Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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6
Ralph Blackstone an Thomas

Bondly.

Es ist hier noch immer alles beim alten, mein lieber Thomas, außer daß im Garten wieder manche kleine Veränderungen vorgefallen sind. Ich finde doch, daß Er bei allen den Anlagen unentbehrlich ist, denn die übrigen Menschen sind dumm und es ist nichts mit ihnen anzufangen. Ich habe noch allerhand neue Projekte im Kopfe, die sich vielleicht mit der Zeit ausführen lassen. Er muß nur den Garten in Waterhall bald zustande zu bringen suchen, denn im Grunde gehören wir beide zusammen, wenn wir uns auch manchmal ein wenig gestritten haben. Vier Augen sehn immer weiter, als zwei, das ist mein Wahlspruch und ich finde es immer bestätigt, daß ich daran nicht unrecht habe. Man muß nur immer suchen, in der Welt irgend etwas zustande zu bringen, es mag auch dann sein, was es will; es ist zwar nichts Merkwürdiges eben, wenn wir den hiesigen Garten beide verschönern, es wird immer noch keinen Einfluß auf die Weltgeschichte haben, aber es ist doch immer sehr angenehm und sehr löblich. Wenn man im Kleinen etwas Gutes tut, so kann man es doch berechnen, wie weit es sich erstreckt, und das ist sehr viel wert; von dem Guten aber, das im Großen geschieht, oder geschehn soll, kann man nie wissen, wie weit es gehn wird, es geht oft gar zu weit und ist nachher nicht mehr zu ändern, eben weil es gleich in der Anlage zu groß war. Er tut mir daher einen sehr großen Gefallen, lieber Thomas, wenn Er so bald als möglich wieder zurückkommt, mit Ihm kann man reden, und Er ist ein Mann, der den Verstand da hat, wo er hingehört; das kann man nicht von allen Leuten sagen, Thomas, denn manche haben ihn in den Fußsohlen, andre im Rücken, andre auf der Zunge; das sind solche Leute, die man zu gar nichts brauchen kann. Er sieht, wie hoch ich Ihn schätze, und Er wird darum machen, daß Er bald zurückkömmt. Ich nenne mich

Seinen Freund
Ralph Blackstone.

7
William Lovell an Rosa

Florenz.

Es neigt sich alles zum Ende, mein Leben kömmt mir vor, wie eine Tragödie, von der der fünfte Akt schon seinen Anfang genommen hat. Alle Personen treten nach und nach von der Bühne und ich bleibe allein übrig.

Ich besuchte in Padua das Mädchen am folgenden Morgen wieder. Meine Rührung hatte den ganzen Tag über fortgedauert; ich stellte mir recht lebhaft vor, wie sehr sie mir danken würde, und als ich nun hinkam, fand ich sie im hitzigen Fieber, so daß sie mich nicht wiedererkannte. Ich ließ das Geschenk zurück, das ich für sie bestimmt hatte. – Ich reiste ab, und ein Zufall, oder eine seltsame Laune, verschlug mich nach Genua.

Ich labte mich hier am Anblicke des großen allmächtigen Meeres. Mein Geist ward in mir größer, und ich fühlte mich einmal wieder über die Menschen und über die Natur hinausragen. Die unübersehliche Fläche redete mich erhaben an, und ich antwortete ihr innerlich mit bestimmter Kühnheit. Alle meine Sorgen, die mich sonst so schwer drückten, waren hinweggeflogen, und ich war frei und unbeängstigt. Aber Wolken stiegen am fernen Horizonte auf und mit ihnen trübe Zweifel in meiner Seele, alles stand wieder still, die Uhr zeigte wieder jene traurige, schwarze Stunde – ich ward mir selbst wie ein entsprungener Gefangener zurückgegeben. O über den verhaßten Wechsel in unserm Innern!

Ich ging an einem Morgen durch eine einsame Straße, und hinter einem vergitterten Fenster glaubte ich Balders Gesicht zu sehn. Ich erstaunte, ich erkundigte mich unten im Hause nach ihm, man bestätigte, daß er dort wohne, und wies mir mit einem Lächeln, das ich nicht verstand, die Treppe nach seinem Zimmer. – Ich trat hinein, er war es wirklich, er erkannte mich sogleich und umarmte mich mit großer Herzlichkeit. Er war gut gekleidet, seine Miene war ganz geändert, sein Auge schien heiter und ungetrübt. Er war ganz zu den gewöhnlichen Menschen wieder zurückgekehrt, er war froher und menschlicher, als er selbst damals war, als ich ihn in Paris zuerst kennenlernte. Mein Erstaunen war ohne Grenzen und ich konnte mich immer noch nicht überzeugen, daß jener unglückliche, wahnsinnige Balder wirklich vor mir stehe.

Wir frühstückten miteinander, und ich konnte nicht müde werden, ihn aufmerksam zu betrachten. Sein Gesicht war voller und gesunder, in seinen tiefliegenden Augen waren einige Spuren des Wahnsinns zurückgeblieben, ob sie gleich ziemlich hell und lebhaft waren. Alle seine Bewegungen waren lebendiger, er war durchaus körperlicher geworden, und deswegen kam er mir in einzelnen Momenten ganz fremd vor. Das Zimmer war ordentlich und aufgeräumt, nur an der hintern Wand lag ein großer roter Mantel über den Boden und über Stühlen ausgebreitet.

Balder war sehr gesprächig, und wir unterhielten uns von manchen Vorfällen aus der Vergangenheit. Ich bat ihn endlich, mir zu erzählen, durch welche Zufälle er sich plötzlich so sehr verändert habe; sein Gesicht ward trauriger, indem er darüber zu reden anfing; ich will es versuchen, Rosa, Ihnen seine eigenen Worte niederzuschreiben.

Du wirst vielleicht, fing er an, meinen seltsamen Brief aus den Apenninen erhalten haben, denn daß ich dort gewohnt hatte, erfuhr ich nachher. Ich kann mich jenes Zustandes nur noch dunkel und mit Mühe erinnern. Ich weiß, daß mich ein unaufhörlicher, wunderbarer Traum umgab. Mein Bewußtsein lag gleichsam fernab in mir verborgen, die äußere Natur schimmerte nur dunkel in mich hinein, mein Auge starrte vorwärts und die Gegenstände veränderten sich dem stieren, angestrengten Blicke. Zu allen meinen Empfindungen und Ideen führten gleichsam keine Tasten mehr, die sie anschlagen konnten, sondern eine unbekannte Hand fuhr über den Resonanzboden auf den gespannten Saiten umher und gab nur dunkle, verworrene und einsilbige Töne an. Wie in Bergwerken eine Leuchte oft hin und wider geht und das Licht an den Quarzwänden und dem nassen Gestein wundersam zurückschimmert, so erschien mir der Gang meiner Vorstellungen in mir selber.

Plötzlich ergriff mich wieder, so wie in meinen gesunden Tagen, das Gefühl einer heftigen Unruhe, ich fand mich in mir selber unzufrieden. Das fernstehende prosaische Leben kam wieder näher auf mich zu und eine unbeschreibliche Sehnsucht zog mich nach sich. Ich kam zu mir selbst zurück und fand mich wie sonst eingeengt und gepreßt, ich wünschte und wußte nicht was: in der Ferne, in einer andern Heimat schien alles zu liegen, und ich verließ endlich den Ort, wo ich so lange gewohnt hatte.

Andre Gegenden begrüßten mich wieder mit denselben Empfindungen, die ich sonst gehabt hatte, die Zirkel und das Getümmel des menschlichen Lebens ergriffen mich von neuem, ich legte meine seltsame Kleidung ab und beschloß nach Deutschland, nach meiner Heimat, zurückzureisen. Es war als wenn sich die verschlungenen Gegenstände mehr voneinander absonderten; was zusammengehörte, flog zusammen, und ich stand in der Mitte der Natur. Die Posthörner nahmen nun wieder über Berge und Seen nach fernen Gegenden meine Seele mit sich, der Trieb zur Tätigkeit erwachte wieder und das dumpfe, unverständliche Geräusch, das mich bisher innerlich betäubt hatte, verlor sich immer ferner und ferner.

Ich hatte noch einiges Geld übrigbehalten und mit diesem kam ich in Genua an. – O Freund, ich wußte nicht, daß ich hier meine frühste Jugend wiederfinden sollte, ein neues Leben, um es nachher noch einmal zu verlieren. – Ich lernte hier ein Mädchen kennen – o Lovell, du lächelst und verachtest mich – nein, ich kann dir nicht sagen, wer sie war, du kannst es nicht begreifen. Ich hatte schon einst vor langer Zeit meine Henriette begraben, ich hatte viel auf ihrem Grabe geweint, und hier fand ich sie nun ganz und gar wieder und sie hieß Leonore. – Ach, wie glücklich war ich, als sie mich wiederliebte, als sie meine Göttin ward.

Ich weiß nicht, wie es geschah, aber jetzt verließ mich alle meine Schwermut, ich konnte selbst nicht mehr an meinen ehemaligen Zustand glauben. Mein Leben war ein glückliches, gewöhnliches Menschenleben, und keiner meiner Gedanken verlor sich auf jener wüsten Heide, auf der bis dahin meine Seele rastlos umhergestreift war. Ich ließ mir mein Vermögen aus Deutschland überschicken, die Familie meiner Gattin war reich, es fehlte meinem Glücke nichts weiter, als daß mich das Schicksal in Ruhe ließ. – – –

Er hielt hier ein und fing an zu weinen. Ist dies derselbe Mensch, sagte ich zu mir, der sonst das Leben mit allen seinen Menschen so innig verachtete? der von jeder Menschenfreude auf ewig losgerissen war? Ein Weib also konnte jene entsetzlichen Phantasieen verscheuchen, die ihn belagert hielten? – Dabei ergriff mich ein Schauder, daß eben der Balder, den ich im heftigsten Wahnsinne gesehn hatte, jetzt als ein ganz gewöhnlicher Mensch vor mir stand.

Er fiel in meine Arme und fing von neuem an zu sprechen: – Ach Lovell! rief er aus, auch diese hat mir der Tod entrissen. Und ich darf den Kirchhof, ich darf ihr Grab nicht besuchen! Wie sehn ich mich oft nach meiner einsamen Wohnung in den Apenninen zurück! – –

Ich wollte ihn trösten; ich ließ einige Worte über den gewöhnlichen Gang des menschlichen Lebens fallen.

Recht! rief er mit großer Bitterkeit, das Leben würde kein Leben sein, wenn es nicht nach dieser tyrannischen Vorschrift geführt würde. Wir sind nur darum auf kleine armselige Augenblicke glücklich, um unser Unglück nachher desto schärfer zu fühlen. Es ist der alte Fluch, Glück muß mit Unglück wechseln, und eben darin besteht unser Leben und unser Elend.

Er war heftig erschüttert und ich ging im Zimmer auf und ab; ich näherte mich dem Mantel und wollte ihn in Gedanken aufheben. Halt! rief mir Balder plötzlich zu, um Gottes willen halt ein! – Seine Stimme war ganz unkenntlich, ich stand erschrocken still und sah ihn befremdet an. – Da unten, sagte er mit zitterndem Tone, liegen die Denkmäler, die man Henrietten gesetzt hat. – Neugierig hob ich den Mantel auf – und wie entsetzte ich mich, als ich einen dicken Pfahl und starke Ketten erblickte. Einige Glieder der Kette fielen rasselnd herunter und Balder tobte nun wie ein wildes Gespenst im Zimmer auf und ab, er rannte mit dem Kopfe gegen die Wände, er schrie und zerfleischte sich das Gesicht, er warf sich laut lachend auf den Boden nieder.

Bösewichter! schrie er mit einer gräßlichen Stimme, so geht ihr mit mir um? – Das ist also der Mensch? – Gebt sie mir zurück und nehmt diese Ketten wieder! –

Die Raserei erstickte bald seine Sprache. Sein Gesicht war jetzt blau und aufgetrieben, alle Glieder seines Körpers bewegten sich mit einer unglaublichen Schnelligkeit, in seinen gräßlichen Bewegungen lag etwas Niedriges und Komisches, das mein Entsetzen noch vermehrte. Jetzt sprang er auf mich zu und warf mich mit einem gewaltigen Stoße gegen die Wand, er grinste mich mit einem höhnischen Lächeln an und drückte seine Faust gegen meine Brust; es war mir unmöglich mich von ihm loszumachen. Noch nie hab ich ein so inniges Entsetzen gefühlt, als in diesem Augenblicke: ich wußte nicht mehr, welche verzerrte Gestalt vor mir stand, ich war in Versuchung, laut aufzuschreien und zu singen, und aus einem fast unwiderstehlichen Triebe Balders gräßliche Possen nachzuahmen. Schon fühlt ich, wie mir Sinne und Bewußtsein vergingen, ich mußte mich ganz sammeln, um imstande zu sein, nach Hülfe zu rufen.

Mehrere Menschen mit großen Ruten und Knütteln traten herein. Balder ließ von mir ab. Man schleppte ihn nach dem Winkel des Zimmers und schloß ihn an den Block. Er ließ alles ruhig geschehn und lächelte nur dazu; als er sich aber festgeschlossen fühlte, brach seine Wut von neuem aus, er schleuderte sich wie ein wildes Tier in den Ketten hin und wider, alle seine Sehnen waren angespannt, sein Gesicht glühte, seine Augen waren keine menschlichen. Er stemmte sich mit den Ketten, um sich vom Blocke loszureißen, so daß die Ringe laut erklangen: seine Wärter schlugen jetzt ohne Erbarmen auf ihn zu, aber er schien keine Empfindung zu haben. Unter der Anstrengung aller Kräfte schien er größer zu werden, sein Gesicht war rund und glühend wie der Vollmond: ich konnte den Anblick nicht länger aushalten, ich verließ schnell das Zimmer. Noch unten, noch auf der Straße hört ich ihn schreien; Tränen kamen in meine Augen.

So hab ich ihn wiedergefunden; doch beruhigen Sie sich, Rosa, er ist schon nach zweien Tagen in dieser Raserei gestorben. Alles, was er mir erzählt hatte, ist wahr, gleich nach dem Tode seiner Frau ist er wieder rasend geworden, in Zwischenzeiten kalt und vernünftig gewesen. Die Verwandten seiner Frau haben für seinen Unterhalt gesorgt.

Scheint diesem Unglücklichen der Wahnsinn nicht von der Geburt an schon mitgegeben zu sein? Zuerst ging er langsam alle Grade desselben durch, bis er durch eine neue Liebe schneller und rascher zum letzten Extreme hingetrieben ward. – In einigen Tagen sehn Sie mich in Rom. –

 

8
Adriano an Francesco

Florenz.

Je länger ich über Andrea nachdenke, je seltsamer, ich möchte sagen, je alberner kömmt er mir vor. Es fügen sich in meinem Gedächtnisse erst jetzt so manche Züge zusammen, die mir bedeutender als damals erscheinen. Ich kann es nicht unterlassen, die Menschen jetzt zu verachten, die sich so ernsthaft in die Mitte der Welt hinstellen; jeder simple Bauer, der auf dem Felde arbeitet und nachher ein Weib nimmt, ist mir bei weitem ehrwürdiger. Muß denn alles am Menschen schwülstig und aufgedunsen sein? Will keiner den Weg zu jener Simplizität gehn, die den Menschen zum wahren Menschen macht, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil uns dieser Weg zu sehr vor den Füßen liegt? Es ist sehr schlimm, daß der feinere Verstand gewöhnlich nur dazu dient, die Einfalt zu verachten, statt daß wir lieber den Versuch machen sollten, ob wir nicht auf einem bessern Wege zu denselben Resultaten kommen könnten. Es ist ein ewiger Streit im ganzen menschlichen Geschlechte, und keiner weiß genau, was er von dem andern verlangt; die Menschen stehn sich wie zwei gedungene Heere gegenüber, die sich einander bekämpfen, ohne daß einer den andern kennt. Mag mein Leben doch recht prosaisch weiterlaufen, dieser Zweifel soll mich nun nicht mehr kümmern, denn ich werde es dann nur um so höher achten; mein Vater wünscht, daß ich heirate, damit er noch Enkel sieht, und ich will das auch bei der ersten Gelegenheit tun. Jene seltsamen Stimmungen, jene sonderbaren Exaltationen, mit denen uns Andrea bekannt machen wollte, sind der verbotene Baum im Garten des menschlichen Lebens. Was meinen Sie, Francesco, wollen wir uns nicht unter jene verachteten Spießbürger einschreiben lassen? Wir laufen wenigstens mit der Menge, und können uns darum um so sicherer halten.


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