübergehende abzuwarten, und mich dann, wenn mir von diesen keiner etwas mitteile, in den Strom zu stürzen.

Da es schon spät war, gingen die Leute schon seltner, ich verdoppelte mein Flehn, aber man hörte nun in der Dämmerung noch weniger auf mich. Schon waren eilf Unbarmherzige vorübergegangen, und auch der zwölfte kam und sah sich nicht nach meinen Bitten um: schon war ich aufgestanden, um mich köpflings über das Geländer der Brücke zu stürzen, als ich einen singenden Menschen hörte, der sich näherte. Ich hielt ein, um auch noch mit diesem einen Versuch zu machen, von dem ich schon im voraus überzeugt war, daß er vergeblich sein würde, denn der Spaziergänger war froh und guter Dinge. Er kam näher. Es war ein Trunkener, der sich kaum mehr aufrecht zu erhalten wußte, sein Bewußtsein hatte ihn fast gänzlich verlassen, und er brummte ein unverständliches Lied zwischen den Zähnen. Es kam mir vor wie eine Satire auf mich selbst und auf die Menschheit, als ich mit demütigen Bitten sein Wohlwollen und sein christliches Herz in Anspruch nahm. Er stand still, betrachtete mich und lachte dann über mein kümmerliches Aussehen aus vollem Halse. Ich hätte beinahe mit eingestimmt. Mit einem widrigen Gesichte griff er jetzt in die Tasche, und zog gähnend eine schwere Börse hervor, er machte sie auf und gab mir ein Goldstück: ich dankte und er ging fort. Kaum war er einige Schritte gegangen, als er aus Nachlässigkeit die Börse verlor und es nicht bemerkte. So schnell ich konnte, lief ich hinzu, und hob sie auf, neben ihr lag ein Taschenbuch, das er ebenfalls verloren hatte: er hatte mich nicht gesehen, und ich war schon jenseits der Brücke, als er hinter mir drein keuchte und mich fragte, ob ich seine Börse nicht gesehn habe. Ich verneinte es fest, und er fing nun an zu suchen, er kroch die Brücke auf und ab, und ich mußte ihm helfen, wobei ich sein Unglück sehr beklagte. Er bog sich endlich über das Geländer, stieg hinüber, um auch dort nachzusehn, er kam aus dem Gleichgewichte und stürzte in das Wasser. Da ich ihn nicht schreien hörte, ging auch ich stillschweigends fort. Ich weiß nicht, ob man ihn wieder ans Land gezogen hat.

Das Geld machte mich bald wieder angesehen; außerdem fand ich noch bedeutende Banknoten und Wechsel in dem Taschenbuch; ich verließ die Stadt, und setzte bei der ersten günstigen Gelegenheit alles in bares Geld um; mit einem nicht unbeträchtlichen Vermögen ging ich unter einem erborgten Namen nach Italien.

 

Verstand

Ich kam nun mit dem festen Vorsatze aus der Schule, besonnener zu leben. Ich verglich mich mit den übrigen Menschen, und fand, daß sie häufig, ja meistenteils einfältiger waren, als ich; es gereute mich doppelt, daß ich mich so von ihnen hatte beherrschen lassen. Ich sah ein, daß wenn ich versteckter und feiner handelte, als sie, ich sie alle um desto eher würde beherrschen können. Denn soviel ist gewiß, daß man die Gesellschaft entweder verlassen, oder sich zum Beherrscher aufwerfen, oder sich beherrschen lassen muß.

Ich hatte es an allen Menschen mit so vielem Unwillen bemerkt, daß sie sich zuweilen recht kluge Regeln aus ihren Lebenserfahrungen abstrahiert hatten, daß diese ihnen aber immer nur dazu dienten, in Gesellschaften angenehm und sinnreich zu sprechen; sie dachten alle nur, um über ihr Denken zu reden, nicht aber um ihre Resultate in Ausübung zu bringen. Daher kömmt es denn auch, daß sie im Denken, so wie in einem Hasardspiele, wagen, daß sie oft ohne alle Überzeugung überzeugt tun, damit sie nur Gelegenheit finden, scharfsinnig zu sein. Diese kläglichste von allen Schwächen hatte ich schon seit lange verachtet; ich nahm mir vor, jeden Gedanken über die Welt und den Menschen recht genau zu nehmen, ihn treu aufzubewahren, damit er mir nützen könne. So legte ich es freilich wenig darauf an, über Menschen gut zu sprechen, aber desto mehr, sie von ihrer wahren Seite zu begreifen.

Jeder Mensch sucht aus seinem Leben etwas recht Bedeutendes zu machen, und jeder glaubt, er sei der Mittelpunkt des großen Zirkels. Keiner lebt im Allgemeinen, keiner kümmert sich um das große Intresse des Ganzen, sondern jeder weiß in diesem unendlichen Stücke nur seine kleine armselige Rolle auswendig, die oft nur so wenig zum Ganzen beiträgt. Man kann sich daher nicht besser gegen die verächtlichen Schwächen der Menschen, gegen blinde Eitelkeit und kurzsichtigen Stolz waffnen, als wenn man sich das bunte Leben immer unter dem Bilde eines Schauspiels vorstellt; es ist ein wirkliches Drama, weil jedermann es dazu zu machen strebt, denn keiner kommt auf den Gedanken, so in den Tag, oder ins Blaue hineinzuleben, sondern selbst zum kürzesten Auftritte bürstet ein unbemerkter Bediente seinen Hut ab, und will durch die Tressen auf dem Rocke blenden. Nie muß man sich ganz in einzelne Menschen verlieren, sondern immer daran denken, daß diese von andern wieder anders betrachtet werden, als wir sie betrachten; denn sobald jemand Einfluß auf uns hat, so ist unser Blick auch schon bestochen.

 

Vorsätze

Wie jedermann Vorsätze faßt, wär es auch nur am Geburts- oder Neujahrstage, so faßte ich auch die meinigen. Wer nicht konsequent handeln kann, sollte lieber gleich unbesehen alle Handlungen aufgeben, weil er sich sonst beständig selber etwas in den Weg legen wird, und zwar eben durch den Versuch, sich manches aus dem Wege zu räumen. Ich hatte nun einmal eine gewisse Art zu leben und zu denken angenommen, und ich mußte so fortfahren, oder von neuem ins Hospital oder Narrenhaus geschickt werden. Ich überlegte aber, was man mir entgegensetzen könne, und fand es alles abgeschmackt. Daß die Welt nicht bestehen könne, wenn alle Menschen so dächten und handelten, dieser Gedanke ist es ja eben, der einzelne Köpfe aufrufen muß, von der gewöhnlichen Art abzuweichen, weil sie durch die Gewöhnlichkeit der andern Menschen imstande sind, ihr falsches Geld für echtes auszugeben. Sie sind in dem wilden Kampfe des menschlichen Lebens die Heerführer, die es wissen, wovon die Rede ist, die übrigen sind ihre Untergebenen, und die echt Tugendhaften die ewige schöne Ursache, daß dieser Krieg nie zu Ende kömmt, sie gießen die Kugeln und teilen sie gratis beiden Parteien aus. – Der wichtigste Einwurf ist nun, daß etwas in uns wohne, das in uns schlägt und zittert, wenn wir von dem Wege abweichen, von dem man sagt, daß ihn die Natur vorgezeichnet habe. Aber eben von diesem unsichtbaren Dinge, oder sogenanntem Gewissen konnt ich mich nie überzeugen. Es gibt mehrere dergleichen fabelhafte Traditionen beim Menschengeschlechte, wodurch der größte Teil desselben wirklich in einer gewissen Furcht gehalten wird, die manchen in müßigen Stunden, wenn er nicht zu sehr gedrängt und getrieben wird, tugendhaft machen; es sind die philosophischen Nebenstunden, auf Schreibpapier gedruckt und mit Vignetten verziert. Ich beschloß, es mit dieser unsichtbaren Gewalt aufzunehmen, und ihr nicht minder, als dem gewöhnlichen Gerede, das man unter dem Namen Grundsätze so oft ablesen hört, Trotz zu bieten, und bis jetzt habe ich keinen Anstoß, keinen innern Ruf bemerkt, ob ich gleich jeden Fehler, der mir im Wege lag, mitnahm; es sind mannigfaltige Sünden von mir begangen worden, aber bis jetzt bin ich immer noch ruhig geblieben. – So hatte sich nach und nach das Ideal eines Menschen verändert, das ich mit ungeübtem Finger in der Kindheit entworfen hatte. Ich habe oft jene bekannten tugendhaften Bücher gelesen, um mir die Sache recht nahezubringen, aber weder Poesie noch Prosa haben in mir etwas angeschlagen, ob ich mir gleich jene armseligen gequälten Menschen ziemlich deutlich vorstellen kann.

Doch ich werde zu weitläuftig, und Du verstehst mich doch nicht ganz; ich will daher hier mehrere Jahre übergehen, um mich dem Schlusse meiner Erzählung zu nähern.


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